Jahrgang 2018 Nummer 11

Leidenschaft für »giftgrün« führte zu grausigen Todesfällen

Arsen, Blei und Quecksilber früher gängige Zusätze in Farben, Medikamenten und Lebensmitteln

»Arsenwalzer« ist diese Karikatur betitelt, die 1862 in der englischen Satirezeitschrift »The Punch« erschien, in Anspielung auf die damals so beliebten, mit Arsen gefärbten Kleider. (Repros: Mittermaier)
Ludwig van Beethoven wurde Bleisalz als Medizin verabreicht.
Wein wurde früher mit hochgiftigem Bleizucker gepanscht, wie die Karikatur aus den »Fliegenden Blättern« 1874 zeigt.

Insektizide in Eiern, Antibiotika im Fleisch, oder Formaldehyd in Kosmetik: Die Liste gesundheitsgefährdender Stoffe, die mit schöner Regelmäßigkeit in Lebensmitteln und Verbrauchsgütern gefunden werden, ließe sich noch ein ganzes Stück lang fortsetzen. Alles Folge der globalisierten Konsumgesellschaft, ist man da schnell versucht zu entgegnen, denn wer immer mehr und billiger produzieren und kaufen will, muss sich nicht wundern, wenn die Qualität auf der Strecke bleibt. Im Umkehrschluss müsste das bedeuten, dass in der Lebenswelt unserer Ur-Urgroßeltern, als es noch keine Fließbänder und auch keine chemischen Keulen gab, mit denen man der Natur ins Handwerk pfuschen konnte, in punkto Schadstoffbelastung alles noch in bester Ordnung war. Der Begriff an sich ist bis ins 20. Jahrhundert zwar noch in keinem Wörterbuch oder Lexika zu finden, was aber keineswegs bedeutet, dass nicht schon früher hochgefährliche chemische Substanzen im Umlauf waren, die nicht selten sogar für Todesfälle sorgten. Eine der schlimmsten Giftschleudern des 19. Jahrhunderts war ein Farbpigment, das als »Schweinfurter Grün« in Tapeten, auf Textilien, bei Spielzeug und sogar in Lebensmitteln verwendet wurde und dabei so toxisch war, dass die Farbe Pate stand für unseren heutigen Begriff »giftgrün«. Das schillernde Grüngelb, das »alle anderen grünen Farben übertrifft und besonders den Vorzug hat, dass es auch bei künstlichem Lichte glänzend grün, beinahe schöner als am Tag erscheint«, wie die Zeitschrift »Die Gartenlaube« 1865 schwärmt, wurde aus einer Verbindung von Arsen, Kupfer und Essigsäure gewonnen. Dass Arsen ein hochgiftiges Metall ist, das sich vorzüglich eignet, um lästige Mäuse und unliebsame Zweibeiner ums Eck zu bringen, war damals wohl bekannt, doch die Verwendung als Farbstoff galt lange als ungefährlich.

