Erni Singerl - Eine urbayerische Komödiantin
Ein Porträt der bayerischen Volksschauspielerin




»Im Bewusstsein der Menschen in Bayern war Erni Singerl die letzte große bayerische Volksschauspielerin der Generation, die, wie Gustl Bayrhammer, Walter Sedlmayr, Karl Obermayr oder Helmut Fischer, noch das Wesen dieses bayerischen Menschenschlags verkörperte, mit all seinen Schattierungen: grantig, hinterfotzig, g’scheert, geduldig, feinfühlig, humorvoll, verletzlich und nicht auf den Mund gefallen« (Andreas Koll).
Geboren wurde Erni Singerl am 29. August 1921 als Ernestine Kremmel in Puch bei Fürstenfeldbruck, wo ihre Mutter, ihre Eltern lebten in München, einen Besuch gemacht hatte. Sie wuchs in München-Schwabing auf, in der Osterwaldstraße, nahe dem Englischen Garten. Der Vater war Lokomotivführer, die Mutter Hausfrau. Schon als Kind sang sie gerne und hörte Radio, Kinderfunk. Und selbstbewusst, wie sie war, nahm die kleine Erni im Alter von zehn Jahren ihre Harmonika und marschierte ganz allein, wie sie später erzählte, von der Osterwaldstraße in den Reichssender München zum Vorsingen. Das Lied »Der Hansl am Bach, hat lauter guats Sach, tiriholdrio, tiriholdrio« war ihre Eintrittskarte ins Unterhaltungsgeschäft.
Nach der Volksschule machte sie eine Ausbildung zur Schneiderin. Im Jahr 1937, ihre Lehre war gerade beendet, las sie eine Annonce in der Zeitung: Die Volksbühne »Platzl« suchte Nachwuchskräfte. Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Sie bewarb sich, und Weiß Ferdl nahm sie. Er wurde ihr Lehrer, und sie verinnerlichte seine Grundsätze: Bei den Leuten ankommen, um jeden Preis. Dafür müssen die Pointen sitzen, jede. Der Schauspieler hat dem Publikum zu dienen und sich dessen Erwartungen unterzuordnen, er muss jede Rolle achten, auch wenn sie noch so nebensächlich erscheint, und darf sich, wenn es die Rolle verlangt, für keine »Peinlichkeit« zu schade zu sein. Weiß Ferdl bestimmte auch den ersten Künstlernamen der Erni Singerl. »Du heißt jetzt Resi, das ist bairisch.« Binnen kurzer Zeit war die jetzt 17-jährige Ernestine Kremmel als »Kramer-Reserl« ein fester Bestandteil des »Platz«-Ensembles mit allen Aufgaben.
So spielte sie in der Weiß-Ferdl-Posse »Korbi wird eifersüchtig« den Lehrbuben Alisi, im »Lustigen Witwer« tanzte sie Cancan, im »Dreimäderlhaus« war sie ein Enkelkind, oder sie bediente die Programmnummer »Heimattänze«, in der man sich schnell um die eigene Achse drehen musste, auf dass die Unterröcke möglichst hoch kreisten.
Mittlerweile hatte Erni Singerl ihren ersten Mann, Simon Singerl, einen technischen Angestellten, kennengelernt und 1938 geheiratet. 1939 kam ihre Tochter Helga zur Welt. Doch schon bald musste ihr Mann in den Krieg. Sie trat weiterhin, nun als Singerl Reserl, im »Platzl« auf, bis das Theater im September 1944 schloss. Erni Singerl brachte sich während dieser Zeit mit Näh- und Schneiderarbeiten durch, zweimal wurde sie ausgebombt. Ihr Mann Simon geriet in russische Kriegsgefangenschaft und verstarb im Oktober 1945 in einem Lager in der Mongolei.
Schon bald nach Kriegsende drängte es Erni Singerl, wie sie sich jetzt auch mit Künstlernamen nannte, wieder auf die Bühne. Auch im »Platzl« trat sie wieder auf, etwa in der Komödie »Der Leichenschmaus«. Als das »Platzl« 1953 nach einer längeren Umbauphase frisch renoviert seinen Spielbetrieb wieder aufnahm, war Erni Singerl bereits ein unverzichtbarer Star im Ensemble. Vor allem ihr freches, blitzschnelles Mundwerk und ihr umwerfender Charme machten sie zur Stimmungskanone Nummer eins. Alles, was damals in der Unterhaltung populär, aktuell oder modern war, Lieder, Tänze, Themen, wurde im »Platzl« aufgegriffen und in Form einer »bayerischen« Variante wiedergegeben.
Was im »Platzl« ankam, gefiel auch im Rundfunk, und so wurde der Rundfunk bald schon zu Erni Singerls zweiter Heimat, der sie zuerst in Bayern, später in ganz Deutschland bekannt machte. Zwar konnte sie bei der »Weißblauen Drehorgel« wegen ihrer allabendlichen Verpflichtungen im »Platzl« nur selten eingesetzt werden, aber in den Nachfolgesendungen wie »Bayerisches Karussell«, »Glücksradl« oder »Weißblaue Truhe« war sie Stammgast. Der entscheidende Karrieresprung der Erni Singerl war allerdings, als die Hörspielfolge »Komödienstadl« zur Fernsehserie wurde. Hier war sie der heimliche Star, auch wenn meist andere die Hauptrollen spielten. Daneben spielte sie in zahlreichen (Kino)Filmen mit, angefangen mit »Ehestreik« (1953), mit so prominenten Partnern wie Hans Moser, Willy Reichert, Gustl Bayrhammer und vor allem Beppo Brem.
