Macron ernennt Verteidigungsminister Lecornu zum Premier
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Schon mehrfach wurde Lecornu als möglicher Premier gehandelt. (Archivbild) Foto: Harry Nakos/DPA
Macron ernennt Verteidigungsminister Lecornu zum Premier
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Lecornu gilt als Vertrauter Macrons. (Archivbild) Foto: Benoit Tessier/DPA
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Die Behörden fürchten, dass die Proteste chaotisch werden könnten. Foto: Aurelien Morissard/DPA
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Das hochverschuldete Frankreich braucht einen Sparhaushalt. Foto: Michel Euler/DPA

Macron-Vertrauter wird Premier und steht vor Feuertaufe

Paris (dpa) - Nach zwei gescheiterten Premiers soll es ein Vertrauter von Macron richten. Lecornu steht vor einer Feuertaufe - nicht nur wegen der Haushaltslage und den schwierigen politischen Kräfteverhältnissen.


Es ist eine echte Herausforderung, vor der Frankreichs designierter Premierminister steht: Gleich am Tag seiner Amtseinführung erwarten den frisch ernannten Sébastien Lecornu Protestblockaden im ganzen Land, von denen die Behörden schon lange fürchten, dass sie im Chaos enden könnten. Zudem muss er irgendwie versuchen, im gespaltenen Parlament Mehrheiten zu finden. Und dann wäre da noch der Sparhaushalt, den das hoch verschuldete Land dringend auf den Weg bringen muss. Kann die Ernennung im Eiltempo durch Präsident Emmanuel Macron die erhoffte Stabilität bringen?

Wer ist Lecornu?

Lecornu gehört mit seinen 39 Jahren zu den jüngeren Kandidaten, die für die Nachfolge auf François Bayrou gehandelt worden waren. Er gilt als Vertrauter Macrons und war als Verteidigungsminister im engen Austausch mit dem Staatschef. 

Von den Konservativen kommend wurde Lecornu 2017 in die Mitte-Regierung von Édouard Philippe berufen. Lecornu wird nachgesagt, einen gewissen Draht zu und Respekt von der rechtsnationalen Führungsfigur Marine Le Pen zu haben. Er gilt als Politiker, der von der bürgerlichen Rechten toleriert wird und dem im linken Lager zumindest keine Komplett-Ablehnung entgegenschlägt.

Lecornu erntet negative Reaktionen von Linken und Rechtsnationalen

Zunächst einmal soll der neue Premier nun mit den verschiedenen politischen Kräften beraten, um den Haushalt auf die Beine zu stellen und Vereinbarungen für kommende Entscheidungen zu treffen, hieß es aus dem Élysée-Palast. Gemeint sein dürfte, dass Lecornu sondiert, welche Parteien Teil einer Koalition sein könnten, wer ihn dulden könnte oder zumindest bei einzelnen Themen bereit wäre, gemeinsame Sache zu machen.

Macron stellt Lecornus Amtszeit unter das Zeichen der Verteidigung der Unabhängigkeit und der Stärke Frankreichs. Er zeigte sich überzeugt, dass auf dieser Grundlage ein Einvernehmen zwischen den politischen Kräften möglich sei. Die ersten Reaktionen der bisherigen Opposition fielen jedoch alles andere als positiv aus.

Die Linkspartei LFI teilte mit, Lecornu müsse das Misstrauen ausgesprochen werden. Die Grünen nannten die Ernennung eine Provokation. Die Sozialisten teilten mit: »Emmanuel Macron beharrt auf einem Weg, an dem kein Sozialist teilnehmen wird.« Und von den Rechtsnationalen hieß es, sollte Lecornu nicht von der Politik Macrons abkehren, werde er das gleiche Schicksal erleiden wie seine Vorgänger. Die rechte Führungsfigur Marine Le Pen beschwor erneut, dass eine Parlamentsneuwahl unumgänglich sei. Der Premier werde danach Jordan Bardella heißen - ihr politischer Ziehsohn beim Rassemblement National.

