Jahrgang 2006 Nummer 30

Zweihundert Jahre Franken in Bayern

Begeisterung und Skepsis bei der Eingliederung in das bayerische Königreich

Die Grenzschranken in Würzburg werden blau-weiß gestrichen.

Die Grenzschranken in Würzburg werden blau-weiß gestrichen.
Fränkische Volkstrachten vor der Kulisse der Fränkischen Schweiz.

Fränkische Volkstrachten vor der Kulisse der Fränkischen Schweiz.
Thronsessel für Kronprinz Ludwig zur Eröffnung der Nürnberger Landesausstellung 1906.

Thronsessel für Kronprinz Ludwig zur Eröffnung der Nürnberger Landesausstellung 1906.
»Laut ertönte der Jubel der Bürger, Frohsinn und Freude strahlten aus dem Antlitz Aller, und laut erscholl der Freudenruf: Es lebe Maximilian Joseph!« So schilderte das »Schweinfurter Wochenblatt« im Jahre 1805 die Stimmung der Bevölkerung

anlässlich des Übergangs von Franken in das Königreich Bayern. In Wirklichkeit zeigten sich keineswegs alle Bürger darüber begeistert, dass sie nunmehr als dritter Stamm neben Altbaiern und Schwaben ins bayerische Königreich eingegliedert wurden, nachdem die verschiedenen bisher selbstständigen Adelsherrschaften und Reichsstädte, Bistümer, Markgrafschaften und Klöster der Flurbereinigung nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reichs zum Opfer gefallen waren.

Aus einem Fleckerlteppich unterschiedlicher politischer Gebilde war mit einem Federstrich ein neues, einheitliches Gebilde entstanden. Aus verwaltunstechnischer Hinsicht ohne Zweifel ein gewaltiger Vorteil! Zollschranken und Mautstationen fielen, die Rechte und die Ansprüche vieler Herrschaftsträger konzentrierten sich nunmehr auf eine einzige Staatsgewalt in München. Auf der anderen Seite wurde aber auch eine Reihe regionaler Metropolen wie Bischofs- und Fürstenresidenzen leergefegt und zahlreiche Klöster und Kirchen ihrer Schätze beraubt, ja teilweise abgetragen.

Dass Frankens Weg nach Bayern nicht ohne Irritationen verlief, kann auch der Besucher der diesjährigen Landesausstellung noch bis 12. November in Nürnberg zum Thema »200 Jahre Franken in Bayern« erleben. Sogar Forderungen nach einer Loslösung Gesamtfrankens wurden laut. Doch schließlich gelang es vor allem durch die von König Ludwig I. praktizierte Politik der Erhaltung regionaler Traditionen und durch die Betonung der Eigenart der einzelnen bayerischen Landesteile, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Davon unberührt blieb das fränkische Selbstbewusstsein, das sich einerseits im Stolz auf das reiche Kulturerbe der Region manifestiert, andererseits bis heute argwöhnisch darüber wacht, dass es von der Zentrale in München in allen Belangen – bis zur Bildung eines neuen Kabinetts – angemessen berücksichtigt wird.

In der Ausstellung dokumentiert eine »Schatzkammer Franken« die reichen Kulturschätze, die durch die Säkularisation von Klöstern und geistlichen Herrschaften und durch die Eingliederung vorher selbständiger Herrschaftsgebiete neu verteilt wurden, aber auch die in Franken neu entstandenen Museen. Einen traurigen Anblick bietet das Bamberger Domkreuz, aus dem alle Edelsteine und Perlen herausgebrochen und meistbietend versteigert wurden – ein Beispiel für den instinktlosen Umgang der bayerischen Aufhebungskommissare mit wertvollem Kirchenbesitz.

Als sehr wichtiges Instrument der Integration und einer sich neu entwickelnden bayerisch-fränkischen Identität erwies sich die Verfassung des Königreichs Bayern, denn sie gewährte allen die gleichen Rechte, Gleichheit vor dem Gesetz, bei der steuerlichen Behandlung, beim Zugang zu den öffentlichen Ämtern und beim Dienst mit der Waffe. Dazu kam die Anerkennung aller Glaubensgemeinschaften sowie die Abschaffung von Privilegien.

Gefördert wurde das Zusammenwachsen der neuen Reichsteile mit dem altbayerischen Stammland auch durch die wirtschaftliche Entwicklung. Der Bau der ersten Eisenbahnlinien begünstigte die fränkischen Gebiete und förderte Handel und Industrie. Zwischen Reichseinigung und Wirtschaftsboom änderten sich die Lebensumstände rasant: Gas und Elektrizität, Automobil und Zeppelin, Röntgenapparat und Telefon führten ein neues Zeitalter herbei. Franken wurde zum wirtschaftlichen Motor Bayerns. In den Städten zeigten sich allerdings auch in Franken die Schattenseiten der Industrialisierung durch Überbevölkerung und Massenarmut, die nur langsam überwunden wurden. Als positives Signal registrierte man in Franken, dass das hundertjährige Jubiläum des Königreichs Bayern nicht in der Hauptstadt München, sondern in Nürnberg gefeiert wurde, und zwar mit der großen Jubiläums-Landesausstellung 1906 deren Ausmaße einer Weltausstellung entsprachen und ein Millionenpublikum anzog.

Nach dem Jahre 1945 kamen wichtige Impulse des politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus aus Franken. Zwei bayerische Ministerpräsidenten, Hans Ehard und Hans Seidel, entstammten der Region. Die alten wirtschaftlichen Zentren wie Nürnberg und Schweinfurt gewannen neue Bedeutung. Industrieansiedlungen, Verkehrsplanungen, Gründungen von Universitäten und Fachhochschulen schoben einen Strukturwandel an. Schließlich rückte die Aufhebung der innerdeutschen Grenze das Land Franken in eine zentrale Lage in Deutschland und Europa.

Die Landesausstellung findet im Museum Industriekultur statt, einer ehemaligen Fabrikhalle des Nürnberger Tafelwerks. Vielfältige Exponate vom Blechspielzeug bis zur funktionsfähigen Dampfmaschine und zur Inszenierung von Lebenswelten vermitteln den Besuchern ein lebendiges Bild der Wirtschafts- und Alltagsgeschichte vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart.

Julius Bittmann



30/2006