Autsch! Es ist immer wieder dasselbe: Da, wo die Erwartungen am größten sind, gipfelt maßlose Enttäuschung. Auch, oder besonders an Weihnachten heißt’s dann oft ernüchternd »alle Jahre wieder«.
Statt »Oh du Fröhliche« kommt die schmerzliche Erkenntnis, dass leider »die schönste Freude die Vorfreude war« und sich unterm Christbaum unerhörte Dramen abspielen können. Schöne Bescherung! – der 24. Dezember verfehlt sein eigentliches Ziel: Weihnachten verkommt zum Pulverfass innerfamiliärer Spannungen. Statt »Erfüllung aller Wünsche« brüllt unterm »Oh Tannenbaum« nicht nur das Christuskind in der Krippe, sondern oft die gesamte (unheilige) Familie. Kennt man. Ist das Kunst oder kann das weg?
Einjährige Vorbereitung
So, wie der britische Autor Alan Ayckbourn, »Großbritanniens populärster Gegenwartsdramatiker«, die Chose aufgearbeitet hat, ist das ganz sicher Kunst, kann also auf gar keinen Fall weg. Und ganz besonders in Thomas Enzingers gelungener Inszenierung am Salzburger Landestheater, die nun im dritten Anlauf, nach mehr als einjähriger Vorfreude, gefeiert werden konnte. Der zweite Lockdown wurde also nicht zum Knockdown, sondern servierte dem ausgehungerten Theaterpublikum eine echt schöne Premierenbescherung. In diesem speziellen Fall hat sich’s Warten voll rentiert: In bunter Verpackung schenkte das neunköpfige Ensemble bei überbordender Spielfreude brillante Schauspielkunst, entlockte dem Publikum explosionsartiges Gelächter und zündende Überraschungseffekte wie Wunderkerzen. In schräger Situationskomik gelang voller bedingungsloser Hingabe eine treffsichere Darstellung der spießbürgerlichen Charakterköpfe der von Ayckbourns »erschaffenen« (Witz-)Figuren.
Allein das Bühnenbild (Bühne und Kostüme von Toto) war ein Fest – »Schöner Wohnen« ist im Vergleich dazu ein Abklatsch. Ein riesiger »beengelter« und »bekugelter« Christbaum, unter dem sich kunstvoll verpackte Geschenke türmen, Lichterketten hie und da, stilvolle Gemütlichkeit und durchgestylte Weihnachtsdeko bieten den bizarren Rahmen für bitterböse Weihnachtsexzentrik.
Weihnachtswahn in gutbürgerlichem Haus
Im gutbürgerlichen Haus von Neville (Matthias Hermann) und seiner Frau Belinda (Julienne Pfeil) nimmt der Weihnachtswahn langsam Fahrt auf: Patties (Lisa Fertner) Kinder wollen nicht schlafen, der zum vierten Mal werdende Vater Eddie (Maximilian Paier) blättert in Comics statt seiner hochschwangeren Frau zu helfen. In der Küche hat Nevilles Schwester Phyllis (Tina Eberhardt) beim Kochen zu tief ins Glas gekuckt, während ihr Ehemann Bernard (Christoph Wieschke) das alljährliche Puppentheater (das keiner sehen will) vorbereitet und damit alle zur Weißglut bringt.
Belindas ver- und beklemmte Schwester Rachel (Genia Maria Karasek) »probt« hingegen ihre erste Liebeserfahrung mit dem Sahneschnittchen von Möchtegern-Schriftsteller Clive (Skye MacDonald). Der aber fühlt sich eher zu ihrer enthemmten, aber leider (inzwischen unglücklich) verheirateten Schwester Belinda hingezogen. Dass sich die beiden kaum bis überhaupt nicht zurückhalten können, liefert dem Stück ebenso viel chilischarfe Würze wie die lautstarken und niederschmetternd beleidigenden Einwürfe von Onkel Harvey (Walter Sachers). Er will den Kindern zu Weihnachten echte Gewehre schenken.
Reichlich Sprengstoff
Reichlich Sprengstoff liefern auch »Missverständnisse«, die keine sind, »Anschuldigungen«, die durchaus gerechtfertigt sind, falsche Versprechen, die sich als echte Lügen herausstellen und am Ende droht das »Fest der Liebe« mit einer Leiche unterm Christbaum zu enden. Ob früher mehr Lametta war? Das herauszufinden lohnt sich in den »Schönen Bescherungen« am Salzburger Landestheater, zu dessen Premiere sich das grandios besetzte und noch besser agierende Ensemble wohl selbst das schönste Geschenk gemacht hat: ein hoch zufriedenes, weihnachtlich überraschtes und zum Teil peinlich berührtes, aber vor allem lautstark lachendes Publikum.
Weihnachten kann kommen, die »Schönen Bescherungen« sind bestens geprobt und mit Herzenswärme garniert. Da macht auspacken und reinschauen richtig Spaß. Infos und Karten gibt es unter Telefon 0043/662/871512222 oder per E-Mail unter service@salzburger-landestheater.at. Kirsten Benekam