Der Chiemgau in der Eiszeit
Das Eiszeitrelief im Naturkundemuseum Siegsdorf

Beim Zusammenstellen der einzelnen Reliefteile stellt sich heraus, wo es noch Feinheiten herauszuarbeiten und Fehler auszumerzen gilt.

Mit Hilfe des Stereoskops kann man die Geländeformen in der Werkstatt räumlich sehen und auf dem Relief überprüfen. Im Naturkundemuseum Siegsdorf steht so ein Stereoskop, an dem man diesen Stereoskopeffekt selbst erleben kann.

Zum Treppenstufenmodell zusammengesetzte Höhenschichtplatten.
»Kannst du Dich noch an den Geologen Dr. Robert Darga erinnern, der bei der Inn-Ausstellung 1989 in Rosenheim für die geographisch/geologischen Belange zuständig war? Der möchte ein Relief des Chiemgaus mit den eiszeitlichen Gletschern, damit das Mammut im zukünftigen Naturkundemuseum von Siegsdorf seine ehemalige Heimat sehen kann.« Dies sagte zu mir der Journalist Hans Heyn aus Rosenheim im Juni 1993 am Telefon. Da meine Erinnerung an die Zusammenarbeit mit Robert Darga positiv war, sagte ich für ein erstes Gespräch zu. Dieses fand in Rosenheim statt und gab mir die ersten Informationen, die mich interessiert aufhorchen ließen. Ein paar Tage darauf wurde die Sache bereits ernst, denn bei einem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Gemeinde Siegsdorf Hans Steiner kristallisierte sich das Projekt klar und deutlich heraus.
Es schien für mich eine höchst interessante und erfreuliche Arbeit zu werden, besonders als ich erlebte, mit welchem Eifer die beiden Herren Steiner und Darga bei der Sache des Museumsneubaus waren. Da ich bereits einige Reliefs von Landschaften der Schweiz im eiszeitlichen Kleide gefertigt hatte, war ich voll überzeugt, dass mir das im schönen Chiemgau auch gelingen könnte.
Wenige Wochen später erhielt ich dann von Bürgermeister Franz Maier den offiziellen Auftrag, dieses große Relief zu fertigen. Den Chiemgau der Eiszeit konnte ich natürlich nicht kennen, da war ich nicht alleine, aber den heutigen Chiemgau kannte ich ja auch nicht besonders gut. So hatte ich die Aufgabe, diese Lücke zu füllen. Von der Auftraggeberseite erhielt ich alles wissenschaftliche Material, Stereoluftbilder, Karten usw. geliefert. Die Zeit, die mir zur Verfügung stand, nämlich knappe zwei Jahre, war nicht allzu groß bemessen. Daher musste von Anfang an mit Volldampf gearbeitet werden. Nach intensivem Karten- und Luftbildstudium sah ich die Landschaft des zukünftigen Reliefs schon in ganz anderem Licht. Doch die Vorstellung, wie sie, durchflossen von riesigen Eisströmen aus den Alpen, wirklich ausgesehen haben könnte, war in mir noch nicht gereift. Ich sollte das Ganze einmal von oben anschauen, mir aus der Vogelschau die Gletscher vorstellen, wie sie durch die Engstellen bei Marquartstein, Ruhpolding und Inzell ins flache Alpenvorland heraus quollen.
Die Auftraggeber billigten mir einen Helikopterflug zu, der mir dieses Problem lösen helfen könnte. Eine kleine Libelle der Firma Sperl aus Siegsdorf sollte mir erlauben Fotos zu schießen, die durch keine Glasscheibe getrübt wurden. Ein klarer 13. Oktober 1993 war dazu geeignet, den ganzen Chiemgau zu überfliegen, die Landschaft von oben zu erfassen, auf mich wirken zu lassen und fotografisch festzuhalten. Es war genau über dem schönen Weitsee, dessen moorige Ufer in wunderbaren Farbtönen mich faszinierten, als der kleine Heli in großer Höhe Walzer zu tanzen schien. Dies lag an dem starken Föhnsturm, der gerade die Alpen überquerte. Die Fototour war erfolgreich. Ich hatte eine klare Vorstellung, warum in der geologischen Karte diese und jene Moräne oder andere eiszeitliche Relikte gerade hier zu finden sind. Der Arbeit am Relief stand nun wirklich nichts mehr im Wege. Als erstes fertigte ich ein Teilstück, das die Hochries, den Samerberg und den angrenzenden Inngletscher beinhaltete. Es schien mir nicht übel gelungen zu sein. Was mir an diesem ersten fertig gestellten Teilstück gefiel, musste in Siegsdorf noch lange nicht gefallen. Daher beschloss ich im Winter 1994, dieses Stück in den Chiemgau zu bringen für eine Begutachtung. Weil ich die Prüfung durch Robert Darga überlebte, wurde die Lust am Weitermachen nur noch größer.
