Die verhinderte Pianistinnen-Karriere von Nannerl Mozart
Vor 250 Jahren kam die Schwester von Wolfgang Amadeus zur Welt

Nannerl Mozart im Kleid, das sie von Kaiserin Maria Theresia geschenkt bekam und das ursprünglich für Erzherzogin Marie Antoinette hergestellt worden war. (Pietro Antonio Lorenzoni, Öl auf Leinwand, 1763)

Maria Anna »Nannerl« Mozart kurz nach ihrer Heirat

»Familienbild der Mozarts« (Johann Nepomuk Della Croce, 1780/81): Nannerl und Wolfgang am Klavier, Vater Leopold mit Geige; die Mutter im Bild an der Wand (sie war nicht mehr am Leben, als das Bild gemalt wurde).
»Man stelle sich ein Mädchen von elf Jahren vor, das die schwersten Sonaten und Konzerte der großen Meister auf dem Clavessin oder Flügel auf das Deutlichste, mit einer kaum glaublichen Leichtigkeit fertiget und nach dem besten Geschmack wegspielt« – aus der Augsburger Zeitungsnotiz eines Augen- und Ohrenzeugen spricht Bewunderung. Das Mädchen war Maria Anna Nannerl Mozart, die fünf Jahre ältere Schwester von Wolfgang Amadeus. Sie wurde am 31. Juli 1751 geboren, also vor genau 250 Jahren. Nach Aussage ihres Vaters Leopold war sie eine der geschicktesten Klavierspielerinnen in Europa. Das war wohl keine Übertreibung und doch ist ihr jene Stellung versagt geblieben, die sie möglicherweise einnehmen hätte können: als die erste namhafte Pianistin der bürgerlichen Musikkultur.
War die Zeit noch nicht reif für eine Frau als reisende Virtuosin? Oder verhinderte gerade der ehrgeizige Leopold Mozart eine dem pianistischen Vermögen Nannerls angemessene Karriere, indem er ausschließlich den Sohn protegierte?
Als Maria Anna sieben Jahre alt war, begann Leopold Mozart mit dem Musikunterricht. Zu ihrem Namenstag am 26. Juli 1759 legte er für die Tochter ein Notenbuch an, in das auch Wolfgang seine ersten Kompositionen eintrug. Leopold Mozart war extrem ehrgeizig, sein Musikunterricht wohl purer Drill, ausgerichtet auf eine intensive Reise- und Konzerttätigkeit. Die beiden Wunderkinder wurden Jahre hindurch vorgeführt: an Fürstenhöfen, in den Salons von Adeligen und natürlich auch vor den prominentesten Musikern der Zeit. Nicht zuletzt zur Ehre des Vaters, denn Leopold Mozart stand ja auch im Ruf als einer der besten Geigen-Pädagogen seiner Epoche.
Dreieinhalb Jahre dauerte die Westeuropareise, die Wolfgang und Nannerl zwischen 1763 und 1766 bis nach England führte. Damals schienen alle Optionen offen, auch für Nannerl. Doch die unterschiedliche Behandlung von Sohn und Tochter hatte sich längst abgezeichnet. Kompositionsunterricht galt damals als unverzichtbar; ein Musiker mußte sich aufs Improvisieren verstehen. Von Nannerl sind gerade ein paar Tonsatzübungen überliefert, keine einzige auch noch so kleine Eigenkomposition. Auch das Geigen- und Orgelspiel, selbstverständliches Handwerkszeug für einen angehenden Berufsmusiker, förderte Leopold Mozart zwar beim Sohn, nicht aber bei Nannerl. In dem Moment, da Nannerls Wunderkind-Bonus an Wert verlor und mit ihr keine Publicity mehr zu erreichen war, ließ Vater Mozart die Klavier spielende Tochter fallen, wohl ganz im Sinn des damaligen Geschlechter-Verständnisses. Immerhin sollte es noch ein gutes halbes Jahrhundert dauern, bis eine Frau wie Clara Schumann auf dem Podium akzeptiert wurde. Aber selbst damals noch blieb der als Pianistin vielgerühmten Fanny Mendelssohn-Hensel, die Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy, die Anerkennung als Komponistin verwehrt: Einige Werke von ihr erschienen unter dem Namen des Bruders...
