Jahrgang 2023 Nummer 42

Jagd- und Musikleidenschaft der letzten bayerischen Herzöge

Auch abseits der Regierungsgeschäfte genossen die Regenten höfische Privilegien – Teil I

Herzog Wilhelm IV. der Standhafte, 1493 bis 1550.
Albrecht V. der Kunstsinnige, 1528 bis 1579.
Ehemaliges Herzogliches Jagdschloss.
Wilhelm V. der Fromme, 1548 bis 1626.

Von der ausgeprägten Jagdleidenschaft der Wittelsbacher zeugen noch heute viele historische Berichte. Besonders die mit scheinbar unerschöpflichem Wildreichtum gesegneten Gebirgsgegenden ihres Bayernlandes haben es ihnen Jahrhunderte lang angetan. Auch im Miesenbacher Tal fanden die Herzöge samt Gefolge die besten Voraussetzungen vor, um der »Hirschfaist« und »Wildbretpürsch« in vollen Zügen und nach ihren Vorstellungen nachzugehen. Schon 1529 erwähnen die Traunsteiner Gerichtsliteralien, dass es ringsum auf allen Bergen Hirsche und Bären gibt und es ebenso an Gemsen, Rehen, Luchsen und sogar an Wildschweinen nicht mangelt.

So wird berichtet, der Pfleger Hans von Schaumburg habe 1553 mit seinem Schweinerüden »ein gut Wildschwein« in der Weich (heute: Waich) gefangen. Doch bis die Herzöge das Gebiet endgültig für sich beanspruchen konnten, ging ein längerer Streit mit den Grafen von Toerring (Törring) voraus. Selbige pochten nämlich vehement unter Berufung ihrer seit zwei Jahrhunderten bestehenden Lehensbriefe auf das Recht der alleinigen Jagdausübung, zu der auch zeitweise die »Fischwaid« gehörte. Kurioser Weise hatte die jüngste Beglaubigung, ausgestellt im Jahr 1522, Herzog Wilhelm IV. höchstpersönlich unterzeichnet. Doch es ist wie beim Kartenspiel: Der Ober sticht bekanntlich den Unter und so mussten die Toerringer aufgrund der vorherrschenden Machtverhältnisse betreten zuschauen, wie sich, salopp gesagt, die Münchner Jagdgesellschaft rund um Ruhpolding breitmachte.

Drei Herzöge in »Ruepolting«

Für diese Entwicklung im 16. Jahrhundert, die zwangsläufig das gesellschaftliche Leben der Bewohner im Miesenbacher Tal für die Zeit der wochenlangen Aufenthalte beeinflusste, ja sogar auf den Kopf stellte, sind insbesondere drei Herzöge zu nennen: Wilhelm IV., genannt der Standhafte, Albrecht V., der Kunstsinnige sowie Wilhelm V. mit dem Beinamen der Fromme; in direkter Linie also Vater, Sohn und Enkel. Wilhelm IV. regierte Bayern von 1508 bis 1550 (unter Vormundschaft seines Onkels Herzog Wolfgang bis 1511, von 1516 bis 1545 gemeinsam mit seinem Bruder Ludwig, der 1545 stirbt), Albrechts V. Regentschaft dauerte von 1550 bis 1579, während sein Nachfolger Wilhelm V. die Zeit von 1579 bis 1598 als Landesherr ausfüllte. Das weltbekannte Glockenspiel am Münchner Rathaus erinnert noch heute an seine pompöse Hochzeit mit der weltoffenen Renata von Lothringen.

Allen drei Wittelsbachern dürfte die Jagdleidenschaft schon in die Wiege gelegt worden sein, denn der adlige Nachwuchs fand in den jährlichen Landpartien und Jagdgängen eine willkommene Abwechslung zur strengen, humanistischen Erziehung. Wilhelm IV. wurde mit seinen Brüdern durch den bayerischen Geschichtsschreiber Aventin (bürgerlich Johann Georg Turmair) humanistisch und im bayerischen Geschichtsbewusstsein gebildet, Albrecht V. begann mit zwölf Jahren das Studium in Ingolstadt. Seit seinem sechsten Lebensjahr wurde seine zukünftige Vermählung ein politisches Projekt zwischen Bayern und Österreich. Wilhelm V. dagegen genoss seine Erziehung zusammen mit seinem Bruder Ferdinand durch einen adeligen Lehrer und durch zwei Rechtsgelehrte.

Die Untertanen hatten viel zu leisten

Unter Herzog Wilhelm IV., der 1537 ein erstes, relativ einfaches »Gejaidhaus« mit »Thiergarten« erbauen ließ, entwickelten sich in der Folgezeit ausgedehnte Aufenthalte mit standesgemäß herrschaftlicher Entourage, die jedes Mal ungewohntes Leben in das abgeschiedene Tal brachten. Schließlich setzte die hohe Jagdgesellschaft einen gewissen Standard voraus, um den sich die Untertanen gefälligst zu kümmern hatten – von Verzicht hielt man in den gehobenen Kreisen nicht allzu viel. Das Ruhpoldinger Heimatbuch gibt einen authentischen Einblick in die umfangreichen Vorbereitungen, die den Verantwortlichen, in erster Linie dem Kastner (Verwalter) von Traunstein auferlegt wurden.

