Die wundersame Geldvermehrung der Dachauer Bank
Notizen aus der Lebensgeschichte der Adele Spitzeder
Das ist die Geschichte der Adele Spitzeder, die vor 125 Jahren, im Oktober 1832 in Berlin geboren wurde und nach wenig geglückten Versuchen als Schauspielerin in München die Dachauer Bank gegründet hat. Damit brachte sie es zu einem stattlichen Vermögen, wurde als Wohltäterin und »Engel der Armen« gefeiert und schließlich wegen Bankrotts zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Bemerkenswert ist die Geschichte deswegen, weil sie von der Gier der Menschen nach Geld erzählt. Die Krise der amerikanischen Hypothekenbanken, die die Weltwirtschaft erschüttert hat, ist dazu eine beachtliche Parallele. »Gier und Dummheit sind Verbündete«, meinte Bundespräsident Horst Köhler in seiner Berliner Rede am 2. Oktober dieses Jahres.
Zunächst erinnert die Geschichte der Adele Spitzeder an das Märchen von den Sterntalern. Da kommt ein bettelarmes Mädchen in die große Stadt, nach München, und grämt sich, um einen Ausweg aus ihrer Armut zu finden. Und siehe da, nach kurzer Zeit flattern, wie eben im Märchen, Geldscheine in unüberschaubarer Menge in die in ihrem Haus bereitgestellten Kästen. Nur sind sie nicht vom Himmel gefallen; Die Bauern aus dem Dachauer Umland haben sie in ihr Haus gebracht, in der Erwartung, durch die vom »Bankfräulein« versprochenen hohen Zinsen schnell reich zu werden.
Die Stationen im Leben der Adele Spitzeder sind nicht ganz leicht nachzuzeichnen. Als Quellen kommen in Frage das Protokoll über den Prozess vor dem Münchner Strafgericht und die von Adele Spitzeder selbst verfasste Biographie, die ihrer Schönfärberei wegen aber kaum verwertbar ist. Daraus ergibt sich folgendes Bild: Adele Spitzeder wurde im Oktober 1832 in Berlin geboren. Ihre Eltern waren Sänger und Schauspieler. Sie erhielten ein Engagement am Münchner Hoftheater. Hier verstarb der Vater schon nach dem ersten Auftritt. Die Mutter musste für Adele und drei Kinder aus der ersten Ehe ihres Mannes sorgen. Adele wurde bei Verwandten »herumgereicht«. Schon frühzeitig trat sie in die Fußstapfen ihrer Eltern. Ihre Erfolge als Schauspielerin waren aber nur mäßig. Nach Gastspielen an mehreren Schauspielhäusern kehrte sie fast mittellos nach München zurück. Damals war sie 36 Jahre alt.
In München war sie Wucherern in die Hände gefallen und lebte, bis über den Stehkragen hinaus verschuldet, von der Hand in den Mund. Da kam ihr die Idee, mit einem eigenen Bankgeschäft ihr Glück zu versuchen. Zunächst erzählte sie einer Krämerin im Tal, dass sie für Geldeinlagen 8 % Zinsen im Monat zahlen könne. Ein Zimmermann aus der Münchner Vorstadt Au war dann ihr erster Kunde. Er gab ihr 100 Gulden, wofür er einen Wechsel über eine Laufzeit von drei Monaten und 108 Gulden erhielt. 16 Gulden gab ihm die Spitzeder als Barleistung im Voraus (Freudenreich S. 286). Das war für den Zimmermann ein einträgliches Geschäft. Als er nicht nur die Zinsen sondern auch den Wechsel voll eingelöst erhielt, erzählte er bei seinen Freunden in Dachau, dass man bei der Spitzeder sein Geld mit weit höheren Zinsen als bei den Banken anlegen könne. Das war die beste Reklame für die frisch gebackene Bankfrau. So kam die Lawine ins Rollen.
