Die Schneidfeder in früherer Zeit im Alpenraum
Sie galt unter den Burschen als das Symbol für Keckheit und Stärke




Die Schneidfeder und ihre Bedeutung in früherer Zeit im Alpenraum wird auch im Volkslied besungen: Mei Bua is a Ranggla, da Hagmoar im Gäu / Und i bin sei Dirndl, ho gnua auszstöh dabei. / Und decht hon i’ n gern, den raffaten Buam – / A Bussl vo eahm, treibt ma’s Bluat umandum. / Da hon i sein Huat mit da Hohnfeda drauf, / und hiaz stöck i eahm gach no mei Herzsträußal drauf.
Dieser Auszug aus dem Gedicht »Rangglerbraut’«, entnommen aus dem Buch »Der Hagmoar vom Hundstoa« des Heimatdichters Konrad Nusko zeigt in eindrucksvoller Weise auf, welch tief verwurzelte Bedeutung der Schneidfeder in der Geschichte unserer Vorfahren zukam. Und das nicht nur zwischen beiden Geschlechtern, wie es hier in den herzerwärmenden Zeilen zum Ausdruck kommt.
Vielmehr galt der besagte Hutschmuck unter den Burschen im Landvolk seit jeher als untrügliches Zeichen für Schneid, Mut, Stärke und Draufgängertum – Attribute, mit denen man nicht nur die holde Weiblichkeit beeindrucken wollte.
Was kost’ d’Schneid?
Die Antwort auf die offen zur Schau gestellte Provokation ließ zur selbigen Zeit dann erfahrungsgemäß nicht lange auf sich warten. Ging nämlich ein couragierter Bursch auf die Herausforderung ein, entwickelte sich meistens ein kurzes Wortgeplänkel. »Muaß i dir’s obatoa, dei Feda?« »Na probiers hoid!« »Was kost’ d’Schneid?« »S’obatoa!« Und schon war eine handfeste Ranggelei im Gang, die im schlimmsten Fall in eine regelrechte Rauferei ausartete, wie aus alten Strafverfügungen und Gerichtsakten hervorgeht. Dass dabei im Ernstfall nicht mit Wattebällchen geworfen wurde, kann man sich nur allzu gut vorstellen. Einen kurzen Einblick in das damalige Treiben gewähren die Pinzgauer Hagmoargstanzln, wo es in einer der markigen Strophen heißt: »A Dirndl zum Tanzn, a Glasl voi Wein, a Schlagring zum Raffa, muaß a dabei sein.« Und, um der eigenen Unbezwingbarkeit Nachdruck zu verleihen: »Is koana im Land, der mi nimmt bei da Hand, der mi schmeißt, der mi schwingt, der ma s’Federl o’nimmt.« Immer wieder taucht die Schneidfeder in den alten Volksliedtexten auf, auf die wir heute dank der Sammelleidenschaft von Männern wie Josef Pommer, Konrad Mautner, dem Kiem Paul, Wastl Fanderl und einigen anderen zurückgreifen können.
Gasslgehn (Fensterln) und wildes Raufen
Wie aber sah so eine typische Schneidfeder aus? Bevorzugt waren zweifelsohne die begehrten, tiefschwarzen Scheren des Birkhahns, dem kleineren Bruder des Auerhahns, dem wohl seine temperamentvolle Brautwerbung auch die Namen Spiel-, Schild- oder Schneidhahn eingebracht hat. Eine Textpassage im Frühlingslied »Und im Langst da hob i hoid im Doi koa Ruah« beschreibt sein leichtfüßiges Unterfangen ganz treffend: »Da Schildhoh führt a Lebn, so wia’s koa anders geit, der gar so schneidig rafft er boidn s’Eifern reit’, und im Balzn is er üban Auerhahn, er fangt sei Gsangl ned so dastig o.« Kein Wunder, wenn dieses Gebaren als Vorbild für die eigene Liebesbezeugung diente.
