Jahrgang 2023 Nummer 34

Letzter Hofnarr an deutschen Fürstenhöfen

Tiroler Peter Prosch schildert sein Leben in einer 1789 in München erschienenen Autobiographie – Teil I

Der Zillertaler Bauernbursche Peter Prosch tingelte im 18. Jahrhundert als Hofnarr durch deutsch-österreichische Lande. (Repros: Mittermaier)
Der bayerische KurfürstMax III. Joseph vergnügte sich 1757 an den Späßen Proschs. Gemälde von Georges Desmarées.

Heute wäre Peter Prosch prädestiniert für die Niederungen des Privatfernsehens, als Würmeresser im Dschungel, Heulboje bei »Deutschland sucht den Superstar« oder als schräger Landwirt auf Frauenfang. Zu seinen Lebzeiten im 18. Jahrhundert gab es jedoch noch keine Flimmerkiste, und so unterhielt der gebürtige Zillertaler als wandernder Hofnarr die vornehme Gesellschaft an Fürstenhöfen in deutschösterreichischen Landen. Was er in den fünf Jahrzehnten seines Lebens als Spaßmacher und gleichzeitig Prügelknabe gelangweilter Herrschaften erlebte, hat er in seiner 1789 in München erschienenen Autobiographie »Leben und Ereignisse des Peter Prosch, eines Tirolers von Ried im Zillertal« aufgezeichnet.

Auslöser für seine Karriere als »Hoftiroler«, wie er auch bezeichnet wurde, war zunächst aber weniger Geltungsdrang oder Abenteuerlust, sondern nackte Armut. 1744 als eines von elf Kindern eines Kleinbauern zur Welt gekommen, brachte sich die Familie gerade so über die Runden. In einem Alter, in dem heutige Sprösslinge die Grundschule besuchen, sterben beide Eltern und weil die älteren Geschwister selbst genug zu tun haben, nicht zu verhungern, musste sich der kleine Bub als Schafhirte verdingen und in Zeiten, in denen er keine Arbeit hat, auch als Bettelkind durch die Gegend ziehen. Das abgeschiedene Zillertal bietet insgesamt für seine Bewohner kaum genug zum Überleben, weshalb viele Familien zusätzlichen Verdienst suchen, beispielsweise als Wanderhändler.

Im Alter von nur zehn Jahren geht auch Peter Prosch mit Kräutern und Heilmitteln in der Kraxen erstmals auf Tour und erlebt dabei eine Welt, die nicht mehr nur aus armseligen Hütten und mühseliger Bauernarbeit besteht. Übers Schwabenland gelangt er nach Dischingen im heutigen Baden-Württemberg, wo die Grafen Thurn und Taxis residieren, in einem prächtigen Schloss, das den hausierenden Buben gehörig fasziniert. Den »großen Fürst«, der hier wohnt, will Prosch unbedingt zu Gesicht bekommen. Er macht sich auf die Suche und rennt schließlich in einen nahegelegenen Wald, wo er eine Gruppe Reiter erspäht, die sich als der Fürst mit Entourage auf der Jagd entpuppt.

Prosch erzählt die Begegnung mit den vornehmen Herren in kindlichem Plauderton, obwohl er seine Erinnerungen erst Jahrzehnte nach den tatsächlichen Ereignissen zu Papier gebracht hat. Obwohl Prosch diese Erlebnisse als junger Bursche erst im Alter von 45 Jahren zu Papier bringen wird, schildert er seinen Lebensweg im Wortlaut seiner Kunstfigur – des naiven Narren, der auch als Erwachsener auf der geistigen Stufe des kindlichen Peter verharrt. Diese Strategie ist nicht nur Masche, um sich als Unterhalter gut zu verkaufen, sondern Ausdruck der historischen Hofnarrenfigur. Als Teil der höfischen Gesellschaft durfte sich der Narr gegenüber seinem Herrn viel herausnehmen, ihn sogar selbst »derblecken«, allerdings nur in der Figur des dreisten Kindes, das den Vater neckt. Sobald der Narr diese Rolle verlässt, hätten seine Frechheiten bittere Konsequenzen für ihn gehabt. So aber lacht man über ihn – und belohnt ihn auch noch für seine kecken Antworten, wobei heute natürlich niemand mehr nachprüfen kann, ob die vom Zillertaler geschilderten Ereignisse und Dialoge sich auch wirklich so abgespielt haben oder nicht vielleicht ein findiger Redakteur die Autobiographie leserwirksam »aufgemöbelt« hat.

