Jahrgang 2022 Nummer 21

Geschichte der Bücherei in Marquartstein

Von der Gründung der Bücherei 1942/43 bis heute

Die Bücherei befindet sich im Keller des neuen Rathauses.
Plan Bücherschrank.
Planung Gemeindebücherei 1983.
Einladung zur Eröffnung der Gemeindebücherei.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten begannen diese den Aufbau von Volksbüchereien zu propagieren – natürlich auch mit den Hintergedanken, ihr Gedankengut unters Volk zu bringen und bessere Kontrolle über den Lesestoff der Bevölkerung zu haben.

Zitat aus einem Rundschreiben vom 22.6.1939: »Die Anschaffung von Volksbüchereien soll nach Maßgabe der vorhandenen Mittel von den Gemeinden mit aller Kraft gefördert werden. Es soll Ehrensache jedes Bürgermeisters sein, … , eine den Verhältnissen entsprechende Bücherei zu unterstützen.«

Eine Vereinbarung vom 2. 2. 1943 belegt die Gründung der Bücherei: »Die staatliche Volksbüchereistelle errichtet im Rechnungsjahr 1942/43 in der Gemeinde Marquartstein eine Volksbücherei. Die Gemeinde stellt zu diesem Zweck einen Betrag von 200 RM zur Verfügung … und erhält einen Staatszuschuss von 100 RM und einen Kreiszuschuss von 200 RM«.

Damit wurden bei der staatlichen Volksbüchereistelle in München die ersten 100 Bände für 510 RM beschafft. Ein Schreiben vom 26. 8. 1944 belegte, dass die Bücherei noch nicht eröffnet werden konnte, da kriegsbedingt kein geeignetes Lokal zur Verfügung gestellt werden konnte, auch bei der Beschaffung des Büchereikastens bestehen Schwierigkeiten.

Am 10. 12. 1944 kam die Mitteilung, dass die Bücherei in einem Raum des Reichluftschutzbundes untergebracht werden könnte. Der Bestand betrug circa 170 Bücher, betreuen sollte die Bücherei Heinrich Görg. Einzig ein Bücherschrank fehlte noch immer.

Bei Kriegsende musste die Bücherei geschlossen werden, weil ein großer Teil des Bücherbestands aus politisch und militärisch abgefassten Büchern bestand. Im Herbst 45 wurden die belasteten Exemplare von einem Beauftragten des Landratsamts ausgesondert, dadurch war der Bestand der Bücherei stark zusammengeschrumpft. Ein kleiner Aufruf an die Marquartsteiner Bevölkerung Bücher für die Bücherei zu spenden, erbrachte so viele Bände, dass die Bücherei am 9. Mai 1946 beim Landrat um die Genehmigung zur Eröffnung der Bücherei nachsuchte. Fräulein Maria Heyl hatte sich bereit erklärt, die Leitung der Bücherei ehrenamtlich zu übernehmen.

Am 25. 10. 1946 wurde die Bücherei neu eröffnet, die Ausleihzeit wurde auf Montag von 16 bis 18 Uhr festgelegt.

Die staatliche Volksbüchereistelle in München betreute die Gemeindebüchereien. In einem Bericht von 1947 schreibt der Leiter der Volksbüchereistelle an den Bürgermeister: »Wie ich zu meiner Freude gehört habe, erfreut sich die gemeindliche Bücherei größter Beliebtheit und der Leserkreis wächst stetig. ... Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch anregen, Frau M. Heyl, die die Bücherei auf das beste verwaltet und besorgt, eine angemessene Entschädigung zu geben. Wenn ich mich recht erinnere, stehen ihr nur die jeweiligen Leihgebühren zur Verfügung. Dies entspricht nicht den allgemeinen Gepflogenheiten, denn die Leihgebühren sollen für Buchanschaffungen verwendet werden. Es wäre deshalb richtiger, für Frau Heyl eine monatliche Arbeitsentschädigung festzusetzen.«

Der Bücherbestand umfasste am 25. 4. 1947 circa 390 Bände, 102 Bücher mussten im Vollzug der Säuberungsbestimmungen ausgeschieden werden.

Die Gemeinde war nicht in der Lage, der Büchereileiterin eine Aufwandentschädigung zu zahlen. So machte Frau Heyl den Vorschlag die Gesamteinnahmen aus Leih- und Einschreibegebühren, die sich durchschnittlich zwischen 90 und 110 RM monatlich bewegten, wie folgt aufzuteilen:

70 % als Honorar für ihre Arbeit,

20 % für Neuanschaffung von

Büchern,

10 % in die Gemeindekasse für

Miete, Licht und Beheizung

des Büchereiraums.

Noch immer war die Not im Nachkriegsdeutschland groß. Durch den Währungsschnitt hatte auch die Bücherei ihr kleines Bankguthaben verloren und noch einige Bücherschulden. Gleichzeitig war der Benutzerkreis durch die eingetretene Verarmung stark zurückgegangen. Die Volksbüchereistelle konnte kaum neue Bücher beschaffen, die Leser in den Gemeindebüchereien hatten oft schon den gesamten Bestand mehrfach gelesen. So wurde über eine Altpapiersammlung der Volksbüchereien versucht den Rohstoffmangel zu lindern oder mit Hilfe eines Wanderbestandes (Leihgabe für ein Jahr) die Vielfalt der einzelnen Büchereien zu verbessern.

