Jahrgang 2023 Nummer 50

Wie unsere Weihnachtslieder entstanden sind

Die einfachen Lieder sollten dem Volk helfen, die Weihnachtsbotschaft über die Musik aufzunehmen

Zur Feier des Weihnachtsfestes gehören bei uns neben dem Christbaum und der Krippe die Weihnachtslieder, die in der Familie gemeinsam gesungen werden. Sie schaffen erst den festlichen Rahmen, der dieses Fest von den anderen im Jahreslauf abhebt. Der gemeinsame Gesang, in dem die Freude über die Geburt Christi ihren Ausdruck findet, führt auch alle in der Familie zu einer Feiergemeinschaft zusammen. Weihnachten wird zum Familienfest eben erst durch unsere altvertrauten Weihnachtslieder.

Wie unsere Weihnachtslieder entstanden sind

Unsere ältesten Weihnachtslieder haben einen lateinischen Text, was ihr Ursprung im späten Mittelalter erklärt, wie zum Beispiel das bekannte »In dulci jubilo«. Erst in der Reformationszeit entstanden auch Lieder in deutscher Sprache, die vom Kirchenvolk mitgesungen werden konnten.

Die einfachen Lieder, die ursprünglich nur für den Gebrauch beim Gottesdienst in der Kirche gedacht waren, sollten mit ihren einfachen Texten und Melodien dem Kirchenvolk helfen, sich in die Weihnachtsbotschaft zu vertiefen und sie über die Musik aufzunehmen. Im 19. Jahrhundert setzte sich in bürgerlichen Kreisen allmählich das gemeinsame Singen in der Familie durch. In jener Zeit entstanden auch jene Lieder, die bis heute überaus beliebt sind.

Es ist ein Ros entsprungen

Zu unseren ältesten Weihnachtsgesängen zählt das bis heute beliebte Lied »Es ist ein Ros entsprungen«. Aus dem Jahr 1599 ist eine erste Textfassung bekannt. Ihr liegt keineswegs die Vorstellung einer Rose zu Grunde, wie immer wieder vermutet wird, sondern der Bezug zum Stammbaum Jesu. Denn Josef soll vom König David abstammen, Sohn des Isai oder Jesse aus Bethlehem, mit dem sich messianische Hoffnungen verbanden.

Das Lied wurde bis auf 23 Strophen erweitert und immer wieder umgestaltet. 1609 verfasste der Wolfenbüttler Kantor Michael Praetorius den bekannten vierstimmigen Tonsatz. Er kürzte auch den Text auf die heute gesungenen zwei Strophen. Obwohl man auf protestantischer Seite an der im Lied enthaltenen Marienverehrung Anstoß nahm, wurde es im 19. Jahrhundert überall in Deutschland gesungen.

Vom Himmel hoch

Das bekannte Lied entstand in der Reformationszeit. Angeblich soll Martin Luther 1535 den Text für seine Kinder zur Weihnachtsbescherung gedichtet haben, zu einem Zeitpunkt also, da die kirchliche Festgestaltung noch streng getrennt war von der Feier in der Familie. Luther machte sich damit zu einem Vorreiter der heutigen Feiertradition des Weihnachtsfestes in der Familie.

Luther unterlegte seinen Text einer schon bekannten Melodie eines Spielmannsliedes, ein Vorgehen, das immer wieder angewandt wurde, vor allem in der Reformationszeit. Die heute gebräuchliche Choralmelodie stammt wahrscheinlich auch von Luther, der deutsche Weihnachtslieder in den Dienst seiner Reformbestrebungen stellte.

O Tannenbaum, o Tannenbaum

Im 19. Jahrhundert wurde Weihnachten zu einem großen Familienfest, gefördert durch den gesellschaftlichen Aufstieg des Bürgertums in den Städten. Bei der Feier des Festes im Familienkreis kam dem gemeinsamen Gesang dabei eine wichtige Rolle zu.

Besonders beliebt wurde in dieser Zeit das Lied »O Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter«. Damit wurde erstmals der Tannenbaum zum bürgerlichen Weihnachtssymbol. Der Text stammt vom Leibziger Lehrer Ernst Anschütz, der ihn wiederum einem bereits bekannten anderen Lied unterlegte. Die Melodie hat die Form eines alten Studentenliedes. Immer wieder wurde der schlichte Text umgedichtet und verballhornt.

