Jahrgang 2022 Nummer 6

Simon Wolff aus Chieming fertigt seit Jahrzehnten Goaßln

Das Handwerkszeug der Schnalzer wird nicht mehr aus Peddigrohr gebaut

Simon Wolff in seiner kleinen Werkstatt in Chieming. Hier fertigt er Holzschnitzereien, Charivari, Messergriffe aus Horn und andere Gegenstände. Die Goaßln baut er vorwiegend in seiner Garage.
Von Hand gedreht sind die Hanfseile an den Goaßln. Sie werden in einer Seilerei in Schwaben hergestellt.
Mit seinem kleinen Verkaufsstand steht Simon Wolff bei Pferdesportveranstaltungen und bietet seine handgefertigten Goaßln an.
Mehr als Bayerischer Meister geht beim Goaßlschnalzen nicht. Barthl Fleck aus Reichsberg hat den Titel in dieser Brauchtumssportart 24mal gewonnen und präsentiert hier stolz eine seiner Siegertrophäen.
1995 unternahm Barthl Flecks Frau Andrea mit dem Chiemgau-Akkordeon-Orchester eine Konzertreise in die Vereinigten Staaten. Das Orchester spielte unter anderem im Vereinsheim der Trachtler in Colorado. Und dort trat auch Barthl Fleck mit seinen Goaßln auf.
Solche Griffe aus Holz werden mit der Fiberglasrute verbunden, an der das Hanfseil für den nötigen Knall beim Schnalzn sorgt.

Das Goaßlschnalzen ist seit den 1970er Jahren ein beliebter Programmpunkt bei Brauchtumsveranstaltungen, bei Heimat- und Bierzeltabenden. Es gibt auch Wettbewerbe, wie zum Beispiel die Bayerische Meisterschaft in Miesbach, bei denen sich die besten Schnalzer messen. Ihr »Handwerkszeug« sind die Goaßln. Das sind Peitschen, die früher aus Peddigrohr, heute aus Fiberglas gefertigt werden. Sie haben einenGriff ausHolz und ein sich nach vorne verjüngendes Hanfseil. Ewig hält eine solche Goaßl nicht. Für Nachschub landauf, landab sorgt Simon Wolff aus Chieming. Seit mehr als 30 Jahren baut er in seiner kleinen Werkstatt die Peitschen – oder soll man besser sagen: Sportgeräte, Arbeitsgeräte, Instrumente?

»Ich weiß gar nicht, wieviele Goaßln ich bis jetzt schon gebaut habe«, erzählt Wolf, während er an seinem Arbeitstisch gerade an einem winzigen Holzstück herumschnitzt. »Das wird ein Hutschmuck«, erklärt er. Beim Blick in die Schubladen und Regale sieht man noch Hunderte anderer Erzeugnisse aus der kleinen Manufaktur des 68-Jährigen: Taschenmesser und Flaschenöffner mit Griffen aus Rehgehörnen, Grandlund Hutschmuck und Teile für Charivari. Das Wichtigste für ihn und seine Kunden sind aber die Peitschen, ohne die das Schnalzen unmöglich wäre. Das ursprüngliche Baumaterial, Peddigrohr, ist zäh und biegsam. Es wird gerne auch zum Flechten von Körben verwendet.

Hanfseil wird von Hand gedreht

Wenn eine Goaßl bricht, dann geben die Schnalzer bei Simon Wolff eine neue in Auftrag. Die Griffe drechselt er meist aus Eichenholz, aber auch aus anderen Hölzern. Die Schnüre aus Hanfseil sind von Hand hergestellt. Sie sind 100 bis 130 Zentimeter lang und verjüngen sich von etwa zehn auf einen Millimeter. In einer Seilerei in Schwaben werden sie gedreht, wie die Goaßlbauer verrät.

Wie aber hat er die Fertigkeiten erworben, solche Peitschen bauen zu können? Das hat Wolff der Bekanntschaft des längst verstorbenen Martin Grundner aus Burghausen zu verdanken. Der war der einzige Goaßlbauer in weitem Umkreis. Als Simon Wolffs Arbeitsplatz als Pharmazietechniker von Traunreut nach Tittmoning verlegt wurde, da besuchte er Grundner nach Feierabend einmal in dessenWerkstatt in Burghausen. Im Lauf der Zeit schaute er sich die Tricks und Fertigkeiten ab, baute selbst die ersten Peitschen und wurde schon bald ein würdiger Nachfolger Grundners.

