Jahrgang 2018 Nummer 10

Spiegel der Unschuld

Vor 450 Jahren wurde der mit 23 Jahren gestorbene heilige Aloysius von Gonzaga geboren

Buchinnentitelseiten der ins Deutsche übersetzten Vita des hl. Aloysius von Gonzaga (1568– 1591), München 1757. (Alle Fotos: Dr. Hans Gärtner)
Anonymes Ölgemälde (frühes 19. Jahrhundert) des hl. Aloysius mit den Attributen Lilie, Kreuz, Rosenkranz und Krone sowie einem Muttergottesbild, das ihn als Marienverehrer ausweist.
Aus der Hand des hl. Carl Borromäus empfängt Aloysius die erste heilige Kommunion.
Der junge Aloysius muss sich die Erlaubnis, Jesuit in Rom zu werden, bei seinem strengen und von ihm enttäuschten Vater ertrotzen.
»Mit klarer Stimm« fordert die Muttergottes Aloysius zum Eintritt in den neu gegründeten Jesuitenorden auf.
Speisenausgabe für die Bettler am Tor des römischen »Probier-Haußes der Societät Jesu«: Aloysius lässt es sich nicht nehmen, selbst auf die Straße zu gehen.
Während einer Pestepidemie in Rom nimmt Aloysius keine Rücksicht auf die eigene Gefährdung einer Ansteckung und pflegt die Kranken.
Die Ordensgemeinschaft erscheint geschlossen mit Kerzen am Sarg des verstorbenen Mitbruders Aloysius und küsst ihm die Hand.

Welches Glück. Es widerfährt dem, der sich wünschte, mehr über den Jesuiten-Heiligen zu erfahren, der als glühender Marienverehrer gilt und dem nur 23 Lebensjahre vergönnt waren, wobei er es so schwer hatte, überhaupt in dieses Leben zu gelangen, – mehr zu erfahren als in den üblichen Heiligen-Darstellungen über ihn zu lesen ist. Dieses »Mehr« fiel dem Beglückten in Gestalt des Büchleins »Spiegel der Unschuld« oder »Englisches Leben des heiligen ALOYSII GONZAGAE der Gesellschaft Jesu…«, gedruckt und verlegt in München »bey Frantz Jos. Thuille, 1757«, in die Hände. Es liegt in diesem Jahr öfters als sonst darin; kam doch Aloysius von Gonzaga vor 450 Jahren zur Welt. Sein Geburtstag: der 9. März 1568. Die Eltern: Ferdinand Gonzaga, Markgraf zu Castilion und »Martha Tana Santenia aus dem uralten Ritter-Stammen der Roboreer«. Geburtsort: Castiglione delle Stiviere in der Provinz Mantua (deren Schutzpatron er ist), heute Partnerstadt von Leutkirch im Allgäu.

Das Vergnügen, die in Leder gebundene, handliche Original-Aloysius-Vita zu lesen, mag dem Verehrer des Heiligen auf Grund der nicht nur komplizierten spätbarocken Sprache ein wenig getrübt werden, sondern gelegentlich auch durch die überschwänglichen Belehrungen und Ermahnungen des Autors P. Gabriele Havenesi S. J., dessen lateinischer Text »getreulich « ins Deutsche gebracht wurde, unangenehm sein. Dem Jesuiten Havenesi war daran gelegen, seine Biographie »mit geistlichen Lehr- Sprüchen zu mehrerer Nachfolgund Verehrung dieses Gottseeligen Vorbilds« anzureichern, wie er schon auf der Titelseite vermerkte. Mag man dies als »frommen Wunsch« des geistlichen Urhebers gelten lassen – man wird entschädigt durch die Beigabe einer hohen Anzahl passend eingestreuter ganzseitiger »Kupffer-Blättlein«.

Dem eiligen Leser kommen diese Bildchen, gottlob alle unbeschädigt und zur Gänze erhalten, insofern zu passe, als sie alle gut beschriftet sind: lateinisch und deutsch. Aneinander gereiht, ergibt sich ein lückenloses anschauliches Lebensbild des großen Italieners Aloysius, der, eingedeutscht ohne »-ius« zu Aloys oder schlicht Alois wurde und gelegentlich auch ein weibliches Pendant, Aloisia oder Aloysia, erhielt. Wenn auch nicht in diesen Tagen, so doch noch vor kurzem wurde Aloys/Alois, vor allem in Süddeutschland und in den katholischen Alpenregionen vielen Buben zum Namenspatron. Erinnert sei an den Rutengänger Irlmaier, den Psychiater Alzheimer, den Lithographen Senefelder, den Schriftsteller Prinz, den bayerischen Politiker Glück, nicht zuletzt an den in Furth im Wald geborenen berühmten Pädagogen Fischer. Den neckischen Engel Aloisius Hingerl kennt der nach Bayern »Zuagroaste« womöglich besser als der in den Freistaat Hineingeborene. Er lebt, von Ludwig Thoma erfunden, als Münchner im Himmel fort, nachdem er als Dienstmann Nr. 172 am Münchner Hauptbahnhof das Zeitliche gesegnet hatte und, der jenseitigen Hausordnung gemäß, nach festem Terminplan im Paradies zum Frohlocken und Hosianna-Singen mit Harfenbegleitung verpflichtet worden war.

