Jahrgang 2024 Nummer 41

Mit Musik und Humor unterwegs

Albert Geierstanger ist seit Jahrzehnten in der Trachten- und Musik-Branche daheim

Albert Geierstanger blättert daheim in seinem Textalbum, das er aber zu Auftritten niemals mitnimmt. (Foto: Kas)
Albert Geierstanger bei einem Auftritt am Waginger See vor wenigen Wochen in voller Fahrt. (Foto: Kas/alle anderen privat)
Albert mit seinen zwei Buben Gerhard und Robert beim Musizieren.
Albert mit Elvis Presley-Gitarre und Schwester Rosi. Das Bild ist 60 Jahre alt.
Albert mit seinem Bruder Hans, der 2010 verstarb.
Bild von 1962: Albert mit seinem ersten Auto, einem Fiat 600.
Albert im Kindergarten 1982: Im Fasching gab es kein Fest ohne ihn.
Beim Martinszug ist Albert immer mit seiner Ziach dabei.

Er ist ein oberbayerisches Urgestein, seine Auftritte sind heute noch legendär, haben fast schon Kultcharakter und er ist seit über 60 Jahren in der Trachten- und Musik-Branche daheim: Albert Geierstanger aus Kirchanschöring. 81 Jahre zählt er mittlerweile, aber engagiert ist er wie früher. Er spielt Ziach, singt dazu und trägt Mundartgedichte und Witze vor, wovon viele junge Künstler nur träumen können. »Ich bin mit Musik und Humor unterwegs«, sagt der frühere Bahnbeschäftigte ganz bescheiden. Wer ihn mal live erlebt hat, wird seine One-Man-Show nie vergessen. Er reißt sein Publikum mit, interagiert mit ihm, serviert Kontraste, bringt Bewegung in die Runde, zeigt überragende Bühnenpräsenz, strapaziert permanent die Lachmuskeln seines Publikums und kann auch über sich selbst lachen.

Und wo tritt er auf? Die Frage ist so nicht zu stellen, sie müsste eher lauten: Wo war er eigentlich noch nicht als Alleinunterhalter unterwegs? Stammgast ist er heute noch in den Altenheimen in den Landkreisen Berchtesgadener Land und Traunstein, in Waging, Taching, Tittmoning, Laufen, Teisendorf, Freilassing, Siegsdorf, Traunstein und im benachbarten Bergheim bei Salzburg. Er unterhält Hochzeitsgesellschaften ebenso wie Geburtstagsrunden, spielt bei »Goldenen« und »Diamantenen«, ist immer erste Adresse in und um Kirchanschöring, wenn es um die Stimmung geht. Er fühlt sich in Kindergärten ebenso daheim, wie in Pfarrgemeinden, bei Betreutem Wohnen, Heimatabenden, Firmenfeiern oder Umzügen.

Auftritte hatte Albert schon im Gefängnis, bei der Polizei, in Ämtern und Rathäusern und bei vielen Verbänden und Vereinen, wie jüngst beim Eisstockclub Freilassing. Er war Hausmusiker in der Neubichler Alm oberhalb von Piding. Seine Vorstellungen luden dort Alt und Jung über Jahre hinweg zum Träumen und Genießen ein, mindestens so wie das herrliche Bergpanorama am waldreichen Högl-Höhenzug. Auch bei Hebfeiern war er fleißig gebucht, ebenso wie bei Floßfahrten auf der Isar. Ob »indoor oder outdoor« spielt keine Rolle, er wird schnell heimisch und nennt die Freiluftbühne beim Bootsverleih Kneidl beim Kurhaus in Waging als einen seiner Lieblingsplätze. Hier sorgt er oft für das »Warm up«, heizt dem Publikum schon mal richtig ein, bevor der singende Fischer vom Waginger See, Robert Rias, mittlerweile als Komponist und Pianist fast noch bekannter, auf seinem Piano loslegt. Das passiert meist am Dienstagabend bei der Flaniermeile oder am Samstagabend und Sonntagvormittag, wenn das Wetter passt.

Geierstanger ist und bleibt Kirchanschöringer. Er ist hier aufgewachsen, zur Schule gegangen, hat hier auch seine Irmgard aus der Nachbarschaft geheiratet. Und er ist heute noch glücklich mit ihr. Das Paar hat vier Kinder, zwei Mädchen und zwei Buben zwischen 55 und 35, dazu neun Enkel und drei Urenkel. Gelernt hat Albert bei der Deutschen Bundesbahn, war Beamter, zunächst im Gleisbau zehn Jahre lang in München, danach über 30 Jahre in Freilassing. Seit dem Jahr 2000 ist er Rentner, aber Rentner kann er nicht. So widmet er sich seit einem Vierteljahrhundert ganz seinem Hobby, mit dem er anderen Menschen Freude macht. Sein Repertoire umfasst über 100 Lieder und Dutzende Gedichte, immer wieder kommen neue hinzu. Noten oder Gedrucktes braucht er nicht, er hat alles im Kopf. Und wie auf Knopfdruck sprudelt es dann heraus.