Herr Harless (Rektor des Landschulheims) schrieb am 7. 8. 1948 einen eindringlichen Brief an den Bürgermeister Bichler, in dem er die herausragenden Bemühungen um die Leserschaft und Bücherei der Leiterin Frau Heyl lobte, nachdem ihm zu Ohren gekommen war, dass andere »Interessenten« sich um die Stelle des Dorfbücherei-Warts bemühten. Zitat: »Wenn einmal in M'stein etwas wirklich gut und in Ordnung ist, sollte man die Hand drüber halten und es nicht stören. Die Bücherei in eine andere Hand zu geben, kommt gar nicht in Betracht.«

Harless war es auch, der 1949 im Prinzregentensaal mit einer Lesung aus eigenen Dichtungen Spenden für Kindergarten und Bücherei sammelte.

Ruth Zimmermann bat am 5. 2. 1949 um die Genehmigung einer Zusammenarbeit mit der Leiterin Frau Heyl. Sie sei in der Lage, der Bücherei 1500 Bände aus ihrem eigenen Bestand hinzuzufügen. »Für eine weitere Vergrösserung der Bücherei bezw. für jeweilige Anschaffung von neuem Lesestoff auf allen Gebieten der Literatur werde ich stets Sorge tragen. Weiter erkläre ich, bereit zu sein, im Einvernehmen mit der GemeindeMarquartstein von dieser den schon erwähnten, bisherigen Bücherbestand käuflich zu erwerben.«

Zum 1. Mai 1949 legte Maria Heyl die Verwaltung der Dorfbücherei nieder. Aus ihrem Rechenschaftsbericht, dem sie dem Bürgermeister und dem Gemeinderat vorlegte, sprach tiefe Enttäuschung: »Das Interesse der Gemeindeverwaltung an diesem sozialen Hilfswerk, das zunächst von den Einwohnern Marquartsteins eifrig genutzt wurde, war von Anfang an gering, schien aber mit der Währungsreform völlig zu erlöschen, obgleich von der Gemeinde kein Zuschuß oder irgendwelches Opfer gefordert wurde. ... Die Volksbücherei verlor ihren würdigen Raum und wurde in einen Hinterraum des Gemeindehauses verlegt, der gleichzeitig als Rumpelkammer diente. Trotz meiner Bitten wurde kein hinweisendes Plakat angebracht, sodass die Bücherei aus dem Bewusstsein der Einwohner verschwand. Eingaben und Ratschläge von Herrn Direktor Harless, der sich privat um die Überwindung der Krise annahm, blieben unbeachtet …. durch die wachsende Geldknappheit gingen die Leihgebühren zurück, deshalb konnten nur wenige Bücher beschafft werden – die fleißigen Leser hatten die vorhandenen Bücher ihrer Interessensgebiete ausgelesen. In dieser Krisis, wo alles auf eine fühlbare Vermehrung des Bestandes und auf lebendige Förderung und Werbung angekommen wäre, bot sich der Gemeinde eine fast unwahrscheinliche Gelegenheit: Frau Zimmermann, eine vermögende Frau, die hier bauen wollte, erbot sich, den Büchereibestand kostenlos um 1000 Bände zu vermehren, zusammen mit mir häufigere Leihzeiten durchzuführen, den von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Raum freundlich auszugestalten und ihrerseits sogar etwas Miete zu zahlen, so daß ohne Kosten oder irgendwelches Zutun außer dem Ausbau dieses Sozialwerkes der Gemeinde sogar eine Einnahme erwachsen wäre. Aus Gründen, die ich nicht durchschaue, wurde dieses Angebot nicht nur abgelehnt, sondern Frau Z. so schmählich behandelt, daß selbst die Traunsteiner Behörden sich wunderten. Natürlich zog Frau Z. ihr Angebot zurück. ...

Werner Megedoht – Inhaber des gleichnamigen Buchladens in Marquartstein – bot der Gemeinde an, künftig die Betreuung der Gemeindebücherei zu übernehmen, indem er seine Angestellte zu den geöffneten Tauschzeiten in die Dorfbücherei schicken würde. Darüber hinaus versprach er der Bücherei Rabatte für Bücherneuanschaffung über seine Buchhandlung einzuräumen.

