Jahrgang 2018 Nummer 5

Der Rauschberglauf war für uns Buben das Höchste

Tante Paula erlaubte sich dabei einen Italienischen Scherz

Start unserer Helden: vorne Theo Merkel, Anton Plenk, Eberhard Plenk
In schwindelerregende Höhen ging es beim echten Rauschberglauf

Meistens zur Winterzeit, wenn sich wie vor kurzem in der Biathlon-Arena am Zirmberg die Weltelite trifft und zigtausend Zuschauer und Gäste den Ort bevölkern, schweifen meine Erinnerungen gern mal in die sonst so beschaulichen Fünfziger des letzten Jahrhunderts zurück. Doch schon damals gab es mit dem legendären »Internationalen DSVRauschberglauf« eine hochkarätige Wintersportveranstaltung, die weit über Ruhpoldings Grenzen hinaus bekannt war und die auf uns »Grashof- Buam« mächtig Eindruck machte. Einige Nationen wie Österreich und Italien schickten dazu ihre Langlaufgrößen und auch die Spitzensportler aus der Region bis hinüber ins Allgäu ließen sich diese kräftezehrende Prüfung aus Langlaufen, Bergsteigen und Abfahrt nicht entgehen. Schließlich galt der winterliche Triathlon mit seinen 1000 Höhenmetern allein im Anstieg und auf schmalen Holzlatten im Vergleich zu heute in Sachen Material und Kondition gleichermaßen als extremste Herausforderung. Spitzelsalat war an der Tagesordnung. Rückblickend kann man sagen, es war eine Art Vorläufer des modernen Wettkampf-Skibergsteigens, so wie es beispielsweise der Berchtesgadener Anton Palzer (Vize-WM) sehr erfolgreich betreibt.

Da der Start direkt vor dem ehemaligen Gasthof »Grashof« erfolgte, waren wir Buam aus dem gleichnamigen Ortsteil schon zeitig in der Früh auf den Beinen, um ja nichts von den Vorbereitungen der Läufer zu übersehen. Außerdem gab es wärmende Wela-Suppen und hie und da eine kleine Kostprobe des begehrten Traubenzuckers. Dafür feuerten wir die Athleten, die immer in Dreier-Teams auf die Strecke gingen, kräftig an, indem wir die ersten Meter nebenher liefen. Einmal konnten wir das auf grüner Wiese tun, weil nur noch ein schmales weißes Band Richtung Rauschberg führte (siehe youtube.de/Rauschberglauf 1957).

Der fehlende Schnee musste extra vom Lödenseegebiet per Lkw herangekarrt werden. Schon damals machten schneearme Winter den Organisatoren ziemlich zu schaffen. Schneemangel – nicht unbedingt ein Phänomen der Neuzeit.

Unsere Idole waren natürlich die heimischen Langläufer, angeführt von der Sportler-Dynastie der Zimmermoasta-Brüder Anton, Eberhard, Jochen und Horst, nicht zu vergessen der Steinbeißer-Herbert, der Merkel-Theo und noch einige andere. Wenn die dann noch dazu auf dem Siegerpodest standen, waren wir ganz aus dem Häuschen. Kein Wunder, wenn wir den Heroen dieser Zeit nacheiferten.

Väter halfen bei den Vorbereitungen mit

Der kindliche Nachahmungstrieb ließ uns schließlich keine Ruhe und alsbald reifte in uns der brennende Wunsch, einen eigenen Rauschberglauf nur für uns zu veranstalten. Denn wer wäre prädestinierter gewesen als wir Grashof-Buam, wo wir doch direkt am Fuß des Ruhpoldinger Hausbergs aufwuchsen. Und überhaupt wollten wir doch auch mal so im Rampenlicht stehen und bejubelt werden wie unsere Vorbilder. In Gedanken malten wir uns schon genau aus, wo der Start stattfinden und die Streckenführung verlaufen sollte. Schließlich sollte auch genügend Platz sein für die Zuschauer, damit sie uns lautstark anfeuern könnten. Und natürlich eine Zeitnahme, um die Sieger zu ermitteln, vielleicht sogar einen Reporter...! Und Fahnen, ja Fahnen für ein buntes Bild. Ein Bild müsste das geben…

Doch je mehr wir unsere Pläne schmiedeten, nagten die Zweifel in uns wie an den nicht gerade sauberen Fingernägeln. Wie sollten wir Dreikäsehochs das alles bewerkstelligen, kaum des Lesens und Schreibens mächtig? Es half alles nichts. Wir mussten unsere Eltern in unser Vorhaben einweihen. Gesagt, getan.

