Der Schwarzenegger unter den Adeligen
Herzog Christoph gewann sportliche Wettstreits, verlor aber den politischen Kampf gegen Bruder Albrecht


Er war so etwas wie der Arnold Schwarzenegger unter den Adeligen: ein muskelgestählter Kraftprotz, der sein überschießendes Adrenalin auch für politische Zwecke nutzte – allerdings wenig erfolgreich, denn Herzog Christoph von Bayern, genannt »der Starke« gelang es zeitlebens nicht, seine Herrschaftsansprüche gegenüber dem älteren Bruder Albrecht durchzusetzen. Dafür ist er als Sieger verschiedener sportlicher Wettkämpfe in die Sage eingegangen, wie ein von Guido Görres im 19. Jahrhundert verfasstes Gedicht (siehe untenstehend) erklärt, das auf in der Münchner Residenz vorhandene Beweise für die Kräfte Christophs hinweist.
Die meiste Zeit seines 44 Jahre währenden Lebens verbrachte Christoph jedoch nicht im sportlichen, sondern politischen Wettstreit, auch wenn bei seiner Geburt am 6. Januar 1449 als nachgeborener Sohn Herzog Albrechts III. nichts darauf hindeutete, dass er je auch nur in die Nähe eines Throns gelangen würde. Als Vater Albrecht 1460 starb, hatten zunächst dessen Erstgeborener Sohn Johann und der im Alter nächstfolgende Siegmund gemeinsam die Herrschaft übernommen, wie im Testament vom Vater bestimmt, das die zwei ältesten männlichen Sprösslinge als Regenten vorsah. Als Johann nach nur drei Jahren imAmt 1463 an der Pest starb, regierte Siegmund zunächst alleine weiter, bis ihm 1465 sein jüngerer Bruder Albrecht die Mitherrschaft abtrotzte – was ihm laut Testament formal ja auch zustand, wobei Albrecht unter den Geschwistern auch die größten politischen Fähigkeiten besaß, während Siegmund eine ziemliche Misswirtschaft führte.
Albrecht gelang es in der Folge, Siegmund zur Aufgabe der Herrschaft zu bewegen und die Zügel alleine in die Hand zu nehmen. Das rief aber den im Alter nächstfolgenden Bruder Christoph auf den Plan. Doch Albrecht verweigert seinem Bruder nun genau das, was er zuvor für sich selbst reklamiert hatte, nämlich die Mitregentschaft des Zweitjüngeren – ein Streitfall, der sich über Jahrzehnte hinziehen und immer wieder für erhebliche Unruhe sorgen sollte.
Beide Brüder machten dabei nicht immer die beste Figur, wobei Christoph das Pech hatte, von Anfang an immer wieder aufs falsche Pferd zu setzen, wie beispielsweise mit seiner Mitgliedschaft im Böcklerbund 1467. In der sehr kurzlebigen Vereinigung hatten sich mehrere Dutzend niederbayerischer Adeliger zusammengetan, wobei sich der Name von ihrem Markenzeichen ableitet – einer Halskette mit dem Abbild eines Bocks als Anhänger. Grund für den Zusammenschluss der »Böckler« war – zumindest nach außen hin – der Kampf gegen die Hussiten, tatsächlich ging es den Mitgliedern aber um etwas ganz anderes, nämlich die Macht der Wittelsbacher zurückzudrängen und gleichzeitig ihre eigenen Privilegien als Platzhirsche zu vergrößern. Christophs Plan, die »Böckler« als Unterstützer in seinem eigenen Kampf gegen Bruder Albrecht zu nutzen, schien anfangs tatsächlich aufzugehen, denn Albrecht lenkte ein und übertrug ihm entsprechende Befugnisse und Domänen.
Um weiteres Ungemach zu verhindern, hatte sich Albrecht zuvor aber an Kaiser Friedrich III. gewandt und ihn gebeten, gegen die Böckler vorzugehen, worauf der Kaiser die Vereinigung verbat. Ein Teil der niederbayerischen Ritter wollte jedoch nicht klein beigeben und es kam zu einem Aufstand, den Albrecht in einem Feldzug niederschlug. Christoph musste die Nähe zu den Aufrührern bitter bezahlen: Albrecht stellte den jüngeren Bruder kalt und verlangte, dass dieser für Jahre auf die Mitherrschaft verzichtete. Als Gegenleistung sollte Christoph einen finanziellen Ausgleich erhalten. Der stets finanziell in der Klemme steckende Herzog konnte dieses Angebot nicht ablehnen und gab zähneknirschend klein bei.
