Jahrgang 2002 Nummer 39

»Kairo liegt linksrheinisch vom Nil«

Stilblüten von Schulkindern sorgen für unfreiwillige Komik

»Wir stellten uns paarweise auf. Die beiden Partner mussten den gleichen Abstand voneinander haben.« – »Sport fiel heute aus, und deshalb spielen wir Fußball.« – »Alle Schüler, die fürs Kreissportfest in Frage kamen, wurden rot angestrichen.« Nicht von ungefähr stammen die meisten Stilblüten, die Lehrer immer wieder in Schulheften lesen können, aus der den Schülerinnen und Schülern vertrautesten Umgebung, der Schule.Doch nicht nur in Aufsätzen werden Stilblüten erzeugt; sie wachsen, besser: wuchern auch auf Schularbeitstischen (»Ob ich denke oder pisse, alles fließt ins Ungewisse«), in Übersetzungen (»Die Römer sollen nicht auf der Straße herumlungern und unförmige Haufen bilden«), Landschulheimberichten (»Der Herbergsvater hatte auch in diesem Jahr wieder alle Betten voll«), Versuchsbeschreibungen (»Wir teilen am besten das Glied durch zwei«) oder auf Glückwunschkarten.

Eine solche erhielt der Kölner Studienrat Dr. Dieter Kroppach von einem seiner Schüler. Der schrieb ihm: »Lieber Herr Dr. Kroppach! Von der Wiege bis zur Bahre sind die schönsten Jugendjahre. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag wünscht Ihnen Ihr Schüler Dennis«. Für Dennis’ Lehrer war dieser schriftliche Geburtstagsgruß ein gefundenes Fressen. Zu den gesammelten »Werken« seiner ihm Anvertrauten konnte er ein weiteres fügen. Dieter Kroppach notierte im Lauf seines Lehrerlebens – inzwischen ist er pensioniert – so manche Stilblüte, die ihm sein Unterricht lieferte. In Erwachsenenkreisen vorgelesen, sorgten die köstlichen Sentenzen aus Schülerhand (vielleicht auch -mund) für manch herzhaften Lacher. In zwei Bändchen sind jetzt gut tausend Stilblüten zusammengetragen (»Mozart ist selbst gestorben« und »Ich will lernen, wie man Kinder pflegt und kocht« heißen die Titel, die im Frankfurter Eichborn-Verlag erschienen sind) – und es ist eine Lust, daraus zu schöpfen. Kindern fallen ihre »Fehler« kaum auf, auch denen nicht, die sie nicht »begingen«. Erwachsene sind da natürlich hellhöriger. Doch sind auch da einige darunter, die ein bisschen Zeit brauchen, um die unfreiwillige Komik, die in dem Sätzchen steckt, zu kapieren: »Bei den Päpsten war die Kinderlosigkeit sehr früh erblich«; »Um mich ein wenig aufzuheitern, kochte ich mir eine Tasse Karo«; »Meine Mutter war, bevor sie meinen Vater heiratete, sehr gebildet, sie wäre nämlich fast Lehrerin geworden«: »Er wurde arbeitslos und wusste nicht, wie er seine fünf Köpfe ernähren sollte«.

So unfreiwillig komisch das Resultat, so absichtslos das Ansinnen. Dies ist die Regel der Stilblüte. Wahrig erklärt den Begriff mit »komischer sprachlicher Missgriff«. Interessant ist die Stilblüte sowohl von ihrer »schrägen« Form her als auch vom bevorzugten Inhalt aus gesehen. Viele Stilblüten entstehen im Kontext zu Bereichen, die mit Tabus, aber auch schon mit respekthafter Distanz in Verbindung stehen. Konkret sind dies Kirche und Glaube, Verwandtschaft und Liebe, Geschlechter und (vom Jugendlichen oft noch nicht durchschaubare »hohe«) Literatur. Zu letztgenanntem Aspekt bringt die Sammlung Kroppach zahlreiche Beispiele; etwa die folgenden: »Sein letzteres Leben verbrachte Goethe in Weimar«; »Besonders gefiel mir Attinghausen, als er starb«; »Jeden Abend nahm er sich statt Elke seine Rechnungen vor«; »Dem Tambourmajor kommt es nur auf äußerliche Werte an wie Aussehen, Trinkfestigkeit und Potenz«; »Kafka ist aus einer Beamtenfamilie entsprungen«; »Die Jungfrau von Orleans bereitete uns ungewohnte Schwierigkeiten«; »Die Greisin ging ins Kino, wo nur Halbwüchsige normal hingehen«.

Manche Stilblüten sind deshalb so umwerfend belustigend und erheiternd, weil sie ein einziges Wort in dem kurzen Satz nicht ganz zutreffend verwenden, etwa in »Ich ging in das nahende Lebensmittelgeschäft«; »Trotz der Fülle des Zuges bekamen wir einen Platz«; »Da ich in dieser Stadt unerfahren war, wendete ich mich an die nächstbeste Frau«; »Die Franzosen essen viel weniger Wein als die Deutschen« oder »In der venezianischen Oper entstanden die Stare«.

Unglücklich gewählte Ausdrucksweisen rühren von der nicht ganz korrekten Beziehung eines Ausdrucks auf ein Wort: »Ich brachte die Hose schnell zur Schneiderei um kürzer gemacht zu werden.« Selbstverständlich ist es die Hose, die abgeschnitten werden soll, nicht derjenige, dem die Hose gehört. Auch ist klar, dass ein Mädchen nur ihr Kettchen, nicht auch anderes am Körper Tragbares um den Hals legen kann, dennoch wird formuliert: »An diesem Tag trug ich Jeans, Turnschuhe und ein Kettchen um den Hals«. Weil der Schreibende nicht selten einen Gedanken vorweg nimmt und ihn, bedacht auf möglichst geraffte Ausdrucksweise, dann in ein einziges Wort gerinnen lässt, entstehen Behauptungen wie »Die Obstbäume haben ihr kahles Winterkleid abgeworfen«.

