Jahrgang 2018 Nummer 41

»Laß lauter Erbsbrü in einen Degel sieden, leg Petersielle dazu«

Ein historisches Kochbuch aus Grassau

Kochen mit Holz: Beispiel einer alten Kochstelle (Mojer Alm, Rottau). (Foto: Bildersammlung Gruß/Rossner)
Grassau 1878: Kirche und (rechts) der alte Pfarrhof, geschmückt zum goldenen Priesterjubiläum des damaligen Pfarrers. Heute sind in dem Gebäude unter anderem die Tourist-Info und das Gemeindearchiv untergebracht. (Repro: Erich Kamm)
Das Grassauer Kochbuch. (Foto: Uta Grabmüller)
Der Fundort des historischen Kochbuchs im Grassauer Gemeindearchiv. (Foto: Uta Grabmüller)
Unser Rezeptbeispiel im handgeschriebenen Original (S. 61). (Scan: Stefan Kattari)

Was darf’s denn sein: »Regenwürmer«?, »Ein gefüllter Scheiterhaufen«?, »Ein Bettelmann«?, oder ein »Schneeberg«?

Solche Schmankerl stecken in einem handgeschriebenen Kochbuch aus dem 19. Jahrhundert, das beim Neuordnen des Grassauer Gemeindearchivs gefunden wurde. Es macht neugierig. Bevor wir aber den Tisch decken und historische Gerichte aus diesem Kochbuch auftragen, schauen wir uns den Fund doch erst einmal genauer an.

Gefunden wurde das alte Kochbuch vom Grassauer Archivpfleger Stefan Kattari sen., der in den letzten Jahren das Gemeindearchiv ehrenamtlich und mit großem Sachverstand aufgeräumt hat. Nun ist das kommunale Archiv übersichtlich geordnet; das Gesuchte kann in einem digitalen Findbuch rasch entdeckt werden.

Kattari fand im Nachlass des früheren Grassauer Pfarrers Johannes Hausladen ein altes Buch, das ihn staunen ließ: Es enthielt mehrere hundert handgeschriebene Kochrezepte. Das erste Blatt kündigt an: »Von Allerley guten Suppen und gefüllte Semmeln, dann Allerhand guten Zuspeißen, sowohl an Fleischals Fasttägen zu kochen.« Wer mag die Rezepte aufgeschrieben haben? Vermutlich haben mehrere Pfarrhaushälterinnen hier ihr Wissen festgehalten: Drei Handschriften lassen sich unterscheiden. Die Entstehungszeit der Rezeptesammlung liegt im 19. Jahrhundert, wie an der Schriftform abzulesen ist. Die Eintragungen sind alle in der damals (nur) in Deutschland üblichen Kurrentschrift (»Spitzschrift«) verfasst. Auf knapp 280 Seiten stehen fast 400 Rezepte. Sie umfassen alles, was seinerzeit in einem gutbürgerlichen Haushalt auf den Tisch gekommen sein mag. Stefan Kattari gebührt großer Dank, dass er durch seine Übertragung des handschriftlichen Textes in lesbare Form alle Rezepte zugänglich gemacht hat.

Es spricht viel dafür, dass die Schreiberinnen des Grassauer Kochbuchs nicht einfach gedruckte Küchenerfahrungen abgeschrieben, sondern selbst mühselig eigene Kochkenntnisse notiert haben. Die meisten Angaben sind in zum Teil unbeholfenem Satzbau formuliert, der nicht so klingt, als würde eine Vorlage übernommen, sondern so, als seien praktische Erfahrungen in eigenen Worten ausgedrückt worden.

Hier ein paar Beispiele für die These, dass die Schreiberinnen aus dem Gedächtnis oder nach mündlicher Ansage ihre Rezepte notierten und dabei möglichst »hochdeutsch« klingen wollten:

»Laß lauter Erbsbrü in einen Degel sieden, leg Petersielle dazu« (S. 14);

»… setz es auf die Glut … leg ein Raif auf die Schüßl um und oben Glut« (S. 42);

»Bind den Taig in ein sauberes Tüchel und heng ihm in ein Hafen siedendes Waßer und wann er wohl ausgesoden, so löse das Teigel auf schneide Strizl herab …« (S. 24);

»geglaubter Reiß« (S. 128);

»scharschirte Karmanadl« (S. 246);

»… mit weisen Brod daig, … Schünken, … dünne Schnützen« (S. 242).

Was lässt sich aus den Rezepten ableiten – für wen wurde gekocht? Es liegt nahe, dass das Grassauer Kochbuch aus dem im 19. Jahrhundert großen Pfarrerhaushalt mit angeschlossener Ökonomie stammt, der mit Küchengeräten und Lebensmittelvorräten gut ausgestattet war. Insofern kann man annehmen, dass die Rezepte ähnlich denen waren, die in einem gehobenen bürgerlichen Haushalt der damaligen Zeit verwendet wurden.

