Jahrgang 2018 Nummer 26

Tüßlinger Doppelmord entpuppt sich als »Fake News«

Bischof von Chiemsee und seine Schwägerin sollen 1729 Opfer eines Giftanschlags geworden sein

Auf Schloss Tüßling soll sich 1729 eine grausame Mordgeschichte abgespielt haben. Tatsächlich starben die bedauernswerten Opfer jedoch an Typhus. Ausschnitt aus einem Kupferstich von Michael Wening 1707. (Repros: Mittermaier)
Durch ihre morganatische Ehe mit Herzog Ferdinand von Bayern wurde Maria von Pettenbeck Stammmutter der Familie von Wartenberg.
Im Salzburger Dom hat Karl Joseph von Kuenberg seine letzte Ruhestätte.

»Bischof mit Braut seines Bruders meuchelmörderisch ums Leben gebracht«: Eine derartige Schlagzeile erwartet man normalerweise in einem Revolverblatt oder auf dubiosen Internetseiten. Tatsächlich ist aber auch die seriöse Geschichtsschreibung nicht davor gefeit, auf »Fake News« hereinzufallen, wie der Fall um Karl Joseph von Kuenberg und dessen Tod 1729 auf Schloss Tüßling zeigt.

Erst 1894 deckte Friedrich Pirckmayer die Hintergründe zum vermeintlichen Doppelmord auf – und rückt dabei dann nicht nur die Tatsachen zurecht, sondern rechnet auch mit allzu sorglosen Chronisten ab, die, anstatt sich um entsprechende Quellen zu bemühen, einfach munter voneinander abschreiben und so dazu beitragen, dass eine angebliche Tatsache von Generation zu Generation weitergetragen wird, obwohl sie in Wirklichkeit nichts weiter als eine bloße Räuberpistole ist.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Kärntner Adelsfamilie von Kuenberg, deren Geschicke eng mit dem Erzstift Salzburg verwoben waren. Karl Josephs Mutter Maria Joseph war eine Schwester des bis 1727 regierenden Fürsterzbischofs Franz Anton von Harrach und auch die Kuenbergs selbst hatten schon drei Salzburger Fürsterzbischöfe gestellt. Karl Joseph selbst war 1715 zum Probst des Salzburger Domkapitels gewählt worden – jenem Gremium, das den Salzburger Fürsterzbischof wählte. 1723 hatte ihn sein Onkel Anton von Harrach dann zum Bischof von Seckau ernannt, noch im gleichen Jahr aber stattdessen den prestigeträchtigeren Posten des Bischofs von Chiemsee zugeschanzt.

Als sich der 43-jährige Geistliche im November 1729 von Salzburg auf den Weg nach Schloss Tüßling macht – damals auch unter der Schreibweise »Dißling« bekannt –, um dort seinen Bruder Maximilian mit Maria Ernestina von Wartenberg zu trauen, dürfte er auch nicht im mindesten damit gerechnet haben, dass er den Schauplatz der Hochzeit nicht lebend verlassen wird, und das Gleiche gilt auch für seinen Bruder, der sich, wie die Chroniken bekräftigen, mit seinen 45 Jahren »noch in bestem Mannesalter befand«. Für Maximilian von Kuenberg war die Verbindung mit Maria Ernestina bereits die zweite Ehe: 1712 hatte er die schlesische Adelige Gottliebe Marianna Colonna von Völs geheiratet, die jedoch im Mai 1729 gestorben war.

Der Witwer scheint sich danach schnellstens wieder auf Freiersfüße gemacht zu haben, denn die Hochzeit mit seiner erst 20-jährigen Braut fand nur ein halbes Jahr nach dem Tod seiner ersten Frau statt. Welche persönlichen Qualitäten das junge Fräulein auszeichnete, ist nicht bekannt; aus gesellschaftlicher Sicht war sie aber zweifellos eine attraktive Partie, denn ihre Vorfahren väterlicherseits stammten direkt von der bayerischen Herrscherfamilie ab. Herzog Ferdinand, ein Sohn Herzog Albrechts V., hatte 1588 in morganatischer Ehe die Haager Landrichterstochter Maria von Pettenbeck geheiratet und für sich und seine Nachkommen den Titel »Graf von Wartenburg«, benannt nach der gleichnamigen Ortschaft zwischen Erding und Moosburg, erhalten.

Sein Sohn Ferdinand Lorenz, Regimentskommandeur im 30-Jährigen Krieg, hatte 1659 Schloss Tüßling erworben, in dessen nach einem Brand frischrenovierter Kapelle seine Nachfahrin Maria Ernestina am 23. November 1729 mit Maximilian von Kuenberg wie geplant vor den Altar trat. Die zahlreichen Gäste dürften sich bei den folgenden Festlichkeiten entsprechend amüsiert haben, denn hochherrschaftliche Vermählungen zogen sich über etliche Tage, und es fehlte gewöhnlich weder an kulinarischen Köstlichkeiten noch an entsprechendem Begleitprogramm wie Bälle oder Jagdausflüge.

