Jahrgang 2009 Nummer 44

»Gletscherfräulein« trotzt Sprengkolonne

Erinnerungen an Dr. Edith Ebers, Entdeckerin des Gletschergartens

Die Geologin und Glaziologin Dr. Edith Ebers war eine Persönlichkeit.

Die Geologin und Glaziologin Dr. Edith Ebers war eine Persönlichkeit.
Der Gletschergarten auf einer alten Postkarte

Der Gletschergarten auf einer alten Postkarte
Abenteuerlich schmal war die Deutsche Alpenstraße früher, wie man auf diesem alten Foto sieht.

Abenteuerlich schmal war die Deutsche Alpenstraße früher, wie man auf diesem alten Foto sieht.
»Ein Stück Gletscheruntergrund des eiszeitlichen Saalachgletschers, der aus der Gegend von Zell am See bis hierher vorstieß, liegt vor uns«, steht geheimnisvoll in Fraktur auf der kleinen Tafel vor dem Gletschergarten zwischen Weißbach und Inzell. In der Würmeiszeit (115 000 bis 10 000 vor Christus), als sich der Saalachgletscher von Zell am See nach Bad Reichenhall schob, sich mit dem Salzachgletscher verband und ein 300 bis 500 Meter dicker Seitenarm übers Weißbachtal bis ins Inzeller Becken vorstieß, entstand hier ein in den Ostalpen einmaliges Naturdenkmal. Ein Teil davon, um ein Haar alles, ging beim Bau der Alpenstraße 1935/36 verloren: Die Geologin Dr. Edith Ebers entdeckte damals den Gletscherschliff, der bei der Eisschmelze von einer bis zu sechs Meter dicken Schicht aus Schlamm und Kies überdeckt worden war, und rettete ihn in letzter Minute vor der Sprengung.

Die Gemeinde Inzell erhielt vor einiger Zeit Post von Mathilde Schuster aus Reit im Winkl, den Älteren noch bekannt als die »Einsiedler Tilli«. Beigelegt war ein vergilbter alter Zeitungsausschnitt. Wie Mathilde Schuster schrieb, kann sie sich, obwohl sie damals noch ein Schuldirndl war, gut an die am Einsiedler-Hof logierende Geologin erinnern. »Sie hat sie bewundert, denn die Frau war anders angezogen und mit einem kleinen Sachs-Motorrad unterwegs«, berichtet der Inzeller Heimatpfleger Willi Preinfalk. In dem Zeitungstext ohne Datum, laut Preinfalk wohl von circa 1938, wird unter dem Titel »Man nannte sie nur Gletscherfräulein« die Entdeckerin der Gletscherschliffe gewürdigt. Wir zitieren in Auszügen:

Als vor etlichen Jahren die schöne Alpenstraße von Traunstein nach Reichenhall gebaut wurde, begab sich eines Tages etwas Sonderbares, beinahe Lächerliches. Während die Arbeiterkolonne mit der Sprengung einer grünbewachsenen Wiesenterrasse beschäftigt war, die den geplanten Straßenzug versperrte, kam auf einem Motorrade ein braunäugiges, hübsches Fräulein daher, das plötzlich innehielt, abstieg und auf der Sprengstelle herumzuklettern begann. Die Sonne spiegelte sich in dem blankpolierten, bloßgelegten Gestein und auf einem kleinen geologischen Hammer, der dem Fräulein aus der Windjacke hervorschaute und mit dem sie alsbald herumzuklopfen begann.

