Jahrgang 2021 Nummer 52

Wie's damals gewesen ist beim Christbaumsuchen

Eine wahre Geschichte zum Nachdenken

Es war in den ersten Jahren nach Kriegsende und es ging auf Weihnachten zu. Die Menschen freuten sich damals darauf, den Heiligen Abend endlich wieder im Frieden feiern zu können. Wenn auch nur wenige, kleine Geschenke unterm Christbaum lagen, so musste doch erst einmal ein solcher zu bekommen sein. Auf dem Land hatten es diejenigen, welchen ein großes oder auch nur ein kleineres Stück Wald gehörte leicht, denn ein kleines Fichtenbäumchen tat's ja. Da hatte es so ein »Gütler« mit zwei – drei Kühen, etlichen Schafen, Hühnern und Enten, schon schwerer. Es gehörten ihm zwar einige Tagwerk Wiesen ums Häusl herum, aber kein Stückerl Wald. Grad so einer war auch der Grabner Vinzenz. Damals vor dem Krieg hatte sich sein Vater jedes Jahr von seinem »Spezi« so ein Fichtenbäumerl holen können. Auf die bittende Frage von seinem Buben, dem Wiggerl, ob das Christkind heuer wirklich einen Christbaum mit bunten Kugeln und Lametta bringen würde, nickte er, – ganz bestimmt. Nach langem hin und her Überlegen, kam der Mutter der rettende Gedanke. In dem zu Fuß eine dreiviertel Stunde entfernten Städtchen, gab es am Rande desselben, jedes Jahr einen kleinen Stand mit Christbäumen. Kurz entschlossenmachte sie sichamnächsten Tag, gleich nach der Stallarbeit auf den Weg dorthin. An diesem frühen Vormittag waren kurz vor Weihnachten selbst auf der breiteren Straße, nur wenige Fuhrwerke unterwegs. Endlich konnte sie von weitem die am Stadtrand aufgestellten Bäume erkennen. Wunderschöne, große und kleinere Tannenbäume standen da, Reihe an Reihe. Aber auch billigere Fichtenbäumchen waren dabei. Auf ihre Frage, was denn so ein Baum koste, meinte die FrauamStand: »Ja, liebe Frau, die werd'n dir halt alle zu teuer sein«. Damit hatte sie natürlich Recht, denn so viel Geld hatte sie ja gar nicht dabei. Vielleicht tat der Verkäuferin die hilflos dort stehende Frau leid, denn sie nahm sie beiseite und sagte beiläufig zu ihr: »Kommst am Heiligen Abend so um zwoa (zwei Uhr) rum, da kannst dir von den übergebliebenen Kloanen, oan aussuch'n«. Das war eine Freude, die Grabnerin bedankte sich ganz herzlich und machte sich voll Freude auf den Heimweg.

Nun waren es nur noch wenige Tage bis zum Heiligen Abend. Zusammen mit der Großmutter hatte sie etliche von den billigeren Guatln gebacken und der Bub durfte bunten Streuselzucker draufstreu'n. Der Vater hatte mit dem Großvater, aus Holzresten von dem nahegelegenen, kleinen Sägewerk, für den Buben ein kleines Leiterwagerl für sein hölzernes Rösslein zum Einspannen gezimmert. Die Großmutter hatte ihre gestrickten Socken und Handschuhe für jeden in der Familie, schon vorsorglich im Kasten versteckt. AmTag vor Heilig Abend hatte die Mutter heimlich die alten Christbaumkugeln von der Kammer geholt, um sie wie jedes Jahr, ganz vorsichtig abzuwischen. Die zwei Vöglein, denen von den langen Schwanzfedern schon ein paar fehlten, legte sie zusammen mit den zwei roten Glöckchen, ganz vorsichtig einstweilen wieder in die Schachtel zurück. In dem kleinen Kramerladen kaufte sie noch eine kleine Schachtel von den einfachen Christbaumkerzen und ein Päckchen Lametta. Jetzt fehlte nur noch das wichtigste, der Baum, aber der war der Mutter ja versprochen. Gar nicht Tag werden wollte es damals an diesem Heiligen Abend. In der Nacht hatte es zu schneien angefangen, so dass es den schmalen Weg zur breiteren Straße hinunter fast zugeschneit hatte. Um elf Uhr hatte die Großmutter das Mittagessen fertig, aber der Mutter schmeckte es heute gar nicht. Sie schnürte ihre festen Schuhe zu, zog den langen Mantel an, band sich das dicke Kopftuchweit ins Gesicht und zog die dicken Fäustlinge an. Ohne viel zu reden ging sie hinaus, nahm den kleinen Schlitten von der Hauswand und machte sich eilig auf den Weg um endlich ihr Bäumchen heimzubringen. Es begegneten ihr nur wenige Menschen und Pferdefuhrwerke an diesem frühen Nachmittag. Die werden alle schon beim Vorbereiten für's Christkind sein, dachte sie bei sich und beschleunigte ihre Schritte, sodass ihr fast warm wurde. Eine Turmuhr schlug gerade halb zwei, als die Grabnerin endlich bei dem Christbaumstand am Stadtrand angekommen war. Dort hatte die Verkäuferin auf dem leeren Platz, gerade mit dem Aufräumen angefangen. Als die angekommene nun freundlich fragte, ob sie sich jetzt, wie versprochen, eins von den übrig gebliebenen, kleinen Bäumchen aussuchen dürfe, da zuckte diese nur bedauernd die Schulter. Dass heute nicht ein einziger Baum übrig geblieben sei, meinte sie bedauernd, den letzten hätte gerade eine ärmlich aussehende, alte Frau mitgenommen. DieMutter nickte nur, sagte kaum hörbar ein: »Ja, ja«, drehte sich langsam um und ging schweren Schrittes, den leeren Schlitten hinter sich herziehend, den langen Weg heimzu.

