Der letzte Sieg der Königlich Bayerischen Armee
Bayern verzichtete erst 1919 auf seine Wehrhoheit



Eine heute durchaus berechtigte Frage: Gab es denn 1918, im Ersten Weltkrieg, wirklich noch eine »Königlich Bayerische Armee«? Überraschende Antwort: Ja.
Bayern konnte sich in der Reichsverfassung von 1871 weitestgehende Reservatrechte insbesondere hinsichtlich der Wehrhoheit sichern. Die Armee hatte eigenständige Truppen, ein eigenes Kriegsministerium und eine eigene Militärjustiz, war auch von der durchlaufenden Nummerierung des Reichsheeres ausgenommen und wurde erst im Kriegsfall auf den Kaiser vereidigt. Bayern behielt auch die hellblaue Farbe für die Infanterieuniformen, spezielle Truppengattungen wie z. B. die Chevaulegers (Leichte Reiter) – die bewunderten »Schwoli« – und einige andere Eigentümlichkeiten. Lediglich Ausrüstung und Ausbildung wurden aus Vernunftgründen dem preußischen Vorbild angeglichen. Mit Einführung der feldgrauen Uniformen wiesen dann immer noch die Kokarde und eine weiß-blaue Rautenborte am Kragen auf die bayerische Herkunft hin. Auf dem Koppelschloss die Devise: »IN TREUE FEST«. Die bayerische Armee hatte zu Beginn des Ersten Weltkriegs eine Präsenzstärke von 4089 Offizieren, 83125 Unteroffizieren und Mannschaften, also immerhin halb so viel wie die heutige Bundeswehr. Obwohl das Kaiserreich 1918 unterging und auch König Ludwig III. die Soldaten vom Eid auf seine Person entband, war damit Bayerns Wehrhoheit noch nicht aufgehoben. Erst in der Bamberger Verfassung vom 14. August 1919 verzichtete die neue Regierung Bayerns endgültig auf die Wehrhoheit.
Die Südwestfront
Mit der überraschenden Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn (bis dahin ein Teil des »Dreibunds« Deutschland, Österreich- Ungarn, Italien) am 23. Mai 1915 entstand eine für die Habsburger Monarchie bedrohliche Lage.
Die österreichisch-ungarischen Armeen trugen seit Kriegsbeginn die Hauptlast im Kampf gegen Russland und am Balkan. Die kriegserprobten, russischen Truppen waren den österreichischen auch materiell überlegen. Es kam in Galizien, wo auch Tiroler Kaiserjäger und Kaiserschützen eingesetzt waren, zu fürchterlichen Verlusten. Die Blüte der Tiroler Regimenter fiel im Osten.
Nun trat Italien auf den Plan, dessen nationale Interessen niemals mit dem Dreibund konform gegangen waren. Italien kündigte nach dem Abschluss des Londoner Vertrags, der dem Königreich auch die Brennergrenze zusagte, den Dreibundvertrag und schloss sich mit der Kriegserklärung vom 23. Mai 1915 den Alliierten an. Es wurde dadurch schlagartig eine rund 600 km lange Südwestfront von der Schweizer Grenze am Stilfser Joch bis zu den Julischen Alpen und das westliche Vorfeld von Triest gebildet. Bei Kriegsbeginn waren die italienischen Streitkräfte den österreichischen in jeder Hinsicht weit überlegen. Vier italienische Armeen mit Stoßrichtung Tirol, Kärnten und Isonzo bedrohten von Süden her die Monarchie, während Tirol von Truppen entblößt war. Der Not gehorchend, waren die Tiroler und Vorarlberger Standschützenkorps aufgeboten worden, schließlich standen lediglich 38000 Männer unterschiedlichen Alters und durchaus nicht immer gegebener Tauglichkeit bereit.
Nach dem Abbrechen der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und Italien entschied die deutsche Oberste Heeresleitung (OHL), einen für den Kampf im Gebirge befähigten Großverband aufzustellen, um den Verbündeten notfalls in der Verteidigung seiner südlichen Grenze zu unterstützen. Dieser divisionsstarke Verband wurde als »Deutsches Alpenkorps« bezeichnet. Am 19. Mai 1915 wurde der bayerische Generalleutnant Konrad Krafft von Dellmensingen, der ehemalige Chef des Generalstabs der Kgl. Bayerischen Armee und ausgewiesener Gebirgskriegsführungsexperte, als sein erster Kommandeur ernannt. Das Alpenkorps wurde offiziell am 21. Mai 1915 im Lager Lechfeld versammelt und aufgestellt. Es war eine bayerische Dienststelle und führte das große bayerische Wappen im Dienstsiegel.