Allerdings braucht es schon einiges jagerisches Geschick, den scheuen Hühnervogel vor die Flinte zu bekommen, und so sparten sich die Burschen die rare Trophäe für den sonntäglichen Hutschmuck auf. Im Pinzgau trug man früher im Sommer werktags fast ausschließlich leichte Strohhüte, »Geinzln« genannt, die mit einfachen Schwanzfedern des Hausgockels geschmückt wurden; nur vereinzelt prangte auch mal eine Fasanenoder Kranichfeder von der Krempe herunter. Doch die Symbolik als Schneid- oder Trutzfeder blieb dieselbe. Unterschiede gab es jedoch in der Frage der jeweiligen Platzierung, deren Sprache jeder Bursch auch ohne große Erklärung auf Anhieb verstand. Wehte die Feder nämlich nicht wie gewöhnlich hinten in der Mitte, sondern keck auf der Seite oder gleich gar vorne, wusste Jeder, was es geschlagen hatte. Derjenige nahm es sogar mit mehreren Widersachern auf; vornehmlich mit nächtlichen Nebenbuhlern etwa, die im Schutz der Dunkelheit auf’s »Gassl«, also zum Fensterln gingen. Mit schwerwiegenden Folgen, selbst an den kirchlichen Hochfesten, wie der Jurist und Volkskundler Joseph Hazzi 1801 schildert: »Ihre Lieblingssache ist das Raufen; beinahe alle Feyertage wird nach der Messe auf der Kaiserklause zwischen den Zeller, Tyroler und Schlierseer Buben gerauft, und zu diesen Zusammenkünften wird schon mehrere Tage zuvor mittels der Almfeuer zu Nacht sich das Zeichen oder Einverständnis gegeben. Alle tragen daher auch Schlagringe, und es ist nicht selten, Leute mit abgebissenen Ohren, Nasen etc. zu sehen.« Den jungen Miaschbäckern (= Miesbachern, nicht zu verwechseln mit den Miesenbachern) wurde sogar ob ihrer übertriebenen Rauflust verboten, die Spielhahnfeder aufzustecken. Als weiteren beliebten Treffpunkt nennt Karl Stieler 1873 den Platz neben dem Kirchlein von Birkenstein bei Kreuth, »…wo am Holzhacker-Jahrtag die männliche Jugend von Fischbachau und Bayrischzell zum Raufen zusammenzukommen pflegt.« Eifersucht und Eitelkeit führt Ignaz Gustav Kohl 1842 in einer Beschreibung als Wurzeln des »so vielfachen menschlichen Haders« an. Auf die Frage, warum sie denn so fürchterlich rauften, gab ihm der baumstarke Bursch zur Antwort: »Wegen der Madeln und der Federn.« Eine andere Interpretation verfolgt Erwin Mehl in seiner 1951 erschienenen Betrachtung »Woher kommt das Abnehmen der Schneidfeder«. Demnach geht dieser Eifer bis in die Zeit mittelalterlicher Turniere zurück, bei denen auch Schwertkämpfe zu Fuß üblich waren. Dabei trachtete man, den Helmbusch des Gegners herunterzuschlagen, »ein sportlich gemilderter Ersatz für das Herabschlagen des Helmes – und damit des Kopfes im Ernstfall.«
Aber auch ohne Schwert ging es im Laufe der Jahrhunderte grob zu, wie aus alten Gerichtsakten zu vernehmen ist. So hat 1528 ein »…Hanns Kirchmair dem Michl pfarrers knecht einen arm ausgeriben«, 1547 wurde einem Gegner »die agssl ausgeworffen« und 1558 kamen in Reichenhall »der pfannhausmann Hanns Stainer und des castners mulfuerer bei dem prew hinder der kirchen« wegen des »rankhen« vor Gericht, und so mancher Kontrahent konnte es nicht verhindern, »am gerechten pain schadthafft worden« zu sein. Die Strafen mussten meist in Florin (Gulden), Heller und Kreuzer beglichen werden.
Schneidfeder gebührt dem Hagmoar
In Ruhpolding stand das »Rankln« lange Zeit im Zusammenhang mit den Rekrutenbräuchen. Ein Kraftspruch unterstreicht die Herzenslust, mit der sich die künftigen Vaterlandsverteidiger austobten. »Mia hama oba vo da Dorauerschneid, jetzt gehma nach Traunstoa, obs nix z’rankln geit.« Die Rekruten trugen der Beschreibung nach wohlweislich keine Weste, dafür aber eine rupfene Pfoad, damit’s beim Ranggeln aushält. Nach der Musterung lag allen daran – sofern die Polizei nicht dazwischen schritt – die eigene Ehre gegenüber den Boarlandlern, den »Austrigen«, durch eine tüchtige Rangglerei zu retten und zu vermehren. Es brannte in allen Gliedern, die Boarlandler, die meistens Pfau- oder Fasanenfedern auf dem Hut trugen, zu »rupfen« und diese Hut-Zier als Siegestrophäe zu den Gockelfedern aufs eigene »Hüatei« zu stecken. Der Stärkste unter ihnen wurde zugleich ihr Anführer und erhielt, sozusagen als »Amtsinsignie« den Titel des »Hagmoars« zugesprochen. Nebenbei ist auch die Rede vom »Hogmoarglöckei«, das sich der Betroffene ebenfalls, wohl als akustisches Zeichen, für die Zeit seiner Regentschaft anheften durfte. Franziska Hager weist im Buch »Das alte Dorf« (Hager/Heyn, Rosenheim 1977) noch auf eine ganz andere Gepflogenheit hin. Demnach schmückten sich um 1900 die ledigen Burschen statt der Federn mit einem buschigen Eichkatzlschwanz, weil sich das Oachkatzl mit Vorliebe in Eichen aufhalte, dem Baum, der als Sinnbild für Kraft und Unbeugsamkeit gelte.