Der erste Auftrag hieß, die entsprechenden Schäffl Haber (meist 100) für die »Hundsaß«, gemeint ist das Hundefutter zu beschaffen und mahlen zu lassen. Die »Kästen« von Marquartstein und Wasserburg hatten dazu ihren Beitrag zu leisten. Das nötige Brennholz für »die Hof- und Jaidkuchen« (Jagdküche) musste rechtzeitig hergerichtet, der »Oetsch- oder Oesterwein« (österreichischerWein) eingekauft und die entsprechende Anzahl von Betten beigeschafft werden. Die Bettstellen und Bettgewänder, ebenso Tische und Bänke hatte man bis 1583 in Traunstein zu leihen genommen, aber nachdem die Gegenstände immer beschädigt zurückkamen, gaben die Leute nichts mehr her und der Kastner von Traunstein durfte die Holzgegenstände selbst, »doch aufs schlechtist und geringst aus Beichtenladen« (Fichtenholz) machen lassen. »Pier«, Viktualien und Vieh mussten ebenfalls in hinreichender Menge bestellt, die »Höckhen am gebürg« (Jäger-Anstände) gemacht sein, letztere durch Scharwerk (Frondienst) der Bauern. Die umliegenden Klöster mussten auch ihren Obolus liefern. Da es in Ruhpolding kein Stroh gab, bekamen die Prälaten zu Baumburg, Seeon, St. Zeno in Reichenhall und selbst die Pfarrer den Befehl, dass jeder ein Fuder Stroh auf Ruepolting führen lasse. Selbst ein kleiner Altar wurde im Walde errichtet, um der Christenpflicht am Sonntag zu genügen.«

Interessant in dem Zusammenhang ist die unterschiedliche Schreibweise des Ortsnamens Ruhpolding, mit dem man es zu jener Zeit nicht sonderlich genau nahm. So finden sich in den Akten neben Ruepolting auch Bezeichnungen wie Rueprechting, Ruepoltinig, Rueperting oder eben Miesenpach, womit das ganze Tal an der Traun gemeint ist.

Herzöge lebten auf großem Fuß

Angesichts des erheblichen Aufwands für die Unterbringung und Verpflegung kann man sich leicht vorstellen, dass dieser nicht nur für die erlauchten Herrschaften im engeren Umfeld des Herzogs betrieben wurde, sondern auch dem mitreisenden Tross des Hofes galt. Zu ihm gehörten im Allgemeinen, wie es in einer zeitgenössischen Aufstellung heißt, »Stallpartey, Raisige Knechte, (bewaffnete Reiter mit eigenem Pferd und Ausrüstung), Raisig Jungen, Kutschi Knecht, Vorreuter und Trosser, Senfftnmaister und Esltreiber, Frawenzimmer, Fuerleuth, Wagnheber, Nebn Fuhrleuth, Mundtschenckhen, Fürschneider, Truchsessen, Küchen Parthey, Keller Parthey. Weitere Gruppen bildeten »Metzkgs, Vischerey, Koch auff dem Silber, Lernkoch, Koch auff die neben Tisch, Pueben, Abspieler und die unverzichtbaren Theologi und Caplän.«

Nun wissen wir, dass bei herzöglichen Jagden, ebenso wie bei anderen Reisen fast immer die »musici«, also auch die Hofkapelle samt Sänger mitgeführt wurde, so dass es sicher nicht vermessen ist, wenn man von einer ansehnlich großen Schar Menschen ausgehen kann, die vorübergehend als Gäste amFuß des Rauschbergs weilten. Hinzu dürfte noch eine Abordnung örtlicher Treiber aufgeboten worden sein, denn gejagt wurde damals auch mit Netzen und Tüchern, um das Wild vor die herrschaftlichen Jagdgäste zu treiben. Schaffte es ein Tier zu entkommen, hieß es, »es ist durch die Lappen gegangen.« Ein geflügeltes Wort, das sich bis heute erhalten hat.