Seine Begegnung mit dem Fürsten Thurn und Taxis in Dischingen erzählt Prosch so: Der hohe Herr sei neugierig geworden, wer sich da in seinem Wald herumtreibe: »Wo kommst du her, kleiner Jung«, worauf er geantwortet habe »aus Tyrol«. »Kannst du brav laufen?«, wollte der Fürst dann von ihm wissen. »Du hast's wohl gesehen«, so Proschs naiv-dreiste Antwort, die sich über den kleinen Burschen amüsieren, der vom Fürsten daraufhin als »Läufer« engagiert wird. Doch der Bub ist mehr als nur Postbote, er wird schnell zum kuriosen Schauobjekt, das bei fürstlichen Diners geholt wird, um sich mit ihm zu amüsieren, indem man beispielsweise Süßigkeiten in ihn hineinstopft.

Doch man kümmert sich auch um den Kerl: als der Fürst nach Regensburg übersiedelt, ist Peter mit dabei und wird dort einem Kanzleibeamten als Pflegekind übergeben. Er bekommt eine Livree, wird gut gefüttert und lernt Manieren. Das neue Leben gefällt ihm zwar, doch bald stellt sich auch Heimweh ein, das ihn schließlich dazu verleitet, heimlich wegzulaufen und mit Fuhrleuten nach Tirol zurückzukehren.

Wieder im Zillertal, stellt er jedoch fest, dass er ziemlich kopflos gehandelt hat, denn die wirtschaftliche Situation dort hat sich nicht verbessert. Seine Geschwister helfen ihm zwar, können ihn auf Dauer aber nicht durchfüttern. Prosch macht sich nach Innsbruck auf, um dort Kontakt zu adeligen Kreisen zu suchen. Seine Masche: Er erzählt überall lautstark, es habe ihm geträumt, die Kaiserin – Maria Theresia – gebe ihm Geld, damit er im Zillertal eine Branntweinhütte eröffnen kann. Tatsächlich gelingt es ihm, mit dieser Rührgeschichte die Türen und Geldbeutel der feinen Gesellschaft zu öffnen, um eine Reise nach Wien an den Kaiserhof zu finanzieren.

Mit entsprechenden Empfehlungsschreiben ausgestattet, landet er bei einem Graf Künigl, der bei Hof verkehrt und verspricht, sich seiner Sache anzunehmen. Obwohl Maria Theresia eine ausgesprochene Antipathie gegenüber hergelaufenen Bittstellern hat und dementsprechend Anweisung erteilt hat, Hilfsgesuche nur über den vorgesehenen Weg durch die Kanzlei anzunehmen, um ihr »das gemeine Volk« vom Leib zu halten, schafft es Prosch über Künigl, Maria Theresia einen Brief zukommen zu lassen, dessen Zeilen die Herrscherin amüsieren:

»Meine liebe gute Kaiserin, ich hab daheim in meinem Vaterland von den Leuten sagen hören, dass du ein so gutes Mensch bist, und mir hat bei meiner Schwester unterm Dach auf dem Heu geträumt, ich sei zu dir gekommen, und du habst mir einenHut voll Geld geschenkt, und hast mir lassen ein Brandweinhäusl bauen. Ich bitt dich gar schön, sei so gut und tu es mir, ich will meiner Lebstag für dich beten.«

Prosch erhält tatsächlich eine Audienz, bei der ihm Maria Theresia 24 Dukaten schenkt, – und als der Bub die Hofgesellschaft noch mit ulkigen Tanzeinlagen und naiv-altklugen Späßchen unterhält, legen etliche vornehme Damen und Herren noch weitere Münzen hinzu. Mit wohlgefüllten Taschen kehrt Prosch nach Tirol zurück, um den Bau seiner Branntweinschänke in Auftrag zu geben. In der Heimat ist er jetzt ein Star, denn niemand aus der Gemeinde war vor ihm jemals in Wien und alle scharwenzeln um den 13- Jährigen herum, um ihm schön zu tun und seine aufregenden Erlebnisse aus erster Hand zu erfahren.

Doch Prosch zieht es bald wieder in die Ferne: Weil die Arbeiten an seinem Häuschen dauern, beschließt er, die Zeit bis zur Fertigstellung mit einer neuerlichen Tour als Hausierer zu überbrücken. Mit heilenden Kräutern und Ölen in der Kraxe macht er sich erneut auf nach Bayern. Dass er dabei in München landet, ist sicher kein Zufall. Auch hier gibt es einenHof, und Prosch hat inzwischen eine gute Masche, um sich dort Zugang zu verschaffen. Er sucht den Kontakt zur Dienerschaft und unterhält sie mit Geschichten vom Wiener Hof.

