Stilles Gedenken und fröhliche Erinnerungen
Allerheiligen vereinigt beides in sich – Vom Leichenschmaus und den Totengräbern



Allerheiligen ist ein sogenannter stiller Gedenktag. Keine laute Musik, Gräberumgang am Nachmittag, keine Tanzveranstaltungen am Abend – so weit so gut. Dabei schaut es bei mancher Beerdigung und bei manchem Leichenschmaus ganz anders aus, vor allem wenn die Hockenbleiber unter sich sind. Da wird aus dem traurigen Anlass oft einmal ein fröhliches Erinnern, eine Rückschau auf die Marotten und Eigenarten des Verstorbenen, der leider nicht mehr dabei sein kann. Und so mancher zieht daheim zufrieden Bilanz: »War des a lustige Leich…« Dieses Urteil wird umso öfter getroffen, je älter und lebensbejahender jene Menschen waren, denen man an diesem Tag ins Grab hat schauen müssen.
Aber auch auf dem Friedhof selbst geht es oft eher lustig als traurig zu, wenn man der Überlieferung glauben darf. Eine »ganz besondere Rasse« sind offenbar die Totengräber. Vielleicht werden sie von ihren Mitmenschen auch nur deshalb als etwas Besonderes angesehen, weil kaum jemand etwas mit ihrem Beruf zu tun haben möchte. So wurde der Totengräber im Dorf oft als Sonderling beschrieben, als kauzig, verschlagen, oft auch als Außenseiter der Gesellschaft. Dabei waren es fast überall ganz normale Menschen wie du und ich, die diesen Dienst versahen. Und es mangelte ihnen nicht an Humor. So erfuhren wir beim Besuch des Friedhofs in Nußdorf von einem Totengräber, der die Angehörigen eines Verstorbenen mit den Worten tröstete: »Im Jenseits kann's offenbar gar nicht so schlecht sein. Ich wüsste nicht, dass schon jemals einer zurückgekommen wäre.«
Eines Tages sucht er jeden heim, der Boandlkramer, ganz wie es dem Betreffenden »aufgesetzet« ist. Und wenn dann kein Kerschgeist im Haus ist, tritt alsbald ein Vertreter jenes Berufsstandes in Aktion, der von einem besonderen Nimbus umgeben ist: der Totengräber. Josef Ruederer schreibt in seiner Erzählung »Der Totengräber«, dass er »rauchend, singend und pfeifend die Schaufel zu schwingen pflegte«. In seiner Wohnung beherberge er ein Skelett mit Zylinder auf dem Schädel. Was sind das für Menschen, die anderen eine Grube graben, um sie fachmännisch unter die Erde zu bringen?
Bis ins 18. Jahrhundert zählte ihr Metier zu den »unehrenhaften Berufen«. Oft wurde das Amt in der Familie über Generationen vererbt. Die Totengräber unserer Tage sind bemüht, ihr eher düsteres Image aufzupolieren. In Münnerstadt in Unterfranken gibt es ein Ausbildungszentrum für »Bestattungsfachkräfte« nebst angeschlossenem Lehrfriedhof. Der Totengräber alter Schule wird bald ausgestorben sein. »Funeral Master«, »Sepulkraltechniker« oder »Trauermanager« lösen ihn ab. Aber bevor das geschieht und die Geschichten über die alten Totengräber in Vergessenheit geraten, wollen wir hier noch einige aus dem Landkreis Traunstein schildern.
Eigentumsvorbehalt oder: Wie der Grassauer Totengräber abrechnete
Bis in die 1950-er Jahre hinein versah der Leitner Toni mit Eifer und Umsicht den Posten des Totengräbers auf dem Friedhof in der Marktgemeinde Grassau im Achental. Bürokram und Schreibtischarbeit waren seine Sache nicht, erinnert sich der langjährige Kulturbeauftragte der Gemeinde, Fritz Seibold. Das erkannten die Angehörigen der Verstorbenen spätestens, wenn sie die Rechnung des Totengräbers bekamen. Sie war von Hand geschrieben und es stand kein Wort mehr drauf als unbedingt nötig.
