Verwechslung blieb viele Jahre unbemerkt
Römische Kaisermünze auf einer Schautafel am Chiemsee wurde vor mehr als zehn Jahren falsch beschrieben




Tausende Menschen haben im Lauf der Jahre die Texte auf der Informationstafel über die Chieminger Ortsgeschichte gelesen und sich die Bilder angeschaut. Die Tafel ist vor mehr als zehn Jahren an der Wand des ehemaligen Pfarrhofgeländes am Fußweg nördlich des Dampfersteges angebracht worden. Sie soll nach Angaben von Ortsheimatpfleger Hubert Steiner nächstes Jahr erneuert werden, weil sie sehr unansehnlich geworden ist. Dann wird auch ein Fehler getilgt, den von all den Menschen, die sich anhand der Tafel informiert haben, vermutlich nur ein einziger entdeckt hat: Der Text, der unter der Abbildung einer in Chieming gefundenen Bronzemünze steht, ist falsch. »Römische Silbermünze geprägt in Antiochia, Türkei: Römischer Kaiser Gordianus III (Regierungszeit 238-239 n. Chr.)« steht da. Die Münze aber zeigt Kaiser Valens (364-378 n. Chr.).
Dass der Irrtum entdeckt wurde, ist Dr. Rainer Grimm aus Traunstein zu verdanken. Der 85-jährige gebürtige Hamburger sammelt seit mehr als einem halben Jahrhundert Römische Kaisermünzen. Dabei bevorzugt er solche, auf deren Rückseite Tiere abgebildet sind. Dr. Grimm war von 1972 bis 1995 Amtstierarzt im Landkreis Traunstein, anschließend bis zu seiner Pensionierung Amtsleiter in Mühldorf.
Als er 1971 als Referendar zur Regierung von Oberbayern kam, da sammelte er wie viele Menschen damals die 5-DM-Sondermünzen der Bundesrepublik Deutschland, von denen die Bundesbank jährlich ein bis drei verschiedene Sonderprägungen herausgab. Direkt neben dem Dienstgebäude an der Maximilianstraße 22 befand sich die Münzhandlung Beckenbauer, die Dr. Grimm aufsuchte, als wieder einmal eine Neuprägung erschienen ist. Der Münzhändler wies ihn darauf hin, um wieviel interessanter es sei, antike Münzen zu sammeln und verkaufte ihm zum Schnäppchenpreis von zehn D-Mark eine Münze des Soldatenkaisers Probus (276-282 n. Chr.). Außerdem schenkte er ihm ein kleines Buch, in dem das Grundwissen vermittelt wurde, das man zum Sammeln von Kaisermünzen benötigt.
Seither ist Dr. Grimm begeisterter Sammler und hat sich zu einem Experten auf dem Gebiet der Römischen Kaisermünzen fortgebildet. Auf den Rückseiten der Münzen seiner Motivsammlung sind Rinder, Pferde, Schafe, Ziegen, Hunde und Schweine, aber auch Elefanten, Krokodile, Nilpferde, Delphine, Löwen, Wölfe und Adler zu sehen. Mit der Abbildung exotischer Tiere wollten die Regenten ihrem Volk unter anderem zeigen, wie groß ihr Reich ist. Mit ihrem Porträt auf der Vorderseite, das den Herrscher fast immer im Profil statt von vorne zeigt, stellten sich die jeweiligen Machthaber vor. Und aus den Umschriften kann der Fachmann weitere Informationen entnehmen: Das F steht für Felix (der Glückliche), AUG für Augustus (der Erhabene), PP für Pater Patriae (Landesvater), DN für Dominus Noster (unser Herr) – um nur einige Beispiele zu nennen.
Zurück aber zu der Münze auf der Schautafel am Chiemseeufer. Wie kamDr.Grimm darauf, dass sie nicht Gordianus, sondern Valens zeigt? »Das war relativ einfach«, schmunzelt der Münzkenner. »Valens Kopf ist mit einem doppelten Perlendiadem umkränzt, der von Gordianus mit einem Lorbeerkranz. Erst unter dem Einfluss östlicher Kulturen (Perser) löste das Perlendiadem den Lorbeerkranz als Kopfschmuck ab.
Im April 2015 wandte sich Dr. Grimm an Professor Kay Ehling von der Staatlichen Münzsammlung in München. Der Oberkonservator antwortete schon zwei Tage später und bestätige den Verdacht: Auf der Münze ist der Kaiser Valens abgebildet. Da er nun endgültige Gewissheit hatte, schrieb Dr. Grimm einen Brief an Ortsheimatpfleger Hubert Steiner mit dem Vorschlag, den Fehler auf der Schautafel zu berichtigen. Nachdem diese vier Monate später unverändert war, versuchte es der Münzexperte telefonisch und erfuhr, dass es technische und finanzielle Probleme gebe, wenn man den Text austauschen wolle.
Seither sind sechs Jahre vergangen und der Zahn der Zeit hat an der Tafel genagt. wenn sie erneuert wird, dann wird auch der Text geändert. Das versprach Steiner bei einem Besuch von Dr. Grimm im Oktober im Heimathaus Chieming. Dort konnte er die reichhaltigen Münzfunde in Augenschein nehmen und war begeistert von der Vielfalt und Qualität der Sammlung, welche die Besucher im ehemaligen Denglhamerhof besichtigen können. Für die Begutachtung der seltenen Münzen schraubte Steiner sogar die Panzerglasplatte vor einer Ausstellungsnische ab. Schon beim ersten Hinsehen konnte Dr. Grimm einen weiteren Irrtum erkennen und berichtigen: Die Münze des Valens ist aus Bronze und nicht, wie angegeben, aus Silber. Ansonsten sind die Münzen von Gordianus und Valens in der Vitrine jedoch richtig beschrieben. »Da hat es wohl beim Anbringen des Textzettels eine Verwechslung gegeben«, bedauert Hubert Steiner: »Die sogenannte falsche Bezeichnung der Münze wurde nach den uns übermittelten Angaben beschrieben«, betont der Heimatpfleger.
Wie aber ist der Heimatverein in den Besitz der Münzen und hunderter anderer Fundstücke aus der Römerzeit gekommen? Die, so Steiner, habemannach seinerWahlzum Vorstand des Heimatvereins von Sondengehern erworben, die sie im Gemeindebereich mit ihren Metalldetektoren entdeckt haben. Im Gewölbesaal des Heimathauses. dem ehemaligen Denglhamerhof, der direkt neben der Tourist-Information steht, haben sie einen würdigen Platz gefunden. Sie erinnern Einheimische und Urlauber gleichermaßen an die Zeit, als das Chiemseeufer zum Römischen Reich gehörte.
Klaus Oberkandler
3/2022