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Mit einem »Tag der offenen Tür« und zahlreichen Gästen feierte die Beratungsstelle ihr Jubiläum. (Foto: Caritas)
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An den Fenstern im obersten Stock des Gebäudes an der Innsbrucker Straße prangen neben dem Caritas-Logo die Schriftzüge »Jugendberatung«, »Erziehungsberatung« und »Familienberatung«. (Foto: Max Klapper)

70 Jahre Hilfe für Familien in Krisen – Psychologische Beratungsstelle feiert Jubiläum

Bad Reichenhall – Mit einem »Tag der offenen Tür« feierte die psychologische Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche der Caritas Berchtesgadener Land ihr 70-jähriges Bestehen. Empfangen wurden die Gäste, darunter kommunale Politiker, Leitungskräfte und Mitarbeiter kooperierender Institutionen sowie ehemalige Wegbegleiter, in den Räumlichkeiten der Beratungsstelle in Bad Reichenhall.


»Meine Kinder hören nicht auf mich«, »Meine Eltern verstehen mich nicht«, »Ich fühl mich so wertlos« oder »Die Schule macht mir Angst«: Solche und ähnliche Sätze standen auf den Schildern, die an schwebenden Luftballons befestigt waren, heißt es in der Pressemitteilung. So wurden Sorgen und Probleme verdeutlicht, mit denen Eltern, Kinder und Jugendliche die Beratungsstelle aufsuchen. Zudem konnten sich Interessierte Fotos von früher bis heute, ältere und neuere Zeitungsartikel sowie Informationsmaterial anschauen.

Andrea Wallner, die mit Franz Seimel die Institution leitet, eröffnete die offizielle Feier. Sie betonte, dass viele Menschen anwesend sind, die die Einrichtung über lange Zeit fachlich, finanziell und auch emotional unterstützen. Zudem wies sie darauf hin, dass diese Feier in Hinblick auf die schwierige Finanzlage des Landkreises und des Caritasverbandes der Erzdiözese München und Freising bewusst in einem kleinen Rahmen stattfinde.

Altersstruktur hat sich kaum verändert

Wallner schilderte die Geschichte der Erziehungsberatungsstelle. Entstanden sei diese 1955. Zur Anfangszeit gab es nur je einen Sprechtag in Bad Reichenhall, Laufen und Berchtesgaden. Da viele Menschen nach Rosenheim fahren mussten, um eine Beratung in Anspruch nehmen zu können, wurden vom Caritasverband München weitere Beratungsstellen eingerichtet. Die Altersverteilung der Klienten habe sich in all den Jahren kaum verändert. So wurde die Erziehungsberatung zu je einem Drittel von Familien mit Kindern im Alter von sieben bis zehn Jahren, von Familien mit Kindern und Jugendlichen im Alter von elf bis 14 Jahren sowie von Familien mit jüngeren Kindern bis zu sechs Jahren und Jugendlichen von 15 bis 21 Jahren in Anspruch genommen. Auch die Geschlechterverteilung sei mit zwei Drittel Buben und einem Drittel Mädchen vergleichbar mit heute gewesen. Die Zahl der Familien sei ansteigend. So wurden beispielsweise im Jahr 1980 630 Familien, im Jahr 1994 836 Familien und im Jahr 2024 mehr als 1 000 Familien unterstützt. Die Hauptthemen seien in den 1980er- und 1990er-Jahren Trennung und Scheidung, Schulprobleme, Schwierigkeiten Alleinerziehender sowie Probleme innerhalb der Familie und auch das Thema Gewalt gewesen. Andrea Wallner erklärte zudem, dass in den 1990er-Jahren einige Projekte, etwa Gewaltprävention, die offene Jugendberatung sowie die Soziale Arbeit mit Migrationsfamilien, initiiert wurden.

Arbeit außerhalb wieder eingeschränkt

Weitere Angebote, die in den 2000er-Jahren außerhalb der Beratungsstellen stattgefunden haben, waren Sprechstunden in Schulen, Kindertagesstätten und Jugendzentren, Präventionsarbeit an Schulen und Integrations- beziehungsweise Mädchengruppen in Gemeinden. Ein Großteil der Arbeit findet wieder in der Beratungsstelle statt, da für mehr Außenarbeit die Kapazitäten fehlen würden und vorrangig die klassische Beratung abgedeckt werden müsse. Wallner dankte Dipl. Psychologin Gertrud Wölke, die den Fachdienst Kinder, Jugend und Familie bis 2016 mehr als 40 Jahre hinweg geleitet hat.

Nachdem Andrea Wallner kurz auf die Herausforderungen der vergangenen fünf Jahre, insbesondere der Einführung alternativer Beratungswege während der Corona-Pandemie sowie auf den Cyberangriff 2022 auf den Caritasverband und die damit einhergehende Reduktion von Kommunikationsmöglichkeiten auf Post und Telefon eingegangen ist, bedankte sie sich bei ihrem Kollegen Franz Seimel für die gelungene Tandemleitung seit 2022 sowie beim gesamten Team, bestehend aus 40 Mitarbeitern.

Als Stellvertreter des Landrats hob Helmut Fürle die zentrale Rolle der Beratungsstelle als »erste Anlaufstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche« hervor. Auch Ania Winter, 2. Bürgermeisterin von Bad Reichenhall und Mitarbeiterin im Caritas-Verband, betonte in ihren Grußworten die Bedeutsamkeit der Beratungsstelle.

Franziska Fritz, Kreisgeschäftsführerin des Caritaszentrums BGL, wies auf veränderte Familienstrukturen hin und dankte den Leitungs- und Fachkräften der Beratungsstelle für »Weitblick und Herz, Fachlichkeit, Empathie und Engagement«.

Seimel: KI ist kein Ersatz für Beratung

Franz Seimel ging auf die aktuellen Themen ein. Aufgrund zunehmender Belastungen von Familien steige der Bedarf an Erziehungsberatungen weiterhin stetig. Die Beratungen stellen ein wichtiges Bindeglied zu Therapien dar und erleichtern die Probleme der Hilfe suchenden Menschen. Auf den vorhersehbaren Fachkräftemangel – viele der Fachkräfte würden in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand gehen – mitsamt den anhaltenden finanziellen Herausforderungen wolle man sich vorbereiten, indem man die Angebote noch stärker an den Lebenswelten der Familien ausrichte. So entstehen in Laufen und Berchtesgaden aktuell Sozialraumprojekte, um mehr niedrigschwellige Zugänge und interdisziplinäre Zusammenarbeit zu schaffen.

Die Digitalisierung könne die finanziellen und personellen Defizite jedoch nur begrenzt ausgleichen. Die Künstliche Intelligenz sei kein Ersatz für eine Beratung. Beratung wirke nur durch Beziehung, da die Fachkräfte »mit Schwingung dabei« seien. Franz Seimel betonte, dass es für den Fachdienst wichtig sei, wieder mehr aufsuchende Familienberatung ermöglichen zu können, da gerade die Prävention viele Problemsituationen wie Inobhutnahmen frühzeitig verhindern könnte, was mittel- und langfristig auch Finanzen einspare. fb