Dem Namengeber Aloysius von Gonzaga mochte dieses lockere Szenario ganz und gar nicht angenehm gewesen sein. Wir haben es bei dem großen Sohn der norditalienischen Stadt Castiglione delle Stiviere mit einem sehr ernsthaften und in Sachen Kommunikation gar heiklen jungen Edelmann zu tun, mit einem »Parthenophilus oder Liebhaber der Unschuld und Jungfräulichen Reinigkeit«, wie die »Vorred« hervorhebt. Will heißen: Der Adelige Aloysius führte für seinen Stand ein außergewöhnlich asketisches Leben. Er hielt nichts von dionysischen Freuden. Wer redete denn gleich von Ausschweifung und Verschwendung. Diesem zarten Mann von hoher Geburt aus bestem Hause, der sich nicht nur ein sorgloses, sondern auch ein vergnügliches Dasein hätte gönnen können, war es um die Reinheit des Herzens und aber auch des Körpers zu tun. Er hielt sich fern von geselligem Spiel. Mochte keinerlei Tändelei. Riskierte nicht einmal einen Blick auf ein Mädchen. Alles Begehrliche war ihm, der schon als Kleinkind kränkelte, suspekt, wenn nicht gar zuwider.

»Deßwegen hat er sich aller Kundund Gesellschaft der Weibs-Bilder beständig entschlagen, ja dergestalt entäusseret, dass niemand zweiffelte, solches Abscheuen müste nicht von der Natur, sondern von der Gnad herkommen. Einen so heiligen ewigen Haß führte Aloysius wider alles Weiber-Geschlecht, daß er sie weder sehen noch hören wollte … Wann er zu Zeiten das Hoch-Adeliche mit ihm verwandte Frauen-Zimmer Höflichkeit halber besuchen mueste, war sein Begrüssung also beschaffen, daß er keines von Angesicht gesehen zu haben bekennte … Mit diesem … Weiber-Haß hat Aloysius verdienet, mit dem schönsten Ehren-Titul eines reinen Jünglings, der Weiber-Feind genennet zu werden.«

Aloysius' strikter Ablehnung der irdischen steht die auf früher mütterlicher Unterweisung beruhende fraglose Zuwendung zur himmlischen Weiblichkeit – vor allem in der Gestalt der jungfräulichen Gottesmutter. Sie, die von der in arge Geburtsnöte geratenen Gebärerin angerufen wurde, war es, die Aloysius in dieses Leben zu kommen verholfen hatte. Eher war das Knäblein »getaufft«, heißt es bei Hevenesi, »als vollig gebohren« worden. Der namentlich ungenannte Kupferstecher trug ein »Blättlein« mit einer Szene von Aloysius' Erstkommunion bei, die er in Castilglione aus der Hand des mit den Gonzagas verwandten heiligen Carl Borromäus, Bischofs von Mailand, empfing. Diese Szene überstrahlt die bei der Zeremonie auf himmlischer Wolke anwesende Gottesmutter. Ihr hat er »die Ewige Jungfrawschafft« gelobt.

Wie Aloysius, der viel las und sich für Natur und Gottesfragen interessierte, ein »Feind des Müßiggangs« war, so war er ein »Freund des Studierens«.