Inzwischen hatte zuhause der Großvater, dem die Sache mit dem übrig gebliebenem Baum gar nicht recht gefallen hatte, den Vater beiseite genommen und gemeint: »Geh' vor'm Finsterwerden aufi' in's »Wiedhölz'l, da find'st g'wiss, a' feichter's Bäumei' und da »Wiedna« hat g'wiss' nix' dageg'n. Der Vater überlegte nur kurz: »Hast ja recht«, nickte er, holte das kleine Handsägerl aus der Werkstatt und machte sich kurzentschlossen auf den Weg. Es ging steil hinauf zum »Wiedhölz'l«, doch der Grabner war anderes gewöhnt und den Schnee schon gleich. Mit seinem langen Stecken schüttelte er so gut es ging, den Schnee von den herunterhängenden Ästen und stapfte mühsam durch das Dickicht. Es war gar nicht so leicht, so ein Fichtenbäumchen zu finden, musste er doch bei jedem zuerst den Schnee abschütteln, um es richtig anschauen zu können. Es war schon fast finster geworden drinnen im Wald, als er endlich ein zwar kleines, aber niedliches Bäumchen, das ganz versteckt zwischen den größeren stand, entdeckte. Wenig später stapfte er zufrieden in der Finsternis den langen, steilen Abhang hinunter und quer durch die Wiesen suchte er sich mühsam den Weg, heim zu seinem »Sacher'l«.

Müde und mit Tränen in den Augen war die Mutter endlich daheim angekommen. Der Wiggerlkam ihr schon entgegen und erzählte ihr gleich freudig, dass der Vater weit hinauf gegangen ist in's »Wiedhölz'l« und einen Christbaum heimbringt. Ungläubig schaute diese den Buben an, doch der alte Grabner nickte und meinte nebenbei, dass er bestimmt bald zurückkommen würde. Es ist schon auf sechs Uhr zugegangen und die Stallarbeit war getan, als endlich die Haustür aufging und der Vater mit seinem Bäumchen unter dem Arm, hereinkam. So froh und erleichtert war die Mutter lange nicht mehr gewesen. Die Großmutter hatte schon den Ständer und die Kugeln in die zugesperrte Stube gebracht und auch die kleinen Geschenkerl warteten schon dort. Draußen im Hausgang hüpfte der Wiggerl aufgeregt hin und her und fragte ungeduldig, wie lange das Christkind und die Engerl wohl brauchen würden zum »Herrichten«. Da hat ihn die Großmutter an der Hand genommen und zusammen sind die beiden in den Stall, um nachzuschauen, wie es den kleinen Geislein gehe. Der Bub aber hatte es kaum mehr ausgehalten. Da auf einmal konnte man ganz leise von der Stube herüber, ein Glöcklein klingeln hören. Ehe die Großmutter es sich versah, stand er schon wartend vor der Stubentür. Endlich hatte die Mutter die Tür aufgemacht.

Drinnen stand das kleine, im Kerzenschimmer leuchtende Fichtenbäumchen. Zwischen den gestrickten Wintersachen fand er sein Leiterwagerl und dazu noch einen neuen Riemen für sein Rösserl, dass das Christkind daran gedacht hatte? Er faltete die Hände und sagte ganz andächtig: »Vergelt's Gott, Christkind'l, dass'd mi' net' vergess'n hast«. Ganz heimelig und fast feierlich, so kam es ihnen vor, war es in der Stube geworden an diesem Christabend. Von diesem denkwürdigen Heiligen Abend damals kurz nach Kriegsende, hat der Wiggerl jedes Jahr aufs Neue seinen Kindern und seinen Enkelkindern, mit einem ganz seltsamen, fast abwesenden Lächeln erzählt.

 

Elisabeth Mader

 

52/2021