Wenige Tage nach der Trauung war es mit der ausgelassenen Stimmung im Schloss allerdings abrupt vorbei. Die Gesellschaft hatte sich inzwischen etwas verkleinert, als der frischgebackene Gatte plötzlich von einem heftigen Unwohlsein befallen wurde, das ihn kurz darauf aufs Krankenlager zwang. Die von der Ruhe erhoffte Genesung blieb allerdings aus, kein Heilmittel schlug an und dem Patienten ging es von Stunde zu Stunde schlechter. Nach dreitägigem Leiden, von seinem bischöflichen Bruder mit den Sterbesakramenten versehen, starb Maximilian von Kuenberg am 4. Dezember 1729 und machte damit seine Frau nach nicht einmal zwei Wochen Ehe zur Witwe.

Sein Leichnam wurde umgehend nach Salzburg gebracht und am 7. Dezember in der Familiengruft in der Franziskanerkirche beerdigt. Maximilian war kaum beigesetzt, als in Salzburg die nächste Hiobsbotschaft aus Tüßling eintraf: Karl Joseph von Kuenberg war wenige Tage nach dem Bruder offenbar am gleichen Leiden erkrankt, und auch er sollte ihm am 10. Oktober zum Opfer fallen. Seine sterbliche Hülle wurde am darauffolgenden Tag nach Salzburg transportiert und zunächst im bischöflichen Palais aufgebahrt. Auf Anraten von Ärzten, die sich um die Hygiene sorgten, wurde Karl Joseph dann, früher als geplant, bereits am 12. Dezember im Salzburger Dom zu Grabe getragen. In den sogenannten »Diarien« des Erzstifts St. Peter ist als Todesursache »hitziges Fieber, welches zum sogenannten Flecktyphus ausartete« angegeben. Die Bezeichnung »Typhus« wurde bis ins 19. Jahrhundert für verschiedene Krankheitsbilder verwendet, zum einen für das Fleckfieber, auch Kriegspest, Läusepest und Faulfieber genannt. Dabei handelt es sich um eine bakterielle Infektion, die von Parasiten wie Flöhen oder Läusen auf den Mensch übertragen wird. Betroffene verspüren zunächst grippeähnliche Symptome wie Muskelund Gliederschmerzen, Kopfweh und Schwäche, gefolgt von hohem Fieber und Hautausschlag. Ebenfalls als Typhus werden Salmonelleninfektionen bezeichnet, die durch Kontakt mit verunreinigtem Wasser, Lebensmitteln oder Fäkalien entstehen und vor der Erfindung von Antibiotika, wie das Fleckfieber auch, oft tödlich endeten. Welcher Typ Typhus das »hitzige Fieber« der Kuenberg-Brüder war, bleibt unklar.

Noch schleierhafter ist allerdings, warum und wann genau die beiden Infektionstoten zu Mordopfern mutierten. Als früheste gedruckte Quelle gilt heute ein 1803 im »Intelligenzblatt von Salzburg« erschienener Artikel von Mathäus Wänzler, der in einer Auflistung der Domprobste den Tod Karl Joseph von Kuenbergs so kommentiert: »Er war auch Bischof von Seckau und Chiemsee; und wurde zu Dißling mit der Braut seines Bruders und anderen Personen meuchelmörderisch ermordet.« In einem nicht veröffentlichten Manuskript hatte Wänzler zusätzlich noch die Bemerkung »durch Gift« hinzugefügt. Im zehnten Band der »Chronik von Salzburg« aus dem Jahr 1821 taucht die Geschichte dann erneut auf, im gleichen Wortlaut wie im Intelligenzblatt mit einer winzigen Änderung am Schluss: das von Wänzler doch sehr ungelenk formulierte »meuchelmörderisch ermordet«, hat der Autor der »Chronik«, Corbinian Gärtner, in »meuchelmörderisch ums Leben gebracht« umgewandelt. 1850 wiederholt Martin von Deutinger in einem Aufsatz über die »Bischöfe von Freising und Chiemsee« dann wiederum Gärtners Bemerkung – und war dabei noch immer nicht der Letzte, der an dieser Mär festhielt.