1771 vom schwedischen Chemiker Carl Wilhelm Scheele beim Mischen von Kupfersulfat, Arsenik und Natriumcarbonat entdeckt, gelang es dem Schweinfurter Farbenfabrikanten Wilhelm Sattler 1814 als erstem, das bis dahin als »Scheeles Grün« bekannte Pigment industriell herzustellen, womit dann der eigentliche Aufstieg zur Modefarbe in ganz Europa eingeläutet wurde. Besonders gefragt waren dabei grüne Tapeten, die dank der damals ebenfalls brandneuen Erfindung der Endlospapierrolle günstiger als zuvor produziert werden konnten und so schnell zum Verkaufsschlager des biedermeierlichen Bürgertums gerieten, das sich besonders gern Tapete im Schweinfurter, »Pariser- oder Patentgrün«, wie der begehrte Farbton auch genannt wurde, an die Wände kleisterte. Die Begeisterung für die neue Farbe war schließlich so groß, dass findige Unternehmer auch Kleidungsstoffe, Spielzeug und sogar Süßigkeiten damit einfärbten. Dass sich Produzenten wie auch Konsumenten dabei eine tickende Zeitbombe ins Haus holten, schien anfangs niemand wirklich zu beachten, wobei die Giftigkeit von Arsen ja weithin bekannt war, weshalb zumindest Hersteller, die um den Ursprung der Farben wussten, etwas kritischer damit umgehen hätten müssen. Allerdings wurde das Arsen als Gift in der Regel oral verabreicht und Arsenikpulver in kleinen Dosen galt sogar als Stimulans, mit dem Kranke und Klepper aufgepäppelt wurden. Dass Arsen auch bei Hautkontakt und durch Einatmung schwere gesundheitliche Folgen hat, wurde erst in den 1840er Jahren langsam publik, als Ärzte wie Carl von Basedow einen Zusammenhang zwischen merkwürdigen Krankheitsfällen und den grünen Tapeten vermuteten. Basedow berichtet 1853 in der Fachzeitschrift »Deutsche Klinik« von einer Kaufmannsfamilie, deren Mitglieder nach und nach chronisch erkrankt waren: Die Ehefrau Klingbeil, die er über zwei Jahre lang »sehr oft in ihrem giftgrünen Schlafzimmer aufsuchte«, habe an einer Herzkrankheit, Asthma und Wassersucht gelitten. Nach ihrem vor drei Jahren erfolgten Tod habe dann ihr Ehemann in dem gleichen Raum geschlafen und bald eine »auffallende Gesichtsblässe« gezeigt sowie über Benommenheit und schmerzhaftem Druck über den Augen geklagt. »Vor zwei Jahren wurde nun das Schlafzimmer von Herrn Klingbeil Junior mit Frau und drei Kindern bezogen. Dieser kräftige junge Mann litt nach längerer Zeit jeden Morgen an einer wüsten Benommenheit des Kopfes, endlich an einem trockenen, sehr quälenden Husten. Bei den Kindern, von denen zwei auffallend auch die gesunde Farbe verloren hatten, hatte ich sehr oft einen trockenen, nicht katarrhalisch verlaufenden Husten, und immer wiederkehrende Augenentzündungen zu behandeln. Ebenso litt die Mutter«, schildert der Mediziner aus Dessau. Dass er zunächst keinen Zusammenhang der Beschwerden mit der grünen Wandtapete hergestellt habe, obwohl er deren Giftigkeit schon länger vermutet habe, sei am fehlenden Lauchgeruch gelegen. Der stellte sich typischerweise in Räumen ein, die arsengrün tapeziert und gleichzeitig sehr feucht waren, wodurch es zu Schimmelbefall kam, der wiederum zu einer Zersetzung und Ausdünstung der giftigen Partikel führte, die sich durch lauchähnlichen Geruch bemerkbar machte. Dass aber auch Tapeten oder Wandfarben in trockenen Zimmern das Gift freisetzten, wurde erst später erkannt, genauso wie die Gefahr, die vom unmittelbaren Hantieren mit Arsenfarben ausging.

Für Schlagzeilen sorgte dabei ein Fall aus London, der wie aus einem Horrorfilm sein könnte: Eine 19-jährige Arbeiterin namens Matilde Scheurer bemalte für eine Hutmacherin künstliche Blumen mit »Schweinfurter Grün«. Nach einiger Zeit stellte sich bei der jungen Frau heftiges Erbrechen einer grünen Flüssigkeit ein, dazu wechselte die Farbe ihrer Augäpfel von weiß nach grün und ihrem behandelnden Arzt gegenüber erklärte sie, überhaupt nur noch »grün« zu sehen. Wenig später starb das unglückselige Opfer, von Krämpfen geschüttelt unter furchtbaren Schmerzen. Untersuchungen ergaben, dass die Menge an Arsen, die auf einem einzigen der mit den grünbemalten Blumen geschmückten Hüte gefunden wurde, ausgereicht hätte, um 20 Personen zu töten. In einem weiteren Fall hatte ein Berliner Arzt, ein mit »Schweinfurter Grün« bestrichenes Ballkleid auf Arsengehalt untersucht und war auf eine Menge von 4000 Milligramm gekommen, das zehnfache einer tödlich wirkenden, oral verabreichten Dosis. Wie vielen unglückseligen Zeitgenossen die Vorliebe für das giftige Grün im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Gesundheit ruiniert hat, darüber ließe sich allenfalls spekulieren, wobei auch zwei berühmte Persönlichkeiten als mögliche Opfer gelten. In den 1970er Jahren behaupteten Wissenschaftler erstmals, dass die grüne Wandfarbe seines Schlafzimmers im Exil auf St. Helena Schuld am Tod Napoleon Bonapartes gewesen sei. Gestützt wurde diese Behauptung auf Arsenrückstände in Haarproben Napoleons. Die darin gefunden Mengen sind zwar tatsächlich überdurchschnittlich hoch, doch weitere Untersuchungen ergaben, dass die Konzentration des damals natürlich vorkommenden Arsens insgesamt höher war als heute und Napoleon nicht wegen der Wandfarbe, sondern an Magenkrebs gestorben sei. Im Fall von Friedrich Schiller soll das »Schweinfurter Grün« dagegen sehr wohl mitursächlich für dessen Tod gewesen sein. Der Dichter hatte die Monate vor seinem Tod fast ausschließlich in seinem grüntapezierten Arbeits- und Schlafzimmer verbracht, wobei der Arsengehalt der Tapeten erst vor einigen Jahren bei Renovierungsarbeiten bestätigt wurde. Damals schon seit Jahren mit einem Lungenleiden behaftet – vermutlich Tuberkulose –, dürften die giftigen Wände der Gesundheit Schillers alles andere als zuträglich gewesen sein und womöglich auch die Lungenentzündung begünstigt haben, an der der damals 45-Jährige im Mai 1805 starb. Bis zu einem Verbot des Kupferarsenits in Tapeten und Textilien sollte allerdings noch eine geraume Zeit vergehen: Erst 1879 wurde die entsprechende Verwendung im Deutschen Reich gesetzlich verboten. Die bis dahin entstandenen Gefahrenquellen waren damit aber nicht beseitigt, wie die Bewohner der unterfränkischen Gemeinde Schonungen vor einigen Jahren zu ihrem großen Schrecken feststellen mussten.

