Hermann Harless’ Wirken in Marquartstein
Er gründete vor 75 Jahren das dortige Landschulheim

Hermann Harless gründete vor 75 Jahren das Landschulheim

Unterricht in der Schule

In der schuleigenen Werkstatt
Hermann Harless – So begann’s
Ausschlug mein Herz wie eine Wünschelrute, als ich benommen auf dem Söller stand. »Hier oben oder nirgend!« rief es aus dem Blute. Vertraulich festlich lächelte das Land. Ach nein, kein Lächeln wars. Es war ein Drängen, ein Gegenruf, dem eigenen Ruf verwandt, als ob zurückgestaute Quellen sprängen, als ein Bild, dem Tale eingebrannt, als Traum von immer, in das Leben träte, als hätten wir uns lange schon gekannt, geschwisterlich, wie Liebende, als bäte der Fluß in seinem Zug, der Berge Stand, der Bruch der Felsen und der Wälder Wogen, der See, die Wiesenflut um meine Hand, als werde meine Sehnsucht eingesogen in eine Herzgewalt, darauf gespannt, sich zu verwirklichen, in dieser Zeit. Da löste sich zur Tat, was ich empfand: »Ihr wollt mein Werk und mich! Ich bin bereit! sich zu verwirklichen in dieser Zeit.«
Diese Terzinen von Hermann Harless, inspiriert durch den Blick vom Burgsöller der Burg Marquartstein über das Achental stehen am Anfang seiner Marquartsteiner Arbeit. Sie zeigen recht eindringlich worum es ihm ging: Selbstfindung des Menschen im Sinne des neuhumanistischen deutschen Bildungsdenken vor dem Hintergrund einer tief erlebten Natur.
Zur Geschichte: Am 13. Oktober konnte das Landschulheim Marquartstein auf sein 75-jähriges Bestehen zurückblicken. Gemessen an anderen Gymnasien ist es vielleicht damit noch blutjung, aber gemessen an seiner Geschichte ist es einige Betrachtungen wert. Hermann Harless, ein Reformpädagoge aus der Landschulheimbewegung, zog am 13. Oktober 1928 mit sechzehn Buben und Mädchen auf der Marquartsteiner Burg ein. Abgeschieden von der Hetze der Großstadt sollten dort in einem der schönsten Alpentäler die Jugendlichen zu harmonischen und selbstständigen Persönlichkeiten heranreifen. Hermann Harless war ein wagemutiger Pädagoge und Schüler von Hermann Lietz, des Gründers des ersten »Landerziehungsheimes«. Lietzens pädagogisches Programm war eine Kampfansage an das »Willhelminische Zeitalter«: nicht in sklavenhafter Abhängigkeit von einer Erwachsenengesellschaft, die fasziniert von großstädtischer Zivilisation, hinter einer Fassade von Wohlanständigkeit egoistisch unter Missachtung der Verpflichtungen durch Familie und Stand den Genüssen nachjagte, die der industrielle Aufschwung für breitere Schichten erreichbar machte, nicht in Schulkasernen unter der Fuchtel von Autoritätsbesessenen Gedächtnisdrillern sollte die Jugend heranwachsen, sondern »aus eigener Selbstbestimmung in eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten und für diese innere Freiheit unter allen Umständen geschlossen eintreten«.
Wie entwickelte sich die Schule? Die Schule von Hermann Harless fand innerhalb kurzer Zeit großen Anklang. 1935 besuchten bereits über 100 Schülerinnen und Schüler die Schule; die internen hauptsächlich aus Norddeutschland. Die Anfangszeiten waren finanziell schwierig. Eine wesentliche Verbesserung der Lage erwartete man sich damals von der Erlaubnis, selber an der Schule Abitur halten zu dürfen. Es war geplant, bis 1937 eine Oberstufe aufzubauen; es wurde allerdings 1940, bis die Erlaubnis dazu erteilt wurde. Bis dahin waren kaum Oberstufenschüler in Marquartstein geblieben, da sie ja als Privatschüler gezwungen waren, ihr Abitur an staatlichen Schulen abzuhalten. Mittlerweile wirkten auch die veränderten Zeitumstände auf das Landschulheim ein. Der Nationalsozialismus stellte das Heim vor die Frage: Auflösung oder Anpassung. Hermann Harless schreibt in seinen Aufzeichnungen als Ergänzung im April 1950: »Der äußere Fortgang ließ wenig davon merken, dass im Inneren zäh um Bild und Sinn unserer Arbeit gekämpft werden musste. Die Fiktion, gerade unsere Erziehungsform entspreche dem eigentlichen Willen der »Bewegung«, wurde nötigenfalls aggressiv, aufrecht erhalten und auch von idealistischen Partei-Leuten zu unserem Schutze vertreten. So konnte mancher offene und versteckte Angriff abgewehrt und das pädagogisch Erreichte gesichert werden. Dieses Doppelspiel war bedenklich und gefährlich. Doch nur so konnte ich die Schule noch zehn Jahre lang im wesentlichen ungestört in meinem Sinne weiterführen. Die beste Deckung gegen ideologische Anfechtungen aber war die Unbekümmertheit, mit der wir die Schule ausbauten.