DIE LEBENSHILFE TRAUNSTEIN
Arbeitsrechtlich nicht ausgegoren, unklare Konsequenzen, die Frage, wie der Betreuungsauftrag sichergestellt werden kann ... für Annemarie Funke, die Geschäftsführerin der Lebenshilfe Traunstein gibt es noch viele Fragezeichen im Bezug auf die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Dass sie kommt, steht hingegen fest. Ab dem 16. März müssen alle Beschäftigten, die in einer der im Gesetz aufgeführten Einrichtungen arbeiten, nachweislich vollständig geimpft oder genesen sein. Derzeit werden in den Einrichtungen der Lebenshilfe rund 200 Menschen mit einer geistigen und/oder körperlichen Schwerstmehrfachbehinderung betreut. Betreuung heißt aber nicht automatisch Pflege. Dort arbeiten auch Heilerziehungspfleger, Sozialpädagogen, Erzieher sowie Alten- und Krankenpfleger aber auch Verwaltungs- und Hauswirtschaftspersonal oder Hausmeister. »Wir leisten pädagogische und pflegerische Arbeit.« Nicht jeder hat gleich viel oder überhaupt Kontakt zu den Menschen, die in den Einrichtungen betreut werden.
Die Lebenshilfe Traunstein beschäftigt rund 440 Mitarbeiter. Davon sind – ganz genau lasse es sich nicht sagen, weil es sich durch noch erfolgte Impfungen oder durchgemachte Infektionen ständig ändere – rund 30 Prozent offiziell noch nicht gegen Covid-19 geimpft. Das betreffe alle Berufsbereiche. »Wir haben einen Betreuungsauftrag, den wir sicherstellen müssen. Jeder einzelne Mitarbeiter, der fehlt, den merke ich. Selbst wenn uns nur zehn Prozent der Mitarbeiter wegbrechen, wie sollen wir das kompensieren?«, fragt Funke. Antworten gibt die Politik, die das Gesetz im Dezember vergangenen Jahres beschlossen hat, nicht. Aus Funkes Sicht wurde viel zu wenig an die praktische Umsetzung gedacht, es sei schlichtweg bei den Betroffenen nicht nachgefragt worden.
Funke sieht es aber auch nicht als die Aufgabe der Arbeitgeber, dafür zur sorgen, dass sich die Arbeitnehmer impfen lassen. Natürliche empfehle man es den Mitarbeitern und appelliere an sie. »Es bleibt aber eine individuelle und persönliche Entscheidung des Mitarbeiters, die ich respektieren muss.« Und gleichzeitig muss sie mit den Konsequenzen kämpfen, die ihr durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht vorgegeben werden. Für Annemarie Funke wäre daher eine allgemeine Impfpflicht die beste Lösung. »Oder eine praxisnahe Lösung trotz der gesetzlichen Regelung, damit wir künftig dennoch unseren Betreuungsauftrag sicherstellen können.«
Froh ist sie jedoch, dass trotz der selektiven Impfpflicht der Betrieb ab dem 16. März vermutlich erst einmal so weiterlaufen kann, wie bisher. Das strenge Hygienekonzept, das die Lebenshilfe in ihren Einrichtungen hat, bleibt natürlich bestehen. »Wir melden dem Gesundheitsamt die Mitarbeiter, die nicht geimpft sind. Dieses führt dann Gespräche mit den Betroffenen und spricht dann, falls sich am Status nichts ändert, ein Beschäftigungsverbot aus«, beschreibt Funke das Prozedere. Wie lange sich dieses hinzieht und ihr die Mitarbeiter damit dann noch zur Verfügung stehen, das lässt sich heute noch nicht abschätzen. Aber, das ist Funke ganz wichtig: »Bisher hat noch kein ungeimpfter Mitarbeiter wegen der Impfpflicht gekündigt.«
DIE KLINIKEN SÜDOSTBAYERN
Mit Gerüchten zum Thema Impfungen und deren Auswirkungen haben die Kliniken Südostbayern immer wieder zu tun. Derzeit geht in den Sozialen Medien die Behauptung um, allein am Standort Traunstein hätten 150 ungeimpfte Mitarbeiter gekündigt. »Nein, das stimmt definitiv nicht«, sagt Steffen Köhler, bei den Kliniken zuständig für das Personal. »Im Gegenteil, wir haben bisher keine einzige Kündigung mit Bezug auf die einrichtungsbezogene Impfpflicht erhalten.« Daher sei man auch über die Anzeigenkampagne im Traunsteiner Tagblatt am Samstag, 8. Januar, etwas verwundert gewesen.
