Jahrgang 2018 Nummer 30

Ritterschauspiele Kiefersfelden

Das Volkstheater gibt es seit 400 Jahren

Kaiserin Dianora schenkt ihrem Gatten Kaiser Oktavianus nach längerer kinderloser Ehe zwei Söhne.
Ein Affe raubt der schlafenden Kaiserin eines der Kinder.
Kampf zwischen Sarazenen und Kreuzzugsrittern.
Der intrigante Prinz Mangolf entzieht sich durch Selbstmord seinem Strafgericht.

Das Volkstheater Ritterschauspiele Kiefersfelden kann auf eine 400-jährige Tradition zurückblicken. Es begann ab 1618 mit Bibelund Parabelspielen. Im frühen 18. Jahrhundert gab es geistlichjesuitische Theateraktivitäten und 1802 kam es zur Aufführung eines ersten Ritterdramas. Ein gutes Jahrzehnt später stemmte das Volkstheater Kiefersfelden nach einem Gelübde sogar noch ein Passionsspiel. Ab 1833 siedelte die Spielgemeinschaft mit dem neuen Theaterhaus näher zur Dorfmitte um und gründete eine »Theatergesellschaft«, die Vorgängerin des heutigen Theatervereins. Zur gleichen Zeit begann auch die bis heute andauernde Spieltradition der unnachahmlichen Ritterdramen. Die wurden im 19. Jahrhundert in und um das bayerische und Tiroler Inntal vielerorts gespielt, überlebt haben sie aber nur in Kiefersfelden.

Unverkennbar, unvergleichbar und unverrückbar bleibt die Theatergesellschaft bei ihren Ritterschauspielen. All das ist keine museale Tradition, sondern, geprägt auch durch die besondere Sprache, ein lebendiges Zeitdokument der historischen Bühnenpraxis des 19. Jahrhunderts. Die Theatergemeinschaft lässt sich nicht beirren, sie lebt auf der Bühne einen Anachronismus, der funktioniert, weil die Tradition der Ritterdramen bewahrt wird. Dennoch werden die Ritterschauspiele Kiefersfelden bis heute immer wieder weiter entwickelt, gestrafft und liebevoll entstaubt. Das zeigt sich auch in der aktuellen Jubiläumstrilogie, die schon in der Spielzeit 2016 begann und im Jubiläumsjahr 2018 abgerundet wird. Nach dem sakralen Schauspiel »Hl. Sebastian« und dem, im letzten Jahr gespielten, turbulenten Ritterschauspiel »Genovefa«, folgt heuer die Krönung mit dem 1835 entstandenem »Kaiser Oktavianus«. Ein Ritterdrama in vier Akten, quer durch Raum und Zeit, mit Liebe, Intrigen, Hass und Gnade.

Seit 1868 sind die Spielleiter der Ritterschauspiele dokumentiert. Der jetzige, Landwirt Andreas Gruber, hat das Bühnengeschehen stärker verändert als seine dreizehn Vorgänger/innen. Alles natürlich nur im Rahmen der Tradition und mit dem festen Willen, das Unverwechselbare zu bewahren. Aber viereinhalbstündige Aufführungen sind dem heutigen Publikum nicht mehr zuzumuten. Ausufernde Dialoge und Monologe der Ritterdramen, beispielsweise vom oft gespielten Josef Georg Schmalz, aber auch anderer Autoren, wurden gestrafft und gekürzt. Mit neu komponierten Gesängen und Effektmusik in historischer Anmutung wird versucht, den Spielfluss besser zu strukturieren und lebendiger zu machen. Die Theatermusik, ob Lieder, Chöre, Vorspiel oder markante Märsche, ist immer live und oft auch sichtbar vor und auf der Bühne.

Bis zu 100 Mitwirkende tragen auf, vor oder hinter der einzigartigen, barocken Drehkulissenbühne jedes Jahr ihren Teil zum Gelingen der Ritterschauspiele bei. Nach monatelangen Proben stehen im Programmheft der Aufführungen nur die Personen des Stücks und keine Namen der dazugehörigen Darsteller. Niemand soll hervorgehoben werden, nur alle zusammen können jedes Jahr den überregionalen Erfolg schaffen. So ist es immer schon Tradition im Volkstheater Kiefersfelden, bei alljährlich rund zehn Aufführungen, an den Wochenenden zwischen Ende Juli und Anfang September. Viele Mitwirkende sind auch in anderen Vereinen aktiv. Die Theatergesellschaft ist in der Dorfgemeinschaft verankert.

Beharrlich und mit großem Selbstbewusstsein hält das Volkstheater Kiefersfelden auch an seiner Bühnentechnik im 420 Sitzplätze fassenden Theaterhaus fest. Alles geht per Hand, nichts mechanisch. Das gilt für die historischen Drehkulissen, Zwischenvorhänge, Kulissenschübe wie Wechselkulissen. Handgemacht sind auch die Geräusche, ob mit der historischen Windmaschine oder dem Donnerblech und immer noch bewegen Handkurbeln die rund 300 Meter Kulissenseile über die alten Holzräder oder nachrüstbare Umlenkrollen. Die Schwerter der Ritter, seit Jahrzehnten erprobt, sind Handarbeit des »Waffenschmiedes « und das Licht aus über 500 Glühlampen versucht, ohne punktuelle Scheinwerfer das historische Bühnengeschehen auszuleuchten.

Das Volkstheater Ritterschauspiele Kiefersfelden wird seit Jahrhunderten von der Leidenschaft seiner Spielschar getragen. Was mit zugezogenen Eisenwerksarbeitern begann, wurde lange von den Beschäftigten der inzwischen verschwundenen Industriebetriebe geprägt. Bis heute lebt im Dorf die innerhalb vieler Familien vererbte Lust am Theater. Mitspielen dürfen nur Einheimische, darunter viele seit Jahrzehnten aktive, unverwechselbare Darsteller. Das Theaterblut ist in Kiefersfelden zuhause. Gemeinsam mit der Heimatbühne gründete das Volkstheater das Kinder- und Jugendtheater »Kieferer Wichtl«, das zur erfolgreichen Nachwuchsschmiede für die Ritterschauspiele wurde.

 

Rudolf Erhard

 

30/2018