Geboren wurde Geierstanger in Kothaich bei Kirchanschöring, da war der Zweite Weltkrieg noch nicht beendet und die Not groß. Das Talent mit der Musik hatte er von seiner Mutter in die Wiege gelegt bekommen, die war als Musikerin bekannt. Schon als Zweitklässler organisierte er sich eine Zugharmonika. »Einige Männer sind aus dem Krieg leider nicht mehr zurückgekommen, da sind die Instrumente liegen geblieben und keiner konnte etwas damit anfangen«, berichtet er. So habe er für ein oder zwei Mark, die er sich zusammengespart hatte, solche bei benachbarten Bauern erstanden.

So richtig hätten sie nicht funktioniert, aber der findige Albert kümmerte sich um die Stücke, reparierte sie, verkaufte sie weiter und das natürlich mit zwei, drei Mark Gewinn. Und er fing selbst an zu spielen. Als Achtjähriger sei er gerne in den Wald hinausgegangen, habe dort gespielt und gesungen, er hätte dort seine Ruhe gehabt und sei nie gestört worden. Einen Musiklehrer oder Musik-Unterricht hatte er nie. »Ich habe mir alles selbst beigebracht und ich habe immer so lange geübt, bis ich zufrieden war«, erzählt Albert.

Später habe er sogar Unterricht gegeben und Bayerns ersten Trachten-Kinderchor gegründet. 20 Jahre lang, von 1977 bis 1997, kümmerte er sich um den Nachwuchs. Stolz erzählt er von dem bayernweiten Wettbewerb »Bayerns Jugend singt« in Traunstein, wo seine Gruppe aus Kirchanschöring den 2. Preis gemacht hatte. Und er zeigt in seinem Album auch den entsprechenden Zeitungsartikel mit einem veröffentlichten Foto. Und er habe auch einen Jugend-Drei-Gesang ins Leben gerufen mit Liedern, die er heute noch auswendig spielen kann. Das Trio sei aus dem Chor heraus gewachsen, bestand aus seiner ältesten Tochter Monika und den befreundeten Zehentner-Zwillingen, Sabine und Monika. Sie hätten es sogar zu einem Rundfunk-Auftritt geschafft. Vorstellungen habe es im gesamten südostbayerischen Raum gegeben, bis zum Irschenberg.

Aufgetreten seien sie damals unter dem heimischen Verein Edelweiß-Roth, der seine Heimat bei Kirchstein zwischen Kirchanschöring und dem Waginger See hat. Mit 16 Jahren trat Albert in den Verein ein, war Vorstand, viele Jahre im Führungsgremium und ist heute noch Mitglied, das langjährigste wie er betont. Immerhin seien es jetzt schon 65 Jahre.

Die Tradition war ihm immer schon wichtig. Viele Jahre hatte er im über 200 Jahre alten Gasthaus Baumgarten zwischen Bad Reichenhall und Schneizlreuth im Berchtesgadener Land gespielt, betrieben von der Familie Posch. Und hier kam er dann auch zu einem seiner lustigsten Auftritte, der auf dem nahen Predigtstuhl in über 1600 Metern Höhe erst vor ein paar Jahren stattfand.

Familie Posch hatte ihn beauftragt, amerikanischen Gästen das Schuhplattln zu lernen. Das Medieninteresse war groß. Das Bayerische Fernsehen war dabei und ein Privatsender. Mit der ältesten Seilbahn der Welt ging es also hinauf zur Alm, wo an diesem Tag weder die Kulinarik noch die atemberaubende Aussicht eine Rolle spielten. Albert Geierstanger sollte den US-Boys den »Heisei« beibringen, die einfachste Form des Plattlns. Und dann ging’s los wie beim Preisplattln mit Handschlägen auf den Oberschenkel und auf die Schuhe. »Die haben sich gar nicht so dumm angestellt, hatten den Dreh bald raus, aber so ganz rund lief es natürlich nicht«, berichtet der Vorplattler, aber die weit angereisten Gäste seien begeistert gewesen.

Gebucht war Albert früher deutschlandweit und oft auch im nahen Österreich. »In den 1980er und 90er-Jahren ist es bei mir rund gegangen, da war ich viel auswärts«, sagt der Kirchanschöringer, der über seine Auftritte stundenlang erzählen kann. Sein erster ganz großer sei in Heidelberg gewesen bei einer Zementfabrik. Über 600 Beschäftigte hätten sich dazu in der Kantine versammelt. »Ob sie alle mein oberbayerisch verstanden haben, weiß ich nicht«, lacht der Künstler.

Ein unvergessenes Ereignis habe sich am Flughafen in Frankfurt abgespielt. »Das war 1998, ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen, weil es so lustig war«, erzählt Albert. Bei der Kontrolle seien die Sicherheitsbeamten auf seinMesser in der Lederhose aufmerksam geworden. Was das soll, hätten sie ihn gefragt. Es sei sein »Hirschfänger«, der zur Tracht gehöre, ebenso wie seine Instrumente. Ob er ein bayerisches Lied spielen könnte, fragte die Security. Spontan holte er seine Ziach heraus und gab weithin hörbar in der Abflughalle einige Stücke zum Besten. »Unfassbar, so etwas haben wir hier noch nie gehört«, habe ein Beamter gesagt, gab ihm sein Messer zurück und wünschte guten Flug.