»Kaum hatte das zarte Alter Aloysii so viel zugelasssen, daß er denen Wissenschafften allbereit obliegen kunte, gleich war seine größte Freud und Lust, auf selbige sich zu begeben; darzu dann sein vortrefflicher und sinnreicher Verstand, neben einer besondern Klugheit seines bedachtsamen Urtheils, nicht wenig geholfen …«

In Mantua widmete Aloysius, der wohl als Page beim spanischen Hof kurz gedient hatte, sich der Mathematik und der Theologie. Die Nahrung, die der Student zu sich nahm, »wägte nicht mehr als ein Ünzen«, heißt es, anschaulich gemacht auf einem der vielen schönen Kupferstiche. Und im Text: »Am Morgen nur ein Schnittlein Brod in Wasser eingedunckt, sonst nichts … Selten hat er für ein Nachtmahl ein gantzes Ey genossen.« Zudem kasteite er sich, wo es nur möglich, wenn auch nicht nötig war, »mit rüehmen undt strükhen, umbgürtet sich mit sporen, ruehet auff bretlein«. Durchaus verständlich, dass der Vater besorgt war, sein Erstgeborener wolle »sich selbst ums Leben bringen«.

Mit dem Vater hatte es Aloysius nicht leicht. Er stellte sich dem Sohn »scharff« entgegen, als dieser, 17-jährig, zu den Jesuiten nach Rom zu gehen fest entschlossen war. Dabei folgte er einer inneren Stimme, die er der innig verehrten Gottesmutter Maria zuschrieb:

»Begiebe dich in die Gesellschafftd JESU / und diesen Rath entdecke deinem Beicht-Vatter. O was Trost und Freud wird ALOYSIUS in seinem Hertzen damals empfunden haben! Sein Gemüth war nunmehr gantz hitzig und vest gestellt nicht zu ruhen. Er hätte dann gedachten heiligen Einschlag ins Werck gerichtet …«

Ausführlich berichtet der jesuitische Verfasser des Aloysius-Büchleins von den unterschiedlich gearteten und nachdrücklichen Versuchen, auch verführerisch weiblicher Natur, ihn von seinem Vorhaben, in den Jesuitenorden einzutreten, abzubringen. Er verzichtet 1585 auf alle Ansprüche einer Markgrafschaft und überlässt sie seinem jüngeren Bruder. Heimlich habe Aloysius sich ein schwarzes Ordensgewand fertigen lassen, in welchem er wortreich zur eigenen Verteidigung seiner Entscheidung im Gräflichen Palast den weltlichen Granden entgegengetreten sei, bevor er sich in das römische »Probier-Hauß der Societät Jesu zu St. Andreas« begab – »als einen sichern Port, darnach Er wohl tausendmahl geseuffzet«.

Bis hierher wurde aus den 22 Kapiteln des »Ersten Theils: Weltliches Leben« des hl. Aloysius geschöpft. Der »Anderte Theil« des Buches beschreibt in 25 Kapiteln das umfangmäßig ebenbürtige »Geistliche Leben Aloysii«. Den zugehörigen Kupferstich-Legenden wird gefolgt.

»Da ist meine Ruhe in alle ewikheit, da will ich wohnen«, bekräftigt er seine Entscheidung für Rom. Hier »lehrnet undt lehret« er das Irdische auß Betrachtung des Himlischen zu verachten«. Er gelobt Gott die »Ewige armueth, kheischeit undt gehorsam in der Gesellschafft Jesu«. Er erweist sich als »Zuchtmeister seiner Sinnen, bevorb der Augen«. Von Maria selbst empfängt Aloysius »die Gnad der Kheischeit«. Er obliegt in Rom mit großem Eifer den Wissenschaften. Als Prediger bewirkt er, dass seine Zuhörer ganze Nächte vor den Beichtstühlen warten, um die Absolution zu erlangen.

»Sonsten hat Aloysius zur Bekehrung auch alter verstockten Sündern dermassen bequem gesprochen, daß, als Er Anno 1590, den 30. Merzen zu Castilion auf seiner Frau Mutter Verlangen am Samstag vor Faßnacht zum Volck ein Predig hielte, der Zuhörer ein solche Menge zur Buß ihrer Sünden beweget worden, daß viel Priester biß in die spate Nacht mit Anhörung der Beichtenden zu thun bekommen. Einsmals ist er verständiget worden, daß jemand in Rom wäre, der innerhalb 6 Jahren niemahl gebeichtet hätte. An diesen machte sich Aloysius, setzte dem Sünder mit Worten so starck und Hertztringend zu, daß selbiger, vom Geist und Eiffer seiner süssen mächtigen Ansprach eingenommen, sich ergeben und dem Prediger folgend sich von ihme zum Beichtstuhl in die Kirch der Societät vom Namen JESU genannt, bußfertig hat führen lassen …«

Der Heilige verachtete immer mehr sich selbst, während er andere immer mehr hochachete. So übte er sich in Küchendiensten und anderen Werken der Demut, sammelte für die Armen Almosen auf den Straßen Roms, teilte den Bettlern Speisen aus und pflegte, selbst vermutlich schon infiziert, die Schwerkranken im öffentlichen Spital von Rom.

