Kleine und große Schätze aus dem Chiemgau
Stiftung Heimathaus Traunstein verfügt über mehr als 10 000 Exponate – Großer Teil der Objekte in Depots


Kaum zu überschauen sind die Schätze, die das Heimathaus Traunstein hortet. Allein rund 3500 Exponate präsentiert die gleichnamige Stiftung in zwei alten Gebäuden am Stadtplatz, dem »Ziegleranwesen« und dem »Brothausturm«, auf insgesamt vier Etagen mit 750 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Doch dem nicht genug: Neben diesen Objekten, die die Stiftung in ihrem Museum in der Öffentlichkeit zeigt, lagern hinter verschlossenen Türen weitere Berge von Zeugnissen aus vergangenen Jahrhunderten. Im Verborgenen liegen mehrere tausend Unikate, die vom Leben und Arbeiten, von Glaube und Hoffnung, von Politik und Wirtschaft in der Region erzählen. Weil der Platz im Museum begrenzt ist, werden sie in den Depots der Stiftung aufbewahrt. Nimmt man alle Objekte da wie dort zusammen, dann kommt man auf insgesamt über 10 000 Exponate, die Einblicke in die Geschichte im Chiemgau geben.
Der Reichtum an unterschiedlichsten Exponaten bildet die Grundlage für ein Mammutprojekt, das schon seit einigen Jahren im Raum steht: Die Stiftung will das Museum ausbauen, das angrenzende sogenannte Mayerhaus miteinbinden, die Ausstellungsfläche maßgeblich erhöhen und schließlich und vor allem auch das museumspädagogische Konzept erneuern und die Exponate letztlich anders und besser angepasst an die sich ändernden Erwartungen und Vorstellungen der Besucher präsentieren. Doch wann der Aufbau eines neuen Museums beginnt, steht nach wie vor in den Sternen. Der Historische Verein für den Chiemgau zu Traunstein, die eine Stütze der Stiftung, verfügt nicht über die erforderlichen Mittel, um die Erweiterung stemmen zu können. Die Stadt, die andere Stütze der Stiftung, ist gefordert, die Ausgaben zu stemmen. Zurückgreifen kann sie,wenn sie das Projekt angeht, auf das Vermögen, das ihr ein inzwischen verstobener Bürger aus Traunstein, Dr. Dietrich von Dobeneck, vermacht hat.
Auf dem langen Weg zur Erweiterung des Museums unternahmen der Verein und die Stadt in den vergangenen Jahren schon zwei Schritte. So erstellte zum einen Dr. Bettina Keß von »kulturplan« in Würzburg eine Machbarkeitsstudie für den angestrebten Um- und Ausbau. Und unter der Federführung von Dr. Christian Kayser vom Büro Kayser + Böttges, Barthel + Maus, Ingenieure und Architekten GmbH in München, entstand zum anderen eine bauhistorische Untersuchung.
Die Stiftung will einen Schritt nach dem anderen unternehmen. Sie verschafft sich nun einen umfassenden Überblick über alle Exponate, die sich in ihrem Eigentum befinden. Und so hat sie sich Veronika Leopold, eine Fachkraft, ins Haus geholt, die jetzt die mehr als 10 000 Objekte der Reihe nach in die Hand nimmt und dann in deren Eigenheiten beschreibt.
»Mit der Inventarisierung erfolgt ein ganz wichtiger Schritt in Sachen Vergrößerung und Neukonzeption«, betont Dr. Jürgen Eminger, der Leiter des Museums. Als Ziel gibt er aus, den Gesamtbestand des Museums zu erfassen, eine Inventur vorzunehmen, Vorschläge für mögliche Restaurierungen zu erarbeiten und die einzelnen Objekte wissenschaftlich einzuordnen. »Insgesamt ist das eine sehr umfangreiche Angelegenheit, eine wirkliche Mammutaufgabe, da es sich ja nicht nur um die Exponate im Heimathaus handelt, sondern auch um die Bestände in den Depots.«
Eine Reihe von Lagern unterhält die Stiftung. Objekte, die sie nicht im Museum zeigen kann, werden aufbewahrt in Räumen im Heimathaus, in einem kleinen Lager im angrenzenden »Mayerhaus« sowie vor allem in städtischen Liegenschaften im alten Landgericht und auf dem Friedhof. Letzteres Depot ist das größte, dort sind Möbel, Krippen und vieles mehr untergebracht.
Die Bestände der Stiftung Heimathaus reichen von der Vor- und Frühgeschichte zur Stadtgeschichte bis in die Neuzeit. Schwerpunkte liegen mit den Bereichen Saline und Handwerk zum einen auf dem Wirtschaftsleben der Stadt. Zum anderen zeigt das Museum Gemälde, sakrale Kunst, vielfältige Zeugnisse des Volksglaubens sowie die bürgerliche und bäuerliche Kultur des Chiemgaus.
Zu den schönsten und wertvollsten Exponaten zählt Dr. Eminger eine Christophorus-Figur aus der Zeit um 1400. Die Holzfigur, die in einer Werkstatt zwischen dem Chiemgau und Salzburg entstanden ist und Hans Heider zugeschrieben wird, halte, wie der Museumsleiter sagt, jedem Vergleich mit europäischen Spitzenwerken stand. Herausragende Objekte sind nach Eminger außerdem ein Bozzetto, ein Modell für eine Plastik, von Balthasar Permoser (1651-1732), eines bedeutenden Bildhauers aus Kammer, und ein Kerzenleuchter, derum 1200 in Hildesheim entstanden ist.
Nicht zum ersten Mal erfolgen nun Inventarisierungen. Doch anders als alle bisherigen Versuche, einen Überblick über den Reichtum der Stiftung zu bekommen, erfolgt nun eine professionelle Bestandsaufnahme. Systematisch werden nun alle Objekte gleichermaßen gut und übersichtlich erfasst. So berichtet Eminger, dass in der Vergangenheit immer wieder einmal Inventarisierungen stattgefunden hätten, vielfach ließen dann jedoch die Ergebnisse zu wünschen übrig. Bisweilen hätten die Bemühungen nicht für Klarheit, sondern vielmehr für Verwirrung gesorgt. Denn unterm Strich seien nun zahlreiche Exponate jeweils mit zwei oder drei Inventarnummern doppelt beziehungsweise dreifach gelistet. Und viele Gegenstände – vor allem jene, die erst zuletzt zur Sammlung hinzukamen – seien gar nicht erfasst. Die Listen seien zusammenzufassen, zu ergänzen und zu vervollständigen, so Dr. Eminger. Der Leiter des Museums spricht von einer »Sisyphusarbeit, die dringend notwendig ist«.
Die Inventarisierung sei der Ausgangspunkt für alle weiteren Schritte. Laut dem Museumsleiter werden die vielen Objekte erfasst mit Informationen zu Größe, Material, Hersteller beziehungsweise Künstler und anderem mehr. Alle Exponate werden Eminger zufolge ausführlich beschrieben und per Foto dargestellt. Und mit der sachgerechten Verpackung und Lagerung im Depot gehe schließlich der Inventarisierungsprozess zu Ende.
Die Bedeutung der Arbeit kann kaum unterschätzt werden. Mit der Initiative der Datenerhebung wird die Basis gelegt, verschüttetes Wissen wieder freizulegen und an die Menschen des Landkreises Traunstein zurückzugeben. Und auswärtigen Interessierten eröffnet sich eine Perspektive auf das Leben und Arbeiten in der Region Chiemgau.
Gernot Pültz
4/2022