Jahrgang 2023 Nummer 51

Unter Christbäumen

Erinnerung an die unvergessenen Heiligen Abende der Kinderzeit

Am schönsten waren wohl die Christbäume der Kinderzeit. Wer denkt da nicht gerne zurück an diese Heiligen Abende. Auf das Warten, auf das Horchen. Das Glöcklein silberfein, das das Christkind läutete bevor es wieder wegflog, von einem Weihnachtsmann war nie die Rede, dieses Glöcklein ließ die Kinder aufspringen. Die Türe zur Stube wurde geöffnet und der Christbaum mit brennenden Kerzen strahlte überirdisch schön drinnen. Das Lied »Stille Nacht« wurde gemeinsam gesungen. Die Gaben, die das Christkind brachte, waren bescheiden. Die Puppe hatte ein neues Kleid an, ein kleiner Kaufladen stand auf dem Stuhl, die Buben bekamen ein Märchenbuch, einen Malkasten, die Kinder waren selig. Nur an diesem Abend und an Silvester durften sie einen Punsch mittrinken und die etwas größeren gingen, mit einer Laterne an der Hand, zur Mitternachtsmette.

Diese feierlichen, unvergessenen Heiligen Abende der Kinderzeit – lang sind sie vergangen, immer bleiben sie in Erinnerung. Ganz gleich wie die Christbäume aussahen, ja die Tante hatte einen kleinen mit zwei Gipfeln. »Ja«, sagte sie, als sich die Verwandtschaft wunderte, »den hätte sonst keiner genommen und gerade der soll jetzt bei mir in Ehren kommen, er kommt mir vor wie ein Wesen, das von der Natur benachteiligt wurde, darum soll er erst recht jetzt im Glanz und Licht stehen«.

Nach diesen Heiligen Abenden der Kindheit denke ich an einen Heiligen Abend in einer fremden Stadt, bei fremden Leuten. Fast nicht zu fassen war es, dass es so wenig feierliche Heilige Abende gab. Der Christbaum stand lieblos geschmückt in einer Ecke. Die Frau rieb für den kommenden großen Feiertag Kartoffeln für die Kartoffelknödel, ihr Mann rauchte eine Pfeife und las nebenbei die Zeitung. Kein Weihnachtslied, kein Glöcklein, keine brennenden Kerzen am Baum. Nur zur Mette wurde gemeinsam gegangen auf einen Berg eine Stunde weit entfernt, ein erstes Weihnachten in der Fremde.

1942 schrieb dann der junge Gebirgsjäger aus dem Felde: »Ich darf auf Weihnachten heimkommen«. Und daheim war dann sofort seine Frage: »Mama hast schon einen Christbaum?« »In der Holzhütte steht er«, sagte ich. Er schaute nach und meinte dann: »Was, a so a kloans winzigs Bäumal! Na, da hol i scho a schönas«. Am Heiligen Abend Nachmittag, der schönere wurde schon geschmückt, klopfte jemand an die Wohnungstür. Der Junge knapp neunzehn Jahre jung, stand draußen mit seinem Freund, der überraschend von einem Kriegsschauplatz aus dem Norden auch heimkommen durfte.

»Kommt herein!«, forderte ich die zwei Jungen auf. »Nein«, sagte mein großer Bub und Gebirgsjäger, »nein Mama, ich geh erst in die Stube, wenn‘s Christkindl kommt, wenn der Christbaum brennt und du das Glöcklein läutest«.

Am nächsten Heiligenabend kam ein Brief aus der Front imOsten. Wir sind ganz nah beim Russen. Er hört unsere Weihnachtslieder, wir die ihren. Dazwischen kommt die Aufforderung: Ergebt euch! Sie brachten uns Schnaps und Schokolade nach vorne. Im Graben, ganz verdeckt im Eck, haben wir ein kleines Christbäumchen. Jetzt ist es zwei Uhr morgens. Gell Mama, wenn der Krieg aus ist, dann feiern wir wieder gemeinsam. Vom Papa weiß ich nichts, ich hoffe er lebt noch, dass er auch noch an die Front musste in seinem Alter istmir arg, gell wir halten immer zusammen. Wenn auch ein Arm oder ein Fuß bei mir dann fehlt, ihr mögt mich ja immer, gleich wie ich komme«. Sie kamen nicht mehr. Er nicht und der Freund nicht. Die feierlichsten und kleinsten Christbäume sind für viele Menschen jetzt draußen auf dem Friedhof. Da ist eine Ruhe, ein seliger Friede. Die Lichter brennen über den Gräbern und man fühlt direkt den Hauch der anderen Welt in der es keinen Hass, keinen Streit, keinen Schmerz mehr gibt, nur die Stille, die Zufriedenheit. Man ahnt die Seligkeit in der die Erlösten nun sind. Still steht man dort und weiß sie sind uns allen nah, allen verbunden und wir vergönnen ihnen die Ruhe, das Jenseits das bestimmt besser und schöner ist, das wunschlos und friedlich ist.

 

(ACB)

 

51/2023