Glückwünsche gab es für den Neuen hingegen von Macrons Mitte-Kräften. Die konservativen Républicains hoffen auf Einigkeit mit Lecornu. In den vergangenen beiden Regierungen waren ihre Leute Teil des jeweiligen Kabinetts.

Komplizierte politische Ausgangslage erschwert Regieren

Seit der Parlamentswahl im vergangenen Jahr ist die Nationalversammlung tief gespalten. Macrons Mitte-Leute, Le Pens Rechtsnationale und das linke Lager stehen sich als drei große Blöcke gegenüber. Eine eigene Mehrheit hat keiner von ihnen. Michel Barniers Regierung hing von den Rechtsnationalen ab und scheiterte, François Bayrou ließ sich erst von den Sozialisten dulden, verspielte dann aber deren Gunst.

Auch unter der neuen Regierung dürfte es ein Balanceakt werden, mit der politischen Ausgangslage zu regieren - gerade angesichts der ersten Reaktionen. Lagerübergreifende Koalitionen sind in Frankreich unüblich. Statt Kompromisssuche wird im Parlament eher ein Konfrontationskurs gefahren.

Haushaltslage macht Minimum an Stabilität notwendig

Frankreich hofft nach Monaten der Instabilität mit gleich zwei gescheiterten Regierungen darauf, politisch voranzukommen und sich zu beruhigen. Entscheidend ist das vor allem mit Blick auf den Haushalt. Das hoch verschuldete Land muss seinen Sparkurs stabilisieren und ein Budget für das kommende Jahr verabschieden. Auch für Lecornu dürfte das ein Kraftakt werden.

Gemessen an der Wirtschaftsleistung hat Frankreich mit 114 Prozent die dritthöchste Schuldenquote in der EU nach Griechenland und Italien. In absoluten Zahlen lastet auf dem Land mit rund 3.300 Milliarden Euro der höchste Schuldenberg in der Eurozone. Auch die Staatsausgaben gehören zu den höchsten in Europa. Das Haushaltsdefizit lag zuletzt bei 5,8 Prozent. Die EU hat bereits im Juli 2024 ein Defizitverfahren gegen Frankreich eröffnet.

Macron will aus Schusslinie kommen

Am Montagabend hatte der bisherige Premier Bayrou versucht, mit einer Vertrauensfrage ein Bekenntnis zum Sparen zu bekommen und so möglicherweise leichter durch die Haushaltsverhandlungen zu kommen. Der Schuss ging wie erwartet nach hinten los. Bayrou verlor krachend und musste den Rücktritt seiner Regierung einreichen. Schon im Dezember war das Mitte-Rechts-Kabinett von Michel Barnier gestürzt - ebenfalls an Haushaltsfragen.

Zwei gefallene Premier in so kurzer Zeit - das hatte auch Präsident Macron unter Druck gesetzt. Die Rechtsnationalen forderten ihn auf, mit einer Parlamentsauflösung den Weg für Neuwahlen freizumachen. Die altlinke LFI wollte ihn gar absetzen. Dass er nun nur einen Tag nach dem Fall der Regierung schon einen neuen Anführer parat hat, dürfte daher nicht nur der Versuch sein, die Haushaltskrise und die abermalige Politkrise einzugrenzen, sondern auch selbst aus der Schusslinie zu kommen. Möglicherweise auf Kosten von Lecornu.

Denn zumindest aus dem linken Lager kamen bereits Aufrufe, jetzt erst recht am Mittwoch auf die Straße zu gehen. Allen, die den Protest ohnehin nutzen wollten, um ihren Unmut gegen Macron kundzutun, dürfte dieser einen weiteren Grund gegeben haben. Lecornu wandte sich noch am Abend seiner Ernennung direkt an die Menschen im Land. Er sagte, er verstehe die Erwartungen und kenne die Schwierigkeiten, und versprach, mit Demut ans Werk zu gehen.

© dpa-infocom, dpa:250909-930-16698/5

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