»Er ware zwar schwach am Leib, im Geist aber wurde er desto stärcker, und nahme sein unverdroßne Lieb gegen die Krancken immerdar mehr und mehr zu. Massen als er vernommen, daß Rom in Gefahr der Pestilentz stunde, hat er vom vorgesetzten P. General … Erlaubnuß begehrt und erhalten, ein Gelübd zu thun, denen Presthafften, wann er selbst wiederum genesen wurde, zu dienen. Und mit dieser heiligen Begierd starbe Er als ein preyß-würdiges Opffer der Liebe. Der Nachruhm aber einer solchen Tugend ist annoch frisch, und wird jederzeit unverwelckt bleiben.«

Ausgerechnet der, der selbstlos und stets den Schwachen und Armen zugetan war, verfiel noch in seinem Noviziat körperlich immer mehr. »Er wurde von einer »langwierig verdrüßlichen Kranckheit ergriffen, daraus endlich ein dörrsichtiges Fieber worden, welches viel Monath angehalten.« Nichts Genaues über diese »verdrüßliche Kranckheit« ist in dem Büchlein zu erfahren. Pater Vincentio Bruno, einem Vertrauten, und wenigen Mitbrüdern eröffnete er, dass er nur mehr ein Jahr zu leben hatte. Dieser Pater soll bei Aloysius eine »hitzige Begier zu sterben« bemerkt haben. In Mailand wurde ihm bereits offenbart, nicht alt zu werden.

Wohl starb Aloysius an Auszehrung – »Dörrsucht« genannt – acht Tage vor dem Fronleichnamsfest des Jahres 1591. Ein Kupferstich zeigt den in der »Hauß-Capell offentlich« im Chorrock Aufgebahrten, um ihn herum kerzentragende Priester, die anstehen, seine bereits leblose Hand zu küssen. »Viel Volck« hatte sich versammelt, »vorab Knaben und Jüngling, die kußten den Seeligen Leib und Kleidung, rufften ihn auch sammtlich für einen Heiligen aus«.

»Nach sieben Jahren wurde er auf Befehl des Wohl-Ehrwürdigen P. Generalis Claudii Aquaviva in ein anderes Orth selbiger Krufft gegen der Gassen, und etwas höher gesetzt, von dannen aber seynd nach Erfolgung vieler Wunderzeichen seine heil. Gebein in einen bleyenen Sarg gelegt und unter dem Altar-Staffel des hl. Sebastiani beigesetzt worden.«

Franziscus Gonzaga war 1605 Kaiserlicher Botschafter in Rom. Er ließ seinen Bruder »mit brinnenden Liechtern und Zustimmung der Music in unser Lieben Frawen Capell« tragen. Dort ehrte man auch nach dem Tod »denjenigen Leib, welcher noch im Leben so streng gehalten, und so hart casteyet worden, daß er verdienet, noch mit einer größern Glori zu seiner Zeit im Himmel gecrönet zu werden«.

Die Aloysius-Biografie wäre unvollständig, würden die bei P. Gabriele Hevenesi für sein 1757 ins Deutsche gebrachtes Buch »Speculum Innocentiae« (Spiegel der Unschuld) vorgefundenen Fakten nicht kurz ergänzt werden. Aloysius von Gonzaga wurde 14 Jahre nach seinem Tod durch Papst Paul V. selig – und 1726 durch Papst Benedict XIII. heiliggesprochen. Er gilt seitdem als Schutzheiliger der männlichen studierenden Jugend. Die Vita legt nahe, ihn als Patron der AIDSKranken zu verehren. Auch die Krankenpfleger erwählten ihn zum Schutzheiligen, und junge Männer, die sich durch die Anfechtungen des Fleisches bedrängt fühlen, tragen ihm ihre Sorgen und Nöte vor. Die sterblichen Überreste des sympathischen Aloysius von Gonzaga werden in der Kirche Sant‘Ignazio di Loyola in Rom bewahrt – bis auf das Haupt. Es befindet sich in der Basilika von Castiglione delle Stiviere. Am 21. Juni, dem Sterbedatum, wird des Heiligen in der katholischen Welt gedacht. Zu erkennen ist er an seinem schwarzen jesuitischen Gewand, oft verzückt vor dem Kruzifix betend, eine manchmal nach unten gekehrte Krone (als Zeichen seines Verzichts) dabei, dazu ein Rosenkranz und eine weiße Lilie.

 

Dr. Hans Gärtner

 

10/2018