Sieht man die eher ungeordnete Aneinanderreihung der vielen handgeschriebenen Rezepte durch, so zeigt sich folgendes:

Es gibt:

50 Suppenrezepte (S. 2-319),

41 »Voreßen« (S. 32-69),

65 Rezepte »Allerley schönes und … gute Gebachenes (S. 70-106),

51 Torten (S. 107-146),

75 Aufläufe etc.: »Allerley schöne … Koch zu machen« (S. 146-192),

9 Rezepte für »Blauen Veigl Eßig«

u. a. (S. 193-197),

33 Rezepte für Konfekt etc. (S. 197-226),

11 Obst-Rezepte (S. 227-237),

6 Fischrezepte (S. 238-241),

50 verschiedene Rezepte, süß und herzhaft (S. 242-277).

Und welche Zutaten kamen zum Einsatz? An erster Stelle Eier, Milch, Butter, Schmalz, Mehl … Erstaunlich üppig wirken die Speisen dann durch die vorgeschlagenen Beilagen: Huhn, Schnecken, Krebse, anderes Geflügel und Knödel aller Art. An Fleisch verwendete man – auch wenn es sicherlich nicht oft in der Woche vorkam – vor allem Rind und Geflügel. Manche Zutaten scheint es früher reichlicher vor Ort gegeben zu haben als heute, zum Beispiel Krebse und einige Fischarten. In der Mehrzahl verzeichnet das Grassauer Kochbuch süße und herzhafte Mehlspeisen. Mehl, Eier, Semmelschnitten oder Semmelbrösel fehlen in kaum einem Rezept; häufig wird Fleischoder Gemüsebrühe verwendet, immer wieder auch Zucker beigefügt. Es gibt viele Topfen-Rezepte, bei Backwerk kommt Hefe (Höpfen, Germ) zum Einsatz.

Gemüserezepte sind kaum vorhanden. War es selbstverständlich, dass man von den Erträgen aus dem Garten oder vom Feld lebte und diese wie selbstverständlich zubereitete?

An vielen Rezepten lässt sich ablesen, dass es Vorschläge für Resteverwertung waren. Das war wichtig, um sparsam zu kochen und alle Lebensmittel klug aufzubrauchen, gab es doch weniger Frischhaltemöglichkeiten als heute. An Konservierungsmethoden standen vor allem Pökeln, Trocknen bzw. Dörren oder Einmachen/Einlegen zur Verfügung. Und noch etwas betonen die Kochgeschichts-Kenner: Die Speisen mussten leicht zu kauen sein, denn der Gebisszustand der meisten Esser war sicherlich nicht gut. Deshalb gibt es viele Rezepte für Breie oder Aufläufe.

Was fällt noch auf bei den Rezepten: die lange Zubereitungszeit, die früher nötig war. Zur Verfügung stand ja nur ein Ofen, der mit Holz befeuert wurde. Zur Küchenarbeit gehörten also auch das Holzmachen, das Nachlegen, die Glutüberwachung. Dazu die langen Garzeiten und beim Backen zum Beispiel das lange, geduldige Rühren des Teiges: Oft wird eine Stunde vorgeschrieben ... Nur bedingt eignen sich also die Vorschläge des alten Grassauer Kochbuchs auch für die moderne Küche. Aber was man aus den handschriftlichen Aufzeichnungen lernen kann, sind die grundlegenden Fertigkeiten, mit Zutaten umsichtig umzugehen.

Und wer will einmal ein historisches Rezept ausprobieren? Vorschläge wurden schon genannt: »Regenwürmer«, »Ein gefüllter Scheiterhaufen«, »Ein Bettelmann«, »Ein Schneeberg«.

Bleiben wir bei weniger abenteuerlichen Speisen! Probieren wir etwas anderes aus dem Grassauer Kochbuch (Seite 61/62): Fische, gefüllt mit Mandeln und Nüssen. Guten Appetit!

 

Gefüllte Fische mit Mandel und Nuß

Nim einen Fiesch, schippe, und schneide ihm auf am Rücken, nimm das Ingewaid heraus wasch ihm sauber aus, salz und Pfefer ihm ein nimm alsdan die abgezogne Mandel oder Nußn stoß es klein, auch in Milch geweickt wieder ausgedruckte Semelschmolen darunter, überbrühte Weinbirl dazu Gewürz es Zuckers und rühre mit 2 oder 3 Eyern ein wenig Milchram ganz rogl löße auch Fieschbradl von graden hacke es darunter und fülle den Fiesch nicht zu voll, nähe ihm zu, leg ihm in Bradrein, begieß ihm mit Schmalz und brat ihm ganz kiel ziehe ihm dem Faden auf der Schüßl davon, und schneide ihm nach der lange voneinander. Guten Appetit!

 

Uta Grabmüller

 

 

41/2018