Zunächst wohnte Adele Spitzeder im »Goldenen Stern« im Tal. Bald war ihr aber dieses Haus nicht mehr vornehm genug. So empfing sie ihre Gäste im nobleren Hotel »Zum Deutschen Haus«, wo sie mehrere Appartements gemietet hatte. Als dem Hotelier das Treiben der Spitzeder und ihrer Gäste zuviel wurde, warf er sie hinaus. Die Spitzeder focht das wenig an. Sie richtete sich nun im Hause Schönfeldstraße Nr. 9 ein, das sie kurzer Hand gekauft hatte. Bald reichte auch dieses Haus nicht mehr. So erwarb sie das Gasthaus »Zum Wilhelm Tell« dazu. Die Kunden, die fast ausschließlich aus der Dachauer Umgebung kamen, mussten oft stundenlang warten oder gar in der Stadt übernachten, bis sie ihr Geld los wurden.
Das Geschäftsgeheimnis der Spitzeder war seiner Einfachheit wegen so wirkungsvoll umzusetzen. Von den von den ersten Gläubigern eingezahlten Geldern wurden großzügig Zinsen und Povisionen für die Vermittlung von weiteren Kunden ausbezahlt. Fällige Wechsel konnten notfalls auch vorzeitig eingelöst werden, solange noch die langfristig angelegten Gelder der Gutgläubigen verfügbar waren. Das Geld wurde in Kästen und Schränken ungeordnet aufbewahrt. Nicht nur, dass Adele Spitzeder selbst die Gelder großzügig zur Finanzierung eines luxuriösen Lebensstil verwendete; auch eine stattliche Anzahl von Angestellten, von denen keiner über einschlägige Fachkenntnisse verfügte, wurden großzügig entlohnt und nutzten oft genug die Möglichkeit, ihr Salär nach Belieben aufzubessern. Aufzeichnungen über Einnahmen und Ausgaben gab es jedenfalls nicht.
Aber dennoch: der oberflächliche Eindruck, dass Adele Spitzeder ein von jedermann erkennbares, betrügerisches Unternehmen betrieben hatte, täuscht. Bei aller Naivität zeigte Adele Spitzeder doch Fähigkeiten, ihrer Bank den Anschein einer gewissen Seriosität zu geben. So legte sie Gelder ihrer Kunden auch in Immobilien an, die sie als Sicherheit vorweisen konnte. In München nannte sie 16 Häuser ihr Eigentum. Großzügig stellte sie ihre soziale Gesinnung in den Vordergrund. Neben Spenden an die Kirchen richtete sie in einem Gasthaus am Platzt eine Armenküche ein, in der Essen an Bedürftige zu niedrigen Preisen ausgegeben wurde. Dies alles reichte, um ihren Ruf als »Engel der Armen« in der Öffentlichkeit zu festigen. Kritiker wusste sie durch Spenden zu beruhigen. Das galt vor allem für die Presse, wobei sie eine Zeitung durch Ankauf des Grundvermögens ganz auf ihre Seite brachte.
Ein Blick in das in der Schönfeldstraße eingerichtete »Bankhaus« mag einiges über den Lebensstil der Adele Spitzeder aussagen: Im Treppenhaus hatte sie ein großes Schild aufhängen lassen mit der Aufschrift: »Tue recht und scheue niemand«. Überall hingen Heiligenbilder an den Wänden. Adele Spitzeder selbst trug ein langes, schwarzes Kleid, an dem ein Kreuz mit Edelsteinen an einer goldenen Kette ihre Brust zierte. Im Empfangszimmer trat die meist finster dreinblickende Bankfrau ihren Kunden gegenüber.
Als eines Tages der Moser-Bauer aus Dachau besorgt nach der ausreichenden Sicherheit für seine Einlage fragte, wurde die Bankfrau wütend. Sie riss ihm den Schuldschein aus der Hand, holte das Geld des Bauern aus einem Kasten und knallte ihm die Scheine auf den Tisch. Er solle sein Geld nehmen und sich zum Teufel scheren. Im Wartezimmer hatte der Moser-Bauer seinen Nachbarn getroffen und ihm von seiner Abfuhr berichtet. Der Hambacher hatte sich darüber mächtig aufgeregt.
