Jahrgang 2018 Nummer 22

Zu Besuch in der letzten Kugelmühle

Untersberger Marmorkugeln sind seit Jahrzehnten ein beliebtes Mitbringsel

Friedl Anfang gießt seine Steine, um die Struktur hervorzuheben. (Fotos: Pfeiffer)
Steinmetz Wolfgang Küpper sorgt dafür, dass die Kugelmühle »in Schuss« bleibt.
Mit einem Stockhammer werden die Steine behauen und in Kugelform gebracht.
Zwölf Tage war diese Kugel in der Mühle. Jetzt ist sie fertig und muss nur noch geschliffen und poliert werden.
Wasser des Almbachs treibt die sechs Mühlen an.

Es ist die letzte Marmorkugelmühle Deutschlands: die Kugelmühle in der Gemeinde Marktschellenberg. Hier entstehen mit Wasserkraft Marmorkugeln, die nicht nur ein beliebtes Mitbringsel sind. Für die Betreiber Friedl Anfang und Steinmetz Wolfgang Küpper ist es ein Herzensanliegen, »die Tradition auch in Zukunft weiterzuführen«.

Die Untersberger Marmorkugelmühlen gibt es seit 1683. Sie zählen zu den ältesten Gewerbebetrieben Bayerns. Die Kugelmühle in Marktschellenberg ist die letzte verbliebene Marmorkugelmühle Deutschlands. Zwischen 70000 und 80000 Besucher kommen jedes Jahr hier vorbei, um durch die angrenzende Almbachklamm zu spazieren. Von hier gingen einst die vor allem als Kinderspielzeug beliebten Schusser in alle Welt. »Über Rotterdam und London wurden sie vor allem nach Ost- und Westindien exportiert«, sagt Friedl Anfang, an die 600 bis 800 – und manchmal sogar 1000 Zentner pro Jahr, wobei ein Zentner etwa 10000 Schusser-Kugeln entsprach. In der Segelschifffahrt waren die Kugeln darüber hinaus als Fracht willkommen, eigneten sie sich doch vor allem als Ballast, weil sie bei verhältnismäßig großem Gewicht wenig Raum einnahmen. Die letzten Schusser aus Untersberger Marmor gingen von hier 1921 nach London, sagt Anfang. Noch um Mitte des vergangenen Jahrhunderts trieb der Almbach an die 40 Kugelmühlen an, zu denen in der näheren Umgebung noch weitere 90 hinzukamen. Vor allem Bergbauern betrieben die Mühlen, die eine zusätzliche Verdienstmöglichkeit versprachen, denn von Landwirtschaft und Holznutzung allein konnten sich die Bergbauern nicht ernähren. Übrig geblieben ist nur noch die Kugelmühle von Friedl Anfang, der sie als Letzter seiner Zunft in Betrieb hat. »Es ist eine Attraktion für die Besucher der Almbachklamm«, sagt Anfang, der auf einen Hügel an Steinen deutet: mächtige Brocken, gesammelt in Flussbetten der näheren Umgebung. Er nimmt eine Gießkanne, kippt Wasser über die Steine. »So sieht man am besten die Struktur der Steine.« Versteinerte Korallen erkennt man dann, rote, gelbe, graue. »Das sind schöne Exemplare«, sagt er.

Steinmetz Wolfgang Küpper betreut die Kugelmühle seit rund zwei Jahrzehnten. Ein, zwei Mal pro Jahr macht sich Küpper auf die Suche nach schönen Steinen mit besonderen Maserungen, die später in der Kugelmühle zu jenen als Souvenir beliebten Kugeln verarbeitet werden. »Es gibt in der Gegend tolle Orte, aber man muss sie finden«, sagt er. Die Steine erkennt man am besten, wenn es nass ist. Nur dann sieht man die eingeschlossenen Korallen in ganzer Pracht. »Die Marmorbrocken suchen wir, ich behaue sie dann in der Werkstatt zu einer Würfelform«, sagt Küpper – je nach Größe. Viel Zeit wird in die Bearbeitung der meist scharfkantigen Rohlinge investiert, da diese die Basis für das fertige Produkt bilden. Marmorkugelgrößen gibt es von zwei Zentimetern bis hin zu 16 Zentimetern, wobei letztere ein stattliches Gewicht mit sich bringen. Bevor es soweit ist, müssen die behauenen Steine aber in die Mühlen, die mit Wasser des Almbachs angetrieben werden. Sechs Mühlen umfasst die Anlage, vier große, zwei kleine, in denen gleichzeitig Dutzende Marmorkugeln entstehen können. Diese speziellen Konstruktionen bestehen aus dem unteren, feststehenden Schleifstein aus hartem Sandstein vom Obersalzberg und der oberen Drehscheibe aus Buchenholz, die die Steine in der Form hält und auf die das Wasserrad aus Lärchenholz aufgezapft ist. Die Mahldauer beträgt je nach Kugelgröße »zwei bis zwölf Tage«, sagt Wolfgang Küpper. 16-Zentimeter-Kugeln brauchen mehr Zeit, rund zu werden. In dieser Zeit werden die nur grob behauenen Steine, angetrieben vom Wasser, geschliffen, sie reiben aneinander, sind in ständiger Bewegung, da sie in der Konstruktion im Kreis angeordnet sind. Küppers Aufgabe ist es, die Mühle am Laufen zu halten. Denn tatsächlich kann es auch mal sein, dass sich die Rohlinge verkanten, die Mühle dann stoppt. Oder aber der Schleifstein ist abgenutzt. »Das kann aber ein paar Jahre dauern, bis es soweit ist.« So sind etwa die Drehscheiben mittlerweile 20 Jahre alt und wurden nach einem Hochwasser neu gefertigt. »Ein Problem ist die Wasserknappheit«, sagt Küpper. In Monaten, in denen der Almbach wenig Wasser führt, ist es möglich, dass die Mühle nicht oder nur eingeschränkt läuft. »Der optimale Zeitpunkt ist das Frühjahr«, verrät der Steinmetz. Dann hat die Schneeschmelze eingesetzt, das Wasser rund um das Einzugsgebiet des Untersbergs füllt den Almbach, die Marmorkugeln haben so die optimale Möglichkeit, rund zu werden. Anschließend müssen die Kugeln noch feingeschliffen und poliert werden, um einen besonderen Glanz zu erhalten und die Steinstruktur hervorzuheben, bevor sie als originelles Mitbringsel für die Daheimgebliebenen oder als Erinnerung an schöne Tage im Berchtesgadener Land gekauft werden können. Friedl Anfang betreibt die Kugelmühle mittlerweile seit 45 Jahren. Anfang ist nun über 70 Jahre alt. Und auch, wenn er noch nicht ans Aufhören denkt, kann er sich sicher sein, dass das Handwerk weiterhin erhalten bleibt. Sohn Stefan wird weitermachen und somit die lange Geschichte der Marktschellenberger Kugelmühle fortführen.

 

Kilian Pfeiffer

 

22/2018