« Im Frühling 1941 kam die Hiobsbotschaft: der Besitzer des neuen Schlosses, in den ein großer Teil der Schule zwecks Platzmangel angesiedelt war, musste seinen Besitz notgedrungen verkaufen. Hermann Harless konnte das Schloss erwerben – mit Hilfe einer treuen Elternschaft – die seinen Aufruf, ihm Schule und Heim retten zu helfen, unterstützte. Mittlerweile stand aber die Zeit nicht still. Es wurde verfügt, dass die Schulerziehung nur noch der Hand des Staates obliegen dürfe. In Bayern wurde die Verstaatlichung mit besonderem Eifer in Angriff genommen. Die Zeit des Kampfes um das Heim war schwer, schreibt Harless in seinen Aufzeichnungen. Vielleicht die meiste Kraft kostete das Bestreben, die Unruhe und Bedrängnis nicht auf Elternschaft, Schüler und Lehrer übergreifen zu lassen. Obwohl zuerst nur die Verpachtung des Heimes an den Staat vorgesehen war, wurde letztendlich der Verkauf befohlen und erzwungen. Lange, so schreibt Hermann Harless, verließ er sich auf die Zusage, er werde wenigstens die Leitung behalten; auch dies wurde zurückgenommen. Jetzt, so Harless, berechneten sie nüchtern ihre Forderungen und stellten im Nichtannahmefall frei ihn zwangsweise zu enteignen. Da man sich zu diesem Schritt, der einer Bestrafung gleichgekommen wäre, doch nicht entschließen konnte – es war in Marquartstein unleugbar Großes und Gutes geschaffen worden – kam der Verkauf für ihn nicht ungünstig zu Stande. »Als politisch unzuverlässig« wurde er aber aus Schule und Heim ausgeschaltet, schreibt Harless. Am 1. Mai 1943 ging die Schule in die Hand des Landes Bayern über.
Die Schule ist bis heute staatlich geblieben; die Gedanken und Ziele von Hermann Harless sind indes an der Schule lebendig geblieben und wurden zum viel zitierten »Geist von Marquartstein«. Vor allem seit den Nachkriegszeiten sind Generationen von Schulleitern, Lehrern und Erziehern stets darum bemüht, die Ideale von Schulgründer Hermann Harless in Einklang mit den Notwendigkeiten einer staatlichen Schule zu bringen. Nicht nur Wissen soll vermittelt, sondern auch die Grundlagen für eine gebildete Persönlichkeit gelegt werden.
GS
42/2003
Ausschlug mein Herz wie eine Wünschelrute, als ich benommen auf dem Söller stand. »Hier oben oder nirgend!« rief es aus dem Blute. Vertraulich festlich lächelte das Land. Ach nein, kein Lächeln wars. Es war ein Drängen, ein Gegenruf, dem eigenen Ruf verwandt, als ob zurückgestaute Quellen sprängen, als ein Bild, dem Tale eingebrannt, als Traum von immer, in das Leben träte, als hätten wir uns lange schon gekannt, geschwisterlich, wie Liebende, als bäte der Fluß in seinem Zug, der Berge Stand, der Bruch der Felsen und der Wälder Wogen, der See, die Wiesenflut um meine Hand, als werde meine Sehnsucht eingesogen in eine Herzgewalt, darauf gespannt, sich zu verwirklichen, in dieser Zeit. Da löste sich zur Tat, was ich empfand: »Ihr wollt mein Werk und mich! Ich bin bereit! sich zu verwirklichen in dieser Zeit.«
Diese Terzinen von Hermann Harless, inspiriert durch den Blick vom Burgsöller der Burg Marquartstein über das Achental stehen am Anfang seiner Marquartsteiner Arbeit. Sie zeigen recht eindringlich worum es ihm ging: Selbstfindung des Menschen im Sinne des neuhumanistischen deutschen Bildungsdenken vor dem Hintergrund einer tief erlebten Natur.
Zur Geschichte: Am 13. Oktober konnte das Landschulheim Marquartstein auf sein 75-jähriges Bestehen zurückblicken. Gemessen an anderen Gymnasien ist es vielleicht damit noch blutjung, aber gemessen an seiner Geschichte ist es einige Betrachtungen wert. Hermann Harless, ein Reformpädagoge aus der Landschulheimbewegung, zog am 13. Oktober 1928 mit sechzehn Buben und Mädchen auf der Marquartsteiner Burg ein. Abgeschieden von der Hetze der Großstadt sollten dort in einem der schönsten Alpentäler die Jugendlichen zu harmonischen und selbstständigen Persönlichkeiten heranreifen. Hermann Harless war ein wagemutiger Pädagoge und Schüler von Hermann Lietz, des Gründers des ersten »Landerziehungsheimes«. Lietzens pädagogisches Programm war eine Kampfansage an das »Willhelminische Zeitalter«: nicht in sklavenhafter Abhängigkeit von einer Erwachsenengesellschaft, die fasziniert von großstädtischer Zivilisation, hinter einer Fassade von Wohlanständigkeit egoistisch unter Missachtung der Verpflichtungen durch Familie und Stand den Genüssen nachjagte, die der industrielle Aufschwung für breitere Schichten erreichbar machte, nicht in Schulkasernen unter der Fuchtel von Autoritätsbesessenen Gedächtnisdrillern sollte die Jugend heranwachsen, sondern »aus eigener Selbstbestimmung in eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten und für diese innere Freiheit unter allen Umständen geschlossen eintreten«.