Um ihr Einvernehmen nach außen hin zu demonstrieren, unternahmen die beiden Brüder eine gemeinsame Reise zum Papst nach Rom, doch diese spätmittelalterliche PRAktion sollte sich als bloße Fassade erweisen. Christoph dachte nämlich gar nicht daran, tatsächlich klein beizugehen, und das galt gemäß dem Stichwort »wie der Herr, so das G'scher« auch für seine Untergebenen.
1471 kam es in München zu einem nächtlichen Straßenkampf zwischen den Dienern beider Herzöge, worauf Albrecht nicht lange fackelte und seinen Bruder gefangen nehmen ließ, um weiteres Unheil zu unterbinden. Albrechts Befürchtungen, Christoph könnte ihm etwas antun, kamen damals nicht von ungefähr: es gingen Gerüchte um, wonach Christoph die Macht an sich zu reißen und den Bruder auf Schloss Schwangau einkerkern wolle. Christoph selbst kam erst nach 19 Monaten Haft im Oktober 1472 wieder frei, nachdem sich Verwandte beim Kaiser beschwert und dieser Albrecht befohlen hatte, seinen Widersacher aus dem Gefängnis zu lassen, wobei Christoph zuvor schwören musste, sich nicht an Albrecht zu rächen.
1475 entsagte der Jüngere dann gezwungenermaßen für weitere zehn Jahre der Regierung und erhielt als Entschädigung die Städte Landsberg, Weilheim sowie einen zusätzlichen finanziellen Ausgleich. Politisch war Christoph damit erneut kaltgestellt, dafür machte er nun als Kraftprotz von sich reden. Bei der als »Landshuter Hochzeit« in die Geschichte eingegangenen Vermählung Herzog Georgs des Reichen mit der polnischen Königstochter Hedwig im November 1475 trat der Wittelsbacher bei den Reiterwettspielen an und besiegte unter anderem einen im Gefolge Hedwigs angereisten polnischen Ritter – so zumindest die Überlieferung, die für die körperlichen Fähigkeiten Christophs noch weitere Beispiele auf Lager hat. Beim Stahlschießen 1470 in Augsburg, einemWettstreit, bei dem neben dem traditionellen Armbrustschießen auch Bewerbe ausgetragen wurden, die man heute unter die Disziplin Leichtathletik einreihen würde, holte Christoph zwei Siege: im Dreisprung und im 350-Schritte-Lauf – umgerechnet knapp 120 Meter. Damals gab es noch keine Goldmedaille für den Gewinner, sondern goldene Ringe, die sich der 21-Jährige mit sicher stolzgeschwellter Brust abholte.
1490 glänzte der Herzog mit den Herkuleskräften dann auch in seiner Heimat sportlich: Bei einem Ritterfest in München warf er einen 364 Pfund schweren Stein drei Meter weit und beim Mauerlauf, einem Wettbewerb, bei dem die Teilnehmer eine Wand senkrecht nach oben laufen und dabei in Abständen eingeschlagene Nägel mit dem Fuß abschlagen mussten, erreichte er eine Höhe von 3,60 Meter. Die angeblichen Beweise für Christophs Siege sind heute noch in der Münchner Residenz zu bewundern in Gestalt des von ihm geschleuderten Steins, der sich am Eingang zum Brunnenhof befindet, sowie einiger dort in die Wand geschlagener Nägel mit einer erklärenden Schautafel. Die zwei Jahrzehnte, die zwischen seinen sportlichen Erfolgen in Augsburg und München liegen, verbrachte Christoph zum Leidwesen seines Bruders aber weiter mit Komplotten, wobei Christoph angeblich so weit ging, Albrecht sogar zum Duell auf Leben und Tod herauszufordern.
1476 schien es, als könne der regierende Herzog ein wenig aufatmen, denn Christoph erklärte sich bereit, die Heimat zu verlassen, um in die Dienste des ungarischen Königs Matthias Corvinus zu treten. Nur zwei Jahre später stand der aufmüpfige Herzog aber wieder auf der Matte und knüpfte dort an, wo er vor seinem Gastspiel in Ungarn aufgehört hatte, sprich seine Zeitgenossen zu triezen und das schloss mittlerweile auch die Bewohner der ihm überlassenen Domänen ein, die er durch seine Beamten bis aufs Blut auspressen ließ.
