Jahrgang 2022 Nummer 26

Humor als historische Konstante

Witze aus der Antike erstaunlich aktuell – Massenpresse sorgt für Blütezeit des geschriebenen Scherzes

Die Krinoline und der Wunsch von Frauen, diese loszuwerden, war im 19. Jahrhundert Inhalt diverser Witze. Karikatur um 1855. (Repros: Mittermaier)
»Die einzige Volksvertretung, welche die Russen den Polen gewähren wollen.« – Frappierend aktueller Cartoon aus dem »Münchner Punsch« 1863 zum Verhältnis Russlands zu seinen Nachbarn.

Joachim Ringelnatz zufolge ist Humor der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt, für Karl Valentin hat jede Sache drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische und Sigmund Freud sieht im Faible für Komik und Witze den Wunsch Erwachsener, in der Kindheit erlebte Glücksgefühle zu reproduzieren. Wissenschaftlichen Forschungen zufolge ist das Lachen älter als der Mensch selbst: schon die Vorfahren des »homo sapiens« sollen vor mehr als sechs Millionen Jahren mit lachähnlichen Lauten kommuniziert haben. Die – nachweisbare – Geschichte des Witzes als Mittel,umMenschen zum Lachen zu bringen, umfasst dazu, zeitlich gesehen, nur einen Wimpernschlag.

Zwar gibt es schriftliche Witzesammlungen aus der Antike und dem Mittelalter, doch erst mit dem Aufkommen der Massenpresse im 19. Jahrhundert wurden Witze in der heutigen Bedeutung als kurze, pointierte Anekdote zu einer kulturellen Ausdrucksform mit weitergehender Verbreitung.

Vergleicht man die frühesten überlieferten Witze mit dem Inhalt heutiger Scherze, stellt man doch ein wenig überraschend fest, dass sich der menschliche Humor selbst über Jahrtausende hinweg gar nicht so sehr verändert hat. Über die folgenden Zeilen aus dem »Philogelos«, übersetzt »Lachfreund«, im 5. Jahrhundert nach Christus entstanden und damit die heute früheste bekannte Witzsammlung, kann man heute noch genauso schmunzeln wie antike Zeitgenossen: »Fragt ein geschwätziger Friseur seinen Kunden. »Wie soll ich Ihnen die Haare schneiden«, worauf der antwortet: »schweigend«. Eine andere Anekdote im »Lachfreund« berichtet von einem Mann, der sich mit seiner Dienerschaft auf einer Seefahrt befindet und dabei in einen starken Sturm gerät. Als seine Sklaven aus Angst vor dem Untergang jammern, versucht er sie zu trösten: »Weint nicht. Ich lasse euch nämlich alle in meinem Testament frei.«

In den folgenden Jahrhunderten geriet der »Lachfreund« und dessen 256 Witze allerdings in Vergessenheit – ein Hinweis, dass die dem Mittelalter zugeschriebene Finsterkeit zumindest in Sachen Humor nicht ganz falsch zu sein scheint. Erst im 15. Jahrhundert machte sich erneut ein Autor ans Werk, Witze in schriftlicher Form festzuhalten. Der Italiener Poggio Bracciolini veröffentlichte 1451 ein Buch mit dem Titel »Facezien« – die Bedeutung des Wortes »Facezien« ist heute im Deutschen nicht mehr nachvollziehbar ist. Der Inhalt der Sammlung ist dafür umso plakativer – und das erst recht, wenn man weiß, dass Bracciolini päpstlicher Sekretär war und in seinem Büchlein das wiedergibt, was sich die Kleriker im Vatikan hinter mehr oder minder vorgehaltener Hand erzählten. Der Großteil der Witze ist mehr als schlüpfrig, denn macht sich über das lustig, was Pfarrer und Mönche eigentlich gar nicht haben durften, nämlich sexuelle Beziehungen.

Trotz seines pikanten Inhalts wurde das Buch vom Vatikan merkwürdigerweise nicht auf den Index gesetzt –möglicherweise, weil die Texte im Original auf Lateinisch verfasst waren und damit nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung verstanden wurden – oder weil die Herrschaften der kirchlichen Zensurbehörde sich und ihre Kollegen nicht um die Lektüre der schlüpfrigen Zeilen bringen wollten. Auch die »Facezien« blieben ein Einzelwerk und erst im 19. Jahrhundert erlebte der Witz im heutigen Sinn seine eigentliche Blüte, wobei der Begriff an sich schon vorher verwendet wurde, allerdings nicht in seiner heutigen Bedeutung, sondern im Sinn des französischen »esprit«, also Geist beziehungsweise Verstand.