Ihr Kinderlein kommet

Gleichsam als Gegengewicht zu den im 19. Jahrhundert beliebten weltlichen Weihnachtsliedern wollte Christoph von Schmid ein Lied schaffen, das den religiösen Sinn des Weihnachtsfestes wieder klar herausstellen sollte. Christoph Schmid, ein gebürtiger Dinkelsbühler, der an der bischöflichen Universität Dillingen Theologie und Philosophie studierte, wurde nach seiner Priesterweihe Kaplan und dann Schulbenefiziat im schwäbischen Thannhausen. Er war ein engagierter Pädagoge und erfolgreicher Autor von moralisierenden Kinderbüchern.

Am bekanntesten wurde sein Gedicht »Ihr Kinderlein, kommet«, das er in Erinnerung an die heimatliche Krippe in Dinkelsbühl geschaffen haben soll und 1811 erschienen ist. 1829 unterlegte der Gütersloher Lehrer Friedrich Heinrich Eickhoff dem Text die Melodie des Frühlingsliedes »Wie reizend, wie wonnig ist alles umher« von Johann Abraham Schulz (1747 bis 1800). Das Lied fand bald eine große Verbreitung in der kleinbürgerlichen Welt des Biedermeier.

Stille Nacht, heilige Nacht

Der Ursprung des bekanntesten deutschen Weihnachtsliedes, das Auswanderer in alle Welt getragen haben, ist »Stille Nacht, heilige Nacht«. Im Gegensatz zu anderen Liedern kennen wir hier genau den Entstehungstag.

Es war am 24. Dezember des Jahres 1818, als der damalige Hilfspriester Joseph Mohr in Oberndorf bei Laufen an der Salzach dem Lehrer Franz Gruber ein Gedicht überbrachte mit der Bitte, dazu eine passende Melodie mit Gitarrenbegleitung zu schaffen. Die einfache Weise wurde am Abend bei der Mitternachtsmette zum ersten Mal aufgeführt.

Joseph Mohr schuf auf der Grundlage eines lateinischen Textes einen hochdeutschen Text, ganz im Kontrast zu den oft recht derben Mundartliedern. Als 1825 der Orgelbauer Karl Auracher aus Fügen nach Oberndorf im Zillertal kam, um die defekte Orgel zu reparieren, erfuhr er von dem neuen Lied. Er fertigte sich eine Abschrift an, die er in seinem Heimatort einer Sängergruppe von vier Geschwistern übergab. Dabei verschwieg er aber die Herkunft des Liedes aus Oberndorf.

Als die singenden Geschwister 1832 als Handschuhmacher auch auf die Leibziger Messe kamen, sangen sie bei einem Konzert das mitgebrachte Lied, das großen Gefallen fand. 1833 erschien es als Faltblatt in Dresden. 1893 fand das »Zillertaler Volkslied«, wie man es bisher nannte, Aufnahme in eine überregionale Liedsammlung. So konnte das einfache Lied aus dem Salzburger Land seinen Weg in alle Regionen nehmen und schon bald zum bekanntesten deutschen Weihnachtslied werden.

O du fröhliche, o du selige

Von dem wohl am meisten gesungenen deutschen Weihnachtslied kennt man nur den Dichter des Textes. Es war Johannes Daniel Falk, der 1768 geborene Sohn eines armen Perückenmachers in Danzig. Er fand auch die Anerkennung von Johann Wolfgang von Goethe, in dessen Haus er oft zu Gast war. Falk brachte viele Gedichte heraus, die er in Zeitschriften veröffentlichte. Nach schweren Schicksalsschlägen – seine vier Kinder starben an einer Infektionskrankheit – nahm er kranke und hungernde Kinder in seinem Haus auf und unterrichtete sie auch.

1816 dichtete Falk für seine Heimkinder den Text »O du fröhliche, o du selige«, der auch Goethe sehr gut gefiel. Als Melodie verwendete er eine italienische Weise, ein sizilianisches Schifferlied, das wahrscheinlich der Volksliedforscher Johann Gottfried Herder von einer Reise mitgebracht hatte.

 

Albert Bichler

 

50/2023