Die Waffen schweigen, die Geiseln sind frei, Aufatmen in Israel und im Gazastreifen – doch wird nach den Freudenfeiern deutlich, welche gigantische Zerstörung der zweijährige Krieg hinterlassen hat. In dem Küstengebiet müssen nun nach Schätzungen mehr als 55 Millionen Tonnen Schutt weggeschafft werden, bilanzierte Jaco Cilliers vom UN-Entwicklungsprogramm in Jerusalem. Allein in den kommenden drei Jahren seien 20 Milliarden Dollar (17,3 Mrd. Euro) dafür nötig. Er drang auf einen schnellen Start des Wiederaufbaus.
Berichte über Exekutionen der Hamas
Für Aufsehen sorgen auch Berichte, die islamistische Hamas im Gazastreifen habe politische Gegner und mutmaßliche israelische Kollaborateure öffentlich hingerichtet und sich Schießereien mit rivalisierenden Kräften geliefert. Auf X wurde ein Video veröffentlicht, das die Erschießung von etwa acht Personen auf einem Platz südlich der Stadt Gaza zeigen soll. Augenzeugen sagten der Deutschen Presse-Agentur, die Hamas habe den Getöteten vorgeworfen, Kollaborateure der Israelis zu sein. Die Echtheit des Videos und die Berichte ließen sich zunächst nicht überprüfen. Die EU äußerte sich besorgt.
Frust in der israelischen Regierung
In die Freude über die Freilassung aller noch lebenden 20 Gaza-Geiseln mischte sich in Israel am Tag danach auch Unmut, dass zunächst nur die Leichen von vier Geiseln zurückgegeben wurden. Regierungsvertreter hätten geschockt und frustriert darauf reagiert, schrieb das Nachrichtenportal »ynet« – auch wenn vorher klar gewesen sei, dass die islamistische Hamas eventuell nicht alle 28 Toten innerhalb der vereinbarten Frist sofort am Montag zurückgeben könne.
Israel habe in dieser Frage »Fortschritte« nun spätestens bis Dienstagabend gefordert, schrieb die »Times Of Israel«. Offizielle Angaben gab es dazu zunächst nicht.
Zudem wuchs die Sorge, die mühsam ausgehandelte Waffenruhe könnte schnell bröckeln: Eine israelische Drohne tötete in der Stadt Gaza drei Menschen, wie die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa unter Berufung auf medizinische Kreise meldete. Die israelische Armee teilte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit, mehrere Personen hätten sich israelischen Stellungen genähert und eine Bedrohung für die Soldaten dargestellt. Dies sei eine Verletzung der Waffenruhe.
Gespräche über Phase zwei des Trump-Plans laufen
Die Staatschefs der USA, Katars, Ägyptens und der Türkei hatten am Montag bei einer Zeremonie in Ägypten ein Dokument unterzeichnet, das die geltende Waffenruhe auf Basis des 20-Punkte-Plans von US-Präsident Donald Trump festigen soll. Ob dies zu einem längerfristigen Ende der Kämpfe führt, ist nicht absehbar. Über die Details soll jetzt in einer zweiten Phase verhandelt werden. Und diese Phase hat nach Angaben der Regierung Katars schon begonnen. Diese Gespräche liefen bereits in Scharm el Scheich, sagte Madschid al-Ansari, Sprecher des Außenministeriums, dem US-Sender Fox News.
Die Hürden sind groß. So kündigte die Hamas bereits an, den Kampf gegen Israel fortzusetzen. Und anders als im Trump-Plan vorausgesetzt, will sie ihre Waffen nicht niederlegen und abgeben. Auch spricht die Terrororganisation Israel weiter das Existenzrecht ab und will ihre Macht in Gaza wieder festigen. Medienberichten zufolge hat sie bereits wieder Tausende Uniformierte im Gazastreifen auch öffentlich postiert, die sich über zwei Jahre meist in ihrem riesigen Geflecht von Tunneln verschanzt hatten. Demgegenüber wollen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und seine rechtsextremen Koalitionspartner die Hamas restlos zerschlagen und lehnen es ab, dass ein palästinensischer Staat gegründet wird.
Schutztruppen sollen für Sicherheit sorgen
Außenminister Johann Wadephul sagte in Rumänien, gebraucht werde nun ein rechtssicherer Rahmen für Schutztruppen aus unterschiedlichen Ländern im Gazastreifen. Dazu sei eine Resolution des UN-Sicherheitsrats notwendig - und der müssten auch Peking und Moskau zustimmen. Erste Gespräche mit China und Russland darüber liefen schon, sagte der Minister. Die Entwaffnung der Hamas sei Voraussetzung, dass der Friedensprozess erfolgreich sein könne. Man sehe schon jetzt, dass Hamas unwillig sei, die Macht freiwillig abzugeben.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sieht nach eigenen Worten mehr Chancen als Risiken für eine dauerhafte Friedensordnung. »Der 13. Oktober 2025 war ein historischer Tag, aber die eigentliche Arbeit an dem, was daraus werden soll, die beginnt heute«, sagte der CDU-Politiker.
Spanien hielt trotz der Waffenruhe am Genozid-Vorwurf gegen Israel und dem Waffenembargo fest. »Frieden kann nicht Vergessen oder Straflosigkeit bedeuten«, sagte Regierungschef Pedro Sánchez in einem Interview des Senders Cadena Ser. »Die Hauptverantwortlichen für den Völkermord in Gaza werden sich vor Gericht verantworten müssen.«
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