Bei unseren Nachbarn, im Salzburgischen, in Tirol und Südtirol genießt der Hagmoar nach wie vor eine hohe Wertschätzung. Dort, wo der alpenländische Ringkampf noch wettbewerbsmäßig und sportlichfair betrieben wird, vergeht fast kein Ranggeln, bei dem nicht um die Ehre dieses begehrten Titels gekämpft wird. Der Name »Hagmoar«, bayerisch auch »Hogmoar« , im Zillertal auch »Hagelmoari« ausgesprochen, setzt sich zusammen aus dem germanischen »Hag« für Zaun, Sippe, umfriedeter Bezirk und dem lateinischen »major terminus« (der Höhere, Stärkere, Bestimmende, bayerisch »moar«), also der Unbezwingbare einer bestimmten Gegend.
In letzter Zeit besinnen sich, wie droben am Hohen Hundstein, wieder manche Veranstalter an die alte Tradition, dem frischgebackenen Titelträger die Schneidfeder aufzustecken.
Auch heute noch ranken sich viele Geschichten um den »Hagmoar«, der nachweislich vor unserer Zeit die Rolle eines »Volkshelden« einnahm. Es waren siegreiche Bauernburschen, die sich ein ganzes Jahr lang im Glanz ihres Erfolges sonnen konnten und denen plötzlich alle gesellschaftlichen Türen offen standen. Wie im Falle des Großbrucker- Knechts Kaspar, der trotz körperlicher Unterlegenheit und zu aller Überraschung seinen übermächtigen Gegner »pinzgerte« (d. h. auf die Schultern zwang). Nicht nur die wohlhabendsten Bauern im ganzen Umkreis umwarben ihn von da an; geldig Einheiraten und Großknecht hätt' er werden können. Doch der bescheidene Kaspar schlug alle Offerten aus. Er blieb seinem Herrn treu – mit einer Bedingung: dass ihm dieser die ausschweifende Siegesfeier bezahle. Großknecht wurde er außerdem.
Verfügte ein Hagmoar allerdings nicht über die Achtung, die ihm standesgemäß anhaften hätte sollen, witzelte man eher despektierlich über seine Vorzüge. Ein Beispiel dafür gibt das folgende Gstanzl, das der Traunsteiner Dreigesang mit dem Witter-Bertl gern anstimmte: »In da Deantn entn (Deantn = Dienten am Hochkönig) hams an Hagmoar an noin, wenn’s drei Dog schö Wedda is, na fressn’tn d’Floign.«
Mehr Standhaftigkeit schreibt Franz von Kobell in seiner berühmten »Gschicht vom Brandner-Kasper« seiner Hauptfigur zu. Dort heißt es einleitend, dass der Kasper »…a fleißiga Mo gwest is und lusti und schneidi. Gforchtn hat es ihm vor gar nix …und n’Hagmoar vo Scharling hat er sei Raffa und Spektakelmacha bei der Mess auf der Kaiserklausn aa vertriebn.«
Mit dem Wegfall des flächendeckenden Brauchs des heimlichen »Fensterlns« oder »Gasslgehns« (heute finden die Burschen ganz normal über die Haustüre zur Angebeteten) hat sich auch die Bedeutung der Schneidfeder und des Hagmoars grundlegend gewandelt. Wohl kaum ein junger Hutträger wird beim Kauf eines passenden Federschmucks je erahnen können, mit welch übersteigerter Testosteron- Ausschüttung die unruhigen Nächte von damals durchzogen waren. Heute legt man hingegen mehr Wert auf eine schneidige, in ihrer Art unterschiedlichste Formgebung der Kopfbedeckung, die das individuelle Erscheinungsbild abrundet. Frei aller Vereinszwänge, wie auf alten Ansichten abgelichtet und wie es die jungen Trachtler und Musikanten seit geraumer Zeit in »friedlicher« Absicht vormachen und damit dem bodenständigen Gwand eine gewisse jugendliche Nonchalance verleihen. Dazu braucht es keine teure Schneidfeder, noch einen protzigen Gamsbart. Die Schneid tragen die Burschen offensichtlich im Herzen. Und das ist auch gut so.
Ludwig Schick
Quellennachweis: Ilka Peter »Das Ranggeln im Pinzgau«, Konrad Nusko »Hagmoar vom Hundstoa«, Volksliedersammlung Otto Dengg, Ruhpoldinger Heimatbuch.
24/2018