Bei einer europaweiten Operation waren am 20. November 2024 über 20 Personen in Deutschland und in mehreren anderen europäischen Ländern festgenommen worden. In Deutschland gingen vier Männer ins Netz der Fahnder – und zwar in Hannover, Leipzig und Duisburg. Sie kamen in U-Haft. Gegen sie erhob die Staatsanwaltschaft Traunstein nun Anklage. Pressesprecher Vietze sagte, dass sich die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Traunstein insbesondere aus dem Tatort der ersten mutmaßlichen Schleusung in der Anklage ergebe, bei der am 16. Mai 2022 der Aufgriff an der Tank- und Rastanlage Samerberg Nord stattfand.
In ihrer Anklage geht die Staatsanwaltschaft Traunstein von folgendem, vor Gericht noch zu beweisendem Sachverhalt aus: Die Angeschuldigten sind Mitglieder eines international agierenden Schleusernetzwerks, das für den Großteil der Schleusungen entlang der Balkanroute von Syrien bis nach Deutschland verantwortlich ist. Das Ziel ist dabei stets, Personen meist syrischer Herkunft vornehmlich ab Serbien über Ungarn und Österreich nach Deutschland und teilweise in benachbarte EU-Länder zu schleusen. Die Schleusungen verlaufen als sogenannte Garantieschleusungen, bei denen erst nach Ankunft am Zielort die von den Geschleusten bei einem »Hawaladar« hinterlegten Gelder freigegeben werden. Im Zeitraum von 2022 bis 2024 erwirtschaftete die Schleuserbande über 3,3 Millionen Euro an Schleuserlohn. Von einer wesentlich höheren Dunkelziffer ist auszugehen. Insgesamt wurden mindestens 129 banden- und gewerbsmäßige Schleusungen mit mindestens 797 geschleusten Personen ermittelt.
Der 35-jährige Angeschuldigte agierte laut der Staatsanwaltschaft als einer der Anführer des internationalen Netzwerks in Deutschland. Er gab Schleusungen in Auftrag und organisierte Fahrer und Bezahlung. Auch die beiden 32 und 28 Jahre alten Angeschuldigten organisierten Schleusungen im großen Stil von Deutschland aus. Der 44-jährige Angeschuldigte war hingegen als »Hawaladar« in Deutschland für die Freigabe der Gelder nach erfolgreichem Abschluss einer Schleusung und die Abwicklung der sonstigen illegalen Finanztransaktionen des Clans zuständig.
Die Angeschuldigten schlossen sich spätestens Mitte Mai 2022 zu dieser Schleuserorganisation zusammen, um planmäßig und zur Erzielung von erheblichen Einkünften Garantieschleusungen gegen Zahlung von circa 4500 bis zu 12 000 Euro pro geschleuster Person durchzuführen. Bei einem Teil dieser Schleusungen wurden mehrere Personen auf den Ladeflächen des Schleuserfahrzeugs transportiert, sodass es ihnen nicht möglich war, sich zu setzen und anzuschnallen. Im Falle einer Vollbremsung oder eines Unfalls hätten sie zumindest lebensgefährliche Verletzungen erlitten.
Der 35-jährige Anführer organisierte mehr als 40 Schleusungen, darunter sechs Taten, bei denen für die Geschleusten Lebensgefahr bestand. Bei einer weiteren Schleusung, für die der 35-Jährige verantwortlich war, sind im April 2023 auf dem geplanten Abschnitt der Route von Belarus nach Lettland, den die geschleusten Personen fußläufig zurücklegen mussten, zwei damals 31 und 39 Jahre alte Schwestern mit syrischer Staatsangehörigkeit infolge der durch die Schleusung verursachten völligen körperlichen Erschöpfung zu Tode gekommen.
Das 32-jährige Bandenmitglied organisierte mehr als 60 Schleusungen, wobei in zwei Fällen Lebensgefahr für die geschleusten Personen bestand. Der 44 Jahre alte Angeschuldigte finanzierte als »Hawaladar« nicht nur zwei Schleusungstaten, darunter eine gefährliche, sondern beging in seiner Funktion als Verantwortlicher für das Finanzsystem innerhalb des Schleuser-Clans 739 Straftaten der gewerbsmäßigen Geldwäsche. Der 28-jährige Angeschuldigte organisierte als Bandenmitglied eine Schleusungstat, bei der das Leben der geschleusten Personen gefährdet wurde. Er beging gemeinsam mit dem 35-jährigen Anführer des Clans in Deutschland mehrere weitere schwere Straftaten. fb