Zu unserem Erstaunen waren die Väter schneller überzeugt, als wir dachten und schon hatten wir Verbündete und Helfer zugleich auf unserer Seite. Der Huaba-Dani, Vater vom zwei Jahre älteren Spezl Toni, mein Papa und der Pumpenhaus-Bepp (Vater vom stellvertretenden Landrat Sepp Konhäuser) arbeiteten beim gemeindlichen Bauhof; ideale Voraussetzung also, um die Gesamtorganisation für ihre Sprösslinge zu übernehmen. Fast schien es so, als wäre die Aktion eine willkommene Abwechslung für sie gewesen. Bald waren Fahnenstangen in den Boden gerammt, hoch oben flatterte neben der Weißblauen sogar die offizielle Gemeindefahne.

Meine Mutter hatte dazu ein schneeweißes Betttuch für das Start- und Zielbanner geopfert, das oben zwischen den Pfosten gespannt war. Doch welch ein Rechtschreib-Fauxpas: Erst kurz vor Beginn fiel auf, dass man »Start« zum Schluss nicht mit »d« schreibt. Wie peinlich! Aber wir wussten uns zu helfen. Mit einem Stofffetzen und schwarzer Farbe war der Fehler bald bereinigt und alles hatte seine Ordnung.

Die Tage vor dem großen Wettkampf waren sowieso ausgefüllt mit allen möglichen Vorbereitungen. Die leeren Senf- und Trinkgläser, die wir gesammelt hatten, mussten innen mit der damals üblichen Ofenröhrlfarbe (Silberbronze) ausgemalt und die jeweilige Platzierung eingeritzt werden. Der alte Maler Dorn, der beim Huaba in einem Stübchen einquartiert war, übernahm die Aufgabe und zauberte daraus die begehrten Pokale.

Schwartling präparieren auf besondere Art

Schnell noch wurden über Nacht die hölzernen Schwartlinge (das war damals die übliche Bezeichnung für die Ski) kopfüber ins Wasser gestellt, um die Spitzln etwas aufzubiegen, und alle Lederriemen sowie die Kandahar-Bindung auf ihre Tauglichkeit kontrolliert.

Das Wichtigste für uns aber war das Präparieren unserer Ski, denn die sollten ja laufen wie der Teufel… Da ließ sich keiner dreinschauen, jeder hatte seine eigene Methode. Sein ureigenstes Geheimnis sozusagen. Der Diechtler Christian, der es später als Kombinierer sogar in die DSV-Junioren-Auswahl schaffte, bevor ein Kreuzbandriss weitere Ambitionen zunichtemachte, überraschte uns alle mit einem raffiniert aufgepinselten Schuppenbelag aus Kerzenwachs.

Die Idee hätte er sich patentieren lassen sollen. Aber auch ohne diese Geheimwaffe hätten wir keine Chance gegen seinen Teamkollegen Toni und ihn gehabt. Sie waren einfach zäher in der Loipe.

Auf Tante Paula's Scherz fielen wir herein

Einmal, und das werde ich nie vergessen, herrschte schon im Vorfeld große Aufregung. Hatte sich doch eine italienische Damenmannschaft angesagt, die unbedingt bei unserem Rauschberglauf mitmachen wollte. Und tatsächlich: kurz vor dem Start trafen zwei extravagant gekleidete Sportlerinnen ein, mit großflächigen Sonnenbrillen auf der Nase und laut palavernd in einer für uns unverständlichen Sprache. Gegen das ausländische Duo mit ihrer modernen Ausrüstung würden wir sowieso nichts zerreißen, so unsere Befürchtung.

Nachdem uns die »eingeweihten« Erwachsenen einige Zeit »boazen« haben lassen und wir selbst schön langsam den Braten rochen, gaben sich die beiden Damen zu erkennen: es war die immer zu Späßen aufgelegte Tante Paula mit ihrer Freundin Anni, die uns nach allen Regeln der Kunst hereingelegt hatte. Weil sie in der Gästeklasse starteten, waren sie letztlich auch keine ernst zu nehmende Konkurrenz. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wussten wir »Grashof-Buben« wenigstens, was »Buon giorno« auf Deutsch heißt und dass es außer »Preißisch« auch noch andere Fremdsprachen gibt.

Ludwig Schick

 

5/2018