Im Spannungsfeld zwischen zwei Welten
Erste gemeinsame Werkschau von Dr. Joseph und Fritz Harnest
Für gewöhnlich rebellieren die Jungen gegen die Alten, dazu ist ihnen jedes Mittel recht. In der Überseer Künstlerfamilie Harnest scheint es anders gewesen zu sein. Fritz Harnest, der im vergangenen Jahr seinen hundertsten Geburtstag gefeiert hätte, war der Rebell mit der berstend künstlerischen Natur, der mit 16 Jahren die Aufnahme an die Akademie der Bildenden Künste in München durchsetzte – mit Genialität und Schaffensdrang, wo der Abschluss der höheren Schule und die Erfüllung starrer Zulassungsvoraussetzungen nötig gewesen wären. Sein Sohn Joseph indes ging den braven, den angepassten Weg – er zäumte, obschon er bereits als Kind begonnen hatte zu zeichnen, den Zugang zur Kunst von der akademischen Seite auf.
Dem Abitur am Marquartsteiner Landschulheim 1957 folgte das Studium der Architektur an der Technischen Universität in München und seine Promotion über »Die Perspektive in der Altdeutschen Malerei«, die so umfangreich war, dass man ihm den akademischen Grad gleich zweifach zuerkannt hätte. 1977 schließlich habilitierte er mit »Stereoskopie und Sphärische Perspektive als Korrektiv üblicher zentralpojektiver Bilder« und erhielt im selben Jahr die Professur an der Fachhochschule in Rosenheim. Erst dann gestand er sich selbst zu, hin und wieder auch künstlerisch in Erscheinung zu treten – etwa bei der Gesamtschau seiner Werke in der Rosenheimer Galerie Hiendelmeier; das war im Jahr seiner Habilitation. Was in den Folgejahren zeitlich und räumlich parallel – nämlich in der Nachbarwohnung – zu seinem Vater entstand, spricht gegenüber Fritz wuchtig expressiven Werk eine dediziert intellektuelle Sprache. Und sein Umfang reicht nicht an das heran, was der Vater vorgelegt hat. Wohl auch deshalb, weil der Sohn zu früh, mit 62 Jahren, mitten aus dem Arbeitsleben gerissen wurde.
Der »gegenständliche« Sohn Joseph Harnest und sein »abstrakter« Vater Fritz Harnest starben innerhalb von zwei Wochen im Januar 1999. Fast zwangsläufig folgte, nicht nur innerlich, die Aufarbeitung der beiden so gegensätzlichen Künstlerleben. Stephan Harnest, von Beruf Innenarchitekt, wuchs im Überseer Haus »zwischen zwei Welten« auf; er assistierte dem Großvater bei seinen Holzschnitten, beim Bespannen der Leinwände, was Fritz Harnest aus Kostengründen stets selbst erledigte. Währenddessen »Sepp« Harnest den perfiden Beweis antrat, dass die beiden Heiligen, Sebastian und Antonius, auf der jeweils falschen Seite des Isenheimer Altars zu Colmar stehen, wofür er Sebastian abmalte und den Sockel mit professioneller Akribie vermaß. Der heute 39-jährige Sohn war Zeuge der Uneinigkeit und Unvereinbarkeit, die Großvater und Vater in künstlerischen Angelegenheiten spalteten. Gleichzeitig atmete er den unermesslich hohen Stellenwert der Kunst praktisch mit der Raumluft ein. Nicht nur kunsthistorisch betrachtet steht er sieben Jahre nach ihrem Tod vor einer Aufgabe, die ihm – wollte er sie zufriedenstellend erfüllen – »rund um die Uhr« beschäftigen würde.