Dabei konnte sie viel mehr, als nur eine »Ulknudel« darzustellen. Hierzu Kurt Wilhelm, der mehrere Fernsehfilme mit ihr produziert hat: »Erni Singerl hat einen Fehler, sie hat sehr viel Humor. Das hindert das Publikum zu erkennen, was für eine großartige seriöse Schauspielerin sie ist. Die Erni hat alle Register, die eine große Schauspielerin bis hin zu tragischen Rollen haben muss. Und ich hab mich immer bemüht, sie auch in Rollen zu beschäftigen, in denen sie ernsthaft, traurig, seriös, zurückhaltend, leise sein konnte. Und das ist auch gelungen, zum Beispiel im 'Alten Feinschmecker'«.
Erni Singerls letzte künstlerische Heimat war die Kleine Komödie am Max-II.-Denkmal. In stiller Regelmäßigkeit stand sie hier bis ins hohe Alter von 82 Jahren auf der Bühne, in Stücken wie »Erni greift an« oder »Tratsch im Treppenhaus«, in dem sie als hinterfotzige Quadratratsch'n Ernestine Zitzelsberger in aller Unschuld ein ganzes Mietshaus aufmischte.
Den größten Ruhm erntete Erni Singerl jedoch als Darstellerin in Fernsehserien, sei es mit Gastrollen im »Königlich Bayerischen Amtsgericht«, in »Café Meineid« oder als abergläubische Frau Eichinger in »Meister Eder und sein Pumuckl«. Ein Riesenerfolg war auch ihre Rolle als resolute Haushälterin Irmgard in der Helmut Dietl-Serie »Monaco Franze« neben Helmut Fischer und Ruth Maria Kubitschek. In einem Interview sagte sie dazu: »Ich muss sagen, der Helmut Dietl hat mir diese Rolle auf den Leib geschrieben, man konnte jeden Satz genauso sagen, wie er geschrieben war.«
In ihrer letzten Fernsehserie spielte sie 1990 zusammen mit der Hamburger Volksschauspielerinnen-Ikone Heidi Kabel in »Heidi und Erni«, der Geschichte zweier älterer Damen, die gemeinsam einen Campingplatz erben. Doch für den wohl größten Fernsehauftritt der Erni Singerl war wieder Helmut Dietl verantwortlich. In der Fernsehserie »Kir Royal« spielte sie die Mutter des »Baby Schimmerlos«, seines Zeichens Klatschreporter, korrupt und rücksichtslos, dargestellt von Franz Xaver Kroetz.
Überragend, mit welcher Eindringlichkeit Erni Singerl diese Rolle der herzkranken, vom Sohn zur Putzfrau degradierten Mutter spielte, der nichts anderes blieb, als sich in ihrer Einsamkeit das schöne und erfolgreiche Leben ihres »lieben Bubis«, der nie Zeit für sie hatte, auszumalen. Als dann plötzlich der »Bubi« auch noch im Fernsehen kommt, versucht sie, den Videorecorder (ein Geschenk von ihm) in Gang zu setzen, was ihr nicht gelingen mag. Währenddessen stirbt sie, vor Aufregung und Verzweiflung.
Helmut Dietl hat Erni Singerl in diesen Szenen Worte in den Mund gelegt, die programmatisch sind für die Generation von Frau, die sie ihr Leben lang verkörperte: »Jeden Pfennig hab ich mir einteilen müssen, dass ich es wenigstens am Sonntag für meine beiden Männer auf den Tisch hab bringen können, das Kalbsgulasch. – Jetzt hör doch einmal auf, Mama! – Warum? Das ist ja koa Schand, wenn ma koa Geld net hat«.
Erni Singerl war eine öffentliche Person, und als solche wurde sie auch geehrt. 1981 erhielt sie die Goldene Medaille des Bayerischen Rundfunks und 1988 das Bundesverdienstkreuz am Bande. Was ihr Privates betraf, war Erni Singerl verschwiegen. Mitte der 1950er-Jahre hatte sie Georg Schopp kennengelernt. »Erst zehn Jahr’ später san wir draufkommen, dass ma a heiraten könnt«. Dreißig Jahre war sie mit ihm verheiratet. Georg Schopp starb am 30. Juli 1995 – exakt am selben Tag, zehn Jahre später, am 30. Juli 2005, starb auch Erni Singerl. Für ihre Todesanzeige wünschte sie sich den Satz: »Schön, dass ich bis zum Schluss meinen Weg gehen durfte«.
Wolfgang Schweiger
Quellennachweis:
Andreas Koll »Volkskünstlerinnen«. Allitera Verlag, München. Ein hervorragendes Buch über die volkstümliche Unterhaltung in den 1950er Jahren, in dessen Mittelpunkt die künstlerischen Biografien dreier Persönlichkeiten stehen: Liesl Karlstadt, Erni Singerl und Bally Prell. Stadtbibliothek / Monacensia.
9/2017