Dieses ursprüngliche Verständnis hat sich in Bezeichnungen wie Mutterwitz oder »Nürnberger Witz« erhalten. Letzterer ist ein stehender Begriff für den zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert besonders ausgeprägten Einfallsreichtum von Handwerkern und Erfindern in Nürnberg. Unter den Persönlichkeiten, die damals den Ruf der Noris als wirtschaftliches und künstlerisches Zentrum prägten, waren der Verleger Anton Koberger, Peter Heinlein, der die erste Taschenuhr geschaffen hat, Martin Behaim, Konstrukteur des ältesten Erdglobus und nicht zu vergessen Albrecht Dürer, einer der wichtigsten Künstler der Renaissance.

Dass der – geschriebene –Witz im heutigen Sinn erst etliche Jahrhunderte später seinen Aufstieg hatte, ist vor allem zwei Faktoren zu verdanken: Dem Aufkommen der Massenpresse im 19. Jahrhundert in Verbindung mit der sich damals – langsam – lockernden Zensur. Lustige Wortspiele und Scherze gab es zwar auch in den Jahrhunderten davor schon, doch die Verbreitung fand vor allem verbal statt, sei es in trauter Runde in bürgerlichen Heimen, wie auch in der blaublütigen Gesellschaft, wobei sich hier vor allem der französische Hof tonangebend war. Aufgeschrieben wurden diese mündlich verbreiteten Späße selten.

Im 18. Jahrhundert gab es zwar erste Zeitschriften, die sich nicht mehr nur auf politische und amtliche Meldungen konzentrierten, sondern auch belehrende und unterhaltende Inhalte anboten, doch die Kunstgattung der Satire kam erst in den 1840er richtig in Fahrt. Der übertriebene, beißende Spott wurde zum Markenzeichen etlicher Blättchen, deren Inhalte dank der gelockerten Pressefreiheit nun weniger dem Rotstift zum Opfer fielen als in den Jahrhunderten zuvor. Allerdings konnten sich nur wenige der Neugründungen längerfristig auf dem Markt halten wie etwa der »Münchner Punsch«, der von 1848 bis 1871 erschien – ein Wiederbelebungsversuch 1875 scheiterte.

Vorbild für die Zeitschrift, die sich als »humoristisches Blatt« verstand, war der 1841 entstandene, britische »Punch«, übersetzt: »Schlagkraft«, der sich seinerseits an der französischen Satirezeitschrift »Le Charivari« orientierte. Der Londoner »Punch« war es übrigens auch, der den heute noch gängigen Begriff »Cartoon« für eine komische Zeichnung prägte. Ob der »Münchner Punsch« auch entsprechend Schlagkraft besaß – oder seinem tatsächlichen Namen nach doch eher ein Kopfschmerzen verursachendes Gebräu war, könnten nur Zeitgenossen wirklich beurteilen.

Nach heutigem Verständnis erscheinen besonders die in der Anfangszeit erschienenen Witze zu politischen Themen eher verhalten: In den folgenden, 1848 veröffentlichten Zeilen machen die Leser des »Punsch« Bekanntschaft mit einem für humoristische Szenen bis heute beliebten Protagonisten-Paar, den Schusterbuben Maxl und Sepperl. Sepperl: »Du ich krieg jetzt einen neuen Frack. Den zieh ich an, wenn der König die Grundrechte verliest.« Maxl: »Da darfst dir aber keinen nach der jetzigen Mod' schneidern lassen.«

In der Folge wurde der Ton des »Punsch, dessen Herausgeber M.E. Schleich unter dem Pseudonym M.E. Bertram das Blatt praktisch im Alleingang füllte, dann nach und nach bissiger, wie der Seitenhieb auf die königlichen Zensurbehörden beweist: »Was haben die Zensoren jetzt eigentlich zu tun? – Sie streichen die Segel.« Mancher Witz kommt sogar erstaunlich modern daher, wie jener über ein Schulbuch, ebenfalls aus dem Jahr 1848: »Aus einem neuen, fast zu vorsichtigen Handbuch der Geschichte erfährt der Schüler: Ludwig der Sechzehnte ist an einem Halsübel gestorben.« Ein Spott, der auch in heutige Zeiten passen würde in Anbetracht der zum Teil doch übertriebenen Forderungen, Kindern ja nichts an Unterrichtsstoff vorzusetzen, was sie in irgendeiner Weise verstören könnte.