Friedrich Pirckmayer machte sich dann Anfang der 1890er Jahre offenbar als erster die Mühe, die Angelegenheit einmal näher in Augenschein zu nehmen – und stellte dabei schnell fest, dass es für die angeblich gewaltsamen Tode 1729 in Tüßling keinerlei Beweise gibt. Am leichtesten sei die Behauptung zu entkräften gewesen, dass es damals auch die blaublütige Braut erwischt habe: Wenn Ernestina von Wartenberg eines zu beklagen hatte, dann war es das abrupte Hinscheiden ihres frischangetrauten Gatten Maximilian von Kuenberg, nicht aber ihr eigenes Leben, denn sie war tatsächlich noch etliche Jahrzehnte später quicklebendig. 1731 sollte sie Joseph Franz von Hasslang heiraten und mit diesem nach dem Tod von Maria Ernestinas Vater Ferdinand Marquard Schloss Tüßling erben. Maria Ernestina selbst starb am 27. Oktober 1763 im Alter von 54 Jahren in München.

Ebenso ins Reich der Fabeln zu verbannen, so Pirckmayer in seinem Aufsatz »Die Katastrophe von Tüßling«, der 1894 in den »Mitteilungen zur Salzburger Landeskunde« erschien, sei auch die an sich schon vage Angabe, es hätte bei der Hochzeit 1729 noch »andere Personen« erwischt. Wenn es tatsächlich weitere Opfer gegeben hätte, dann wäre es wohl naheliegend gewesen, deren Namen mit zu erwähnen. Damit blieb dann nur noch der vermeintliche Meuchelmord an Karl Joseph von Kuenberg, dessen Todesumstände in zwei Quellen erwähnt werden: Einmal in den Diarien des Erzstifts mit dem Hinweis auf »hitziges Fieber« sowie auf einem Gedenkstein im Salzburger Dom, dessen Inschrift laut Pirckmayer möglicherweise zur Entstehung der Räuberpistole beigetragen hat. Auf dem Epitaph ist – im Original in Lateinisch – unter anderem zu lesen: »Bald nachdem dieser Bischof die Ehe seines Bruders sichergestellt hatte, beeilt sich ach! Der Tod die Ehe zu vollziehen. Hymen (= Gott der Ehe, Anmerkung der Verfasserin) klopft an seine Tore und nach einigen Tagen tritt der Todesherold in das Haus und wandelt das Ehebett zum wüsten Todesbette. Nicht zufrieden mit diesem Unheil, will er auch die himmlische Ehe treffen und nimmt wutschnaubend Insul und Stab und verbrennt sie auf des Bruders Scheiterhaufen.«

Ein solcher Wortschwulst, stellt Pirckmayer trocken fest, »sei sicher dazu angetan, einen einmal von der Geschichte Befangenen in seinem Wahne zu bestärken.« Wer sich jedoch die Mühe mache, auch die restlichen Zeugnisse über Karl Joseph von Kuenbergs Tod im Salzburger Dom zu beachten, wie etwa die Inschrift auf dem Boden oberhalb seiner Gruft, die besagt, dass er »mit festem Gottvertrauen freudig alles Sterbliche abgelegt« habe, müsse eigentlich schnell feststellen, dass ein gewaltsames Ende wohl doch anders formuliert worden wäre. Und noch etwas ist für Pirckmayer maßgebend: »Bezeichnend für die Unwahrheit der ganzen Mordgeschichte ist auch das auffallende und zugleich beredte Schweigen der bairischen Geschichtsquellen.« Die beiden von der Katastrophe in Tüßling betroffenen Familien hätten einen so hohen Rang eingenommen, dass es völlig unglaubwürdig ist, dass kein Historiograph über einen »derart monströsen Fall« berichte.

Dass sich der vermeintliche Meuchelmord trotzdem in diversen Salzburger Chroniken festgesetzt hat, liegt für Pirckmayer an den »Zutaten« der Angelegenheit, die bestens geeignet seien, die menschliche Neugier zu entfachen: der schnelle Tod zweier adeliger Brüder und das auch noch ausgerechnet bei einer Hochzeitsfeier entbehre »weder das tragische noch das romantische Element.« Dass darüber hinaus auch Karl Joseph von Kuenberg als Bischof quasi sang- und klanglos beerdigt wurde, habe zu allen Zeiten genügt, um Gerüchte, oder wie man in Salzburg sagen würde »Gemurmel«, zu erzeugen, dass bei seinem Tod nicht alles mit den rechten Dingen zugegangen sein müsse.

Dass derartige Geschichten »leicht von der Wahrheit abirren und von Mund zu Mund gehend immer mehr entstellt und übertrieben werden«, sei eine altbekannte Tatsache – und an sich auch nicht verwerflich. Nur hätte man sie nicht drucken lassen dürfen, ohne zuvor entsprechende Quellen zu überprüfen, watscht Pirckmayer die Chronisten ab. Eine Feststellung, die, mehr als 100 Jahre später, im Zeitalter von »Fake News« oder »alternativen Fakten« treffender denn je ist.

 

Susanne Mittermaier

 

26/2018