1485 kam es erneut zum offenen Kampf zwischen Albrecht und Christoph, wobei auch Albrecht diesmal gehörig Öl ins Feuer goss, denn er schickte Truppen los, die Christophs Besitztümer besetzten, worauf Christoph mit seinen Parteigängern zurückschlug. Bei einer militärischen Auseinandersetzung in der Nähe von Freising kam Albrechts Heerführer, Nikolaus von Abensberg ums Leben. In der Folge kam es zu einem neuerlichen Vergleich und wie schon in der Vergangenheit gab Christoph dann für eine gewisse Zeit Ruhe – unter anderem auch deshalb, weil er erneut auswärts weilte, zunächst 1487 in den österreichischen Niederlanden, wo er Teil eines Trupps war, die den von den Landständen eingekerkerten König Maximilian I. befreiten. Anschließend zog er im Gefolge Maximilians nach Ungarn, um dort einen gegen den Habsburger angezettelten Aufstand zu beenden.
Wieder daheim, kam es 1489 neuerlich zum Streit zwischen Albrecht und Christoph, wobei der Jüngere diesmal Kaiser Friedrich III. auf seiner Seite wusste. Grund dafür war Albrechts Heirat mit der Kaisertochter Kunigunde, die der Wittelsbacher ohne Einwilligung Friedrichs zur Frau genommen hatte – womit er sich den Schwiegervater unwiederbringlich zum Feind gemacht hatte. Die geforderte Mitregierung konnte Christoph jedoch auch der beleidigte Kaiser nicht beschaffen. Nach etlichem Hin und Her ließ sich der Wittelsbacher vom Bruder dann noch einmal gegen entsprechende Geldzahlungen einen Verzicht auf den Thron abringen.
Es sollte die letzte Episode im unendlichen Zwist der Wittelsbach'schen Brüder sein: Nachdem Christoph 1490 noch einmal in Ungarn an einem Feldzug teilgenommen hatte, begab sich der dann 44-Jährige auf Wallfahrt ins Heilige Land an der Seite seines Cousins, Kurfürst Friedrichs III. von Sachsen. Ob Christoph die Pilgerfahrt aus religiösen Motiven unternahm oder auch ein gewisser Zwang dahinter stand von Seiten Albrechts, um den renitenten Widersacher zumindest eine Zeit lang los zu werden, ist schwer zu beurteilen. Christoph selbst war inzwischen offenbar zur Überzeugung gelangt, dass es an der Zeit war, Frieden mit Albrecht zu schließen, denn in einem Testament, das er vor seiner Abreise ins Heilige Land in Venedig schrieb, ernannte der seinen Bruder zum Alleinerben. Wie geplant, erreichte die sächsisch- bayerische Pilgergruppe dann auch Jerusalem, doch auf der Heimreise über Rhodos erkrankte Christoph so schwer, dass er am 13. August 1493 auf der Insel starb und dort auch begraben wurde.
Gut zehn Jahre nach seinem Tod sollte Albrecht IV. dann entscheidende politische Weichen stellen,um Streitereien über die Herrschaft in Bayern für künftige Generationen von vorne herein zu unterbinden – der Zwist zwischen Albrecht und Christoph war ja längst nicht der Einzige im Hause Wittelsbach, erst 1504 war es zu einem neuerlichen Kampf gekommen um die Erbfolge im Herzogtum Landshut.
Albrecht schaffte es, die bayerischen Landesteile in der Folge zu vereinen und dazu noch das Gesetz der Primogenitur durchzusetzen, wonach nur der älteste Sohn eines verstorbenen Herzogs allein die Nachfolge antreten konnte.
Susanne Mittermaier
Gedicht von Guido Görres:
Herzog Christophs Stein
Ein Herzog war im Bayerland
Vor Allen keck und kühn,
Der warf den Stein mit leichter Hand
Ein gut Stück Wegs dahin.
Und Christoph hieß der Herzog kühn
Ein Held so wohlbekannt,
Wie weit er warf, wie hoch er sprang,
Das steht dort an der Wand.
Und kömmst du einst nach München hin
Und gehst ins Schloss hinein,
Vergesse mir vor Allem nicht
Des Herzogs großen Stein.
Und wirfst du ihn wie er so weit
Und springst du so gewandt:
Dann schreibt man deinen Namen auch
Zum Herzog an die Wand.
Doch weil noch keiner kam und sprang
Und warf soweit den Stein,
Drum soll der Fürst der Bayern stets
Von uns gepriesen sein.
26/2023