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Martin Koch mit seinem Hohner Knopfakkordeon (Fotos: Gerd Spranger)

»Die Livemusik war mein Leben«: Musiker Martin Koch tritt wegen Corona kürzer

Bad Reichenhall – Martin Koch ist als Alleinunterhalter für Volksmusik und Schlager bekannt. In seinen besten Zeiten spielte und sang er jeden Tag bis zu sechs Stunden vor den Zuhörern. Später trat er nur noch zu Hochzeiten, an Fasching und bei großen Familienfeiern auf. Corona hat aber seinen Auftritten vor zwei Jahren ein jähes Ende gesetzt. Trotzdem blickt der 78-Jährige auf eine erfolgreiche Berufslaufbahn zurück, denn er gründete zudem ein Tonstudio, das sein Sohn inzwischen betreibt. 


In Berchtesgaden war die Musikszene in den 60er- bis in die 90er-Jahre anders geprägt wie im nahen Bad Reichenhall, denn hier bestimmten Tausende von Kurgästen das Bild. In Berchtesgaden dominierten hingegen der Tourismus und bis vor 25 Jahren die bis 1996 stationierten Soldaten der US-Armee und deren Musik. Doch gab es in Berchtesgaden immer eine Bühne für Volksmusik und den deutschen Schlager. Ein Akteur jener Zeit war Martin Koch.

Après-Ski in der Oberau

Von den 80er-Jahren bis etwa 2005 spielte und sang er wöchentlich in der Oberau, in der Wintersaison zu Après-Ski und im Sommer für das Busgeschäft, im Saal oder auch im Biergarten. Im Café Waldluft animierte er fast zwanzig Jahre die Gäste jeden Samstag als Alleinunterhalter in den Sommermonaten. Sein eigentlicher Wirkungskreis aber war in den 70er- und 80er-Jahren Bad Reichenhall.

Die Kurstadt war Ende der 60er- bis weit in die 80er-Jahre hinein bekannt für ihre Tanzlokale mit Livemusik. Nicht nur der hohe Anteil an Kurgästen bestimmte die Szene. Es reisten auch viele Tanzfreudige eigens an, sogar aus Niederbayern oder München. Bad Reichenhall hatte sich in der Szene einen guten Namen gemacht, war bis weit über die Grenzen hinaus bekannt.

Martin Koch trat in jener Zeit sechsmal wöchentlich als Alleinunterhalter auf und in den Folgejahren begleitete er die Szene mit einem eigenen Tonstudio und war weiterhin selbst bei besonderen Veranstaltungen zu hören. Seine musikalischen Talente entwickelte er in seiner Kindheit und Jugend in der Trachtenkapelle in Anger-Höglwörth und im Quintett »Höglwörther Buam«.

Seine Musikerkarriere als Alleinunterhalter startete er im Jahr 1969. »Ich spielte das ganze Jahr durch, ohne Urlaube, täglich sechs Stunden, und meist bis weit in die Nacht hinein. Nur im Dezember hatte ich eine zweiwöchige Pause«, erzählt er. »Es ist mir nicht schwergefallen, ich konnte mit dem Publikum immer interagieren. Nicht immer zählt die Perfektion, sondern die Stimmung muss passen und dafür braucht es immer ein gewisses Gespür für die Gäste und natürlich die Wahl der richtigen Titel.«

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Martin Koch in seinen jungen Jahren und ein Blick in das ehemalige Lokal Heustadl am Kaiserplatz.

Gespielt wurde hauptsächlich der deutsche Schlager, der zu jener Zeit eine Hochkonjunktur erlebte. Koch sang zudem noch Wiener Lieder und G'stanzl und zwischendurch hielten »ruhige Schleicher« das Publikum bei Laune.

»Eine ganz andere Zeit«

In seinen ersten Jahren trat er im Reichenhaller Heustadl, in den Winzerstuben des Kurhauses und in der Klosterklause auf. Eine Wintersaison spielte er in Reit im Winkl, häufig auch in Berchtesgaden, und eine Saison auf der Nordseeinsel Borkum, wo der Gastronom einen Zweigbetrieb des Bad Reichenhaller Tanzlokals Heustadl führte.

»Es war eine ganz andere Zeit damals«, erinnert sich Koch. »Von den vielen Tanzlokalen ist auch ohne die Coronapandemie keins mehr geblieben. An Namen wie die Tanzlokale Meran, Winzerstuben im Kurhaus, Azteka, Whyte Horse, Enzianstüberl oder Schroffen erinnert sich heute nur noch die ältere Generation.« Manche Namen wie Klosterklause, Salzburger Hof, Kammererbräu, Kurcafé oder das Axelstüberl seien geblieben, doch Livemusik oder die Einladung zum Tanz seien die Ausnahme.

