Jahrgang 2002 Nummer 24

In Amerang bekommen Autofans große Augen

220 deutsche Automobil-Klassiker auf 6000 qm Ausstellungsfläche

In Reih’ und Glied: Sportwagen aus den dreißiger Jahren.

In Reih’ und Glied: Sportwagen aus den dreißiger Jahren.
Dieser Mercedes-Tourer wurde 1907 gebaut.

Dieser Mercedes-Tourer wurde 1907 gebaut.
So ließ man sich 1904 herrschaftlich in einem Adler 8/16 chauffieren.

So ließ man sich 1904 herrschaftlich in einem Adler 8/16 chauffieren.
Die Realität übertrifft die Erwartungen haushoch. Denn das EFA Museum für Deutsche Automobilgeschichte in Amerang ist nicht etwa einer der vielen Schuppen, in denen ein paar Automobil-Oldtimer stehen, sondern hier ist die gesamte Entwicklung des Autos in Deutschland seit dem Jahr 1886 mit 220 mustergültig restaurierten und auf Hochglanz polierten Exponaten auf einer Fläche von 6000 Quadratmetern ausgebreitet. Wer dazu noch in die Modelleisenbahn mehr oder minder vernarrt ist, den erwarten zusätzliche Attraktionen, darunter die weltgrößte Modellbahnanlage der Spur II.

EFA steht für Ernst Freiberger Amerang. Dieser bestaunenswerte Mann, der 1997 im Alter von 70 Jahren gestorben ist, war ein Musterbeispiel für all jene, die nach dem Zweiten Weltkrieg die deutsche Wirtschaft wieder auf Hochtouren gebracht haben. Er begann mit einer kleinen Bäckerei in seinem Heimatdorf Amerang. Doch schon früh hatte er die berühmte Nase für die Möglichkeiten, im Geschäftsleben ein paar Stufen höher zu kommen. Er realisierte die Idee einer industriellen Herstellung von Speiseeis. EFA-Eiscreme war bald buchstäblich in fast aller Munde. Das Unternehmen wuchs und beschäftigte schließlich 550 Mitarbeiter. Für die hohe Qualität des Produkts spricht, dass die Firma 1972 zum offiziellen Eiscreme-Lieferanten bei den Olympischen Sommerspielen in München erwählt wurde. Doch Ernst Freiberger hatte noch andere Pläne. Er verkaufte seinen Betrieb an ein anderes großes Unternehmen der Branche und erfüllte sich nebenbei Jugendträume.

Einer dieser Träume, die er nun verwirklichte, war das Sammeln alter Autos. Das erste Stück war ein Mercedes Benz 300 SL Roadster. Um die 150 Oldtimer hat er im Laufe von zwei Jahren erworben. Sie standen, perfekt restauriert, in vielen Hallen und Scheunen in und um Amerang. Die Krönung der Freibergerschen Träume war aber dann der Bau eines für seine großartige Sammlung maßgeschneiderten Museumsgebäudes. Es wurde nach zweijähriger Bauzeit im September 1990 eröffnet. Und wie von seinem Gründer geplant, wurde es zu einem Museum der deutschen Automobilgeschichte. Denn von den ersten Anfängen bis heute dokumentieren die 220 ausgestellten Autos fortlaufend die Entwicklung des Automobilbaues in Deutschland und damit eine in höchstem Maße überzeugende und bestaunenswerte Ingenieurleistung. Zu den zunächst 150 Fahrzeugen wurden noch weitere hinzugekauft. Vervollständigt ist die Sammlung durch Leihgaben der großen deutschen Automobilhersteller, vom Deutschen Museum in München, dem Deutschen Technik-Museum Berlin und von Privatleuten.

Die Automobil-Zeitreise beginnt für den Besucher mit den 1886 von Karl Benz und Gottlieb Daimler konstruierten beiden Motorwagen, neben denen mit dem 1885 gebauten Daimler »Reitwagen« auch das erste Motorrad der Geschichte steht. Das 19. Jahrhundert ist außerdem noch mit dem Benz Velo von 1894 und einem 1897 von Friedrich Lutzmann gebauten Gefährt vertreten. Aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg sind unter anderem ein »Doktorwagen« von Opel, ein Adler-Cabrio, der Mercedes Tourer von 1907 und ein Exemplar der Knight-Modellreihe von Mercedes zu bestaunen.