Die Sache hatte eine Schikane. Die mittleren Teilstücke des Werkes musste ich in der Gestalt der heutigen Landschaft modellieren, die dann zusätzlich für ein geologisches Relief und für ein Jetztzeitmodell gebraucht werden konnten. Die Gletscher formte ich sodann in die davon abgegossenen Modelle ein. Bei den restlichen Teilstücken konnte ich direkt die Eiszeitlandschaft darstellen, das heißt, die Gletscheroberfläche bereits im Kartenmaterial berücksichtigen.
Auch wenn der Reliefbauer noch so gutes Kartenmaterial zur Verfügung hat, der Weg in die Landschaft bleibt ihm nicht erspart. Mit Zeichenblock, Fotoapparat, Feldstecher bewaffnet muss man hinaus, die Landschaft immer wieder erleben, in die versteckten Winkel hineinschauen, auf der Karte dieses oder jenes Detail markieren, damit es nicht untergeht. Schwer interpretierbare Objekte werden einem plötzlich in der Natur klar. Mehr als ein Dutzend Mal durchstreifte ich inkognito den Chiemgau. Heute wäre dies für meine Aufgabe weniger erfolgreich und nutzbringend, da ich inzwischen einige Freunde dort habe, an denen ich kaum vorbeikomme. Das war eben anfänglich anders. Man kannte mich kaum, so konnte ich ruhig arbeiten.
Während des Modellierens tauchten immer wieder Fragen und Unklarheiten auf. Wie sahen die eiszeitlichen Gletscher wirklich aus, waren sie schneeweiß/bläulich oder waren sie großräumig schuttbedeckt. Man sucht Vergleichsobjekte in der heutigen kanadischen Arktis oder in Alaska. Doch behaupten Eiszeitforscher, das Klima der Arktis von heute sei viel trockener als das unserer Region während der Eiszeit. Das hatte sicher seinen Ausdruck im Bild der Eismassen. Für den Betrachter des Reliefs ist es nicht von Bedeutung, ob die damaligen Gletscher mehr oder weniger mit Schutt beladen waren, ihn interessiert das Ausmaß der Vereisung, das fast nicht vorstellbar ist, die Höhe der Eisoberfläche, der verschwundene Eisrandsee, der überfahrene Pass, der Gipfel, der aus dem Eis herausragt. Den großen Aletschgletscher in den Walliser Alpen kennt fast jeder. Dieser gewaltige Eisstrom fasziniert tausende von Touristen Jahr für Jahr. Wer hätte geglaubt, dass die frühere Gletscherzunge im Tal der Prien südlich von Aschau es damit ohne weiteres in der Breite aufnehmen konnte?!
Wie sah wohl die Gletscherstirn des Tiroler – Achen - Gletschers im damaligen großen Eisrandsee aus, an dessen Stelle der heutige Chiemsee sich ausbreitet? Ein Eisstrom, der in ein Gewässer mündet, beginnt an der Stirn »zu kalben«. Das heißt, die ausgefranste Front bricht in Stücken ab, weil das Eis durch den Auftrieb im Wasser Spannungen ausgesetzt ist. Das hat zur Folge, dass die breite Stirn dieses 20km breiten Fladens eher eine konkave Linie als eine konvexe machte, weil sie ständig abbrach. Ganz sicher schwammen Eisberge in der Strömung nordwärts gegen das heutige Seebruck.
Die Berge des Chiemgaus erlauben wegen ihrer geringen Höhe heute nicht mehr die Bildung von lokalen Eismassen. Dies ist erst ab ca. 2800m auf Nordhängen möglich. Während der Eiszeiten flossen aber einige respektable Gletscherzungen in den Mulden und Seitentälern zu Tale.
Im Frühling 1995 holte eine Speditionsfirma die 23 Teilstücke des Eiszeitreliefs von meinem Atelier ab.
Mir blieb noch die Arbeit des präzisen Zusammensetzens übrig. Das Ganze sollte wie aus einem Guss aussehen und keine Spalten zeigen. Dies ist für den Reliefbauer keine leichte Aufgabe.