Ängstlich, dass ihm nun die Chance verbaut sei, sein Geld zinsgünstig anzulegen, sank er vor der Spitzeder auf die Knie und bat sie inständig, sein Geld doch anzunehmen. Nur so könne er seinen Sohn ins Priesterseminar schicken und seinen Hof renovieren. Adele Spitzeder mahnte ihn, sich seinen Schritt gründlich zu überlegen und leerte mit einem Ausdruck von Mitleid den Geldsack des Bauern in ihrer Truhe.
Nun war der anstrengende Tag im Bankhaus zu Ende und der letzte Kunde, der seine Geldsäcke in einer Schubkarre zur Bank gebracht hatte, war abgefertigt worden. Zufrieden zündete sich die Bankfrau eine dicke Zigarre an, ließ sich und ihrer Freundin eine opulente Abendmahlzeit auftischen und begab sich anschließend zu Bett. Dieses, das ebenso lang wie breit und mit roter Seide bedeckt war, teilte sie mit ihrer Freundin Rosa Ehinger.
Schon am nächsten Tag würde sie wieder die Geschäftigkeit der Bank einholen. Schon früh am Morgen, vor der für 9 Uhr angesetzten Öffnung, würden die Kunden vor der Bank Schlange stehen und auch die Neider würden sie nicht in Ruhe lassen. Vor allem die großen Bankhäuser, deren Kunden ihr Geld abhoben, um es zur Dachauer Bank zu bringen, hatten eine geradezu feindselige Haltung gegen sie eingenommen. Immer wieder standen gehässige Artikel in der Zeitung. Gerüchte gingen in der Stadt um, dass sie eine Betrügerin sei, keine ausreichende Sicherheit bieten könne und am Ende ihr Bankgeschäft wie ein Kartenhaus zusammenbrechen werde.
Vorerst schien es den Behörden nicht möglich, der Spitzeder ein gesetzwidriges Verhalten anzulasten. Niemand werde von ihr gezwungen, sein Geld anzulegen. Mehrere Zeugen hätten bekundet, dass sie ihre Einlage pünktlich und mit dem vereinbarten Zinssatz zurückerstattet bekommen hätten. Eine endgültige Bilanz, in der Einlagekapital und Gläubigerforderungen hätten gegenübergestellt werden können, war schon deswegen nicht möglich, weil Aufzeichnungen über die getätigten Geschäfte fehlten, von einer ordnungsgemäßen Buchhaltung ganz zu schweigen.
Bleibt noch die Frage, warum Adele Spitzeder nicht zum Schutz der Bürger zur ordnungsgemäßen Buchführung gezwungen worden war. Auf Grund der auch öffentlich gegen sie erhobenen Verdächtigungen, sie sei eine Betrügerin, hätte dies sehr nahe gelegen. Adele Spitzeder genoss in der Öffentlichkeit trotz aller Unkenrufe doch erhebliches Ansehen; vor allem bei den mit Spenden bedachten Organisationen und bei den Bürgern, die einen persönlichen Gewinn erzielt hatten. Wer weiß, was man sich da einhandeln würde, wenn man allzu sehr nachforschen und am Ende doch kein strafbares Verhalten nachweisen könnte. Dann wäre am Ende die Obrigkeit noch blamiert.
Drei Jahre lang konnte Adele Spitzeder ihre Dachauer Bank in München ungestört betreiben. Solange haben die Einlagen ausgereicht, um die eigenen Ausgaben zu decken und die Rückzahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Im Sommer 1872 brauten sich dunkle Wolken über der Dachauer Bank zusammen. Als der Druck in der Öffentlichkeit immer stärker wurde und Zeitungen vor der Bank warnten, trafen mehrere Gläubiger, die um die Sicherheit ihrer Einlagen fürchteten, eine Absprache, gleichzeitig ihr Geld zurückzufordern. Dabei wurden sie von Münchner Banken unterstützt.