Aber auch das war dem Leitner eigentlich schon zuviel und so beschloss er eines Tages, sich einen Rechnungsblock anzuschaffen – mit blauem Durchschlagpapier; welch eine Erleichterung der enormen Schreibarbeit. So fuhr er nach Traunstein, steuerte schnurstracks das altehrwürdige Schreibwarengeschäft Miller in der Maxstraße an und erstand den Block, der ihn fortan von der lästigen Schreibarbeit entlasten sollte. Nur: So direkt auf die Dienste des Totengräbers zugeschnitten waren die Vordrucke nicht. Sie endeten mit dem Hinweis: »Die Ware bleibt bis zur vollständigen Bezahlung mein Eigentum.«
Skurriles weiß auch der Waginger Ortsheimatpfleger Franz Patzelt über Alois Bleibinger zu berichten, der vor etlichen Jahrzehnten in Waging den Dienst des Totengräbers versah. Mit seiner Arbeit war man im ganzen Ort zufrieden. Sein äußeres Erkennungsmerkmal war ein langer schwarzer Mantel. Unter diesem Mantel ließ sich manches transportieren und verbergen. So ist überliefert, dass der Totengräber, wenn er ein verstorbenes Neugeborenes begraben musste, den kleinen Leichnam in Tücher gewickelt unter seinemMantel am Körper trug und ihn so zum Friedhof brachte.
Wenn er dann nach getaner Arbeit auf dem Heimweg beimMetzger halt machte und seine Brotzeit für das Abendessen einkaufte, verstaute er die Wurst oder den Leberkäs ebenfalls unter seinem Mantel und brachte den Einkauf so nach Hause. Franz Patzelt will nicht dafür garantieren, dass es auch wirklich so gewesen ist. Aber ein wahrer Kern steckt bestimmt hinter der Schilderung.
Betrunkener Totengräber fiel ins Grab
Es ist nur allzu menschlich, wenn manche Totengräber ihre alles andere als lustige und vergnügliche Tätigkeit mit dem reichlichen Genuss von Alkohol erträglicher zu gestalten versuchten. Der Siegsdorfer Altbürgermeister Franz Maier erzählte uns von einem früheren Totengräber im Ort, der ein erhebliches Quantum brauchte, um seine Stimmung im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit aufzuhellen.
Eines Tages war bei einer Beerdigung sein Gleichgewichtsorgan vom Alkohol dermaßen stark beeinträchtigt, dass er beim Hinablassen des Sarges ins Grab hinunterfiel und mit lautem Poltern aufdemSargzum Liegen kam. Er hatte aber, wie das bei Betrunkenen meist so ist, einen wachsamen Schutzengel und blieb unverletzt. Der Pfarrer und Mitglieder der Trauergesellschaft halfen dem guten Mann aus seiner misslichen Lage.
Auch der langjährige Siegsdorfer Kirchenpfleger Vinzenz Dufter wusste um einen Siegsdorfer Totengräber, der einen aufmerksamen Schutzengel hatte. Der Mann legte als Mitglied des Volkssturms gegen Ende des letzten Weltkriegs Panzersperren an, als plötzlich Tiefflieger über ihn und seine Kameraden donnerten. Mit Erdaushub ist der Totengräber vertraut. So legte er sich auf den Aushub für die Sperren und stellte sich tot. Er blieb unverletzt, wie Dufter versicherte.
In Haslach, der Mutterkirche von Traunstein, besteht der Untergrund in einem Bereich des Friedhofs aus einer dichten Lehmschicht. Der Totengräber stieß beim Ausheben von Gräbern immer wieder auf nicht gänzlich verweste Reste von Bestattungen, die schon Jahrzehnte zurücklagen, berichtete der ehemalige Kirchenpfleger Franz Ober und erklärte: »Dieser Boden garantiert eine gewisse Langlebigkeit.« Und: »Vielleicht geht dann lieber jemand rein in die Letten.«
A paar Watschn für die Leich'
Der alte Paulschuster Hois war Totengräber in Marquartstein und verrichtete auch die Arbeiten, die sonst einer Leichenfrau oblagen. Dem Bier sprach er gerne und reichlich zu, weshalb das Gasthaus Prinzregent sein bevorzugter Aufenthaltsort war. Der notorische Geldmangel des alten Hoisn brachte es mit sich, dass er immer wieder einmal anschreiben lassen musste, und sein Schuldenberg langsam aber stetig immer größer wurde. Irgendwann kam er dann auf die Gant (heute müsste er Privatinsolvenz anmelden) und sein Häusl wurde versteigert. So fiel es in die Hände des ehrbaren Wirts vom Gasthaus Prinzregent.