»Aber Fräulein, das dürfens fei net.« – Ein alter Arbeiter kam näher. Da aber geriet das zierliche, braune Fräulein in Harnisch. »Ja, Leute, seht ihr denn gar nichts?« rief sie. »Das ist ja ein Naturwunder, das ihr zerstört! Das hier ist ein Gletscherschliff! Schaut doch wie der Stein spiegelt! Viele Jahrtausende lang haben Eis und Wasser ihn so blank poliert! – Seht ihr nicht in der Politur die tiefen Schrammen? Die haben im Eis eingebackene scharfe Steine einst eingeritzt! Und hier« – ihre Hände wischten mit großen Bewegungen eine Felsmulde frei vom Kies und Schlamm – »erkennt ihr, dass dies eine Art Sessel ist, wie gepolstert? Und dies nebenan ein richtiger Topf, mit gerundeten Rändern ringsum? Da ist Jahrtausende lang das fallende Wasser mit Steinen im Kreis herumgequirlt und hat ihn so rund ausgewaschen.«

»Ach, Fräulein, so sieht der Fels fei immer aus! Haltens uns net auf! Morgen ist das alles hier weggesprengt! Da gibt’s nix!« rief einer der Arbeiter. Die Männerschar im Kreise lachte und einer tippte sich mit dem Finger auf die Stirn, um den anderen zu zeigen: »das Fräulein da ist spinnert.« – »Wie will’s denn das wissen?« grinste ein anderer.

Das Fräulein aber war voller Aufregung dem Weinen nah. Es fragte sich durch zum Kolonnenführer, zum Ingenieur, und stieß überall auf den gleichen Unverstand. (…..) Sie saß lange und grübelte. Endlich fiel ihr ein Ausweg ein. Vor Jahren hatte sie als junge Studentin auf einer Schihütte fröhliche Wintertage verbracht im Kreise junger Menschen, hatte für die ganze Bande gekocht und darunter war einer gewesen, der jetzt eine hohe Stellung innehatte beim Straßenbau. Sollte er nicht helfen können?

Sie setzte sich auf ihr Motorrad, fuhr hinunter nach Traunstein und gab, fast den Rest ihrer Barschaft opfernd, ein Telegramm auf. Das Wunder geschah: Von der höchsten Behördenstelle erging tatsächlich ein Telegramm an die örtliche Bauinspektion, sofort die Sprengungen einzustellen.

(…) Sachverständige kamen und das »Gletscherfräulein« wie sie nun bei den Arbeitern hieß, turnte mit ihnen auf dem entdeckten Gletscherschliff herum und schließlich wurde unter ihrer Leitung von der gesamten Terrasse die gewaltige Decke aus Kies und Schutt und Schlamm abgetragen. Ein Gletschergarten von vollendeter Ausprägung wurde freigelegt. (…) Die Straße mußte nunmehr um das Wunder am Wege einen kleinen Bogen machen, eine Tafel mit erläuternden Worten, die das Fräulein verfaßte, wurde aufgestellt. Kleine gesicherte Steige wurden angelegt. (…) Der zweite, daneben liegende Teil der grünen Terrasse aber durfte nicht freigelegt werden. »Wir müssen etwas für spätere Geschlechter zurücklassen«, sagte das Gletscherfräulein. »Mit der Zeit wird unser Gletschergarten verwittern, aber unsere Nachfahren sollen einst genauso deutlich wie wir erkennen, welch Jahrtausende altes Wunder hier gewahrt wurde.«(….)

