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Fantastisch, die tänzerische Darstellung einer Geburt in »Lili, the Danish Girl« im Salzburger Landestheater. (Foto: Benekam)

Standing Ovations für Ballett-Uraufführung von »Lili, the Danish Girl« im Salzburger Landestheater

Der Tanz kann viel. Er weckt Emotion, steht für Körperbeherrschung, ist Ausdrucksform und Mittel der Kommunikation. Vor allem aber soll er bewegen. Nicht nur die Körper der Tanzenden zur Musik, als vielmehr die Herzen der Zuschauer, die von seinen Gesten, Haltungen und Spannungen mitgetragen werden. Tanz im Theater ist ein großartiges Mittel, »Geschichten« zu erzählen, in einer Sprache, die jeder versteht.


Ballettdirektor Reginaldo Oliveira »erzählte« mit dem Tanzensemble des Salzburger Landestheaters in einem Handlungsballett die Geschichte einer Identitätsfindung: »Lili, the Danish Girl« Die Uraufführung zeigte – vor restlos hingerissenem Publikum – die getanzte Lebensgeschichte der Lili Elbe und zugleich das im Tanz nachempfundene Drama eines Menschen auf der Suche nach seinem wahren Ich.

Lili Elbe, 1882 als Einar Wegener in Dänemark geboren, war unter diesem Namen ein bekannter Landschaftsmaler. Schon kurz nach der Heirat mit der Illustratorin Gerda begann Lili (noch Einar) heimlich für Frauenporträts Modell zu stehen. Es waren eben diese Momente des scheinbaren geschlechtlichen Rollentauschs, durch die ihr, zunächst eher verstörend, bewusst wurde, dass sie im falschen Körper gefangen war. Die »Befreiung und Erweckung« Lilis gefühlter wahrer Identität und die daraus resultierenden leidvollen Konsequenzen bedeuteten zugleich das Ende Einars.

Einar wird zu Lili. Ein emotional vielschichtiger Prozess, den das Ensemble unter Oliveira in traumhaftschönen, aber auch verstörenden Tanzmomenten darzustellen vermochte.

Das erste Bild auf der Bühne zeigte einen »Knäuel« ineinander verwobener Körper (unser Bild). Das Ensemble lässt in seinen Bewegungen einen sich an- und entspannenden Uterus assoziieren, der nach etlichen Kontraktionen tatsächlich zwei Menschen gebärt – Tanz-Faszination in Reinform. Ein Mädchen. Und einen Knaben. Oder? Einen Menschen, jedenfalls. Äußere Geschlechtsmerkmale können täuschen. Das gesellschaftlich definierte Geschlechterklischee kommt mit dem ersten Atemzug in Gang. Das lässt Oliveiras Truppe typisch männliche oder weibliche Bewegungen nachempfinden: Weich, fließend, »kleinmädchenhaft« brav, so das Mädchen. Kraftvoll, zielgerichteter und athletisch »bubenhaft«, der Knabe.

Die Musikauswahl, zwei Konzerte von Francis Poulenc, lieferte den getanzten Szenen zusätzliche Gestaltungstiefe und mit »Charivari« von HK Gruber war ein gelungener Übergang zu weniger stilisiertem Bewegungsvokabular geschafft.

Unbeschwert, kindlich verspielt »missbraucht« Larissa Mota als Gerda in ihrem Atelier ihren Mann Einar als weibliches Model. Der fühlte sich zusehends in der ihm neu zugedachten Rolle wohl, probierte sich aus, kokettierte und posierte wird »fraulich« – hier ein Lippenstift, dort ein Augenaufschlag, dazu ein verführerischer Hüftschwung im Pas de Chat. Was Gerda und Freundin Hélène (Valbona Bushkola) – das eigentliche Model – zunächst belustigte, nämlich, dass Einar als Frau ungemein charmant undsexy rüberkam, war der Anfang vom Ende Einars männlicher Identität.

Verwirrt und zugleich vom neuen Gefühl der Weiblichkeit »überfraut«, trieben es die drei auf die Spitze: Szenen in einem Club belegten Einars umwerfende Wirkung auf Männer, er wurde, in weiblicher »Verkleidung«, in intimen Duetten von der Männerwelt umgarnt. Aufregend schön war die Choreografie, in der er sein Frausein »erkannte« und in strahlend-schwebenden Bewegungen seine wahre Seele befreite – zu Lili wurde, die in verspiegelten »Kabinen«, die später auch bei einer Szene im Rotlichtmilieu wirkstark zum Einsatz kamen, die (Geschlechter-)Seite wechselte.

Doch bald kippte die Chose: Ein Besuch im »Freudenhaus« endete alles andere als freudig. Einar begegnete Aggressivität, er wurde in vernichtend erniedrigenden Gesten für sein »Anderssein«, sein »Frau-im-Mann-Sein« verstoßen. Eine Elegie von Poulenc stellte sich als passender Gefühlsverstärker heraus: Unheil, Seelenqual, Einsamkeit und Verzweiflung, aus der ihn auch Gerda nicht retten konnte, überkommen Lili.

Den Versuch, sich bei unterschiedlichen Ärzten Hilfe zu holen, stellte Oliveira in skurrilen Begegnungen mit »Weißkitteln« oder schwarz gewandeten Seelenklempnern dar – getanzte Diagnostik in gleißendem OP-Licht, auf sterilen OP-Tischen, in sich stetig verändernden Räumen. Verschiebbare riesige Wände, abstrakt bemalt, Spiegelungen in vitrinenartigen Kästen, in denen geisterhaft Körper auftauchen und wieder verschwinden – ein Albtraumszenario, das sich in Rued Langgaards »Sphärenmusik« potenzierte und das Klevis Neza als Lili mit unglaublicher Wucht im Ausdruck tanzte.

Bravourös waren auch die Darstellung von Lilis fast schizophren anmutender Spaltung: Wie »zwei Seelen in einer Brust« tauchten Niccolò Masini und Paulo Muniz immer wieder auf, umwirbelten Lili, in teils bizarren Hebungen.

Am Ende des »Seelenkampfs« zu Dimitri Schostakowitsch Klavierkonzert herrschte Klarheit im blauen Kleidchen: Nach der rettenden Begegnung mit dem Gynäkologen Warnekros (Lucas Leonardo) folgten Operationen. Lili kam schließlich an und fand ihr wahres Ich.

Eine Ballett-Uraufführung in grandioser Umsetzung: Tanz, Musik, Kostüm (Judith Adam) und Bühnenbild (Sebastian Hannak) gingen eine stimmige Liaison ein, erzählten Lilis Geschichte kunstvoll nach. Lilis Schicksal, am Salzburger Landestheater auf höchstem tänzerischen Niveau erzählt, ist so aktuell, wie das Wesen des Menschen individuell und vielfältig ist. Dafür gab es Standing Ovations und einen nicht enden wollenden Applaus. Infos zu weiteren Aufführungen und Tickets gibt es auf der Internetseite des Landestheaters oder unter der Telefonnummer 0043/662/87 15 12 222.

Kirsten Benekam