Jahrgang 2018 Nummer 39

Die Historische Tracht im Miesenbacher Tal

Zeitfenster in die textile Vergangenheit – Jubiläum beim Almkirta

Historische Gruppe vor dem Weinseis-Anweisen in Zell Anfang der 1930er Jahre mit ihrem Begründer Bartholomäus Schmucker (4. von links) sowie Georg Eisenberger, Hutzenauer und Reichstagsabgeordneter (4. von rechts).
Mit alter Fahne am Ruhpoldinger Bahnhof 1925.
Immer ein Blickfang – der »Broi« Rupert Reischl mit einem Mantel nach französischem Armee-Vorbild, 1978.
Bürgermeister Claus Pichler vor dem Rathaus.

Der GTEV D’Rauschberger-Zell zählt zu den wenigen Vereinen im großen Gauverband I, die mit einer aktiven »Historischen Gruppe« aufwarten können. Sie verdankt ihr Entstehen dem späteren Bürgermeister und Ehrenbürger Bartholomäus Schmucker, der 1908 auch den Historischen Verein Ruhpolding ins Leben gerufen hat. Dem »Weinseis« ging es dabei vor allem um den Erhalt der angestammten Festtagskleidung, wie sie im 19. Jahrhundert von den Einwohnern getragen wurde. Mit ihren vielfältigen Formen und Farben bestimmte sie vor Einführung der jetzigen, sogenannten »Grünen Tracht« das ländliche Erscheinungsbild im Miesenbacher Tal. Dem Weitblick Schmuckers ist es zu verdanken, dass das Bewusstsein an das textile Erbe bis heute erhalten geblieben ist und mit Freude und Überzeugung weitergetragen wird.

Die Historischen beteiligen sich nicht nur an kirchlichen und weltlichen Festen im Ort, sondern treten auch bei Gaufesten, Historischen Treffen, Gründungsjubiläen befreundeter Vereine und anderen Anlässen in Erscheinung. Außerdem war der Verein 1984 Ausrichter des »Treffens historischer Trachten in Altbayern«. 2008 feierte man das »Hundertjährige« der Historischen Gruppe.

Leider sind in den Wirren beider Weltkriege viele Zeugnisse und Unterlagen verloren gegangen, sodass man auf mündliche Berichte, soweit noch möglich, zurückgreifen muss.

Nach dem Krieg gab es unter Balthasar Hinterreiter (vulgo Wanger-Hausl, Fuchsau) einen Neuanfang. Ihm folgte mit Helmut Kaidisch bald 30 Jahre lang ein unermüdlicher Gewährsmann, dem Erna Streibl zur Seite stand. In dieser Zeit entwickelte sich die Patenschaft zu den Bergener Historischen und es wurden jährliche Ausflüge unternommen. Damals verfolgte man mit Männer-Jacken aus bräunlichem Wollstoff, länglichem Revers und auffälligen Knopfreihen für ein möglichst einheitliches Erscheinungsbild. Als Vorbild diente das originale Schnittmuster, wie es der Broi-Bauer Rupert Reischl von Mitterwegen getragen hat. Mittlerweile versucht man unter Anleitung von Trachtenschneiderin Evi Schweiger und mithilfe alter Bilder und Vorlagen, zu den authentischen Wurzeln der Anfangszeit zurückzukehren. Dazu gehören auch wieder die langen Gehröcke (im Volksmund als »Gästhintre« bekannt) sowie unterschiedlich gestaltete Hutformen. Denn schon Gründervater Schmucker war strikt gegen eine Uniformierung. Vielmehr sollte der persönliche Geschmack beim Tragen der Tracht nicht zu kurz kommen, so sein Credo.

Besonderes Augenmerk legte er auf den vielfältigen Kopfschmuck der Frauen, von der Perlenkrone, der Riegelhaube (im Ruhpoldinger Volksmund »Goaßeiterl« oder »Kuahoater« genannt) bis zu einer Reihe verschiedener Varianten. Augenfälliges Merkmal aber bleibt der charakteristische Frauenschal aus Kaschmir-Wolle. Monsignore Roman Friesinger war von diesem Stoffmuster so begeistert, dass er sich daraus ein Messgewand schneidern ließ, das heute noch zu Festgottesdiensten im Vereinsleben getragen wird.

Seit 1998 ist Ehrenvorstand Sepp Lanzinger Ansprechpartner für die etwa 40-köpfige Gruppe, wobei er von einem engagierten Helferkreis unterstützt wird.

Eine Besonderheit stellt der von Lanzinger kreierte »Tanz der Historischen« dar, eine gefällige Kombination aus Sterntanz und Mühlradl, die bei Heimatabenden, Almtänzen und anderen Gelegenheiten zur Aufführung kommt und sogar schon auf der »Oidn Wiesn« in München die Besucher begeisterte.

Im Rahmen des bevorstehenden Almkirta am 7. Oktober im Holzknechtmuseum feiern die Historischen ihr 110-jähriges Bestehen. Eine gute Gelegenheit, sich Schwung zu holen für das nächste Jahrhundert. Ganz im Sinne des trachtlerischen Wahlspruchs: »Treu dem guten alten Brauch«.

 

Ludwig Schick

 

39/2018