Es ist also kein Wunder, daß der Kinderruhm von Nannerl Mozart während der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts alsbald verblaßte. Nach Italien fuhren Vater und Sohn alleine und auf die Lamentationen der unterdessen über Zwanzigjährigen reagierte Leopold Mozart hochmütig: Er empfahl der Tochter einen Reiseführer, mit dem sie ja auch im Zimmer reisen könne. Während der Sohn immer mehr die internationale Aufmerksamkeit auf sich zog (worüber Leopold Mozart stolz und detailliert nach Hause berichtete), setzte es für Nannerl auf dem Briefweg schulmeisterliche Zurechtweisungen und Ermahnungen zum Fleiß. Nach dem Tod der Mutter auf Wolfgang Amadeus Mozarts Paris-Reise, die natürlich auch ohne Nannerl stattfand, führte Nannerl ab 1778 in Salzburg die Hauswirtschaft.
Eine Lebens-Perspektive für die einst gefeierte Pianistin? Als bürgerliche Klavierlehrerin konnte sie damals kaum das Auslangen finden, obwohl ihr Beitrag zum Haushaltseinkommen sehr willkommen war. Also stand eine Heirat an. Franz Armand d´Ippold, Erzieher der Edelknaben am fürsterzbischöflichen Hof, wäre ein Mann nach ihren Vorstellungen gewesen. Doch der Vater lehnte ihn als Heiratskandidaten ab. Nannerl schreibt verzweifelt an Wolfgang Amadeus nach Wien. Dieser riet zum Ungehorsam gegenüber dem Vater: Sie möge eben nach Wien übersiedeln und d´Ippold dort heiraten. Mozart schätzte die Aussichten für seine Schwester als Konzertpianistin und Klavierlehrerin in der Hauptstadt des Kaiserreichs durchaus positiv ein: »Du würdest hier geld genug verdienen zum beyspiell in privat akademien spiellen und mit lectionen man würde dich recht darum bitten und gut bezahlen.«
Doch Nannerl brachte nicht die Kraft auf, sich von der väterlichen Autorität zu lösen. Sie erkrankte. Heute würde man vermutlich psychosomatische Symptome diagnostizieren. Der Rat des Bruders aus Wien: »Glaube mir, liebste Schwester, im allem Ernste, daß die beste Kur für dich ein Mann wäre.« Schließlich fädelte Vater Mozart eine Verehelichung ein, die Nannerl siebzehn Jahre Unglück bescheren sollte: Der viel ältere Johann Baptist Berchtold zu Sonnenburg, Rats- und Gerichtspfleger in St. Gilgen, war bereits zum zweiten Mal verwitwet und hatte fünf unversorgte Kinder. Nannerl heiratete 1784 ohne Widerspruch und zog, wie sie schrieb, in die Einöde: Es wurde ein Ehefiasko sondergleichen, wovon gut 120 Briefe an den Vater Aufschluß geben. Ihren Bruder hat sie nicht mehr getroffen (auch sie ergriff gegen dessen Frau Constanze Partei, was zu Misstimmungen führte).
Nannerl Mozart saß zwischen zwei Stühlen. Ihren ältesten Sohn (von drei Kindern) holte Leopold Mozart gegen ihren Willen nach Salzburg. In ihrem Gatten hatte die Frau in dieser Angelegenheit keinen Rückhalt. Da ihm das Kind völlig gleichgültig war, hatte er gegen die Verfügung Leopold Mozarts nichts einzuwenden. Gleich nach dem Tod Berchtold von Sonnenburgs (1801) verließ Maria Anna das verhaßte St. Gilgen und kehrte nach Salzburg zurück. Dort freilich standen die Zeichen schlecht für die bürgerliche Musikkultur, zuerst wegen der napoleonischen Kriege und danach wegen der Säkularisation, als Salzburg seine staatliche Eigenständigkeit verlor und zur unbedeutenden österreichischen Provinzstadt verkam.