Um die Dynamik jener Zeit zu verstehen, müsse man die großen Veranstaltungen im Staatlichen Kurhaus mit einbeziehen, so Koch. Es war mit »prallem Leben« erfüllt und internationale bekannte Bands und Ensembles wechselten sich wöchentlich ab wie etwa: Hugo Strasser, Egerländer Musikanten, Original Oberkrainer, Max Greger und ebenso bekannte Unterhalter und Musiker wie Ivan Rebroff, Roy Black, Franzl Lang, Maria Hellwig, Roberto Blanko, Hermann Prey und viele andere mehr. Martin Koch erinnert sich: »Es fuhren die großen und teuren Autos vor, wie Lamborghinis, Rolls-Royce, Porsches und schwere Mercedes. Der Parkplatz war meist voll belegt. Es lag wohl auch daran, dass bis zum Bau des Kurgastzentrums auch das Spielcasino im Kurhaus integriert war.«

Gesangsausbildung

Der Alleinunterhalter ist bis heute froh, im Salzburger Musikschulwerk eine Gesangsausbildung gemacht zu haben. »Die Stimme muss für Auftritte bis zu sechs Stunden lang gehalten werden. Davor helfen Übungen zur Lockerung der Stimmbänder.« Damals hatte man sich richtig »fein gemacht«, das Tragen einer Krawatte war in manchen Lokalen obligatorisch, es gab an der Garderobe auch immer welche zum Ausleihen. Mit Turnschuhen fand man ebenfalls keinen Einlass. Die Damen machten sich im Kostüm oder im Dirndl zum Fortgehen fesch.

»Die Kurgäste waren im Alter von 20 bis 70 Jahren und sie blieben bis zu vier Wochen, manche verlängerten noch um weitere zwei Wochen«, sagt Koch. »Viele waren richtig tanzbegeistert, bereits nach dem ersten oder zweiten Lied war die Tanzfläche voll.« Getanzt wurde alles. Ob Foxtrott, Tango oder Wiener Walzer. Entsprechend groß war das Repertoire von Martin Koch, wenn er mit seiner Akkordeonorgel aufspielte. »In meinen besten Zeiten konnte ich an die 200 Titel auswendig spielen und singen, heute schaffe ich noch etwa 100, muss dafür aber viel üben,« räumt er ein.

Corona hat seinen Auftritten vor zwei Jahren ein jähes Ende gesetzt. »Wenn du ein gewisses Alter erreicht hast und nicht wöchentlich auftreten kannst, verlierst du manches. Um es auf Neudeutsch zu sagen: Der Flow ist dann weg und es wird psychisch immer schwieriger, wieder hineinzufinden bei heute gestiegenen Ansprüchen.«

Musikalisches Neuland

Ab 1980 hatte Koch keine täglichen Auftritte mehr, da er ein eigenes Tonstudio gründete. Er war aber weiterhin mehrmals die Woche zu hören – wie zum Après-Ski in Berchtesgaden-Oberau, im Café Waldluft, an Silvester, zu Hochzeiten, an Fasching und bei großen Familienfeiern.

2003 übergab er das Tonstudio an seinen Sohn Martin junior, der es sogar erweitert hat. Auch hier unterlag die Zeit einem großen Wandel. »1979 gab es zwischen Salzburg und München nur wenige Studios für professionelle Aufnahmen. Es gab damals kaum Möglichkeiten für eine Ausbildung zum Tontechniker, ich habe mir das alles selbst beigebracht. Es war damals schon eine große Sache, eine eigene Kassettenproduktion zu betreiben«, erzählt er.

2005 begann Martin Koch junior mit einer eigenen CD-Herstellungsanlage und einer kleinen Druckwerkstatt für die Produktion der Cover. Größere CD-Aufträge wurden dann über das Sonypresswerk in Anif abgewickelt.

200 Veranstaltungen ersatzlos abgesagt

Sein Sohn Martin führt die Tradition seines Vaters fort. Schon früh war er gemeinsam mit seiner Schwester Renate mit verschiedenen Musikgruppen bei Liveauftritten unterwegs. Heute ist Martin aktiv im Studio, hat dazu einen Musikalienhandel von Verstärkeranlagen, und auswärts sorgt er mit Beschallungstechnik, Licht- und Videoanlagen bei kleinen und großen Veranstaltungen für den richtigen Ton und gute Stimmung. In Coronazeiten wuchs das Geschäft für Kommunen und Schulen mit der Ausstattung von Bild-, Ton- und Übertragungstechnik. Zum Glück, »denn leider wurden allein im letzten Jahr über 200 Veranstaltungen ersatzlos abgesagt«.

Eine heimliche Leidenschaft von Martin Koch senior sind kleine Anekdoten und Witze, die er bei seinen Auftritten zum Besten gibt. »Früher passte es bei einem tanzfreudigen Publikum nicht so, doch im Laufe der Zeit habe ich etwas umgestellt.« Für Martin Koch war es eine wunderschöne Zeit. »Die Livemusik war mein Leben«, bekennt er. Zudem »waren die Menschen geselliger, tanzfreudiger und aufgeschlossener für diese Art der Musik und Unterhaltung«. Es war auch eine Zeit ohne Computer, Privat-TV, Internet, Social Media, Handy und Smartphone. Die Welt war damals vielleicht nicht besser, aber womöglich etwas gemütlicher.

Gerd Spranger