Im Sommer 1557 war eine große »Hörschfaist« vorgesehen, zu der Albrecht V. den badischen Markgrafen und andere rheinische Grafen eingeladen hatte. Ob die genannte Jagd am Starnberger See, in den Forsten nahe München oder im Miesenbacher Talkessel stattfand, ist uns leider nicht überliefert. Überliefert sind dagegen fortdauernde Einwände der Kammerräte, denen die kostspielige Unterhaltung der Hofkapelle und vieles andere der opulent-herzoglichen Hofhaltung ein Dorn im Auge waren. Eine Eingabe der bayerischen Kammerräte an Herzog Albrecht V. vom 22. Juni 1557 verrät uns vielerlei Bedenken, »bei jetziger Schuldenlast« solche Jagden zu veranstalten, die »ganz unziemlich und hochbeschwerlich« und eine »Abkündigung« (Abmahnung) erheischen. Aufgrund des »jetzigen grosen mangl vnnd außstandt (Schulden) auf der Chamer« sahen sich die Räte gezwungen, diese deutliche Verwarnung an die Adresse des Herzogs auszusprechen. Begleitend zu den unterbreiteten Sparvorschlägen appellierten die gestrengen Finanzwächter an die Einsicht des Landesherrn mit folgendem Appell: »Das alles seindt solch Punkten, die Zweifels one vnnser genediger fürst vnd herr selb für notwenndig erkhennen wirdt.« Nebenbei bemerkt: Jagdausflüge dieser Art gehörten in ganz Europa zum Prestige, dies galt am Mailänder Hof genauso wie für Alfonso von Aragon, der häufig in seinem Königreich Neapel, in der Toskana oder in Katalonien zur Jagd weilte.

Ungeachtet aller Sparzwänge gelang es Albrecht V. im Jahr 1556, den wohl zu Lebzeiten berühmtesten Komponisten und Kapellmeister der Renaissance, Orlando di Lasso von Antwerpen an den Münchner Hof zu holen. Maßgeblichen Anteil an dem spektakulären Wechsel hatten Hans Jacob Fugger sowie der bayerische Gesandte und kaiserliche Vizekanzler Dr. Seld in Brüssel. Es ist bekannt, dass die Fugger, begünstigt durch ihre weitreichenden Handelsbeziehungen, aktiv im Auftrage Albrechts nach »musici«, also nach Musiker und Sänger für München Ausschau hielten; insofern besteht kaum Zweifel darüber, dass Lasso über die reiche Augsburger Kaufmanns- und Bankiersfamilie an die Isar angeworben wurde.VomHerbst 1556 an, dem Zeitpunkt der Übersiedlung Lassos, nahm die Hofkapelle personell und ideell einen gewaltigen Aufschwung und es entstanden grandiose Werke aus der Feder des 1532 in Mons im belgischen Hennegau geborenen Komponisten – darunter unzählige Messen, Motetten, Magnificate, Hymnen, Madrigale u. v. mehr. Lassos stärkste Aktivität in München entfaltete sich in den zweiten siebziger Jahren der Renaissance-Epoche, die man (nicht nur musikgeschichtlich) in die Zeit von etwa 1420 bis 1600 verorten kann.

War Orlando di Lasso in Ruhpolding?

Mittlerweile hatte Herzog Wilhelm V. 1579 die Regentschaft von seinem Vater übernommen. Auch seine Vorliebe zur Jagd als Freizeitvergnügen blieb ungebrochen, und so genügte das bisherige Domizil alsbald nicht mehr den gestiegenen Anforderungen. 1585 erhielt der Herzogliche Hofbaumeister den Befehl, sich mit dem Zollner von Traunstein nach Ruhpolding zu begeben und, wie es heißt, »da wegen Erbauung einer neuen Behausung und Kapelle Verordnung und Anstellung zu tun.« Als es während der Bauphase an Tagelöhnern mangelte, kam von München der Befehl, dass alle müßigen Personen im Miesenbach und den umliegenden Orten, die nichts zu tun haben, als »dass sie die ganze Woche mit Prandtwein und anderlei Krämerey feil haben« zu den Scharwerksdiensten herangezogen werden mussten. Die Anordnung von höchster Stelle zeigte offenbar Wirkung: Im Jahr darauf waren sowohl das Neue Jagdschloss als auch die Schlosskapelle fertiggestellt, die später, vermutlich um 1656, eine Vergrößerung zu ihren heutigen Ausmaßen erfuhr. Allzu lange allerdings wurden beide Gebäude nicht mehr genutzt, denn ab dem Jahr 1607 blieben die einstmals so wildreichen »Ruepertingischen Gejaider« von den fürstlichen Jägern verlassen.

Wenn man jetzt im Nachhinein nachweisen könnte, Orlando di Lasso hätte die Wittelsbacher Herrscher wenigstens einmal im Zuge ihrer Jagdreisen ins Miesenbacher Tal begleitet – die Sensation wäre perfekt und Ruhpolding um einen musikalisch-touristischen Aufhänger reicher. Solange jedoch der Nachweis nicht erbracht werden kann, hat man immerhin noch die »Wittelsbacher Höhe« am Zellerberg als wunderbaren Aussichtspunkt sowie das »Hotel Wittelsbach« vorzuweisen. Bis vor einigen Jahrzehnten war im Ort noch bekannt, dass im Bibelöder Eichenwald einmal eine Baumformation existierte, die den Großbuchstaben »M« ergeben hat. Die Initiale ist offenbar zu Ehren König Maximilian II. Joseph (1848 bis 1864) gepflanzt worden, dem Vater des bayerischen Märchenkönigs.

 

Ludwig Schick

 

Teil II in den Chiemgau-Blättern Nr. 43 vom 28. 10. 2023

 

43/2023