Zum 1. Juni 1949 übernahm Walter Koch durch vorausgegangen Gemeinderatsbeschluss die Gemeindebücherei. Die Inventurzählung ergab 504 Bände. Der Kassenbestand belief sich auf 17,40 DM. Herr Koch schreibt an die Gemeinde: »Da die Bücherei ihre verschließbaren Rollschränke an die Gemeinde übergeben soll, lehne ich jede Verantwortung für den Bücherbestand (hauptsächlich Jugendbücher) ab, solange der Raum als Unterrichtsraum genutzt wird. Ein dringendes Bedürfnis wäre die Entrümpelung dieses Raumes im Rahmen des Möglichen, sowie die Anbringung eines Hinweisschildes an der Hausaussenseite.«

Am 13. 1. 1951 kam das »Aus« für die Dorfbücherei per Gemeinderatsbeschluss: »Die gemeindliche Dorfbücherei wird aufgelöst aus nachstehenden Gründen: Das vorhandene Büchermaterial ist bereits derart überlesen, dass ein Interesse an dem Bücherbestand nicht mehr besteht. Die Anschaffung von neuen Büchern ist der Gemeinde aus finanziellen Gründen nicht mehr möglich.«

Zum Zeitpunkt der Auflösung wurde die Bücherei ehrenamtlich von Frau Brandt geführt, die jedoch auch gesundheitlich nicht mehr in der Lage war, diese Arbeit zu leisten.

Die staatliche Volksbüchereistelle in München wunderte sich über die Schließung der Dorfbücherei und führte diese Entwicklung vor allem auf die ungünstige Unterbringung und schlechte Leitung zurück: »Dies war früher beides anders! Ein Ort von der Größe und Bedeutung von Marquartstein sollte unbedingt über eine gemeindliche Bücherei verfügen.«

Im März 1967 gab es einen Versuch zur Wiedergründung der Gemeindebücherei. Neben dem Leseraum, der gleichzeitig Sitzungssaal war, wurde eine Wohnung frei, in der dann die Bücherei untergebracht werden sollte.

Der nächste Versuch die Gemeindebücherei wiederzugründen, stammt aus dem Jahr 1983. Der nachstehende Plan zeigt die Planung der Gemeindebücherei. »Die Erstellung einer Gemeindebücherei im Unterzentrum Marquartstein sollte zugleich in Kombination mit dem dortigen Schulzentrum gesehen werden. Alle vorhandenen Schulen könnten und sollten einewie auch immer gestaltete Teilnahme an dieser Gemeindebücherei finden. Die räumliche Zusammenlegung bieten aus fachlicher Sicht eine optimale Plattform.« Diese sollte im Gebäudekomplex der neuen Achental Realschule untergebracht werden.

Es kam wohl nicht zur Verwirklichung dieser Idee, denn ein Schreiben des Landkreises Traunsteins um 1984 führt Marquartstein unter der Rubrik »ohne Gemeindebücherei«.

1987 beriet der Sankt Michaelsbund Gemeinde und Pfarrei zur Errichtung einer Bücherei und skizzierte diese wie folgt: »Pfarrei und Gemeinde betreiben gemeinsam die Gemeindebücherei, die im Pfarrheim untergebracht wird. Die Pfarrei stellt einen ausreichend großen Raum von circa 75 qm zur Verfügung und ist ebenfalls um das ehrenamtliche Personal bemüht. ... Um ein fachlich zu rechtfertigendes Mindestangebot für Möblierung und Medienanschaffung schaffen zu können, sind circa 60 000 DM notwendig. … auf die Gemeinde kämen nach Kostenteilung circa 22 000 DM und zusätzlich jährlich zur Bestandsergänzung circa 3000 bis 4000 DM zu.«

Am 2. 3. 1987 wurde der Vertrag zur gemeinsamen Führung der Gemeindebücherei vom 1. Bürgermeister Mattias Dögerl und dem Pfarrer Winfried von Essen unterzeichnet. Die Einweihung fand am 12. April 1987 statt.

Seit dem Bau des neuen Rathauses befindet sich die Bücherei im Keller des Rathauses und wirbt auf ihrer Homepage:

»Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten circa 10 000 Medien für die Nutzer bereit. Darunter finden sich neben Büchern auch Zeitschriften, Hörbücher und DVDs. Auch eine digitale Ausleihe über den Verbund von LEO-SUED ist möglich.

Das Team der Gemeindebücherei besteht aus 12 Ehrenamtlichen. Es erwartet Sie eine vielseitige, aktuelle und lebendige Bücherei. Wir beraten Sie gerne zu unserem Sortiment und sind Ihnen bei der Auswahl des geeigneten Mediums behilflich.«

Im Jahr 2018 wurde die Bücherei mit dem Büchereisiegel des St. Michaelsbunds ausgezeichnet. 13 von 15 Mindestanforderung an eine moderne Bücherei, wie zum Beispiel Medienbestand, Öffnungszeiten, Etat wurden dabei erfüllt.

Immer wieder ist im Gespräch die Bücherei in anderen Räumlichkeiten unterzubringen, ebenerdig mit Tageslicht und evtl. ein wenig größer, um auch mal die Möglichkeit einer Veranstaltung zu haben. Vielleicht bietet ja die Umgestaltung der Ortsmitte eine Möglichkeit dazu?

 

Martina Höhne

 

Quellenangabe:

Gemeindearchiv Marquartstein Akte Volksbücherei

https://www.marquartstein.de/buecherei

 

21/2022