Viel Angstschweiß habe auch ein Auftritt zwischen Wolfratshausen und München gekostet. Als es mit einer Gruppe auf dem Floß die Rutsche auf der Isar hinunterging, sei ein Passagier über Bord gegangen. »Der hatte ganz schön was getrunken, wir haben ihn nicht mehr gesehen, aber wir konnten das Floß nicht anhalten, also ging die Fahrt weiter«, weiß er heute noch. Sofort wurde natürlich ein Notruf abgesetzt, aber erst am Tierpark in München habe sich alles in Wohlgefallen aufgelöst. Der Volltrunkene sei von einem Taxifahrer gebracht worden, der Busfahrer wollte ihn in so nasser Kleidung nicht einsteigen lassen, daraufhin habe man ihn erst einmal trocken eingekleidet, wozu viele Floßfahrer etwas beisteuerten. So ging es doch gemeinsam zurück im Bus nach Niederbayern. Eine dortige Sparkasse hatte damals zum Floß-Fest geladen.

Eine andere Geschichte habe sich in Düsseldorf abgespielt. Nach einem Auftritt sei er noch mit einigen Rheinländern um die Häuser gezogen, am Ende seien sie in einer Disco gelandet. »Als mich die Mädchen und Buben, wohl niemand älter als 25, sahen, haben sie sofort das Lied 'Anton aus Tirol' angestimmt und immer wieder gesungen. Die Disco-Musik wurde dazu runtergedreht«, lacht Albert, der aber etwas Angst um seinen kostbaren Gamsbart hatte. Kein Wunder: dafür musste er einst stolze 4000 Mark berappen. In Düsseldorf war er damals, weil er einer 90-Jährigen bayerische Tänze beibringen sollte.

Aber es gab auch weniger schöne Begegnungen, so zum Bespiel in einem Altenheim in Waging. Eine Bewohnerin sei 100 Jahre geworden und für die Feierstunde sei er gerufen worden. Die Stimmung sei wie immer bestens gewesen, nur am Ende sei er schwer enttäuscht worden. Grund: die alte Dame hatte ihn zu sich gewunken und gemeint, sie seien doch der gleiche Jahrgang. »Das war der Wahnsinn, sie 100 und ich war damals noch nicht mal 70«, erzählt der Musiker, der früher viele Auftritte mit seinem inzwischen verstorbenen Bruder Albert und Schwester Rosi hatte. Aus der Zeit stamme auch eine Elvis Presley-Gitarre, die er heute noch sein Eigen nennt. »Die hab' ich bei Öllerer in Freilassing gekauft«, sagt er stolz.

Albert Geierstanger ist auch im Pfarrverband St. Michael Kirchanschöring engagiert, war 25 Jahre lang Pfarrgemeinderatsvorsitzender. Jedes Jahr baut er hier zu Ostern ein Heiliges Grab auf und das schon seit Jahrzehnten. Auch im Kindergarten war er zu Hause, jobbte hier 16 Jahre lang als Hausmeister und fehlte mit seiner Ziach bei keinem Kinderfest. Und wenn in Kirchanschöring Martinszug angesagt war, dann fand keiner ohne ihn statt. Als Musikant ging er immer vorne weg.

Und worauf führt er seine geistige und körperliche Frische zurück? »Ich bin sehr viel im Wald bei Holzarbeiten, esse normal und trinke wenig Alkohol«, sagt der 81-Jährige, dessen Leibgericht Putenschnitzel mit Kartoffelbrei oder ein Rindergulasch ist. Aber dazu genehmigt er sich dann doch ein Bier.»Das ist auch der Grund, warum ich nie einen Unfall hatte und es bei Dutzenden Polizei-Kontrollen nie Beanstandungen gab«, berichtet er ganz stolz. Ein Fiat 600 sei sein erstes Auto gewesen als er 19 Jahre alt war. Motorrad sei er auch immer gerne gefahren, habe seine 500-ccm-Suzuki habe er noch vor Corona verkauft und kommt heute mit einem Ford Mondeo zu seinen Auftritten.

Ein Ereignis wollte Albert Geierstanger dann aber doch noch los werden. Es habe sich 1964 zugetragen, zu einer Zeit, als er mit seiner Ziach schon Freunde und Bekannte unterhalten konnte. Ein Blitz habe in sein Elternhaus eingeschlagen, das komplette Gebäude brannte ab, die Familie sei aber nicht daheim gewesen, so dass es zu keinem Personenschaden kam. »Es war ein Glück!«, sagt er heute in einer Zeit, in der er als Alleinunterhalter nach wie vor viele Menschen glücklich macht.

 

Karlheinz Kas

 

41/2024