»Da g’hört direkt a Revolution her!«
Die Revolution und ihre Niederschlagung in Bayern 1918/19





»Bayern ist fortan ein Freistaat. Eine neue Zeit hebt an! Arbeiter, Bürger Münchens! Vertraut dem Großen und Gewaltigen, das in diesen schicksalsschweren Tagen sich vorbereitet! Es lebe die bayerische Republik!« So stand es am 8. November 1918 in den Münchner Neuesten Nachrichten. Verfasst hatte den Aufruf der 1867 in Berlin geborene Journalist, Schriftsteller und Mitglied der 1917 gegründeten Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) Kurt Eisner. Er war erst drei Wochen zuvor, am 14. Oktober, aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er wegen seiner Rolle beim Streik der Arbeiter der Münchner Rüstungsfabriken im Januar 1918 seit Monaten eingesperrt war.
Am Vortag hatten sich rund 60000 Menschen auf der Theresienwiese versammelt, um die Kundgebungen von Kurt Eisner, Erhard Auer (SPD) und zehn weiterer Redner zu hören, aufgewühlt durch die Ereignisse im hohen Norden Deutschlands. Denn obwohl die Kriegsniederlage de facto längst feststand, wollte die Admiralität Ende Oktober die Hochseeflotte noch in eine letzte Schlacht führen, von der niemand in der Marineführung glaubte, dass sie zu gewinnen sei. Doch die Matrosen meuterten – zunächst in Wilhelmshaven am 30. Oktober. Der Funke sprang dann über nach Kiel, wo Matrosen am 4. November die Macht in der Stadt übernahmen. Kiel war das Fanal: Aus einer Meuterei wurde die Novemberrevolution, die sich wie ein Lauffeuer bis in den Süden Deutschlands ausbreitete.
Am 7. November erreicht sie auch München. Auer fordert in einer Resolution unter anderem die Abdankung des Kaisers, einen sofortigen Waffenstillstand und die Einführung des Achtstundentags. König Ludwig III. hat zwar einige Tage zuvor einer Parlamentarisierung Bayerns zugestimmt, doch nun ist es zu spät. Denn anders als der Reformpolitiker und Monarchist Auer strebt Eisner den Bruch mit dem alten System an. Mit dem linksgerichteten Bauernführer Ludwig Gandorfer an seiner Seite, führt er nach der Versammlung einen Zug von etwa zweitausend Menschen an, der sich von Kaserne zu Kaserne bewegt. Die kriegsmüden Soldaten lassen sich nicht lange bitten, laufen in Scharen über und schließen sich dem Zug an. Und so besetzen die Revolutionäre, ohne dass ein Schuss fällt, Schlüsseleinrichtungen wie den Hauptbahnhof, das Polizeipräsidium, das Telegrafenamt und die Regierungsgebäude. Am Abend bildet man im »Mathäserbräu« einen Arbeiter- und Soldatenrat sowie einen Bauernrat.
König Ludwig III. flaniert derweil durch den Englischen Garten, als zwei Arbeiter auf ihn zukommen: »Majestät, genga S’ heim, Revolution is!« So jedenfalls beschreibt eine Karikatur in der Satirezeitung »Rote Hand« drei Jahre später diesen Moment. Die Begegnung mag sich im Detail ein wenig anders zugetragen haben, führt aber dazu, dass der letzte Wittelsbacher Bayern-König in einer Nacht- und Nebel-Aktion mit seiner Familie ins Schloss Wildenwarth am Chiemsee flieht. Am 12. November entbindet Ludwig III. die Beamten vom Treueid, was einer Abdankung gleichkommt. So endet sang- und klanglos die 738 Jahre währende Herrschaft der Wittelsbacher Dynastie in Bayern.
Es ist bereits um Mitternacht, als Eisner im Landtag den »Freien Volksstaat Bayern« proklamiert. Der Revolutionsführer wird von den Räten zum Ministerpräsidenten der neuen Republik Bayern gewählt und erklärt das Königshaus der Wittelsbacher für abgesetzt. Schon am Vormittag des 8. November führt Eisner Gespräche zu einer Regierungsbildung. Am Nachmittag kommt im Landtagsgebäude, damals in der Prannerstraße in der Nähe des Odeonsplatzes, erstmals der »Provisorische Nationalrat« zusammen. Eisner stellt sein Kabinett vor, eine Koalition aus USPD-, SPD- und parteilosen Politikern. Der gehört auch der bayerische SPD-Führer Auer als Innenminister an, obwohl er eigentlich ein erbitterter Gegner der Räte ist. Die bayerische Bevölkerung reagiert weder mit Jubel noch mit Ablehnung auf die Revolution. Nach den schrecklichen Kriegsjahren schwankt die Stimmung zwischen Apathie und Hoffnungen auf einen Neubeginn. Dennoch konstituieren sich auch in anderen Städten des neuen Freistaats Räte, etwa in Nürnberg, Fürth, Würzburg, Schweinfurt, Ingolstadt oder Kempten, sodass es im Dezember 1918 etwa 7000 Räte in ganz Bayern gibt.
Auch in Berlin wird der Druck der Novemberrevolution so stark, dass am 9. November Kanzler Max von Baden eigenmächtig die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. bekannt gibt, der sich zu diesem Zeitpunkt noch im militärischen Hauptquartier in Spa befindet und offiziell erst am 28. November abdankt. Der SPD-Politiker Philipp Scheidemann ruft daraufhin eine parlamentarische »deutsche Republik« aus, Spartakus- Führer Karl Liebknecht wenige Stunden später eine »Freie Sozialistische Republik Deutschland«. Zwei Tage später, am 11. November, wird der Waffenstillstand von Compiègne geschlossen. Der Erste Weltkrieg ist damit beendet.