Zum ersten Mal hat er nun eine Gegenüberstellung des großväterlichen und väterlichen Werks ausgearbeitet, die ab dem 28. Januar in der Galerie »Villa Maria« in Bad Aibling gezeigt wird. Auch der Heilige Sebastian ist dort zu sehen, außerdem hat der Überseer eine Faksimilie-Mappe mit Zeichnungen und Gemälden seines Vaters anfertigen lassen – denn dessen wenige Originale bleiben auch weiterhin im Familienbesitz. Die Reaktionen auf die jüngste, aus seiner Sicht »sehr erfolgreiche« Ausstellung von Ölbildern und Holzschnitten des Großvaters, die er anlässlich des 100. Geburtstags im Rosenheimer Hochbauamt organisiert hatte, bestätigen ihn in seiner Arbeit und seinem Wunsch, der Öffentlichkeit einen Zugang zum Werk der Überseer Künstlerfamilie zu ermöglichen. Neben Archivieren, Katalogisieren und kontinuierlicher Ausstellungstätigkeit widmet er einen Teil seiner Zeit auch der Sichtung und Erfassung von preziösen Zeitdokumenten, die wie der Brief von Emil Nolde an seinen Großvater, den der Grafiker Werner Gilles in die »Neue Gruppe München« holte, einen Blick auf das Umfeld des Künstlers erlauben.
Die unübersehbare Gegensätzlichkeit zwischen Vater und Sohn Harnest haben ihn zunächst an der Idee einer gemeinsamen Werkschau zweifeln lassen. »Das geht doch nicht zusammen«, hatte er befürchtet. Um seine eigenen Bedenken auszuräumen, fertigte er ein tischgroßes Modell der Villa Maria an und behängte die Pappwände mit kleinen, proportional passenden Kopien der Bilder. »Aha, das geht auf«, erkannte er schließlich – Vater und Großvater in einem Raum vereint.
Zwei Nachlässe verwaltet der Innenarchitekt – einen sehr großen und einen kleinen, privaten; mit beiden verbinden ihn unzählige Kindheitserinnerungen, zu beiden hat er innigen Bezug, und er ist neben seiner Mutter, der Diplomingenieurin Gisela Harnest, der Einzige, der Auskunft geben kann über beider Leben. Daraus erwächst eine kunsthistorische Verantwortung, die er jedoch nicht als Last empfindet: »Es ist eine schöne Arbeit«, räumt er ein, auch wenn er sich »im Spannungsfeld zwischen zwei Welten« fühlt.
Neuerdings lässt ihn die Idee eines Museums nicht mehr los. Auch touristisch könnte das Werk seiner Familie – die Großmutter Mutz Harnest zeichnete ebenfalls und stellte mehrfach gemeinsam mit ihrem Mann aus – durchaus von Interesse sein, findet Stephan Harnest: »Die Touristen wollen doch gerne ein Gesamtpaket präsentiert bekommen. Nicht nur Natur und Chiemsee, sondern auch Kultur. Und wo gibt es hier in der Gegend schon einen Vertreter der künstlerischen Moderne?« Ohne Sponsoren, eine Stiftung oder Fördermittel – und weiterhin viel Arbeit für den Sohn und Enkel – wird daraus aber vermutlich nichts werden.
Claudia Kreier
6/2006
Dem Abitur am Marquartsteiner Landschulheim 1957 folgte das Studium der Architektur an der Technischen Universität in München und seine Promotion über »Die Perspektive in der Altdeutschen Malerei«, die so umfangreich war, dass man ihm den akademischen Grad gleich zweifach zuerkannt hätte. 1977 schließlich habilitierte er mit »Stereoskopie und Sphärische Perspektive als Korrektiv üblicher zentralpojektiver Bilder« und erhielt im selben Jahr die Professur an der Fachhochschule in Rosenheim. Erst dann gestand er sich selbst zu, hin und wieder auch künstlerisch in Erscheinung zu treten – etwa bei der Gesamtschau seiner Werke in der Rosenheimer Galerie Hiendelmeier; das war im Jahr seiner Habilitation. Was in den Folgejahren zeitlich und räumlich parallel – nämlich in der Nachbarwohnung – zu seinem Vater entstand, spricht gegenüber Fritz wuchtig expressiven Werk eine dediziert intellektuelle Sprache. Und sein Umfang reicht nicht an das heran, was der Vater vorgelegt hat. Wohl auch deshalb, weil der Sohn zu früh, mit 62 Jahren, mitten aus dem Arbeitsleben gerissen wurde.