Bereits am 25. Mai 1915 wurde das »Deutsche Alpenkorps« in fliegender Eile auf der Schiene nach Südtirol verlegt. Gegen die Tiroler Gebirgsfront gingen die Italiener nur sehr zögernd vor. In den einzelnen Rayons erstarrte die Front bald zu einem Stellungskrieg, und das in Höhen um und über 2000 bis 3000 Meter. In einigen Abschnitten konnten die Italiener zwar geringe Geländegewinne erzielen und jene Ortschaften besetzen, die von den Österreichern geräumt worden waren, weil sie sich auf besser zu verteidigende Stellungen zurückgezogen hatten. Dann aber rannten sich die Italiener an allen Abschnitten fest, und es begann entlang der gesamten Gebirgsfront ein Krieg um die Gipfel, jener »Krieg der Bergführer« (bekannt aus Literatur und Film), der bis 1918 geführt wurde, bei dem es darum ging, den anderen zu überhöhen und in alpinistisch kühnen, ungeheuer opferreichen, aber begrenzten Operationen gegnerische Stellungen aus dem Berg herauszuschießen oder zu sprengen. Im Herbst 1915 rückte das »Deutsche Alpenkorps«, zu einer hochqualifizierten Gebirgstruppe gereift, wieder von der Tiroler Front ab und wurde vorwiegend am Balkan eingesetzt.
Die Isonzofront
Dieser Abschnitt der Südwestfront, wo die Hochgebirgsfront entlang des Flusstals des Isonzo (slowenisch Soca) herunterfällt zum Golf von Triest, sah einen ganz anderen Krieg. Hier konnten die Italiener im Mittelgebirge ihre materielle Überlegenheit voll ausnutzen. In 11 Schlachten hatten sie – jedesmal vergeblich – versucht, den Kampf an diesem strategisch wichtigen Fluss, in dessen Nähe der Hafen Triest liegt und über den man in den weichen Unterleib Österreich-Ungarns über Villach, Klagenfurt und Graz »zum Spaziergang nach Wien« vorstoßen konnte, für sich zu entscheiden. Aber die österreichische Front war bedrohlich geschwächt, denn jede dieser mörderischen Schlachten, die grauenhaft wie in Flandern und in der Champagne verliefen, hatte Abertausende von Toten und Verwundeten gefordert. Ende August 1917 wurde dem Deutschen Großen Hauptquartier vom k.u.k. Armeeoberkommando eröffnet, dass seine Armee eine weitere Isonzoschlacht nicht mehr bestehen würde. Um den Zusammenbruch zu verhindern, stellte die Deutsche Oberste Heeresleitung (OHL) sieben Divisionen zur Verfügung. Sie sollten zusammen mit sieben österreichischen Divisionen unter deutscher Führung die italienische Front zumindest in die friulanische Ebene zurückdrängen. Diese Großverbände wurden zur neuen 14. Deutschen Armee gegliedert. Chef des Generalstabs, damit der gesamten Planung dieser 12. Isonzoschlacht war wieder der frühere Kommandeur des Alpenkorps, General Krafft v. Dellmensingen und auch eine der deutschen Divisionen war wiederum das bayerische »Deutsche Alpenkorps«, welches den entscheidenden Gebirgsangriff führen sollte. Um aber nicht nur Generäle zu benennen: als Kompanieführer zeichnete sich im »Deutschen Alpenkorps« bei Karfreit Erwin Rommel aus, dafür mit dem hohen Orden Pour le mérite ausgezeichnet und später zum Marschall aufgestiegen.
Schlacht von Flitsch und Tolmein – »La disfatta di caporetto«
Die geländemäßigen Hauptschwierigkeiten zur Heranführung der gewaltigen, materiellen und personellen, Massen stellten sich im Raum Flitsch-Tolmein-Karfreit. Die Nachschubwege konnten von den vielen Pferde- und wenigen LkWKolonnen nur bei Nacht genutzt werden, waren verschneit und tagsüber von der italienischen Artillerie beschossen. Geschütze und Munition wurden von Russland und Rumänien herangeführt. Die heute zu den schönsten Passstraßen der Julischen Alpen zählende Straße über den Vrsic- oder Mostravka-Sattel wurde erst im Krieg gebaut. Diese Straße ist auch heute fast identisch mit jener des Ersten Weltkriegs und sie bietet bis heute ein seltenes Beispiel der Kunst der Pioniere, die diese kühne Route vor Jahrzehnten anlegten.
Auf den Passhöhen nächtigten die Transporte im Freien bei Schneesturm (ohne Zelte, ohne Unterkünfte), um in der folgenden Nacht den Abstieg anzutreten. Nach dem Herantransport mussten die Geschütze in die Gebirgsstellungen geschafft werden. Geschütze und Munition konnten nur durch Träger emporgeschleppt werden. Zusätzlich gingen zur selben Zeit Zehntausende von Soldaten, bepackt mit Proviant, Gebirgs- und Flachlandausrüstung, mit Munition, Handgranaten, leichten und schweren Waffen, über die Pässe in die Bereitstellungsräume. In den Wochen vor Beginn der 12. Isonzo-Schlacht muss in den Julischen Alpen ein unvorstellbares Treiben geherrscht haben.