»Mein Vater blieb einen Tag auf der Intensivstation, dann wurde er umgelegt« ist an sich überhaupt nicht »falsch«, dennoch amüsiert man sich beim Lesen. Schuld daran ist die Doppelbedeutung von »umlegen« als »umsiedeln, umbetten« einerseits und (im umgangssprachlichen Sinn) als »beseitigen«, »töten«. Ähnlich begründet ist wohl das Lachen über folgende Stilblüten, die Dieter Kroppach festhielt – gewiss nicht allein zur eigenen, sondern auch zur Freude seiner Leserinnen und Leser: »Erst jetzt, wo sie gestorben sind, können sie in Frieden miteinander leben«; »Der Lehrer betrachtete mich so, als wollte er mich auswendig lernen«; »Wenn eine Kerze angezündet ist, wird sie durch die hitzige Wärme immer kürzer. Klar!«

Dieses nachgesetzte »Klar!« nähme der Produzent dieser naturwissenschaftlichen Weisheit vielleicht wieder zurück, hätte er nur Zeit genug, um seine Äußerung zu bedenken. Niemand würde bei genauem Hinschauen und Überprüfen folgende Thesen aufstellen: »Je nach der Temperatur können sich Stoffe aus- und eindehnen«; »Als Linkshänder hat man viele angeborene Schwierigkeiten«; »Kairo liegt linksrheinisch vom Nil«; »Ein Streber hat weder einen Hund noch einen Freund, noch ein anderes Tier, mit dem er sich im Freien herumwälzen kann«.

Ein Junge, dessen Opa eine riesige Voliere besaß, schrieb den schönen Satz: »Auch mein Vater ist mit Vögeln groß geworden« und konnte wohl nicht ahnen, welch spötischem Gelächter er sich damit ausgesetzt hatte. Das gilt für so manche »anzügliche« Stilblüte aus der Sammlung Dieter Kroppachs, beispielsweise diese:

– »I want to be sexcessful!«
– »Meine Mutter hat keine Freundin – sie fühlt sich unter Männern wohler.«
– »Da spürte er etwas Hartes in der Hose – Es war der Salzstreuer, den er aus Versehen eingesteckt hatte.«
– »Für Liebe und Freundschaft haben viele Menschen kein Organ.«
– »Beim Schwimmen sendet der Körper ein Hormon aus, das glücklich macht. Wir sollten alle mehr schwimmen.«
– »Schon bei Neugeborenen weiß man sicher, wo hinten und vorne ist.«
– »Die Chromosomen unterscheiden sich – und zwar hat das beim Männchen einen Hacken.«

Kein Ende scheinen die Stilblüten in der bisher zweibändigen Sammlung Kroppach zu nehmen, die dem Thema »Lehren, lernen und erziehen« zuzuordnen sind. Darunter sind manche Aussprüche, die geradezu in den Zitatenschatz manches Schulredners eingehen könnten: »Unser Lehrer wandert nach Kanada aus. Er wird dort nicht in seinen Beruf gehen, sondern arbeiten«; »Wenn man unsere Lehrer näher besieht, sehen sie eigentlich recht menschlich aus«; »Mit unserer Lehrerin verkehren wir auch bei ihr zu Hause, so lieb ist sie«; »Dem Lehrer war eine volle halbe Seite nicht genug«; »Der Lehrer hatte sich an diesem Nachmittag extra für uns ganz frei gemacht«; »Mit Fräulein C. verloren wir die letzte weibliche Lehrerin«; »Viele Kinder haben schwererziehbare Eltern«; »Den idealen Lehrer gibt es nicht; der ideale Lehrer hat einen anderen Beruf«; »Wir Kinder haben unsere eigenen Vorstellungen und lassen uns nichts sagen. Darum erzieht meine Mutter nur noch an Vater herum ...«

Wohl mit die beliebtesten Stilblüten (bei Stilblüten-Fans) sind die, denen man anmerkt, dass sich der Produzent besonders klug und firm in der Benutzung von Fremdwörtern erweisen wollte. Zu lesen ist dann etwa: »Die Werbung macht eine Frau zum Objekt ihrer Lüste« oder »Viele Schülerinnen tragen als Schmuck abergläubische Symbole« oder »Angst ist etwas sehr Menschliches – Steine haben kaum Angst« und letztlich »Die Technik hilft den Menschen, die Natur zu zerstören«. Doch halt: Ist in diesem Satz nicht doch ein Stück Wahrheit enthalten? Wie vielleicht nicht weniger in der als Stilblüte durchgegangenen Behauptung, das Zölibat sei deshalb eingeführt worden, »damit sich die Pfarrer nicht so zügig vermehren«. In der reizvollen Unbeholfenheit, die zu manch witziger Sentenz führte, liegt womöglich gerade das Geheimnis, das den Stilblüten eigen ist. Bevor man das Schulkind seiner auf drollige Weise nicht ganz korrekt geratener Formulierungen wegen verlacht, kehre man vor der eigenen Tür. In so manchem Brief oder Kartengruß Erwachsener verbergen sich Stilblüten. Eine solche Sammlung muss erst noch geschrieben werden.

HG



39/2002