Einen Schwerpunkt der Sammlung bilden Fahrzeuge aus den zwanziger und dreißiger Jahren, also aus Ernst Freibergers Kindheitsjahren. Da tauchen die Namen von Automobilherstellern auf, an die man sich heute nur noch ganz schwach oder gar nicht mehr erinnert: Brennabor, Protos, Presto, Elite, Stoewer, Wanderer, das damals sehr bekannte Hanomag-»Kommissbrot« und die DKW-Meisterklasse, daneben viele Adler- und Mercedes-Modelle jener Zeit. Unter der Opel-Sammlung fehlt auch nicht der damals sehr beliebte P 4 und das kleine Cabrio, in dem man hinten den »Schwiegermuttersitz« aufklappen konnte. Die in jener Zeit zum Straßenbild gehörenden Typen Olympia und Kadett sind ebenso vorhanden wie der Kapitän und der mächtige Admiral von 1938. Ein recht kleines Gegenstück dazu ist der Dixi von BMW. Zu den weiteren Raritäten gehört ein Opel-Wagen, der angesichts der kriegsbedingten Benzinknappheit 1940 mit einem Holzgasgenerator ausgerüstet wurde. An diese Zeit erinnern auch zwei Wehrmachtsfahrzeuge, ein Kübel- und ein Schwimmwagen von VW. Reichhaltig ist die Ford-Kollektion, aus deren Vorkriegsgeneration Modelle wie Taunus, Eifel und V 8 verhanden sind. Dann wiederum bleiben die Besucherblicke an den Klassikern jener Jahre hängen, an den Typen von Mercedes-Benz, an den prächtigen Herrschaftswagen von Horch, Maybach und Austro Daimler.

In einem weiteren Teil der Ausstellung werden Sportwagen und Cabrios präsentiert, die seit den dreißiger Jahren entstanden sind. Der Adler Trumpf Junior ist darunter, der legendäre BMW 328, dann Fahrzeuge von DKW, Ford, NSU und ein IFA-Cabrio von 1949. Selbstverständlich zeigen sich hier auch der Trabi und der Wartburg aus der DDR.

Dann wird daran erinnert, mit welchen Kleinwagen die Deutschen durch ihre Automobilhersteller nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf Räder gesetzt wurden. Da tauchen Namen auf wie Kleinschnittger, Viktoria Spatz, Maico, NSU Prinz, Goggomobil, Gutbrod und Lloyd, man sieht die BMW Isetta, den BMW 600, Zündapp Janus und den Kabinenroller von Heinkel und den von Messerschmitt, damals auch »Schneewittchensarg« genannt.

Nicht minder reichhaltig ist die Sammlung von Autos aus der Zeit seit den fünfziger Jahren. Hier dominieren Mercedes-Benz, BMW, Audi, Volkswagen, Opel und Ford, doch gibt es auch ein Wiedersehen mit dem NSU Ro 80 mit Wankelmotor, mit den schönen Wagen von Borgward einschließlich der Isabella, mit dem 1700 und dem 3000 V 8 von Glas. Zuletzt kommt der Besucher zu den ganz schnellen Autos, zu Rennsportwagen von Mercedes-Benz, wie dem 350 PS starken Typ C 111, zu den besonders kräftigen BMW-Typen, zu mehr als einem Dutzend Porsche und zuletzt noch zu einem Arrows Formel 1-Renner. Hier kann auch der Besucher seine Fahrkünste testen, sich in einen Lotus Formel 1-Flitzer setzen und – natürlich nur mittels Simulator – einige Runden auf dem Nürburgring drehen.

Nicht zu übersehen ist, dass das Museum auch über technische Dinge informiert und einige Blicke »unter die Haube« tun lässt. Dazu sind ein Porsche 959 Coupé und ein Audi 100 GL 55 im Längsschnitt zu sehen, außerdem ein VW-Käfer- und ein Maybach-Fahrgestell sowie Details aus dem Motoren- und Getriebebau. Und dann sind noch die 6938 Einzelteile ausgebreitet, die zusammengesetzt einen VW Golf GL 90 PS ergäben.

Nach diesem Rundgang durch mehr als 100 Jahre Geschichte des Automobilbaues in Deutschland wird sich der Besucher sicher auch noch ins Untergeschoss des Museumsgebäudes begeben. Dort geht es um die Modelleisenbahn, die eigentlich das erste Hobby Ernst Freibergers gewesen ist. In Vitrinen glänzt hier seine Modellsammlung von rund 1200 Lokomotiven und Wagen in den Spurweiten I, 0, HO und N. Doch die eigentliche Attraktion ist die in einem Seitentrakt des Museums untergebrachte weltweit größte Modelleisenbahnanlage der Spur II (64 mm). Auf 500 Quadratmetern sind etwa 650 Meter Gleise verbaut. Die Züge fahren durch eine liebevoll und mit größter Präzision gestaltete Landschaft, zu der auch ein Hauptbahnhof, ein Ausbesserungswerk, ein Rangierbahnhof, eine Ölraffinerie und eine Hafenanlage mit Schiffen gehören, alles streng maßstabgetreu.

Auch ein etwas weiterer Weg nach Amerang lohnt sich. Von der Bundesautobahn München-Salzburg gelangt man von der Ausfahrt Bernau über Prien am Chiemsee dorthin, von München über Wasserburg auf der B 304, aus den Richtungen Landshut und Passau über die Kreuzung von B 12 und B 299 bei Altötting und dann weiter auf der B 299 und 304 über Obing. Dann erleichtern Hinweisschilder an Straßenabzweigungen dem Ortsunkundigen die Orientierung. Damit ist das Museum an der Wasserburger Straße 38 in 83123 Amerang leicht zu finden. Öffnungszeiten sind vom 1. März bis 31. Oktober täglich, außer montags, von 10 bis 18 Uhr.

RS



24/2002