Als dieser starb, legte ihn der Hoisn in den Sarg, richtete ihn her und verabreichte ihm links und rechts ein paar Watschen. Er begleitete diese mit dem Kommentar: »Die sind dafür, dass du mich um mein Sachl gebracht hast«. Ob die Geschichtewahr ist,weißman nicht, aber der alte Mesner Ludwig Bauer hat sie so erzählt.
Der Totengräber in der Pfarrei Sankt Laurentius in Obing hieß Bogner, erzählt Valentin Tremmel, der hier von 1969 bis 2002 Pfarrer gewesen ist. Dem Bogner sei es oft zu mühsam gewesen, die Gräber tief genug auszuschachten. Einmal hat ihn der Pfarrer erwischt, wie der Sarg kaum 30 Zentimeter mit Erde überschüttet war. »Als ich ihn darauf ansprach, schmiss er mir die Schaufel vor die Füße«. Das Zerwürfnis habe aber nicht lange gedauert, versichert Tremmel mit einem Schmunzeln.
Die Totengräber früherer Zeit haben ihren Dienst ruhig und sachlich versehen. Es wurde nicht viel Aufhebens darum gemacht. Heute werden die mit diesem Beruf verbundenen Arbeiten fast ausnahmslos von Bestattungsunternehmen erledigt, die Verträge mit der Pfarrei oder der Gemeinde abschließen. Das früher vor allem im Winter so mühsame Ausschachten des Grabes geschieht heute mit kleinen, wendigen Baggern. Die Bestattungsunternehmen kümmern sich um alles – was natürlich auch seinen Preis hat. In Traunstein sind die Beerdigungsinstitute von Ferdinand Huber und Paul Loch die »Platzhirsche«. Und seit Jahrzehnten gilt hier der Spruch, wenn’s ums Sterben geht: »Huber oder Loch, einmal kommt er doch.«
Es soll hier nicht unterstellt werden, dass Bestattungsunternehmen unzuverlässig sind; aber auch hier wie überall können Fehler passieren und der folgende muss nicht unbedingt von der beauftragten Firma gemacht worden sein. Es trug sichamPallinger Friedhof zu und die Geschichte hat uns der ehemalige Kirchenpfleger Otto Huber erzählt:
Die Beerdigung eines angesehenen Mitbürgers stand an. Er war Tage zuvor im Krankenhaus verstorben. Die trauernden Kinder wollten vor der Beerdigung noch einen Blick in den Sarg mit ihrem Vater werfen und still Abschied nehmen. Im Sarg lag jedoch die Leiche einer alten Frau. Beim Abholen im Krankenhaus hatte es offenbar eine Verwechslung gegeben. Der Sarg mit dem Leichnam aus Palling war tags zuvor in Kienberg beerdigt worden. Nachdem man den Irrtum entdeckt hatte, wurde er wieder ausgegraben und beide Leichen fanden in den ihnen zugedachten Gräbern ihre letzte Ruhe.
Und auch der Autor dieses Beitrags will am Ende noch eine kleine Geschichte zum Besten geben, die er im Oktober 2019 auf dem Friedhof in Kammer erlebt hat. Manfred Brückner, der »gute Geist« im Dorf, wurde beerdigt. Der Manfred war begeisterter Bulldogfahrer – in den letzten Jahren natürlich nur noch Beifahrer. Seiner Frau Rosa hatte er schon ins Grab schauen müssen. Sie hatte seine Art zu leben über viele Jahre geduldig ertragen, war ihm aber auch eine wertvolle Mahnerin gewesen. Immer wenn man von einem solchen Treffen heimkam und am Friedhof vorbeifuhr, forderte der Manfred die anderen Autoinsassen auf, »a wengerl staad zu sein« und den Chauffeur dazu, »a wengerl schneller zu fahren«, damit die Rosa nebenan imFriedhof nix merkt, wenn er erst so spät heimkommt. Diese und so manch andere Geschichte erzählte Hubert Wimmer bei Manfred Brückners Beerdigung. Alle mussten sich das Lachen ob der launigen Worte verkneifen; manche schafften das nicht. Diese Grabrede wird keiner vergessen und im Rückblick wird wohl jeder sagen, der dabei war: »Mei, war des a lustige Leich'.«
Wer am kommenden Montag, an Allerheiligen, am Grab seiner lieben Verstorbenen steht und von allzu traurigen Gedanken übermannt wird, der sollte sich vielleicht an die eine oder andere Begebenheit erinnern, die in diesem Bericht geschildert wird, damit die dunklen Gedanken nicht allzu sehr überhand nehmen.
Klaus Oberkandler
44/2021