Neben den Schusterbuben weitere Stereotypen, die sich besonders in Witzen des 19. Jahrhundert fanden waren der einfältige Landbewohner, geldgierige Juden oder verschwenderische Frauen, wobei die dem vermeintlich schwachen Geschlecht unterstellten Unzulänglichkeiten offenbar besonders beliebt waren, denn kaum eineWitzeseite kam ohne chauvinistischen Kalauer aus: Im »Augsburger Sonntagsblatt für Unterhaltung in Ernst und Scherz« ist 1862 zu lesen: »Die Schriftsteller haben das mit den Damen gemein, dass sie immer um Stoffe verlegen sind.« »Viele Frauen sind vor der Hochzeit so einnehmend, um nach der Hochzeit recht viel ausgeben zu können.« »Als es von einem Manne hieß, er habe selbst nichts zu beißen und nehme doch eine Frau, rief einer seiner Freunde: »dann bekommt er ja zu beißen genug!«

Damit nicht genug, machten sich die – ausnahmslos aus Männern bestehenden Redakteure – auch über reale Ereignisse wie die damals langsam lauter werdenden Forderungen der Frauenbewegung zur Gleichberechtigung lustig, über die der »Punsch 1848 spöttelte, dass mehrere demokratische Klubs in Deutschland »vollkommene Gleichheit« verlangten: »Sogar in Geschlecht und Alter sollen alle Staatsbürger gleich sein.«

Die »Inn-Zeitung« wiederum befand es 1876 für angebracht, folgende Meldung statt unter Politik oder Gesellschaft unter der Rubrik »Humoristisches« zu veröffentlichen – und den Inhalt entsprechend herabzuwürdigen: Der Bericht aus den USA hatte eine Tagung der »Amerikanischen freien Kleiderliga« zum Thema, deren Teilnehmerinnen nach Formulierung der »Inn-Zeitung«: »dem Unterrock den Kampf angesagt hatten, um sich der Tyrannei, nicht nur der Männer, sondern auch der Mode frei zu machen. An Stelle des Unterrocks soll eine »dualistische Form der Bekleidung« für die Beine gesetzt werden. Mit andern Worten, die Anhängerinnen der neuen Bewegung wollen nichts mehr wissen von langen Schleppkleidern und dergleichen Modestand, Hosen wollen sie haben, in den Hosen erkennen sie allein menschenwürdige Form der Beinkleidung. Nur eine einzige Rednerin fand sich ein, die den verpönten Frauenkleidern das Wort redete und erklärte, sie sei der Ansicht, ein Schleppkleid verleihe der Frau größeren Einfluss in der Welt als Pantalons. Aber ihre Stimme ging unter dem Sturm der Opposition (die großenteils schon mit Hosen bekleidet war) unter und die unterrockfeindlichen Resolutionen wurden mit gewaltiger Majorität angenommen, worauf sich die Kleidungsreformliga auf unbestimmte Zeit vertagte«, so die spöttelnde Schilderung einer Angelegenheit, die viele Frauen sicher nicht als Witz empfanden.

Mit den Lockerungen der Pressezensur erlebte auch der politische Witz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine erste Blüte. Eine Zielgruppe, auf die sich bayerische Redakteure damals zunehmend einschossen, war Preußen und dessen Gallionsfigur Otto von Bismarck, zunächst Ministerpräsident und ab 1871 Reichskanzler: 1864 lästert der »Punsch«: »Bismarck gibt sich in seinen freien Stunden dem Klavierspiel und der Komposition hin: Er soll sich dabei der Zukunftsmusik zuneigen und sogar an einer Oper arbeiten, mit dem Titel: Der fliegende Mittelstaatler« – als Anspielung auf den sich damals zuspitzenden Konflikt um die Einigung Deutschlands und die aus bayerischer Sicht befürchtete Einverleibung in einen von Preußen dominierten Staat.

Die zunehmende Macht Bismarcks wurde dabei als besonders lästig empfunden, wie der folgende Witz, ebenfalls aus dem »Punsch« 1865 impliziert: » In Berlin hat der alte Direktor der Sternwarte, Dr. Enke, um seine Pensionierung nachgesucht. Kein Wunder! So lange der Stern des Herrn von Bismarck so hoch steht und alles überglänzt, gehört wirklich ein eigener Geschmack dazu, Astronomie zu treiben.« Auch 1870/71 hat der »Punsch« Bismarck weiter auf dem Kieker, dessen Machtgelüste sich damals im deutsch-französischen Krieg manifestierten, worüber die Münchner Satirezeitschrift in einem angesichts der Geschehnisse in der Ukraine geradezu frappant aktuellen Witz zynisch spottet: »Im ganzen Reiche herrscht Friede und tiefe Ruhe. – Diese herzerfreuliche, demStandpunkt unserer Kultur und den Wünschen der weisesten Männer entsprechende Meldung kommt jedoch leider nicht aus dem deutschen Reiche, sondern aus – China.«

 

Susanne Mittermaier

 

26/2022