Was Unternehmensvorständin Elisabeth Ulmer auch betont: »Niemand wird am 16. März gekündigt, wenn er bis dahin keinen Nachweis über eine vollständige Impfung oder eine Genesung abgibt.« Das laufe dann auch im Fall des Krankenhauses alles über das Gesundheitsamt, das die Einzelfälle prüft und dann eben ein Beschäftigungs- oder Betretungsverbot ausspricht, oder auch nicht. Betroffen von der einrichtungsbezogenen Impfpflicht sind übrigens alle Angestellten der »Einrichtung« – vom medizinischen Personal bis zum Verwaltungsangestellten.
Derzeit beschäftigt der Klinikenverbund mit Häusern in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land rund 4000 Mitarbeiter in allen Bereichen. Auch hier gilt für alle Mitarbeiter gleichermaßen die Impfpflicht. Nicht ganz 20 Prozent – es gebe laut Köhler ständig Schwankungen – sind aktuell weder genesen noch geimpft. »Unser Ziel ist es, keinen einzigen Mitarbeiter zu verlieren«, betont Köhler. Daher versuche man den Mitarbeitern, die bisher nicht geimpft sind, ein niedrigschwelliges Angebot zu machen. »Wir haben Betriebsärzte, Psychologen, machen Aufklärungskampagnen, wenn jemand Fragen hat, wir geben Antworten«, sagt der Personaler.
Die Gründe, warum Mitarbeiter nicht geimpft sind, sind ein Spiegelbild der Gesellschaft. »Das sind einerseits Mitarbeiter mit Ängsten, andere wollen auf den Totimpfstoff von Novovax warten, andere sehen den Impfstoff als nicht ausreichend erprobt an, und für einen Teil ist es natürlich inzwischen auch schwer, von seiner verweigernden Haltung wieder abzuweichen«, sagt Köhler. Vor allem beim Thema Totimpfstoff haben die Klinikverantwortlichen die Hoffnung, dass sich der eine oder andere noch impfen lässt, sobald dieses Vakzin zur Verfügung steht. Und es gebe auch immer wieder kleine Erfolge. Erst gestern habe er erfahren, dass ein Mitarbeiter, der die Impfung zunächst abgelehnt habe, geimpft sei, sagt Köhler.
Elisabeth Ulmer lässt aber auch durchblicken, dass sie eine generelle Impfpflicht für besser hält: »Es gilt dann eben für alle und nur so können wir die Pandemie auch langfristig beenden.« Daher hat sie den Wunsch, dass sich die Politik so schnell wie möglich zusammensetzt und eine einheitliche Vorgabe ausarbeitet.
DER PFLEGEDIENST
Das Betriebsklima leidet beim Pflegedienst Trauntal doch deutlich, seitdem klar ist, dass es eine einrichtungsbezogene Impfpflicht gibt. Die Fronten zwischen geimpften und ungeimpften Mitarbeitern sind verhärtet, eine sachliche Diskussion nicht mehr möglich. 16 Mitarbeiter hat Christine Spiegelberger, vier davon sind nicht geimpft – und drei wollen es auch definitiv bleiben. Sie arbeiten in der Pflege und in der Hauswirtschaft. Das sind 25 Prozent der Belegschaft, rechnet sie vor. »Corona wird zwar nicht geleugnet, aber als nicht schlimmer als eine normale Grippe angesehen«, sagt die Chefin.