Da in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts allmählich das Interesse an Wolfgang Amadeus Mozart erwachte, war die Schwester als Zeitzeugin gefragt: Man zog sie bei der Herausgabe einiger Werke zu Rate. Sie bekam auch Besuch aus dem fernen Lemberg, wo Franz Xaver Mozart als Klavierlehrer und Kapellmeister wirkte: In meinem siebzigsten Lebensjahr genoß ich noch die unaussprechliche Freude, den Sohn meines unvergeßlichen Bruders zu sehen, und ihn ganz nach dem Geschmack seines Vaters spielen zu hören. Welch süßes Zurückerinnern war das! Im Alter von 74 Jahren erblindete sie. Auf eigenen Wunsch hin wollte sie nicht im väterlichen Grab bei St. Sebastian begraben werden, sondern in der Kommunengruft am Friedhof von St. Peter. Sie starb am 29. Oktober 1829.
Reinhard Kriechbaum
30/2001
War die Zeit noch nicht reif für eine Frau als reisende Virtuosin? Oder verhinderte gerade der ehrgeizige Leopold Mozart eine dem pianistischen Vermögen Nannerls angemessene Karriere, indem er ausschließlich den Sohn protegierte?
Als Maria Anna sieben Jahre alt war, begann Leopold Mozart mit dem Musikunterricht. Zu ihrem Namenstag am 26. Juli 1759 legte er für die Tochter ein Notenbuch an, in das auch Wolfgang seine ersten Kompositionen eintrug. Leopold Mozart war extrem ehrgeizig, sein Musikunterricht wohl purer Drill, ausgerichtet auf eine intensive Reise- und Konzerttätigkeit. Die beiden Wunderkinder wurden Jahre hindurch vorgeführt: an Fürstenhöfen, in den Salons von Adeligen und natürlich auch vor den prominentesten Musikern der Zeit. Nicht zuletzt zur Ehre des Vaters, denn Leopold Mozart stand ja auch im Ruf als einer der besten Geigen-Pädagogen seiner Epoche.
Dreieinhalb Jahre dauerte die Westeuropareise, die Wolfgang und Nannerl zwischen 1763 und 1766 bis nach England führte. Damals schienen alle Optionen offen, auch für Nannerl. Doch die unterschiedliche Behandlung von Sohn und Tochter hatte sich längst abgezeichnet. Kompositionsunterricht galt damals als unverzichtbar; ein Musiker mußte sich aufs Improvisieren verstehen. Von Nannerl sind gerade ein paar Tonsatzübungen überliefert, keine einzige auch noch so kleine Eigenkomposition. Auch das Geigen- und Orgelspiel, selbstverständliches Handwerkszeug für einen angehenden Berufsmusiker, förderte Leopold Mozart zwar beim Sohn, nicht aber bei Nannerl. In dem Moment, da Nannerls Wunderkind-Bonus an Wert verlor und mit ihr keine Publicity mehr zu erreichen war, ließ Vater Mozart die Klavier spielende Tochter fallen, wohl ganz im Sinn des damaligen Geschlechter-Verständnisses. Immerhin sollte es noch ein gutes halbes Jahrhundert dauern, bis eine Frau wie Clara Schumann auf dem Podium akzeptiert wurde. Aber selbst damals noch blieb der als Pianistin vielgerühmten Fanny Mendelssohn-Hensel, die Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy, die Anerkennung als Komponistin verwehrt: Einige Werke von ihr erschienen unter dem Namen des Bruders...
Es ist also kein Wunder, daß der Kinderruhm von Nannerl Mozart während der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts alsbald verblaßte. Nach Italien fuhren Vater und Sohn alleine und auf die Lamentationen der unterdessen über Zwanzigjährigen reagierte Leopold Mozart hochmütig: Er empfahl der Tochter einen Reiseführer, mit dem sie ja auch im Zimmer reisen könne. Während der Sohn immer mehr die internationale Aufmerksamkeit auf sich zog (worüber Leopold Mozart stolz und detailliert nach Hause berichtete), setzte es für Nannerl auf dem Briefweg schulmeisterliche Zurechtweisungen und Ermahnungen zum Fleiß. Nach dem Tod der Mutter auf Wolfgang Amadeus Mozarts Paris-Reise, die natürlich auch ohne Nannerl stattfand, führte Nannerl ab 1778 in Salzburg die Hauswirtschaft.