Der Angriffsplan beruhte wesentlich auf der Überraschung des Gegners und einer kurzen, massierten Artillerievorbereitung. Den Hauptstoß plante die 14. Armee auf etwa 35 km Breite am mittleren Isonzo, wo bisher noch keine schweren Kämpfe stattgefunden hatten. In den Hauptangriffsrichtungen, aus dem Raum von Flitsch (sl. Bovec, it. Plecce) und Tolmein (sl. Tolmin, it. Tolmino) auf Karfreit (sl. Kobarid, it. Caporetto), also ein Zangenangriff, wurde eine starke Konzentration an Kräften und Mitteln aufgebaut. Die italienische Seite verfügte zwar über zahlenmäßig stärkere Kräfte und Mittel, vor allem aber über festungsartig ausgebaute Stellungen. Die italienische Führung, durch Überläufer vom Angriff unterrichtet, unterschätzte jedoch die Gefahr. Außerdem befand sich das italienische Heer in einer tiefen Krise. Die mit drakonischer Härte bis hin zu wiederholten Dezimierungen geführten Soldaten waren demoralisiert. Im März 1917 hatten an der Isonzofront ganze Brigaden den Gehorsam verweigert.
Die Angriffsoperation begann am 24. 10. 1917. Bis zum 26. 10. durchbrach die 14. Armee die italienische Verteidigung in ihrer gesamten Tiefe. Angesichts der Schnelligkeit der Verbündeten in den Hauptangriffsrichtungen und der verheerenden Wirkung des Feuers der Artillerie und der Minenwerfer wirkte sich die Kriegsmüdigkeit der italienischen Soldaten besonders folgenschwer aus. Der größte Erfolg wurde vom bayerischen »Deutschen Alpenkorps« zwischen Tolmein und Karfreit erzielt. Erstmals wurde hier am Isonzo ein Höhenangriff mit einem Talstoß kombiniert. Am 27. 10. erreichten die bayerischen Truppen bei Cividale del Friuli die Ebene, eroberten am 28. 10. Udine und standen tags darauf mit Vorhuten am Tagliamento. Von der italienischen Armee existierten nur noch aufgesplitterte Teile. Ganze Regimenter und Einheiten flohen unter Zurücklassen der Waffen oder gingen in Gefangenschaft. Nachdem damit der Nordflügel der italienischen Isonzofront zusammengebrochen war, mussten sich die Truppen auch aus den Alpen rasch zurückziehen, das Ende des »Bergführerkriegs«. Am breiten Wildfluss Tagliamento kam die Offensive nur vorübergehend zum Stehen. Das weitere rasche Vordringen bis an den Piave, nur einen Tagesmarsch vor Venedig, weckte verstärkte Zuversicht. Man erwartete zurecht, dass Italien nach dem Verlust von Venedig den Waffenstillstand anbieten würde. Stattdessen ging jedoch auf – bei den Truppen völlig unverständlichen – Befehl des im hunderte Kilometer entfernten Baden bei Wien bequem residierenden k.u.k. AOK die Offensive am Piave wieder in den Stellungskrieg über. Der Gegner, seit Ende November durch sechs französische und vier britische Divisionen verstärkt, konnte damit hinter dem Piave eine neue Verteidigungslinie aufbauen. Am 2. 12. wurde die Schlacht endgültig beendet, das »Deutsche Alpenkorps« wurde abgezogen. Sein letzter Einsatz war Ende 1918 nochmals an der Balkanfront. Nach dem Zusammenbruch der k.u.k. Monarchie musste es sich durch die Nachfolgestaaten Serbien und Ungarn nach Deutschland erfolgreich zurückkämpfen und wurde im Dezember 1918 demobilisiert.
Aus der Erbschaft der Königlich Bayerischen Armee, unserer Großväter: Das seit der napoleonischen Zeit angespannte Verhältnis zwischen Tirol und Bayern wurde zu Freundschaft.
Seit 100 Jahren gibt es eine deutsche Gebirgstruppe. Die »Jager« genießen besonders in unserer Region hohes Ansehen.
Zur Erinnerung: auch die Bundeswehr benannte in Bayern noch Kasernen nach diesem Ereignis. So z. B. die mittlerweile abgegangene Kaserne der Gebirgspioniere in Brannenburg: »Karfreitkaserne«.
Hans Daxer
Literatur:
Reichsarchiv, Schlachten des Weltkrieges, Band 12a und 12b. Hans Killian, Wir stürmten durchs Friaul. Heinz v. Lichem, Gebirgskrieg 1915-1918, Band 3.
28/2018