Prozess gegen Lehrerin in Traunstein: Schülerin am Pullikragen gepackt – Wie Schulamt und Lehrerverband mit Vorwürfen umgehen
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Foto: Symbolbild (dpa)

Schülerin am Pullikragen gepackt – Wie Schulamt und Lehrerverband mit Vorwürfen umgehen

Traunstein – Mit einer Geldzahlung von 3000 Euro endete am Dienstag eine Verhandlung am Traunsteiner Amtsgericht. Auf der Anklagebank saß eine Grundschullehrerin aus dem Landkreis – der Staatsanwalt Felix Norbury warf der Frau vor, sie habe eine Schülerin im Unterricht misshandelt und sich der Körperverletzung im Amt schuldig gemacht.


Dass die Anklage schwer auf den Schultern der Frau lastete, war in der Verhandlung zu spüren. Gegenüber ihrem Verteidiger Hartmut Wächtler sagte sie vor Sitzungsbeginn: »Ich bin froh, wenn es endlich vorbei ist«.

Den Vorfall, den die Lehrerin nie bestritt, sowie die Umstände schilderte sie in der Verhandlung eingehend. Die damals sechsjährige Schülerin war nach Aussage der 49-Jährigen ein Kind, das vom ersten Schultag an auffiel. »Sie wollte durch Stören meine Aufmerksamkeit«, sagte die Lehrerin in der Verhandlung.

Im Laufe der ersten Schulwochen sei das Verhalten des Mädchens »immer extremer geworden, ich musste mich um sie kümmern, und konnte nicht mit dem Stoff weiter machen«, erinnerte sich die Angeklagte. Das Mädchen habe sich an keine Anweisungen mehr gehalten. Mit der Mutter der Schülerin sei sie deswegen in Kontakt gewesen, bestätigte sie auf Nachfrage von Richter Christopher Stehberger.

Als die Schülerin wiederholt den Unterricht sabotierte, hat die Lehrerin, wie sie selbst sagt, »die Nerven verloren«. Um das Mädchen des Klassenzimmers zu verweisen, habe sie es am Pullikragen »hochgelupft« und hinausgeschickt. Dabei schnitt der Pullikragen am Hals ein und die Schülerin erlitt oberflächliche Schürfspuren, die Richter Stehberger in der Verhandlung anhand der Fotos aber als »nicht schlimm« einstufte. Im Anschluss habe sie sich sofort vor der Klasse, nach dem sie das Mädchen wieder hereingeholt hatte, für ihr Verhalten entschuldigt, rechtfertigte sich die Angeklagte; diese Entschuldigung hat sie noch am selben Tag auch vor der Mutter der Schülerin wiederholt.

Schuld ist nicht dem Kind anzulasten

Die Lehrerin ist seither krankgeschrieben, mittlerweile dienstunfähig und macht eine Psychotherapie. Auch ein Disziplinarverfahren läuft gegen die 49-Jährige. »Ich bin selbst über mich erschrocken«, sagte sie in der Verhandlung. Richter Stehberger machte aber klar: »Die Schuld an dem Vorfall darf nicht auf die Schülerin geschoben werden«, auch wenn die Lehrerin in der Situation sichtlich überfordert war. Da sich die Parteien auf eine Geldauflage in Höhe von 3000 Euro einigten, wurde das Verfahren eingestellt, und der Schülerin blieb eine Aussage vor Gericht erspart.

»Eltern wollen nur das Beste für ihr Kind«

Wie Staatliches Schulamt und Lehrerverband mit Vorwürfen gegen Lehrer umgehen

»Da vergeht einem die Lust aufs Lehrersein«, kommentierte eine Prozessbeobachterin im Zuschauerraum die Verhandlung gegen die 49-jährige Lehrerin. War man früher als Lehrer angesehen, sieht sich der Berufsstand heute im Spannungsfeld vieler Konflikte. Besonders das Verhältnis zwischen Lehrern und Eltern habe sich merklich verändert.

Das bekommt auch Otto Mayer, Leiter des Staatlichen Schulamts Traunstein, zu spüren. »Einerseits für den Schutz der Schüler zu sorgen und gleichzeitig die Fürsorgepflicht gegenüber den Lehrern zu gewährleisten – das ist eine Gratwanderung«, sagt er gegenüber dem Traunsteiner Tagblatt. Zum Glück gebe es sehr selten Anzeigen gegen Lehrer, die auch zu Prozessen führten, betont Mayer.

Dies bestätigt auch die Präsidentin des Bayerischen Lehrer und Lehrerinnen Verbands (BLLV), Simone Fleischmann, auf Nachfrage unserer Zeitung. »Die Eltern sind heute sensibler, drohen bei Problemen schneller mit dem Anwalt«, bedauert Fleischmann. Das sehe man auch daran, dass der Interessensverband inzwischen vier Volljuristen beschäftige. Grundsätzlich dürfe die Sensibilität der Eltern nicht negativ gewertet werden, da sind sich Mayer und Fleischmann einig. »Wenn etwas vorgefallen ist, dann muss und wird dem auch nachgegangen«, betont Fleischmann. Seitens des Dienstherrn folgt ein Disziplinarverfahren.

Meist einige man sich außergerichtlich. »Als allererstes wird das Gespräch gesucht, Entschuldigungen werden ausgesprochen«, beschreibt Mayer die Maßnahmen, damit keine Seite als Verlierer dasteht. Das sei auch in diesem Fall geschehen. Auf eine Anzeige wollten die Eltern aber nicht verzichten.

Woher die Sensibilität der Eltern rührt, dafür hat Fleischmann – vor ihrer Zeit als BLLV-Präsidentin war sie Leiterin einer Grund- und Mittelschule – aus eigener Erfahrung verschiedene Erklärungen. »Wir leben in einer Gesellschaft, in der Leistung einen hohen Stellenwert hat, gleichzeitig haben wir ein sehr selektives, wenig inkludierendes Schulsystem, das auf Schwächere keine Rücksicht nimmt.« Eltern fänden sich im Konflikt zwischen Leistungsdruck und Erwartungshaltung – auch gegenüber den Lehrern – immer schlechter zurecht. Sie spiegelten die Ellenbogenmentalität der Gesellschaft wider. »Dabei wollen die Eltern nur das Beste für ihr Kind.« Im Gespräch werde dieser Zwiespalt geklärt – »in 95 Prozent der Fälle erfolgreich«.

vew

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