Der »gegenständliche« Sohn Joseph Harnest und sein »abstrakter« Vater Fritz Harnest starben innerhalb von zwei Wochen im Januar 1999. Fast zwangsläufig folgte, nicht nur innerlich, die Aufarbeitung der beiden so gegensätzlichen Künstlerleben. Stephan Harnest, von Beruf Innenarchitekt, wuchs im Überseer Haus »zwischen zwei Welten« auf; er assistierte dem Großvater bei seinen Holzschnitten, beim Bespannen der Leinwände, was Fritz Harnest aus Kostengründen stets selbst erledigte. Währenddessen »Sepp« Harnest den perfiden Beweis antrat, dass die beiden Heiligen, Sebastian und Antonius, auf der jeweils falschen Seite des Isenheimer Altars zu Colmar stehen, wofür er Sebastian abmalte und den Sockel mit professioneller Akribie vermaß. Der heute 39-jährige Sohn war Zeuge der Uneinigkeit und Unvereinbarkeit, die Großvater und Vater in künstlerischen Angelegenheiten spalteten. Gleichzeitig atmete er den unermesslich hohen Stellenwert der Kunst praktisch mit der Raumluft ein. Nicht nur kunsthistorisch betrachtet steht er sieben Jahre nach ihrem Tod vor einer Aufgabe, die ihm – wollte er sie zufriedenstellend erfüllen – »rund um die Uhr« beschäftigen würde.
Zum ersten Mal hat er nun eine Gegenüberstellung des großväterlichen und väterlichen Werks ausgearbeitet, die ab dem 28. Januar in der Galerie »Villa Maria« in Bad Aibling gezeigt wird. Auch der Heilige Sebastian ist dort zu sehen, außerdem hat der Überseer eine Faksimilie-Mappe mit Zeichnungen und Gemälden seines Vaters anfertigen lassen – denn dessen wenige Originale bleiben auch weiterhin im Familienbesitz. Die Reaktionen auf die jüngste, aus seiner Sicht »sehr erfolgreiche« Ausstellung von Ölbildern und Holzschnitten des Großvaters, die er anlässlich des 100. Geburtstags im Rosenheimer Hochbauamt organisiert hatte, bestätigen ihn in seiner Arbeit und seinem Wunsch, der Öffentlichkeit einen Zugang zum Werk der Überseer Künstlerfamilie zu ermöglichen. Neben Archivieren, Katalogisieren und kontinuierlicher Ausstellungstätigkeit widmet er einen Teil seiner Zeit auch der Sichtung und Erfassung von preziösen Zeitdokumenten, die wie der Brief von Emil Nolde an seinen Großvater, den der Grafiker Werner Gilles in die »Neue Gruppe München« holte, einen Blick auf das Umfeld des Künstlers erlauben.
Die unübersehbare Gegensätzlichkeit zwischen Vater und Sohn Harnest haben ihn zunächst an der Idee einer gemeinsamen Werkschau zweifeln lassen. »Das geht doch nicht zusammen«, hatte er befürchtet. Um seine eigenen Bedenken auszuräumen, fertigte er ein tischgroßes Modell der Villa Maria an und behängte die Pappwände mit kleinen, proportional passenden Kopien der Bilder. »Aha, das geht auf«, erkannte er schließlich – Vater und Großvater in einem Raum vereint.
Zwei Nachlässe verwaltet der Innenarchitekt – einen sehr großen und einen kleinen, privaten; mit beiden verbinden ihn unzählige Kindheitserinnerungen, zu beiden hat er innigen Bezug, und er ist neben seiner Mutter, der Diplomingenieurin Gisela Harnest, der Einzige, der Auskunft geben kann über beider Leben. Daraus erwächst eine kunsthistorische Verantwortung, die er jedoch nicht als Last empfindet: »Es ist eine schöne Arbeit«, räumt er ein, auch wenn er sich »im Spannungsfeld zwischen zwei Welten« fühlt.
Neuerdings lässt ihn die Idee eines Museums nicht mehr los. Auch touristisch könnte das Werk seiner Familie – die Großmutter Mutz Harnest zeichnete ebenfalls und stellte mehrfach gemeinsam mit ihrem Mann aus – durchaus von Interesse sein, findet Stephan Harnest: »Die Touristen wollen doch gerne ein Gesamtpaket präsentiert bekommen. Nicht nur Natur und Chiemsee, sondern auch Kultur. Und wo gibt es hier in der Gegend schon einen Vertreter der künstlerischen Moderne?« Ohne Sponsoren, eine Stiftung oder Fördermittel – und weiterhin viel Arbeit für den Sohn und Enkel – wird daraus aber vermutlich nichts werden.
Claudia Kreier
6/2006