Die 1814 von Wilhelm Sattler von Schweinfurt nach Schonungen verlegte Farbenfabrik, in der teilweise bis zu 160 Arbeiter beschäftigt waren, hatte zwar 1930 die Produktion eingestellt, doch die Altlasten wurden damals nicht beseitigt. Bei Bodenuntersuchungen im Jahr 2000 wurden schließlich tonnenweise Schwermetalle gefunden, deren Bereinigung erst auf Initiative der extra dafür gegründeten »Solidargemeinschaft umweltbewusster Bürger« in die Wege geleitet wurde. Die Kosten der Entsorgung beliefen sich auf rund 45 Millionen Euro.

Arsenik ist aber längst nicht die einzige Giftquelle, denen die Menschen früherer Epochen ausgesetzt waren. Auch andere Schwermetalle waren gängige Bestandteile von Medikamenten, Kosmetika oder Haushaltswaren. Glasuren von Töpferwaren enthalten selbst heute oft noch Blei oder Cadmium, die bei Kontakt mit bestimmten Lebensmitteln wie zum Beispiel Fruchtsäften freigesetzt werden und so in den menschlichen Körper gelangen können. Hochgefährlich war es für die Damenwelt von anno dazumal, zur Erlangung der vornehmen Blässe mit Makeup im Gesicht oder auf dem Dekolleté nachzuhelfen. Das zur Herstellung der Pasten verwendete Bleiweiß ist nämlich nicht minder giftig wie Arsengrün. Auf die Haut aufgetragen, gelangten die Schadstoffe der Kosmetik in den menschlichen Kreislauf und konnten bei regelmäßiger Verwendung zu Lähmungen, Blutarmut, Haarausfall, Geschwüren bis hin zu Nierenversagen führen. Bleioxid in Essigsäure aufgelöst, diente früher als beliebtes Süßungsmittel, wobei der sogenannte Bleizucker, der in kristalliner Form erhältlich war, leicht auflösbar und darüber hinaus preislich erschwinglich war. Bis ins 19. Jahrhundert verwendeten vor allem Winzer und Wirte in ganz Europa den Bleizucker, um mehr oder minder heimlich minderwertigen Wein damit aufzupeppen. Dass der Zucker aus Schwermetall hochgefährlich ist, war spätestens um 1850 zumindest den hiesigen Behörden bekannt, wie den »Verordnungen zum bayerischen Medizinalwesen« aus der damaligen Zeit zu entnehmen ist. Unter dem Stichpunkt »Essigräucherung« wird ausdrücklich davor gewarnt, Bleizucker zu verschütten, da dieser »eine schädliche giftige Natur« habe. Um Krankenzimmer zu desinfizieren, mixte man damals Bleizucker mit Schwefelsäure und gab die Mischung in einer Schale zum Verdunsten auf den Ofen. Der dabei entstehende, beißend-scharfe Geruch sollte desinfizierend wirken, so die damalige Vorstellung. Neben Bleizucker wurde auch Bleisalz als Medizin verwendet, das womöglich beim Tod Ludwig van Beethovens etwas nachgeholfen hat. Haarproben des Komponisten weisen eine hohe Bleikonzentration auf, was Forscher zunächst auf dessen Vorliebe für süßen Wein zurückführten, der ja nicht selten mit dem oben beschriebenen Bleizucker versetzt war. Einer neueren Theorie zufolge soll Beethovens Arzt darüber hinaus zur Behandlung einer Lungenentzündung Bleisalz verabreicht und kurz darauf bei Punktionen, um Bauchwasser abzulassen, das Folge von Beethovens fortgeschrittener Leberzirrhose war, Blei als desinfizierende Paste auf die Einstichstellen gestrichen haben. Diese Bleigaben, so die Vermutung, beschleunigten den Tod des Komponisten, der im März 1827 in Wien starb. Eine weitere, bis ins 19. Jahrhundert eingesetzte, chemische Keule, die besonders bei Syphilis zum Einsatz kam, war Quecksilbersalbe, die zwar Symptome lindern, aber nicht heilen konnte und dabei nach und nach ganze Heerscharen von Erkrankten vergiftete. Erst mit der Entwicklung von Penicillin in den 1940er Jahren hatten die tückischen Pasten und Pillen aus Quecksilber und Blei dann endgültig ausgedient. Doch der übermäßige Einsatz von Antibiotika hat sich inzwischen ja auch schon wieder als alles andere als ungefährlich entpuppt.

 

Susanne Mittermaier

 

11/2018