Eine Mitarbeiterin hat auch schon gekündigt. Den anderen werde man, wenn sie über den 16. März hinaus ungeimpft bleiben, kündigen müssen. Die Impfpflicht hält Spiegelberger für grundsätzlich sinnvoll, »aber nicht so, wie sie angedacht ist; es muss eine Impfpflicht für alle geben«.
Spiegelberger ist für eine klare Kante. Gerade in der Pflege verschärfe man mit der selektiven Impfpflicht die Personalsituation. Schließlich gebe es Fachpersonal nicht wie Sand am Meer. »Es ist damit zu rechnen, dass einzelne Pflegedienste Überlastungsanzeigen an die Kassen melden werden«, sagt Spiegelberger. Das bedeutet, aufgrund von Personalmangel kann der Pflegebetrieb nicht mehr aufrechterhalten werden.
Für ihre ungeimpften Angestellten gilt übrigens, dass sie den Betrieb ab dem 16. März nicht mehr betreten dürfen, sie werden freigestellt. Grundsätzlich gelte aber auch hier, dass über ein Beschäftigungsverbot das Gesundheitsamt entscheidet.
DIE KREISALTENHEIME
»Im Grunde haben wir eine relativ hohe Impfquote. 14 Beschäftigte – sieben Prozent von insgesamt 200 Beschäftigten – aus der Pflege haben bisher noch keine Impfung. Hier werden wir ganz gezielt ins Gespräch gehen«, sagt Markus Mayr, Geschäftsführer der Kreisaltenheime Traunstein GmbH. Er spricht sich uneingeschränkt für die Impfpflicht aus. »Wir stehen als Unternehmen vollkommen hinter der Impfung bzw. der Impfpflicht. Im Bereich von Pflegeeinrichtungen ist es unabdingbar, die vulnerablen Personen zu schützen. Es gibt keinen anderen Weg.« Er ist trotz der Herausforderungen optimistisch: »In den Kreisaltenheimen besteht kein Risiko, dass wir einen Pflegeexodus erleben.«
DIE UNGEIMPFTE MITARBEITERIN
»OTA 'ungeimpft' sucht neuen Wirkungsbereich ab 16.03.2022, da Impfpflicht« – so lautete eine der zahlreichen Stelleninserate, die am vergangenen Samstag im Traunsteiner Tagblatt erschienen. »Das ist keine Fakeanzeige, ich bin wirklich operationstechnische Assistentin, ungeimpft, und suche gezwungenermaßen ab 16. März einen neuen Job«, sagt die Anzeigenschreiberin im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Redaktion hat auf alle einschlägigen Chiffreanzeigen, die am Samstag veröffentlicht wurden, mit der Bitte geantwortet, der Anzeigensteller möge sich mit der Redaktion in Verbindung setzen. Die junge Frau hat sich – als einzige – auf unsere Bitte hin gemeldet. Ihre Identität ist der Redaktion bekannt.
»Ich hatte in Mai 2021 Corona, für mich war es nicht mehr als ein Schnupfen, hätte ich keinen positiven Test gehabt, ich hätte nicht gewusst, dass es Corona ist«, sagt sie. Der Genesenenstatus, der nur sechs Monate gilt, ist inzwischen abgelaufen. Impfen lassen will sie sich aber trotzdem nicht. Für sie gibt es dafür mehrere Gründe: »Ich bin genesen, habe immer noch Antikörper, warum soll ich mich impfen lassen?«. Und sie zählt weitere Beweggründe auf: »Die Impfung bietet keine sterile Immunität, ich kann mich auch als Geimpfter und Geboosterter weiterhin infizieren und andere anstecken.« Auch kenne sie inzwischen einige Geimpfte, die nach der Impfung einen Herzinfarkt, eine Hirnblutung oder eine Thrombose bekommen hätten. Natürlich, schiebt sie ein, das komme auch so vor. Dennoch bleibt sie skeptisch.
