Vom wortgewaltigen kaiserlichen Hofprediger Abraham a Santa Clara (1644 bis 1709) in Wien stammt die Aussage, dass die »Redlichkeit eines Palmesels« leider nur einmal im Jahr ans Licht komme. War das vielleicht ein Beweggrund, warum sich seit dem Mittelalter das Brauchtum am Palmsonntag mit bunter Prozession und Esel so feierlich prächtig entwickelt hat? Sein Aspekt ist mehrdeutig: Trauer über das baldige Leiden des Herrn und Freude über das Wissen um seine triumphale Auferstehung an Ostern.
Ein überliefertes Dokument von 1556 veranschaulicht überaus detailliert, wie man damals in Salzburg auf dem Nonnberg mit Festgeläut, Prunk und Pomp den Palmeselumzug gefeiert hat: mit einem richtigen Esel, auf dem ein kostümierter Geistlicher als Christusdarsteller saß, der die jubelnde Menschenmenge segnete. Bis heute hat sich das Sprichwort erhalten: »Er ist aufgeputzt wie ein Palmesel.«
Bekanntermaßen wird dem Esel allerdings ein gewisses störrisches Naturell nachgesagt, sodass man das lebende Tier nach und nach durch einen hölzernen Esel mit einer geschnitzten Christusfigur ersetzte. Dieser Brauch war der Kirche zunächst zur realistischen Veranschaulichung des biblischen Geschehens in unserer Region sehr willkommen. Konnte man damit doch Teile der religiösen Verkündigung aus dem Kirchenraum hinaus auf Straßen, Wege und Plätze verlagern. Die samtenen Blüten der Salweide, die Palmkätzchen, wie wir sie nennen, ersetzen bei uns die biblischen Palmzweige. Allerdings, so wird berichtet, arteten die Umzüge damals zur allgemeinen Volksbelustigung aus. Der Palmesel-Umritt wurde vor allem zur Zeit der Aufklärung zurückgedrängt. Seine Verwendung im Rahmen der kirchlichen Feier wurde schließlich vielerorts sogar untersagt. In Salzburg verbot Erzbischof Hieronymus Colloredo (1732 bis 1812), der letzte Salzburger Fürstbischof, im Jahre 1779 und erneut 1782 solche »theatralischen Darstellungen« als unheiliges Treiben. Die berüchtigten »Eselsmetzger« wurden kirchen-amtlicherseits ausgesandt, die hölzernen Figuren zu zersägen und zu verbrennen. Auch im Berchtesgadener Land hat kein Palmesel »überlebt«.
Der frühere, 2001 verstorbene Berchtesgadener Pfarrer, Geistlicher Rat Otto Schüller, hat diesen Mangel in seiner bekannten Heimatverbundenheit immer wieder bedauert und 1995 zu seinem 85. Geburtstag einen besonderen Wunsch geäußert. Gleichsam als persönliches Vermächtnis möchte er dafür sorgen, dass Berchtesgaden wieder einen Palmesel bekomme. So bat er, von persönlich zugedachten Geschenken Abstand zu nehmen zugunsten einer Spende für den Palmesel als Symbol für den Einzug Jesu in Jerusalem. Nur ein einziges Mal habe Jesus, so berichtet die Bibel und zitiert es der Pfarrer, etwas gebraucht – und das war ein Esel.
Die spendenfreudigen Berchtesgadener kamen der Bitte ihres Altpfarrers gerne nach und so konnte »sein« Esel an der hiesigen Schnitzschule in Auftrag gegeben werden. Unter der Leitung des seinerzeitigen Schulleiters Norbert Däuber machten sich die drei Schnitzschülerinnen der Bildhauerklasse – Elke Herold, Ingrid Klausner und Barbara Steinmetzer – an die praktische Umsetzung. Historische Vorbilder wurden begutachtet und mit eigenen Ideen verbunden. Im Mittelpunkt stand das Kreuz: Jesus stellte die Vertikale dar, während der Esel die Waagrechte bildete. Für die Figur des Jesus durfte sogar ein Ausbildungskollege Modell sitzen. Schließlich wurde der geschnitzte Esel auf ein kleines Holzpodest mit Rädern montiert, das mit einer Deichsel gesteuert und gezogen werden kann.
So hat sich der Wunsch von Pfarrer Otto Schüller nach einem Palmesel für die Pfarrei St. Andreas gut 200 Jahre nach seinem Verbot erfüllt. Damals, am Palmsonntag, 31. März 1996, hatte er in Berchtesgaden seinen ersten öffentlichen Auftritt beziehungsweise Umritt. Das war für die Pfarrei ein ganz besonderes Ereignis.
Am morgigen Palmsonntag des Jahres 2024 könnte die Pfarrgemeinde an ihren ehemaligen Pfarrer und dessen Beitrag zur Wiederbelebung eines alten Brauches denken. Dass über den hiesigen farbenfrohen, althergebrachten Berchtesgadener Brauch des »Palmtragens« hinaus aber auch der Einstieg in die Karwoche gefeiert wird, ist wohl jedem bewusst.