Jahrgang 2022 Nummer 5

Rottaler Künstlerin eroberte die Kinderherzen

Werke aus dem Nachlass von Berta Hummel im Kloster Seeon

Schwester Maria Innocentia Hummel. (Alle Repros vom Verfasser)
Hummelfigur: Der kleine Wandersmann.
Eine typische Hummel-Zeichnung.
Das Hummel-Museum in Massing.

Hummel-Figuren sind weltweit verbreitet, vor allem in den USA, wohin sie Soldaten nach 1945 als Souvenirs mitbrachten. Dort gibt es sogar einen eigenen Hummel-Club. Aber auch bei uns gehören die Hummel-Bilder und Porzellanfiguren mit den heiteren Kindermotiven nach wie vor zum optischen Gemeingut: Buben und Mädchen beim Spielen, beim Singen und beim Musizieren und in anderen liebevoll dargestellten Alltagssituationen.

Nicht alle wissen, dass die Schöpferin der Hummelwelt eine bayerische Klosterfrau gewesen ist: Die Franziskanerin Maria Innocentia Hummel (1909 bis 1946) aus dem Kloster Sießen in Oberschwaben. Sie hieß eigentlich Berta und stammt aus dem niederbayerischen Markt Massing im Rottal. Schon als Schulkind fiel sie den Lehrern durch ihr Zeichentalent auf. Als drittes von sechs Kindern einer Kaufmannsfamilie verlebte sie eine unbeschwerte Kindheit und besuchte die Mittelschule der Englischen Fräulein in Simbach am Inn, wo sie einen intensiven Kunstunterricht erhielt. Ihr vierjähriges Studium an der Akademie für Angewandte Kunst in München schloss sie 1931 als Klassenbeste mit der Lehramtsprüfung als Zeichenlehrerin ab.

Während ihres Studiums an der Kunstakademie hatte sie ein Erlebnis, das ihr Leben prägen sollte. Unter den Studenten waren auch zwei Franziskanerinnen aus dem Kloster Sießen, mit denen sie sich befreundete. Das Kloster hatte neben einer Volksschule auch eine Werkstätte für die Herstellung von Messgewändern und anderer liturgischer Gegenstände. Dafür sollten die Schwestern ausgebildet werden. Bei einem Besuch in Sießen war die junge Lehrerin vom dortigen Leben so angetan, dass sie den Entschluss fasste, selbst auch ins Kloster einzutreten. Diese Entscheidung kam nicht unvorbereitet. Schon während des Studiums in München hatte sie ein intensives religiöses Leben geführt, täglich die Messe besucht und das »Herzensgebet« praktiziert, eine kontemplative Gebetsform für Laien. Nach der Profess wurde die junge Nonne Zeichenlehrerin an der Klosterschule in Saulgau und Leiterin der Paramentenherstellung.

Neben den Kinderbildern schuf Berta Hummel auch Kunstwerke mit religiösen Inhalten in allen Formaten, darunter ein Altarbild in Massing, eine Pieta in Tuttlingen, ein Bild des Bruder Konrad in der Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Kötzting sowie Altarbilder in Rathmannsdorf und Tuttlingen. Auch ein expressionistischer Kreuzweg für das Kloster Sießen ist erhalten. Die Einkünfte aus ihren Werken wurden zu einer wichtigen finanziellen Stütze des Klosters in den Kriegsund Nachkriegsjahren.

Die ganze Liebe von Berta Hummel galt aber ihren Kinderzeichnungen. Sie stellte ihre Arbeit unter den Leitspruch »Ich will anderen Freude machen«. Erste Ausstellungen und Buchveröffentlichungen waren sehr erfolgreich und machten die Öffentlichkeit auf sie aufmerksam. Jedes Kinderbild von Berta Hummel sei eine Botschaft von kindlicher Unabhängigkeit und Freude am Dasein, schrieb ein Kritiker. Ihre Phantasie führe den Betrachter in eine freie, unbeschwerte Welt jenseits aller Beschränkungen und Alltagssorgen, das sei das Geheimnis ihres Erfolges.

Bei einer Ausstellung lernte die Schwester den Geschäftsführer einer Porzellanfabrik aus Rödenthal bei Coburg, Franz Goebel, kennen. Goebel war begeistert von den ausgestellten Arbeiten und machte Berta Hummel den Vorschlag, Porzellanfiguren nach dem Muster ihrer Zeichnungen herzustellen. Mit Einverständnis des Klosters erhielt er die Lizenz zur Produktion und Vermarktung der Figuren, natürlich unter finanzieller Beteiligung des Klosters. Der Verkaufserfolg überstieg alle Erwartungen. Zu der Serienproduktion kamen Einzelanfertigungen, die bis heute einen erheblichen Sammlerwert erzielen, wie die Angebote im Internet zeigen. Dabei ist die Produktion der Figuren sehr aufwändig und erfolgt im Hohlgussverfahren, bei dem die flüssige Porzellanmasse in einen Hohlraum zwischen der Grundform und dem äußeren Mantel gegossen und die Figur bei 1100 Grad gebrannt wird, um abschließend mit der Hand bemalt zu werden.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Kloster Sießen mit Flüchtlingen belegt, nur wenige Ordensschwestern konnten bleiben, unter ihnen Berta Hummel. Aber Hunger und Kälte setzten den in einem Nebengebäude untergebrachten Schwestern zu. Schwester Maria Innocentia wurde krank, verbrachte mehrere Monate in einem Sanatorium, wurde gegen Kriegsende mit Tuberkulose in eine Kinderheilstätte eingeliefert und starb im November 1946 im Alter von erst 37 Jahren im Mutterhaus in Sießen.

In ihrem Nachlass fanden sich neben Skizzen zu ihren Figuren auch Landschafts- und Blumenaquarelle, Aktzeichnungen, Porträts und Karikaturen sowie Entwürfe zu biblischen Illustrationen. Daraus hat Alfred Hummel, ein Neffe der Künstlerin und Leiter des Berta-Hummel-Museums in Massing eine Auswahl zusammengestellt, die unter dem Titel »Berta Hummel – die Dame in Rot« im ehemaligen Benediktinerkloster Seeon bis Ende März zu sehen ist. 

 

Julius Bittmann

 

5/2022