Der Schlag war ein voller Erfolg. Die Spitzeder hatte kurz vorher größere Investitionen getätigt. Das verbliebene Geld reichte jedenfalls nicht aus, die Forderungen der Gläubiger augenblicklich zu erfüllen. Auf einen späteren Zeitpunkt wollten sich die streitlustigen Einleger nicht vertrösten lassen. Von einer Kündigungszeit stand nichts auf den vorgelegten Schuldscheinen.
Nun war der Betrug offensichtlich. Zeitungen und Magistrat wurden unterrichtet. Die Wirkung war verheerend. An einem sonnigen Tag im Juni 1873 hatten sich mehr als 200 Demonstranten, vor allem aus dem Dachauer Umland, vor dem Gasthaus »Zum Wilhelm Tell« versammelt und drohten damit, ihr Geld notfalls mit Gewalt zu holen. Den herbeigerufenen Polizisten gelang es, die Demonstranten vorerst zu beruhigen und Adele Spitzeder über einen Hinterausgang in Sicherheit zu bringen.
Im Juni 1873 stand Adele Spitzeder in München vor ihrem Richter. Auch hier wurde sie ihrer Rolle als vornehme Dame gerecht. Ihr langes, dunkles Kleid zierte wiederum das Edelsteinkreuz auf der Brust. Auf die Frage des Richters nach ihrem Beruf antwortete sie: Bankfrau. Sie verwies dabei auf die vielen Dank- und Anerkennungsschreiben, die sie von zufriedenen Kunden erhalten hatte. Mit einer Geste, die ihr als Schauspielerin zuzu-schreiben war, legte sie die Briefe triumphierend auf den Richtertisch.
Zu ihrer Verteidigung trug sie vor, dass sie sich keiner Schuld bewusst sei und niemanden überredet oder gar gezwungen habe, bei ihrer Bank ein Konto anzulegen. Sie habe auch niemand einen Schaden zugefügt. Alle Einleger hätten ihr Vermögen samt Zinsen wieder zurückerhalten. Die Verzögerung der Auszahlung einiger erst in den letzten Tagen gekündigter Konten sei nur auf die Hetze in der Zeitung gegen sie zurückzuführen. Hätten die Behörden ihre Bank nicht geschlossen, wäre die Konsolidierung ihrer Finanzen durch Grundstücksgeschäfte gesichert gewesen. Zeugen bestätigten die Zurückzahlung ihrer Einlagen. Weit überwog aber die Zahl derer, die sich von der Angeklagten getäuscht und um ihr Vermögen betrogen sahen. Von verzweifelten Bauern wurde berichtet, die sich das Leben genommen hätten oder ausgewandert seien.
Das Urteil - 3 Jahre Zuchthaus - traf Adele Spitzeder hart. Bis zuletzt war sie von ihrer Unschuld überzeugt und sah die Welt eben nur aus einem ihr angenehmen Blickwinkel. Ein Kassensturz ergab, dass am Tage der Beschlagnahme des Vermögens noch 1 974 008 Gulden vorhanden waren, denen Schulden in Höhe von 8 125 758 Gulden gegenüber standen. Das war betrügerischer Bankrott.
Das Urteil war gesprochen. Adele Spitzeder fügte sich in ihr Schicksal und verbüßte die ihr auferlegte Strafe. Noch im Gefängnis schrieb sie ihre Memoiren, in denen sie auch ihre Zukunftspläne beschrieb. In der Au wollte sie eine Brauerei und im Westen der Stadt ein Großrestaurant, die Westendhalle, eröffnen. In Nymphenburg sollte eine Pferderennbahn entstehen.
Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis 1876 kam sie nicht mehr so recht auf die Beine. Von wohlmeinenden Gläubigern aus früheren Zeiten unterstützt, versuchte sie sich, wiederum ohne Erfolg, als Schauspielerin. Am 27. Oktober 1895 beendete ein Schlaganfall das Leben der 63 jährigen umtriebigen Frau, die sich wohl nie ganz von ihrer Umgebung verstanden gefühlt hatte.
Dieter Dörfler
Benutzte Literatur: Karl Wieninger »Bayerische Gestalten«. Johann Freudenreich »Bayerische Spitzbuben«. Baumann-Oelwein »Adele Spitzeder«.
47/2007
Zunächst erinnert die Geschichte der Adele Spitzeder an das Märchen von den Sterntalern. Da kommt ein bettelarmes Mädchen in die große Stadt, nach München, und grämt sich, um einen Ausweg aus ihrer Armut zu finden. Und siehe da, nach kurzer Zeit flattern, wie eben im Märchen, Geldscheine in unüberschaubarer Menge in die in ihrem Haus bereitgestellten Kästen. Nur sind sie nicht vom Himmel gefallen; Die Bauern aus dem Dachauer Umland haben sie in ihr Haus gebracht, in der Erwartung, durch die vom »Bankfräulein« versprochenen hohen Zinsen schnell reich zu werden.
Die Stationen im Leben der Adele Spitzeder sind nicht ganz leicht nachzuzeichnen. Als Quellen kommen in Frage das Protokoll über den Prozess vor dem Münchner Strafgericht und die von Adele Spitzeder selbst verfasste Biographie, die ihrer Schönfärberei wegen aber kaum verwertbar ist. Daraus ergibt sich folgendes Bild: Adele Spitzeder wurde im Oktober 1832 in Berlin geboren. Ihre Eltern waren Sänger und Schauspieler. Sie erhielten ein Engagement am Münchner Hoftheater. Hier verstarb der Vater schon nach dem ersten Auftritt. Die Mutter musste für Adele und drei Kinder aus der ersten Ehe ihres Mannes sorgen. Adele wurde bei Verwandten »herumgereicht«. Schon frühzeitig trat sie in die Fußstapfen ihrer Eltern. Ihre Erfolge als Schauspielerin waren aber nur mäßig. Nach Gastspielen an mehreren Schauspielhäusern kehrte sie fast mittellos nach München zurück. Damals war sie 36 Jahre alt.
In München war sie Wucherern in die Hände gefallen und lebte, bis über den Stehkragen hinaus verschuldet, von der Hand in den Mund. Da kam ihr die Idee, mit einem eigenen Bankgeschäft ihr Glück zu versuchen. Zunächst erzählte sie einer Krämerin im Tal, dass sie für Geldeinlagen 8 % Zinsen im Monat zahlen könne. Ein Zimmermann aus der Münchner Vorstadt Au war dann ihr erster Kunde. Er gab ihr 100 Gulden, wofür er einen Wechsel über eine Laufzeit von drei Monaten und 108 Gulden erhielt. 16 Gulden gab ihm die Spitzeder als Barleistung im Voraus (Freudenreich S. 286). Das war für den Zimmermann ein einträgliches Geschäft. Als er nicht nur die Zinsen sondern auch den Wechsel voll eingelöst erhielt, erzählte er bei seinen Freunden in Dachau, dass man bei der Spitzeder sein Geld mit weit höheren Zinsen als bei den Banken anlegen könne. Das war die beste Reklame für die frisch gebackene Bankfrau. So kam die Lawine ins Rollen.
Zunächst wohnte Adele Spitzeder im »Goldenen Stern« im Tal. Bald war ihr aber dieses Haus nicht mehr vornehm genug. So empfing sie ihre Gäste im nobleren Hotel »Zum Deutschen Haus«, wo sie mehrere Appartements gemietet hatte. Als dem Hotelier das Treiben der Spitzeder und ihrer Gäste zuviel wurde, warf er sie hinaus. Die Spitzeder focht das wenig an. Sie richtete sich nun im Hause Schönfeldstraße Nr. 9 ein, das sie kurzer Hand gekauft hatte. Bald reichte auch dieses Haus nicht mehr. So erwarb sie das Gasthaus »Zum Wilhelm Tell« dazu. Die Kunden, die fast ausschließlich aus der Dachauer Umgebung kamen, mussten oft stundenlang warten oder gar in der Stadt übernachten, bis sie ihr Geld los wurden.