Im Naturkundemuseum von Siegsdorf erhielt das Modell einen ausgezeichneten Platz in einem relativ dunklen Raum mit guter Beleuchtung. Ein Sonnenlauf lässt den Betrachter einen eiszeitlichen Tag im Chiemgau erleben. Wir dürfen uns die Eiszeit nicht als eine farblose Epoche vorstellen. Es muss phantastische Stimmungen gegeben haben im Sommer der Eiszeit, wenn die Tundra, von der sich das Mammut ernähren konnte, ihr buntfarbiges Kleid präsentierte, das in auffallendem Kontrast zur kalten Eismasse stand. Die durch die kalten Gletscherwinde und stetigen Überschwemmungen vegetationslosen Niederungen flossen reißende Schmelzwasserflüsse und bildeten wahrscheinlich auch für Großtiere wie das Mammut eine ständige Gefahr.
Seit bereits zehn Jahren steht dieses Relief im Naturkundemuseum von Siegsdorf. Das Echo, welches ich vernehme, ist durchaus positiv, die eiszeitliche Landschaft scheint ihre Freunde gefunden zu haben.
TM
44/2005
Es schien für mich eine höchst interessante und erfreuliche Arbeit zu werden, besonders als ich erlebte, mit welchem Eifer die beiden Herren Steiner und Darga bei der Sache des Museumsneubaus waren. Da ich bereits einige Reliefs von Landschaften der Schweiz im eiszeitlichen Kleide gefertigt hatte, war ich voll überzeugt, dass mir das im schönen Chiemgau auch gelingen könnte.
Wenige Wochen später erhielt ich dann von Bürgermeister Franz Maier den offiziellen Auftrag, dieses große Relief zu fertigen. Den Chiemgau der Eiszeit konnte ich natürlich nicht kennen, da war ich nicht alleine, aber den heutigen Chiemgau kannte ich ja auch nicht besonders gut. So hatte ich die Aufgabe, diese Lücke zu füllen. Von der Auftraggeberseite erhielt ich alles wissenschaftliche Material, Stereoluftbilder, Karten usw. geliefert. Die Zeit, die mir zur Verfügung stand, nämlich knappe zwei Jahre, war nicht allzu groß bemessen. Daher musste von Anfang an mit Volldampf gearbeitet werden. Nach intensivem Karten- und Luftbildstudium sah ich die Landschaft des zukünftigen Reliefs schon in ganz anderem Licht. Doch die Vorstellung, wie sie, durchflossen von riesigen Eisströmen aus den Alpen, wirklich ausgesehen haben könnte, war in mir noch nicht gereift. Ich sollte das Ganze einmal von oben anschauen, mir aus der Vogelschau die Gletscher vorstellen, wie sie durch die Engstellen bei Marquartstein, Ruhpolding und Inzell ins flache Alpenvorland heraus quollen.
Die Auftraggeber billigten mir einen Helikopterflug zu, der mir dieses Problem lösen helfen könnte. Eine kleine Libelle der Firma Sperl aus Siegsdorf sollte mir erlauben Fotos zu schießen, die durch keine Glasscheibe getrübt wurden. Ein klarer 13. Oktober 1993 war dazu geeignet, den ganzen Chiemgau zu überfliegen, die Landschaft von oben zu erfassen, auf mich wirken zu lassen und fotografisch festzuhalten. Es war genau über dem schönen Weitsee, dessen moorige Ufer in wunderbaren Farbtönen mich faszinierten, als der kleine Heli in großer Höhe Walzer zu tanzen schien. Dies lag an dem starken Föhnsturm, der gerade die Alpen überquerte. Die Fototour war erfolgreich. Ich hatte eine klare Vorstellung, warum in der geologischen Karte diese und jene Moräne oder andere eiszeitliche Relikte gerade hier zu finden sind. Der Arbeit am Relief stand nun wirklich nichts mehr im Wege. Als erstes fertigte ich ein Teilstück, das die Hochries, den Samerberg und den angrenzenden Inngletscher beinhaltete. Es schien mir nicht übel gelungen zu sein. Was mir an diesem ersten fertig gestellten Teilstück gefiel, musste in Siegsdorf noch lange nicht gefallen. Daher beschloss ich im Winter 1994, dieses Stück in den Chiemgau zu bringen für eine Begutachtung. Weil ich die Prüfung durch Robert Darga überlebte, wurde die Lust am Weitermachen nur noch größer.
Die Sache hatte eine Schikane. Die mittleren Teilstücke des Werkes musste ich in der Gestalt der heutigen Landschaft modellieren, die dann zusätzlich für ein geologisches Relief und für ein Jetztzeitmodell gebraucht werden konnten. Die Gletscher formte ich sodann in die davon abgegossenen Modelle ein. Bei den restlichen Teilstücken konnte ich direkt die Eiszeitlandschaft darstellen, das heißt, die Gletscheroberfläche bereits im Kartenmaterial berücksichtigen.