Wer aber war das »Gletscherfräulein«? Sie entstammt der illustren Familie Knote, deren Wahlheimat Seeshaupt am Starnberger See war. Ihre Großeltern waren der früh verstorbene Gustav Knote (1838 – 1879), Mitbegründer der Allianz, und Emma Knote (1838 – 1909). Edith Ebers wurde um 1894 als erstes Kind von Knote-Tochter Hermine und Karl Heirich geboren. Ihr Onkel war der umjubelte Heldentenor Heinrich Knote (1870 – 1953). »Eine ihrer Schwestern, Ilse, heiratete den Volksschauspieler Hans Fitz«, erzählt Dr. Angelika Rossmann aus Seeshaupt, deren Vater ein Cousin von Edith Ebers war. Die Schauspielerfamilie Fitz ging aus dieser Ehe hervor. Ediths Mutter war hochbegabt und als Geschiedene eine frühe Alleinerziehende. Edith studierte von 1913 bis 1919 Geologie und war zu dieser Zeit eine der wenigen Frauen, die promovierten. Ihr Thema waren damals die »Eberfinger Drumlinfelder«. »Sie war eine schöne Frau und hatte viele Heiratsanträge«, weiß Rossmann. Doch den Münchner Maler und Illustrator Heinrich Ebers (1881 – 1955) schätzte sie am meisten und heiratete ihn Anfang der 20er. Ebers ist der Sohn des Ägyptologen Georg Ebers, von dem er gut geerbt hatte, und wurde am »Schwarzen Freitag« schwer geschädigt. Daher lebte das kinderlose Ehepaar zuletzt in einfachen Verhältnissen in einem Bauernhof in Haunshofen bei Weilheim. »Sie haben sich nie beklagt«, erzählt Rossmann, die selbst Biologie und Geologie studiert hat und sich mit Edith Ebers gern unterhielt, etwa über deren Exkursion in einen Naturpark in Kalifornien. »Sie war großzügig, hatte eine sehr schöne Handschrift und dachte sehr klar naturwissenschaftlich«, erzählt sie über die Wissenschaftlerin. Verstorben 1974, wurde Edith Ebers in der Ebers-Familiengruft in Seeshaupt beigesetzt.

Ihr Name war unter den Eiszeitforschern sehr bekannt. Zu ihren Veröffentlichungen zählen unter anderem »Die diluviale Vergletscherung des bayerischen Traungebietes« (1939) oder »Vom großen Eiszeitalter« (1957). 14 Federzeichnungen ihres Mannes Hermann Ebers schmücken ihr noch antiquarisch erhältliches Büchlein »Die Eiszeit im Landschaftsbilde des bayerischen Alpenvorlandes«, das zu »erdgeschichtlichen Wanderungen« einlädt und auch auf den Salzachgletscher eingeht. So sei der »Salzburger See« vor der Würmeiszeit 30 Kilometer lang und zehn Kilometer breit gewesen. Den Abfluss der durch eine Nagelfluhbarre getrennten Seen aus dem Tittmoninger und Salzburger Becken nach der Eiszeit habe erst der Durchbruch der Salzach ermöglicht. »Diesem Durchbruch verdanken wir das hübsche Engtal bei Laufen«, schreibt die Glaziologin.

Als am 5. Mai 1952 in Rottach-Egern die Internationale Alpenschutzkommission CIPRA gegründet wurde, war Edith Ebers die Hauptinitiatorin. In einem Brief an Willy A. Plattner 1969 erinnert sie sich an eine Generalversammlung der IUCN (Internationcal Union for the Protection of Nature) 1951: »Wie ich schon erzählte, erfuhr man dort – noch in der Stimmung nach dem furchtbaren Kriege und der (…) Nazizeit, dass allerhand Großangriffe auf die Natur geplant wurden. So war man bei uns daran, alle Flüsse und Seen zu verplanen, in Frankreich sollten Flüsse abgelenkt werden, in Österreich wollte man die Krimmler Wasserfälle zerstören und (…) in Italien einen Leuchtturm auf das Matterhorn bauen.«

Der in den letzten Jahrzehnten mit Bäumen zugewachsene Gletschergarten wurde vor ein paar Jahren entbuscht. Bis 2012, wenn der Verkehrsverein Inzell sein 100-Jähriges feiert, soll in Kooperation mit der Gemeinde Schneizlreuth mit Hilfe von Fördergeldern aus dem EU-Programm »Leader« ein malerischer Rundweg zu drei Naturwundern entstehen: dem Gletschergarten sowie den Weißbachfällen auf Schneizlreuther Flur und dem »Wasserloch« auf Inzeller Flur. Ein Vorhaben, das ganz gewiss im Sinne des »Gletscherfräuleins« ist.

Veronika Mergenthal



44/2009