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Die Stimmen von Oksana Volkova als Carmen und Andeka Gorrotxategi als Don José mischen sich in »Carmen« aufs Beste. (Foto: Löffelberger/Salzburger Landestheater)

Ballett, Tod und Schutzmantelmadonna

Stierkampf mit zarten Ballettfräulein in Pink und güldenen Hörnchen am Kopf statt mit bulligen Horntieren – so sieht die gefahrlose wie durchgestylte Zukunft aus, die das Salzburger Landestheater mit »Carmen« in der Felsenreitschule zeichnet.


Escamillo ist folgerichtig ein Popstar. Zum dekadenten Event fährt er in der weißen Limousine vor. Um perfekt dazu zu passen, hat Carmen sogar ihr Zigeuner-Outfit aufgegeben und macht kurzzeitig auf Superblondine, bis ihr Don José in berechtigter Erregung den Skalp vom Kopf reißt.

Mit »Carmen« also geht das Salzburger Landestheater in die Felsenreitschule, für immerhin zehn Aufführungen bis Mitte November. Mit Unmengen an Komparsen, um gerade dort bloß ja nicht armselig zu wirken. Den Raumdimensionen zum Trotz erlebt man Bizets Musik über Strecken als beinah kammermusikalische Preziose.

Dirigentin und Orchester leisten ganze Arbeit

Das ist ein guter Grund, sich die Aufführung nicht entgehen zu lassen. Mirga Grainyte-Tyla und das Mozarteumorchester leisten wieder ganze Arbeit, und unter dem spanischen Lokalkolorit arbeitet die Dirigentin besonders das elegante französische Lineament heraus, veredelt um nicht minder idiomatisches Holzbläser-Idiom. Wie wenig Knallerei, wie viel ernsthafte Musik da sein kann: Hier kann man’s genießen, Takt um Takt.

Zu Mirga Grainyte-Tylas federndem und espritvollem, aber eben auf delikate Durchsichtigkeit bedachten Dirigat passen die Sänger absolut. Die junge Russin Oksana Volkova kann nicht nur unendlich lange Beine ins Treffen führen – die Bürosessel-Nummer hat was, mit der sie Don José rumkriegt. Die Vorzüge dieser Mezzosopranistin aus Weißrussland liegen im samtweichen Timbre, nicht in der vokalen Attacke.

Mit dem lyrischen Tenor Andeka Gorrotxategi mischt sich ihre Stimme aufs Beste. Er ist absolut kein Draufgänger. Am Ende wirkt er wie ein Laientheologe, dem die Utopie Lebensmensch abhandengekommen ist. Höchstens in einer Kunstwelt wie diesem Pop-Stierkampf wäre so einer noch zum Mord an der Ex-Geliebten fähig – wenn’s nicht überhaupt nur geträumt ist.

Escamillo fährt schon in Lillas Pastias Schenke per Auto vor und gibt Autogramme. Wenn Zachary Nelson vom Stierkampf erzählt, klingt das wie die Schilderung eines gelungenen Konzertauftritts. Elena Stikhina, die Micaela, spart nicht mit vokaler Fülle. Laura Nicorescu und Rowan Hellier bestechen als Zigeunerinnen-Duo in der Kartenszene, vor allem aber im Ensemble mit Franz Supper und Elliott Carlton Hines im zweiten Akt: Auch in der genauen Ensemblearbeit macht sich die neue Opernchefin bezahlt.

Wo man überall Ballett unterbringen kann in »Carmen«: Andreas Gergen (Regie) und Peter Breuer (Choreografie) lassen nichts unversucht, doch ein wenig Musical-Flair einzubringen. Klappt natürlich gar nicht, weil die Führung der Chöre und Statisten viel zu plump ist und Wegstrecken in der Felsenreitschule elendslang sind. Der getanzte Softporno in den Araden, während Carmen Don Josè zum Mitkommen überredet, ist eine drollige Episode.

Micaela als Schutzmantelmadonna

So richtig krass wird es, wenn rund siebzig Schmuggler neben einem Dutzend Pappschachteln auf brettelebener Fläche vom gefährlichen Fortkommen als Schmuggler in den Bergen singen. Sogar da dürfen die Tänzer ein paar Figuren drehen. Drei Kletterer seilen sich ab und landen wohlbehalten. Micaela tritt bei den Schmugglern im Outfit einer Schutzmantelmadonna auf. Das hat damit zu tun, dass Don José zuvor einen Joint geraucht hat.

Die Geschichte ist aus Spanien nach Mittelamerika verlegt. Im ersten Akt wird ein Mohnblumenfeld abgeerntet. Drogendealer tricksen die Miliz aus, die in Containern wohnt. Das alles tut wenig zur Sache. Der Tod im schwarzen Mantel steht von Anfang an bedeutungsvoll herum. Niemand sollte also zwischendurch auf die Idee kommen, dass »Carmen« gut ausgeht.

Aufführungen bis 14. November in der Felsenreitschule. Reinhard Kriechbaum

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