Wie entwickelte sich die Schule? Die Schule von Hermann Harless fand innerhalb kurzer Zeit großen Anklang. 1935 besuchten bereits über 100 Schülerinnen und Schüler die Schule; die internen hauptsächlich aus Norddeutschland. Die Anfangszeiten waren finanziell schwierig. Eine wesentliche Verbesserung der Lage erwartete man sich damals von der Erlaubnis, selber an der Schule Abitur halten zu dürfen. Es war geplant, bis 1937 eine Oberstufe aufzubauen; es wurde allerdings 1940, bis die Erlaubnis dazu erteilt wurde. Bis dahin waren kaum Oberstufenschüler in Marquartstein geblieben, da sie ja als Privatschüler gezwungen waren, ihr Abitur an staatlichen Schulen abzuhalten. Mittlerweile wirkten auch die veränderten Zeitumstände auf das Landschulheim ein. Der Nationalsozialismus stellte das Heim vor die Frage: Auflösung oder Anpassung. Hermann Harless schreibt in seinen Aufzeichnungen als Ergänzung im April 1950: »Der äußere Fortgang ließ wenig davon merken, dass im Inneren zäh um Bild und Sinn unserer Arbeit gekämpft werden musste. Die Fiktion, gerade unsere Erziehungsform entspreche dem eigentlichen Willen der »Bewegung«, wurde nötigenfalls aggressiv, aufrecht erhalten und auch von idealistischen Partei-Leuten zu unserem Schutze vertreten. So konnte mancher offene und versteckte Angriff abgewehrt und das pädagogisch Erreichte gesichert werden. Dieses Doppelspiel war bedenklich und gefährlich. Doch nur so konnte ich die Schule noch zehn Jahre lang im wesentlichen ungestört in meinem Sinne weiterführen. Die beste Deckung gegen ideologische Anfechtungen aber war die Unbekümmertheit, mit der wir die Schule ausbauten.« Im Frühling 1941 kam die Hiobsbotschaft: der Besitzer des neuen Schlosses, in den ein großer Teil der Schule zwecks Platzmangel angesiedelt war, musste seinen Besitz notgedrungen verkaufen. Hermann Harless konnte das Schloss erwerben – mit Hilfe einer treuen Elternschaft – die seinen Aufruf, ihm Schule und Heim retten zu helfen, unterstützte. Mittlerweile stand aber die Zeit nicht still. Es wurde verfügt, dass die Schulerziehung nur noch der Hand des Staates obliegen dürfe. In Bayern wurde die Verstaatlichung mit besonderem Eifer in Angriff genommen. Die Zeit des Kampfes um das Heim war schwer, schreibt Harless in seinen Aufzeichnungen. Vielleicht die meiste Kraft kostete das Bestreben, die Unruhe und Bedrängnis nicht auf Elternschaft, Schüler und Lehrer übergreifen zu lassen. Obwohl zuerst nur die Verpachtung des Heimes an den Staat vorgesehen war, wurde letztendlich der Verkauf befohlen und erzwungen. Lange, so schreibt Hermann Harless, verließ er sich auf die Zusage, er werde wenigstens die Leitung behalten; auch dies wurde zurückgenommen. Jetzt, so Harless, berechneten sie nüchtern ihre Forderungen und stellten im Nichtannahmefall frei ihn zwangsweise zu enteignen. Da man sich zu diesem Schritt, der einer Bestrafung gleichgekommen wäre, doch nicht entschließen konnte – es war in Marquartstein unleugbar Großes und Gutes geschaffen worden – kam der Verkauf für ihn nicht ungünstig zu Stande. »Als politisch unzuverlässig« wurde er aber aus Schule und Heim ausgeschaltet, schreibt Harless. Am 1. Mai 1943 ging die Schule in die Hand des Landes Bayern über.
Die Schule ist bis heute staatlich geblieben; die Gedanken und Ziele von Hermann Harless sind indes an der Schule lebendig geblieben und wurden zum viel zitierten »Geist von Marquartstein«. Vor allem seit den Nachkriegszeiten sind Generationen von Schulleitern, Lehrern und Erziehern stets darum bemüht, die Ideale von Schulgründer Hermann Harless in Einklang mit den Notwendigkeiten einer staatlichen Schule zu bringen. Nicht nur Wissen soll vermittelt, sondern auch die Grundlagen für eine gebildete Persönlichkeit gelegt werden.
GS
42/2003