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Tief taucht Sophie Pacini in die Chopin'sche Erinnerungswelt ein. (Foto: Janka)

Den polnischen Herzschlag erspürt

Sophie Pacini, die vielgefeierte und preisgekrönte junge Pianistin aus Aying, hat die Herzen der Zuhörer beim Traunsteiner Sommerkonzert in der Aula des Annette-Kolb-Gymnasiums im Sturm mit ihrem hochsympathischen Auftritt und mit bestechender Klugheit, die sie in ihren Anmerkungen zu ihrem Programm bewies, gewonnen.


Sie wolle die »Variations sérieuses« op. 54 von Mendelssohn Bartholdy »sehr dramatisch, kantig und scharf« spielen, verriet die Pianistin. Und in der Tat befreite sie Mendelssohn vom Image des bloßen »Götterlieblings«.

Das so Bach-ähnlich anmutende Thema begann sie sanft und ernst und reihte dann alle Variationen fast pausenlos aneinander, sodass der Eindruck von etwas manisch Kreisendem entstand mit kantig-dramatischen Basslinien und Widerborstigkeiten in den seufzenden Vorhalten des Themas. Die fugierten Teile erschienen da wie rettende Inseln im seelischen Aufruhr. Am Ende wurde es dämonisch jagend: »Das Thema wird gleichsam in den Kopf gehämmert«, hatte die Pianistin vorher angekündigt. Schließlich brach die Musik gleichsam erschöpft zusammen – »wie Grabesklingeln in d-Moll« in den Worten der Pianistin.

Mendelssohns »Rondo capriccioso« op. 14 beginne »wie ein Lied ohne Worte und endet nach neckischen Anwandlungen und veitstanzartigen Teilen wie die Variations sérieuses«, meinte Sophie Pacini, und genau so neckisch fein im Mittelteil spielte sie dieses Rondo.

Chopins seltener gespielte »Polonaise-Fantaisie As-Dur op. 61« sieht Pacini als »eine Art Synthese in Todesahnung«, es sei ihr so, als reiße Chopin sich das Herz aus dem Körper. Vor allem pries Sophie Pacini den Polonaise-Rhythmus als »polnischen Herzschlag« – und gewann damit den Bezug zu Polen als Hauptthema der Sommerkonzerte.

Genau diesen polnischen Herzschlag erspürte Sophie Pacini geradezu traumwandlerisch, tauchte tief ein in die Chopin'sche Erinnerungswelt und in die von ihr vorher angesprochene »Akkordik« statt Melodik, tauchte vor allem tief ein in die ausschweifende Harmonik, die bis in entlegenste Tonarten geht, zeigte, wie wehmütig-schön ein Dominantseptakkord verweilt, bis er sich herzanrührend auflöst, ließ den langen Triller wie irr taumeln und zeigte, wie trotziger Behauptungswille sich am Ende aufbäumte: eine tief ins Herz sich senkende Gestaltung! Sie wolle Chopin »ohne Blondlöckchen« zeigen, meinte Sophie Pacini, blieb aber Chopins bekanntem »Fantaisie-Impromptu« in cis-Moll nichts schuldig an Melodieseligkeit und spannungsreichen Ritardandi.

Der zweite Konzertteil gehörte Schumanns »Carnaval op. 14«. Dieses musikalisch-biografische Rätselspiel und brillant-vielfältige Tanzfest der Masken und Charaktere entwickelte unter Sophie Pacinis flinken Händen romantischen Überschwang, lyrisch-nachdenkliche Versonnenheit, zarten Glöckchenklang, süße Melancholie, weltläufige Bravour und raffinierte Eleganz in den Walzern, die in Sophie Pacinis Interpretation schon den die Walzer dekonstruierenden Maurice Ravel vorahnen lassen, dazu zwischendurch bannende Stille – als läse die Pianistin einen überaus spannenden und wendungsreichen Liebesroman vor.

Die herausbrechenden Bravo-Rufe quittierte Sophie Pacini mit einer programmatischen Ausweitung ins 19. Jahrhundert: dem »Allegro appassionato« von Camille Saint-Saëns und der 6. Ungarischen Rhapsodie von Franz Liszt. Rainer W. Janka

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