Die junge Frau, die im Landkreis wohnt und arbeitet, leugnet Corona nicht und ist auch keine Impfskeptikerin. Sie habe alle anderen Schutzimpfungen, die für medizinisches Personal vorgeschrieben sind. Sonst dürfte sie in ihrem Beruf nicht arbeiten. »Ich habe selbst auf einer Covid-Intensivstation ausgeholfen, dort sind geimpfte Patienten ebenso schwer erkrankt wie ungeimpfte.« Für sich selbst sieht sie keinen Mehrwert in einer Covid-Schutzimpfung. Eben auch, weil sie Genesene ist, Antikörper hat und jung und gesund sei.
Seitens ihres Arbeitgebers werde kein Druck auf sie ausgeübt, sich doch noch impfen zu lassen. Natürlich gebe es Appelle in diese Richtung. Was die Frau jedoch belastet: »Einige Kollegen, darunter auch Ärzte, bedrängen die Covid-ungeimpften Mitarbeiter.« Sie würde sich wünschen, dass man ihre Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, einfach respektiert.
Das Argument, dass eine allgemeine Impfpflicht alles einfacher machen würde, da alle betroffen sind, teilt sie übrigens nicht. »Ich würde mich aktuell mit den vorhandenen Impfstoffen nicht impfen lassen, so lange sie keine sterile Immunität bieten.« Als Gleichbehandlung würde sie etwas anderes empfinden: »Ich befolge wie alle anderen genau das Hygienekonzept, schütze mich und andere. Als Ungeimpfte muss ich mich in meinem Beruf zudem täglich testen lassen, meine geimpften und geboosterten Kollegen aber nur zweimal wöchentlich, obwohl auch sie sich und damit andere infizieren können – aber nur ich werde als Gefahr angesehen, weil ich ungeimpft bin.«
Jetzt bleibe ihr nur, sich ab 16. März einen neuen Wirkungsbereich zu suchen – obwohl sie ihren Job sehr gerne mag. »Aber von irgendwas muss ich ja schließlich leben.«
Die Rolle des Gesundheitsamtes
Bei Neueinstellungen, ab 16. März 2022 müssen potenzielle Mitarbeiter geimpft oder genesen sein, teilt das Landratsamt auf Nachfrage mit. Hier gilt ohne Nachweis ein Beschäftigungsverbot.
Angestellten mit bereits bestehendem Beschäftigungsverhältnis müssen bis 15. März folgendes vorlegen: Impfnachweis, Genesenennachweis oder Ärztliches Zeugnis aufgrund medizinischer Kontraindikation keine Impfung. Für diese tritt mit dem Stichtag aber nicht automatisch ein gesetzlich angeordnetes Beschäftigungsverbot in Kraft. Hier hat das Gesundheitsamt zu entscheiden.
Denn: Für Angestellte mit bestehendem Beschäftigungsverhältnis ohne entsprechenden Nachweis gilt, wenn diese Nachweise nicht vorliegen zum Stichtag 15. März, muss dies der Arbeitgeber unverzüglich an das Gesundheitsamt melden. Daraufhin fordert das Gesundheitsamt diesen Nachweis noch einmal direkt bei dem Mitarbeiter an. Auch wenn Zweifel an der Echtheit des Zertifikats bestehen, muss dies unverzüglich gemeldet werden. Sollte kein Nachweis vorgelegt werden, kann das Gesundheitsamt dem Mitarbeiter untersagen, dass er die Räumlichkeiten der Einrichtung betritt, also letztlich ein Beschäftigungsverbot verhängen. Damit entfällt die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers.
Verena Wannisch