Die »Wolfsberger Goaßlschnalzer« als Vorbilder

Dessen Goaßln waren ein Begriff. Auch Wolff hatte sein Hobby von Anfang an mit einer Grundner-Goaßl ausgeübt. Als in Traunwalchen der Trachtenverein »D’Traunviertler« 1972 sein 10. Gründungsfest feierte, wirkten am Festabend die »Wolfsberger Goaßlschnalzer« aus Siegsdorf mit. Diese Gruppe wurde schon 1969 von Max Mitterer ins Leben gerufen. Die Darbietungen gefielen den beiden Fuhrleuten Ferdinand Langschwert und Max Strohmayer so gut, dass sie zusammen mit Sepp Kasecker das Schnalzen ausprobierten. Beim Rittbitten des Traunsteiner Georgivereins 1972 im Gasthaus zur Post in Kammer traten sie zum ersten Mal öffentlich auf. Der unvergessene Ziachspieler Willi Schneider aus Waging begleitete die Schnalzer an diesem Abend musikalisch. 1973 kam noch Simon Wolff zur Gruppe und ein paar Monate später stießen Ferdinand Langschwert jun. und Josef Holzner dazu, beide aus Oderberg. Als letzter gesellte sich im Herbst 1974 Anderl Thaler zu ihnen. In dieser Besetzung wurde die nächsten Jahre geschnalzt.

1976 nahm man erstmals am Miesbacher Preisschnalzen teil. 1982 zog sich Simon Wolff vom Schnalzen zurück, 1984 kamen dann Barthl Fleck Vater und Sohn dazu. Die Karriere der Gruppe nahm Fahrt auf: Fernsehauftritte sowie Engagements beim Münchner Oktoberfest, bei der Grünen Woche in Berlin und bei vielen anderen Veranstaltungen folgten. Das passte der Führung des Gauverbandes I nicht. Man drohte allen, die auf diese Art und Weise tätig werden, mit dem Ausschluss aus den Trachtenvereinen. »Die Betonköpfe in der Verbandsführung gaben aber schließlich klein bei« schmunzelt Wolff. So konnte man schließlich weitermachen.

Neue Gruppe AlzTrauner Goaßlschnalzer

2011 lösten sich einige Schnalzer aus der Traunwalchener Gruppe und gründeten die AlzTrauner Goaßlschnalzer. Ihr Aushängeschild wurde Barthl Fleck aus Reichsberg bei Traunstein. Er ist seit vielen Jahren der erfolgreichste Goaßlschnalzer Bayerns. Zwölfmal wurde er zwischen 1998 und 2020 Bayerischer Meister im Einzelschnalzen und zwölfmal im Gruppenschnalzen mit der Fuhrmannsgoaßl – ein Rekord für die Ewigkeit. Zunächst mit den Traunwalchnern, später dann mit den AlzTrauner Goaßlschnalzern tritt Barthl Fleck seit rund vier Jahrzehnten bei Veranstaltungen in Gasthäusern, Bierzelten und Biergärten auf. Gemeinsam mit den anderen Gruppenmitgliedern lässt er seine Peitschen knallen – sogar auf dem Münchner Oktoberfest im Festzelt Fischer-Vroni. Auftritte hatte er auch schon in Frankreich, Italien und in Denver im US-Bundesstaat Colorado.

Mit seinem Vater besuchte der damals zwölfjährige Barthl 1982 ein Bierzelt und war ebenso wie sein Vater von den Goaßlschnalzern begeistert, die dort auftraten. Die beidenwaren sich schnell einig, dass sie das auch ausprobieren wollten. Wenn die beiden probten, spielte Mutter Maria Fleck mit der Ziach und gab so den Takt vor. Schnell hatten Vater und Sohn heraus, worauf es ankommt: ruhige Stellung und lauter Schlag sowie ein großes Quantum Musikalität.