Eine Lebens-Perspektive für die einst gefeierte Pianistin? Als bürgerliche Klavierlehrerin konnte sie damals kaum das Auslangen finden, obwohl ihr Beitrag zum Haushaltseinkommen sehr willkommen war. Also stand eine Heirat an. Franz Armand d´Ippold, Erzieher der Edelknaben am fürsterzbischöflichen Hof, wäre ein Mann nach ihren Vorstellungen gewesen. Doch der Vater lehnte ihn als Heiratskandidaten ab. Nannerl schreibt verzweifelt an Wolfgang Amadeus nach Wien. Dieser riet zum Ungehorsam gegenüber dem Vater: Sie möge eben nach Wien übersiedeln und d´Ippold dort heiraten. Mozart schätzte die Aussichten für seine Schwester als Konzertpianistin und Klavierlehrerin in der Hauptstadt des Kaiserreichs durchaus positiv ein: »Du würdest hier geld genug verdienen zum beyspiell in privat akademien spiellen und mit lectionen man würde dich recht darum bitten und gut bezahlen.«
Doch Nannerl brachte nicht die Kraft auf, sich von der väterlichen Autorität zu lösen. Sie erkrankte. Heute würde man vermutlich psychosomatische Symptome diagnostizieren. Der Rat des Bruders aus Wien: »Glaube mir, liebste Schwester, im allem Ernste, daß die beste Kur für dich ein Mann wäre.« Schließlich fädelte Vater Mozart eine Verehelichung ein, die Nannerl siebzehn Jahre Unglück bescheren sollte: Der viel ältere Johann Baptist Berchtold zu Sonnenburg, Rats- und Gerichtspfleger in St. Gilgen, war bereits zum zweiten Mal verwitwet und hatte fünf unversorgte Kinder. Nannerl heiratete 1784 ohne Widerspruch und zog, wie sie schrieb, in die Einöde: Es wurde ein Ehefiasko sondergleichen, wovon gut 120 Briefe an den Vater Aufschluß geben. Ihren Bruder hat sie nicht mehr getroffen (auch sie ergriff gegen dessen Frau Constanze Partei, was zu Misstimmungen führte).
Nannerl Mozart saß zwischen zwei Stühlen. Ihren ältesten Sohn (von drei Kindern) holte Leopold Mozart gegen ihren Willen nach Salzburg. In ihrem Gatten hatte die Frau in dieser Angelegenheit keinen Rückhalt. Da ihm das Kind völlig gleichgültig war, hatte er gegen die Verfügung Leopold Mozarts nichts einzuwenden. Gleich nach dem Tod Berchtold von Sonnenburgs (1801) verließ Maria Anna das verhaßte St. Gilgen und kehrte nach Salzburg zurück. Dort freilich standen die Zeichen schlecht für die bürgerliche Musikkultur, zuerst wegen der napoleonischen Kriege und danach wegen der Säkularisation, als Salzburg seine staatliche Eigenständigkeit verlor und zur unbedeutenden österreichischen Provinzstadt verkam.
Da in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts allmählich das Interesse an Wolfgang Amadeus Mozart erwachte, war die Schwester als Zeitzeugin gefragt: Man zog sie bei der Herausgabe einiger Werke zu Rate. Sie bekam auch Besuch aus dem fernen Lemberg, wo Franz Xaver Mozart als Klavierlehrer und Kapellmeister wirkte: In meinem siebzigsten Lebensjahr genoß ich noch die unaussprechliche Freude, den Sohn meines unvergeßlichen Bruders zu sehen, und ihn ganz nach dem Geschmack seines Vaters spielen zu hören. Welch süßes Zurückerinnern war das! Im Alter von 74 Jahren erblindete sie. Auf eigenen Wunsch hin wollte sie nicht im väterlichen Grab bei St. Sebastian begraben werden, sondern in der Kommunengruft am Friedhof von St. Peter. Sie starb am 29. Oktober 1829.
Reinhard Kriechbaum
30/2001