Das Geschäftsgeheimnis der Spitzeder war seiner Einfachheit wegen so wirkungsvoll umzusetzen. Von den von den ersten Gläubigern eingezahlten Geldern wurden großzügig Zinsen und Povisionen für die Vermittlung von weiteren Kunden ausbezahlt. Fällige Wechsel konnten notfalls auch vorzeitig eingelöst werden, solange noch die langfristig angelegten Gelder der Gutgläubigen verfügbar waren. Das Geld wurde in Kästen und Schränken ungeordnet aufbewahrt. Nicht nur, dass Adele Spitzeder selbst die Gelder großzügig zur Finanzierung eines luxuriösen Lebensstil verwendete; auch eine stattliche Anzahl von Angestellten, von denen keiner über einschlägige Fachkenntnisse verfügte, wurden großzügig entlohnt und nutzten oft genug die Möglichkeit, ihr Salär nach Belieben aufzubessern. Aufzeichnungen über Einnahmen und Ausgaben gab es jedenfalls nicht.
Aber dennoch: der oberflächliche Eindruck, dass Adele Spitzeder ein von jedermann erkennbares, betrügerisches Unternehmen betrieben hatte, täuscht. Bei aller Naivität zeigte Adele Spitzeder doch Fähigkeiten, ihrer Bank den Anschein einer gewissen Seriosität zu geben. So legte sie Gelder ihrer Kunden auch in Immobilien an, die sie als Sicherheit vorweisen konnte. In München nannte sie 16 Häuser ihr Eigentum. Großzügig stellte sie ihre soziale Gesinnung in den Vordergrund. Neben Spenden an die Kirchen richtete sie in einem Gasthaus am Platzt eine Armenküche ein, in der Essen an Bedürftige zu niedrigen Preisen ausgegeben wurde. Dies alles reichte, um ihren Ruf als »Engel der Armen« in der Öffentlichkeit zu festigen. Kritiker wusste sie durch Spenden zu beruhigen. Das galt vor allem für die Presse, wobei sie eine Zeitung durch Ankauf des Grundvermögens ganz auf ihre Seite brachte.
Ein Blick in das in der Schönfeldstraße eingerichtete »Bankhaus« mag einiges über den Lebensstil der Adele Spitzeder aussagen: Im Treppenhaus hatte sie ein großes Schild aufhängen lassen mit der Aufschrift: »Tue recht und scheue niemand«. Überall hingen Heiligenbilder an den Wänden. Adele Spitzeder selbst trug ein langes, schwarzes Kleid, an dem ein Kreuz mit Edelsteinen an einer goldenen Kette ihre Brust zierte. Im Empfangszimmer trat die meist finster dreinblickende Bankfrau ihren Kunden gegenüber.
Als eines Tages der Moser-Bauer aus Dachau besorgt nach der ausreichenden Sicherheit für seine Einlage fragte, wurde die Bankfrau wütend. Sie riss ihm den Schuldschein aus der Hand, holte das Geld des Bauern aus einem Kasten und knallte ihm die Scheine auf den Tisch. Er solle sein Geld nehmen und sich zum Teufel scheren. Im Wartezimmer hatte der Moser-Bauer seinen Nachbarn getroffen und ihm von seiner Abfuhr berichtet. Der Hambacher hatte sich darüber mächtig aufgeregt.
Ängstlich, dass ihm nun die Chance verbaut sei, sein Geld zinsgünstig anzulegen, sank er vor der Spitzeder auf die Knie und bat sie inständig, sein Geld doch anzunehmen. Nur so könne er seinen Sohn ins Priesterseminar schicken und seinen Hof renovieren. Adele Spitzeder mahnte ihn, sich seinen Schritt gründlich zu überlegen und leerte mit einem Ausdruck von Mitleid den Geldsack des Bauern in ihrer Truhe.