Zahl der Auftritte häufte sich

Bereits im Jahr darauf hatte man die ersten kleinen Auftritte, zum Beispiel beim Rittbitten im Gasthaus zur Post in Kammer. Bald schlossen sich Vater und Sohn den Traunwalchner Goaßlschnalzern an und traten mit ihnen jährlich bei zwei bis drei Dutzend Veranstaltungen auf. Um das hohe Niveau zu halten, treffen sich die sechs Männer und der Ziachspieler fast jede Woche zum Proben. Nur so ist es möglich, bei den Meisterschaften ganz vorne zu sein. Etwa eineinhalb Stunden wird intensiv geübt, »sonst wird es nix«. Davon ist Barthl Fleck überzeugt.

Simon Wolff erzählt, worin das Schnalzen seinen Ursprung hat: In früheren Jahrhunderten haben die Fuhrleute, wenn sie in eine Stadt oder einen Ort fuhren, mit ihrer Peitsche geknallt. Das ersetzte andere Signale wie zum Beispiel das Rufen oder später das Hupen bei Autos. Zur Unterscheidung von anderen Fuhrwerken setzten die Fuhrleute immer spezifischere Knallfolgen ein. So entstanden bestimmte Schlagfolgen und -arten wie der Vorhandschlag, der Rückhandschlag, später auch »die Triangel«. Im Laufe der Zeit entwickelten sich richtige Erkennungsrhythmen, wobei einzelne Fuhrleute beachtliches Geschick an den Tag legten. Dazu probten sie auch in ihrer Freizeit mit der Peitsche.

Im Rupertiwinkel, im angrenzenden österreichischen Flachgau sowie in Nord- und Südtirol wird das Brauchtum des Peitschenknallens ebenfalls gepflegt – dort hat es jedoch heidnischen Ursprung. Zweck war es früher, durch den Lärm der Goaßln den Winter zu vertreiben. Auch die Peitschen dafür sind dort ganz anders. Sie haben kürzere Griffe und längere Seile, die auch viel dicker sind, als die der Fuhrmannsgoaßln.

Mehr als Bayerischer Meister geht nicht

Ausgangsort der Bayerischen Meisterschaften im Gruppenschnalzen war zunächst immer Miesbach, wo 2019 in der Oberlandhalle bereits die 30. Titelkämpfe stattfanden. »Die Meisterschaft und damit den inoffiziellen Rang des Weltmeisters machten zwei Gruppen aus dem Landkreis unter sich aus«, schrieb damals der Miesbacher Merkur und wies damit dezent darauf hin, dass es in dieser Disziplin nichts Höheres gibt als die Bayerische Meisterschaft. An der nehmen auch Schnalzer aus Österreich teil. Gäbe es alpenländische, deutsche oder Europameisterschaften, wäre das natürlich auch schön. So aber ist der Titel des Bayerischen Meisters das Höchste, was man in dieser Disziplin erreichen kann.

Barthl Fleck kauft seine Goaßln aus Fiberglas natürlich auch bei Simon Wolff in Chieming. Das Material ist deutlich strapazierfähiger als Peddigrohr. Habe er früher schon einmal ein halbes Dutzend Peitschen in einer Saison verschlissen, so braucht er heute deutlich weniger. Und wie war das mit seinem Auftritt in den USA? Das sei 1995 gewesen, als das Chiemgau-Akkordeon-Orchester eine Konzertreise in die Vereinigten Staaten machte. Seine Frau Andrea ist Mitglied dieses Ensembles, und der Barthl begleitete sie auf der Reise. Das Orchester spielte unter anderem im Vereinsheim der Trachtler in Colorado. Vorplattler war ein Mann, der aus Unterwössen stammt und nach Amerika ausgewandert war.

Simon Wolff freut sich in seiner Werkstatt über die Wertschätzung, die seine handgefertigten Goaßln genießen. Und natürlich hofft er wie alle, dass möglichst bald wieder Veranstaltungen stattfinden können und auch die Schnalzer wieder ihrem Hobby nachgehen können.

 

Klaus Oberkandler

 

6/2022