Doch die neue Regierung mit Eisner als provisorischem Ministerpräsidenten tut sich schwer, obwohl man unter anderem das erste Frauenwahlrecht in Deutschland, den Achtstundentag und eine Arbeitslosenversicherung einführt, Eisners Kultusminister Johannes Hoffmann (SPD) die geistliche Schulaufsicht abschafft und mit der Reform des »Gesinderechts« auch die faktische Leibeigenschaft des Hauspersonals beendet.
Denn Eisner schafft es nicht, die Linke hinter sich zu vereinen: die Sozialdemokraten, Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten bekämpfen sich lieber gegenseitig als den Klassenfeind. Als die USPD bei den Landtagswahlen vom 12. Januar 1919 dann eine verheerende Niederlage erleidet, »zweieinhalb Prozent, das ist ja ein Witz, ein grauenvoller, schlechter Witz«, will Eisner dem Kabinett seinen Rücktritt anbieten. Doch dazu kommt es nicht mehr: Auf dem Weg zu seiner Rücktrittsrede im Landtag wird er am 21. Februar von dem Rechtsradikalen Anton Graf von Arco auf Valley erschossen.
Um seine Motive macht der Graf kein Geheimnis: »Ich hasse den Bolschewismus, ich liebe mein Bayernvolk, ich bin treuer Monarchist .(...) Eisner ist Bolschewist. Er ist Jude. Er ist kein Deutscher. Er verrät das Vaterland«. Hunderttausend geben dem toten Kurt Eisner das letzte Geleit, auch jene, die ihn nicht gewählt haben, aber sich um die Zukunft sorgen.
Der anschließend nach langem Tauziehen bestellten Regierung unter Johannes Hoffmann gelingt es jedoch nicht, sich durchzusetzen und die Ausrufung der »Münchner Räterepublik« durch die USPD am 7. April zu verhindern. Eine Republik, an deren Spitze die Schriftsteller Ernst Toller, Gustav Landauer und Erich Mühsam stehen. Doch auf die Tage euphorischer Aufbruchstimmung folgt rasch die Ernüchterung: »Schon nach einem Tag weiß Toller: Es wird nicht klappen. Denn die Kommunisten machen nicht mit, die Sozialdemokraten machen nicht mit. Sie sind dieses versprengte Häufchen und haben jetzt wirklich diese verdammte Macht, aber es wird im Blutvergießen enden. Das sieht er ganz früh. Aber er kann nicht mehr raus.« (Volker Weidermann).
Die Macht der Schriftsteller dauert gerade mal eine Woche, dann übernehmen die Kommunisten. Anfang Mai wird die Stadt von Reichswehr und rechten Freikorps eingenommen, es kommt zu dem bis dahin vermiedenen Blutvergießen. Die Rote Armee der Räterepublik wird niedergeschlagen, Hunderte Menschen lassen ihr Leben – sie fallen, werden standrechtlich erschossen, ermordet. Die letzten Gefechte finden rund um den Stachus statt. Auch viele führende Mitglieder der Räterepublik werden von Standgerichten, die bis zum 1. August 1919 in Kraft sind, zu langen Freiheitsstrafen oder zum Tode verurteilt. Einzig Max Levien gelingt die Flucht.
Wer die Ereignisse rund um die Räterepublik lieber »nachhören« statt nachlesen möchte, dem sei das Hörspiel »Rotes Bayern. Die Münchner Revolution 1918 und die Räterepubliken 1919« von Hans Well und Sabeeka Gangjee Well empfohlen, erschienen im Hörverlag München. 2 CDs, 139 Minuten. Ein klassisches Hörspiel mit Musik, Erzähler, Rahmenhandlung und kurzen, dezent angespielten Szenen. Die Gstanzln, Dreigesang und Blasmusik, von Hans Well und den Wellpappn gespielt, sind echte Volksmusik, wie man sie noch von den Biermösl-Zeiten her kennt. Im ausführlichen Booklet werden auch die Akteure der Revolution vorgestellt. Gisela Schneeberger, die mit ihrer unverkennbaren Stimme das Hörspiel dominiert, tritt in der Rahmenhandlung als Museumsführerin auf. Gerd Heidenreich ist der Erzähler, die zeitgenössischen Zeugnisse werden von Johanna Bittenbinder, Heinz- Josef Braun und Bernhard Butz nuanciert und ohne Scheu vor Parteilichkeit vorgetragen.
Reiches Anschauungsmaterial bietet auch die Ausstellung »100 Jahre Freistaat: Revolution in Bayern« , die ab Morgen im Trostberger Postsaalgewölbe zu besichtigen ist. Gezeigt werden historische Dokumente und Bilder vor und nach der Ausrufung der Republik Bayern durch Kurt Eisner, wobei es sich um eine Teil-Reproduktion der international beachteten Eisner-Ausstellung des Stadtmuseums München aus dem vergangenen Jahr handelt. Auf 50 Tafeln werden die politischen Ereignisse vor und während des Ersten Weltkriegs und der Lebenslauf Kurt Eisners dargestellt.
Wolfgang Schweiger
Quellen: BR.de »Die bayerische Revolution 1918/19«. Hans Well »Rotes Bayern«. Volker Weidermann »Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen«. Dominik Baur »Da g’hört direkt a Revolution her« (MUH 29).
44/2018