Nun war der anstrengende Tag im Bankhaus zu Ende und der letzte Kunde, der seine Geldsäcke in einer Schubkarre zur Bank gebracht hatte, war abgefertigt worden. Zufrieden zündete sich die Bankfrau eine dicke Zigarre an, ließ sich und ihrer Freundin eine opulente Abendmahlzeit auftischen und begab sich anschließend zu Bett. Dieses, das ebenso lang wie breit und mit roter Seide bedeckt war, teilte sie mit ihrer Freundin Rosa Ehinger.
Schon am nächsten Tag würde sie wieder die Geschäftigkeit der Bank einholen. Schon früh am Morgen, vor der für 9 Uhr angesetzten Öffnung, würden die Kunden vor der Bank Schlange stehen und auch die Neider würden sie nicht in Ruhe lassen. Vor allem die großen Bankhäuser, deren Kunden ihr Geld abhoben, um es zur Dachauer Bank zu bringen, hatten eine geradezu feindselige Haltung gegen sie eingenommen. Immer wieder standen gehässige Artikel in der Zeitung. Gerüchte gingen in der Stadt um, dass sie eine Betrügerin sei, keine ausreichende Sicherheit bieten könne und am Ende ihr Bankgeschäft wie ein Kartenhaus zusammenbrechen werde.
Vorerst schien es den Behörden nicht möglich, der Spitzeder ein gesetzwidriges Verhalten anzulasten. Niemand werde von ihr gezwungen, sein Geld anzulegen. Mehrere Zeugen hätten bekundet, dass sie ihre Einlage pünktlich und mit dem vereinbarten Zinssatz zurückerstattet bekommen hätten. Eine endgültige Bilanz, in der Einlagekapital und Gläubigerforderungen hätten gegenübergestellt werden können, war schon deswegen nicht möglich, weil Aufzeichnungen über die getätigten Geschäfte fehlten, von einer ordnungsgemäßen Buchhaltung ganz zu schweigen.
Bleibt noch die Frage, warum Adele Spitzeder nicht zum Schutz der Bürger zur ordnungsgemäßen Buchführung gezwungen worden war. Auf Grund der auch öffentlich gegen sie erhobenen Verdächtigungen, sie sei eine Betrügerin, hätte dies sehr nahe gelegen. Adele Spitzeder genoss in der Öffentlichkeit trotz aller Unkenrufe doch erhebliches Ansehen; vor allem bei den mit Spenden bedachten Organisationen und bei den Bürgern, die einen persönlichen Gewinn erzielt hatten. Wer weiß, was man sich da einhandeln würde, wenn man allzu sehr nachforschen und am Ende doch kein strafbares Verhalten nachweisen könnte. Dann wäre am Ende die Obrigkeit noch blamiert.
Drei Jahre lang konnte Adele Spitzeder ihre Dachauer Bank in München ungestört betreiben. Solange haben die Einlagen ausgereicht, um die eigenen Ausgaben zu decken und die Rückzahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Im Sommer 1872 brauten sich dunkle Wolken über der Dachauer Bank zusammen. Als der Druck in der Öffentlichkeit immer stärker wurde und Zeitungen vor der Bank warnten, trafen mehrere Gläubiger, die um die Sicherheit ihrer Einlagen fürchteten, eine Absprache, gleichzeitig ihr Geld zurückzufordern. Dabei wurden sie von Münchner Banken unterstützt.
Der Schlag war ein voller Erfolg. Die Spitzeder hatte kurz vorher größere Investitionen getätigt. Das verbliebene Geld reichte jedenfalls nicht aus, die Forderungen der Gläubiger augenblicklich zu erfüllen. Auf einen späteren Zeitpunkt wollten sich die streitlustigen Einleger nicht vertrösten lassen. Von einer Kündigungszeit stand nichts auf den vorgelegten Schuldscheinen.