Seine Begegnung mit Maria Theresia spricht sich herum, und schließlich wird auch der Kurfürst aufmerksam, der den offenbar so unterhaltsamen, jungen Tiroler zu sich rufen lässt. Der schreibt später über das Treffen mit Maximilian III. Joseph: Der Kurfürst »welcher der beste, gemeinste (= leutseligste) und lustigste Herr von der ganzen Welt war, ließ mich zur Nachttafel rufen und fragte mich sodann umalles aus, wie ich zur Kaiserin gekommen und was sie zu mir gesprochen habe. Ich erzählte ihm alles, worüber er herzlich lachte.

Der Speisesaal war mit Marmor gepflastert. Es kamen große schnauzgebartete Grenadiere und brachten Konfekt. Ich fürchtete mich; und der Kurfürst fragte mich, ob ich nicht Soldat werden möchte. 'Nein, ich mag nicht.' – Er ließ mir durch einen Kammerknaben auf einem silbernen Teller einen ganzen Max d’or (= Goldmünze aus der Zeit Kurfürst Max Emanuels) und ein Glas Wein zu einem Handgeld antragen. Auf dieses kam ein Grenadier herbei; ich lief davon, fiel auf den Buckel und bekam ein Loch im Kopf, dass ich blutete.

Sie erbarmten sich; die Kurfürstin Maria Anna, welche die beste und mitleidigste Dame ist, bedauerte mich sehr; und ich bekam den Max d'or und das Glas Wein, ohne dass ich Soldat werden musste. Ich ging in mein Quartier zum Kontrolor und schlief ruhig.«

Prosch war damals 13 Jahre alt und sicher nicht mehr so kindlichnaiv wie noch bei seiner ersten Begegnung mit adeligen Herrschaften. Wann er sich entschloss, die Rolle des »Narren« zu kultivieren, geht aus seinen Memoiren nicht hervor. Doch er suchte auf jeden Fall weiter Kontakt zur höfischen Welt: Nach seinem Aufenthalt in München hausierte er weiter mit seinen Waren in bayerischen Landen und kam dabei erneut nach Regensburg »zum alten Fürst Taxis, welcher sehr gut kaiserlich war, auch bei Marien Theresen und beim Kaiser Franz sehr viel galt und im Ansehen stand. Dieser hatte gehört, dass ich zur Kaiserin gekommen sei, er fragte mich deswegen um alles aus, und ich erzählte ihm alles: er lachte darüber herzlich und hatte eine große Freude; er ließ mir auch Essen und Trinken geben und versprach mir zugleich, jährlich, solang ich leben werde, einen Karolin (= unter Kurfürst Karl Albrecht geprägte Goldmünze), als eine Pension, bei ihm suchen zu dürfen.«

Was Peter Prosch damals nicht weiß: er befindet sich in einer ähnlichen Situation wie sein weit berühmterer Zeitgenosse Wolfgang Amadeus Mozart: Auch der Salzburger trittamWienerHof auf: 1762 darf Mozart als sechsjähriges Wunderkind vor der kaiserlichen Familie seine musikalischen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Doch es sind weniger seine musikalischen Fertigkeiten, mit denen der kleine Bub die hohen Herrschaften verzückt, sondern sein charmantes kindliches Wesen: Der »Wolferl« ist gut erzogen, verteilt brav Handküsse, die vor allem die Damen begeistern und dazu springt der kleine Musikus auch noch der Kaiserin auf den Schoß, was die ganze Gesellschaft verzückt.

Doch wie auch Peter Prosch wächst Mozart bald aus seinen Kinderschuhen heraus, reift zwar zum genialen Komponisten und Musiker – muss dabei aber mit der Tatsache zurechtkommen, dass er die hohen Herrschaften nun plötzlich nicht mehr durch seine Erscheinung allein entzücken kann. Der erwachsene Mozart lernt, wie auch sein Zeitgenosse aus dem Zillertal, Peter Prosch, dass der Himmel nicht nur aus Geigen besteht, dass sie vielmehr in einer Welt leben, in denen es von Spaß und Scherz, denen ja auch der lebenslustige Salzburger alles andere als abgeneigt ist, nicht weit ist zu den Abgründen menschlichen Verhaltens, zu Neid, Schadenfreude und Bösartigkeit.

Prosch sollte das am eigenen Leib zu spüren bekommen, als man ihm Sprengstoff in die Taschen steckt, um ihm dann seelenruhig dabei zuzuschauen, wie er als lebendige Fackel um sein Leben rennt.

 

 

Susanne Mittermaier

 

Teil II in den Chiemgau-Blättern Nr. 35 vom 2. 9. 2023

 

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