Auch wenn der Reliefbauer noch so gutes Kartenmaterial zur Verfügung hat, der Weg in die Landschaft bleibt ihm nicht erspart. Mit Zeichenblock, Fotoapparat, Feldstecher bewaffnet muss man hinaus, die Landschaft immer wieder erleben, in die versteckten Winkel hineinschauen, auf der Karte dieses oder jenes Detail markieren, damit es nicht untergeht. Schwer interpretierbare Objekte werden einem plötzlich in der Natur klar. Mehr als ein Dutzend Mal durchstreifte ich inkognito den Chiemgau. Heute wäre dies für meine Aufgabe weniger erfolgreich und nutzbringend, da ich inzwischen einige Freunde dort habe, an denen ich kaum vorbeikomme. Das war eben anfänglich anders. Man kannte mich kaum, so konnte ich ruhig arbeiten.
Während des Modellierens tauchten immer wieder Fragen und Unklarheiten auf. Wie sahen die eiszeitlichen Gletscher wirklich aus, waren sie schneeweiß/bläulich oder waren sie großräumig schuttbedeckt. Man sucht Vergleichsobjekte in der heutigen kanadischen Arktis oder in Alaska. Doch behaupten Eiszeitforscher, das Klima der Arktis von heute sei viel trockener als das unserer Region während der Eiszeit. Das hatte sicher seinen Ausdruck im Bild der Eismassen. Für den Betrachter des Reliefs ist es nicht von Bedeutung, ob die damaligen Gletscher mehr oder weniger mit Schutt beladen waren, ihn interessiert das Ausmaß der Vereisung, das fast nicht vorstellbar ist, die Höhe der Eisoberfläche, der verschwundene Eisrandsee, der überfahrene Pass, der Gipfel, der aus dem Eis herausragt. Den großen Aletschgletscher in den Walliser Alpen kennt fast jeder. Dieser gewaltige Eisstrom fasziniert tausende von Touristen Jahr für Jahr. Wer hätte geglaubt, dass die frühere Gletscherzunge im Tal der Prien südlich von Aschau es damit ohne weiteres in der Breite aufnehmen konnte?!
Wie sah wohl die Gletscherstirn des Tiroler – Achen - Gletschers im damaligen großen Eisrandsee aus, an dessen Stelle der heutige Chiemsee sich ausbreitet? Ein Eisstrom, der in ein Gewässer mündet, beginnt an der Stirn »zu kalben«. Das heißt, die ausgefranste Front bricht in Stücken ab, weil das Eis durch den Auftrieb im Wasser Spannungen ausgesetzt ist. Das hat zur Folge, dass die breite Stirn dieses 20km breiten Fladens eher eine konkave Linie als eine konvexe machte, weil sie ständig abbrach. Ganz sicher schwammen Eisberge in der Strömung nordwärts gegen das heutige Seebruck.
Die Berge des Chiemgaus erlauben wegen ihrer geringen Höhe heute nicht mehr die Bildung von lokalen Eismassen. Dies ist erst ab ca. 2800m auf Nordhängen möglich. Während der Eiszeiten flossen aber einige respektable Gletscherzungen in den Mulden und Seitentälern zu Tale.
Im Frühling 1995 holte eine Speditionsfirma die 23 Teilstücke des Eiszeitreliefs von meinem Atelier ab.
Mir blieb noch die Arbeit des präzisen Zusammensetzens übrig. Das Ganze sollte wie aus einem Guss aussehen und keine Spalten zeigen. Dies ist für den Reliefbauer keine leichte Aufgabe.
Im Naturkundemuseum von Siegsdorf erhielt das Modell einen ausgezeichneten Platz in einem relativ dunklen Raum mit guter Beleuchtung. Ein Sonnenlauf lässt den Betrachter einen eiszeitlichen Tag im Chiemgau erleben. Wir dürfen uns die Eiszeit nicht als eine farblose Epoche vorstellen. Es muss phantastische Stimmungen gegeben haben im Sommer der Eiszeit, wenn die Tundra, von der sich das Mammut ernähren konnte, ihr buntfarbiges Kleid präsentierte, das in auffallendem Kontrast zur kalten Eismasse stand. Die durch die kalten Gletscherwinde und stetigen Überschwemmungen vegetationslosen Niederungen flossen reißende Schmelzwasserflüsse und bildeten wahrscheinlich auch für Großtiere wie das Mammut eine ständige Gefahr.
Seit bereits zehn Jahren steht dieses Relief im Naturkundemuseum von Siegsdorf. Das Echo, welches ich vernehme, ist durchaus positiv, die eiszeitliche Landschaft scheint ihre Freunde gefunden zu haben.
TM
44/2005