Nun war der Betrug offensichtlich. Zeitungen und Magistrat wurden unterrichtet. Die Wirkung war verheerend. An einem sonnigen Tag im Juni 1873 hatten sich mehr als 200 Demonstranten, vor allem aus dem Dachauer Umland, vor dem Gasthaus »Zum Wilhelm Tell« versammelt und drohten damit, ihr Geld notfalls mit Gewalt zu holen. Den herbeigerufenen Polizisten gelang es, die Demonstranten vorerst zu beruhigen und Adele Spitzeder über einen Hinterausgang in Sicherheit zu bringen.
Im Juni 1873 stand Adele Spitzeder in München vor ihrem Richter. Auch hier wurde sie ihrer Rolle als vornehme Dame gerecht. Ihr langes, dunkles Kleid zierte wiederum das Edelsteinkreuz auf der Brust. Auf die Frage des Richters nach ihrem Beruf antwortete sie: Bankfrau. Sie verwies dabei auf die vielen Dank- und Anerkennungsschreiben, die sie von zufriedenen Kunden erhalten hatte. Mit einer Geste, die ihr als Schauspielerin zuzu-schreiben war, legte sie die Briefe triumphierend auf den Richtertisch.
Zu ihrer Verteidigung trug sie vor, dass sie sich keiner Schuld bewusst sei und niemanden überredet oder gar gezwungen habe, bei ihrer Bank ein Konto anzulegen. Sie habe auch niemand einen Schaden zugefügt. Alle Einleger hätten ihr Vermögen samt Zinsen wieder zurückerhalten. Die Verzögerung der Auszahlung einiger erst in den letzten Tagen gekündigter Konten sei nur auf die Hetze in der Zeitung gegen sie zurückzuführen. Hätten die Behörden ihre Bank nicht geschlossen, wäre die Konsolidierung ihrer Finanzen durch Grundstücksgeschäfte gesichert gewesen. Zeugen bestätigten die Zurückzahlung ihrer Einlagen. Weit überwog aber die Zahl derer, die sich von der Angeklagten getäuscht und um ihr Vermögen betrogen sahen. Von verzweifelten Bauern wurde berichtet, die sich das Leben genommen hätten oder ausgewandert seien.
Das Urteil - 3 Jahre Zuchthaus - traf Adele Spitzeder hart. Bis zuletzt war sie von ihrer Unschuld überzeugt und sah die Welt eben nur aus einem ihr angenehmen Blickwinkel. Ein Kassensturz ergab, dass am Tage der Beschlagnahme des Vermögens noch 1 974 008 Gulden vorhanden waren, denen Schulden in Höhe von 8 125 758 Gulden gegenüber standen. Das war betrügerischer Bankrott.
Das Urteil war gesprochen. Adele Spitzeder fügte sich in ihr Schicksal und verbüßte die ihr auferlegte Strafe. Noch im Gefängnis schrieb sie ihre Memoiren, in denen sie auch ihre Zukunftspläne beschrieb. In der Au wollte sie eine Brauerei und im Westen der Stadt ein Großrestaurant, die Westendhalle, eröffnen. In Nymphenburg sollte eine Pferderennbahn entstehen.
Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis 1876 kam sie nicht mehr so recht auf die Beine. Von wohlmeinenden Gläubigern aus früheren Zeiten unterstützt, versuchte sie sich, wiederum ohne Erfolg, als Schauspielerin. Am 27. Oktober 1895 beendete ein Schlaganfall das Leben der 63 jährigen umtriebigen Frau, die sich wohl nie ganz von ihrer Umgebung verstanden gefühlt hatte.
Dieter Dörfler
Benutzte Literatur: Karl Wieninger »Bayerische Gestalten«. Johann Freudenreich »Bayerische Spitzbuben«. Baumann-Oelwein »Adele Spitzeder«.
47/2007