Flugzeugabsturz über Surberg vor 80 Jahren
Am 13. Juni 1944 stürzte eine amerikanische B-24 »Liberator« ab




Was viele nicht wissen: Am 13. Juni jährt sich zum achtzigsten Male der Absturz einer schweren, viermotorigen amerikanischen B-24 Liberator (der Befreier) über Surberg. Dies habe ich zum Anlass genommen, die Geschichte einer Suche nach dem abgestürzten Flieger und dessen Besatzung bzw. den Werdegang des Flugzeuges niederzuschreiben. Wie so oft im Leben brannte sich diese Geschichte, die mir mein Vater als Kind erzählt hatte, ein, und ich trug sie gedanklich Jahrzehnte mit mir.
Mein Vater Josef Fleidl, aufgewachsen in Surtal/Buchmühle, erzählte mir, als ich etwa sechs Jahre altwar, dass er als Zwölfjähriger den Absturz eines schweren amerikanischen Bombers miterlebt hatte. Er konnte sich noch erinnern, dass er eines Tages am frühen Nachmittag das Haus verließ und am Himmel eine einzelne Maschine, die Rauchschwaden hinter sich zog, erblickte. Er konnte feststellen, dass die Maschine in Richtung Teisendorf, Neukirchen und Freilassing flog und anschließend wieder zurückkehrte. Dieser Kreisflug erklärt sich daraus, dass auf einer Tragfläche zwei Motoren ausgefallen waren, da diese zuvor bei der Bombardierung Münchens von einer Flak-Granate 88mm getroffenwordenwaren (laut Aussage der überlebenden Besatzungsmitglieder). Mein Vater konnte noch beobachten, wie bei der zweiten Runde drei bis vier Besatzungsmitglieder bei Surberg mit dem Fallschirm aus der Maschine absprangen. In der letzten Runde flog die Maschine schon ziemlich tief und er konnte noch die Brandspuren an den beiden Motoren unter den Tragflächen erkennen. Wie mir mein Vater immer erzählte, hatte er Angst, dass das Flugzeug auf das Elternhaus stürzen könnte. Letzten Endes schlug die Maschine aber auf der Wiese in Vachenlug kurz vor dem Waldrand auf. Sie streifte bzw. riss mit der rechten Tragfläche eine Eiche um, wobei die Tragfläche abriss. Es kam zu einer gigantischen Explosion. Die Maschine schlitterte schräg durch den Wald und kam kurz vor der Weinleite in einem Steinwall zum Liegen. Die rechte Tragfläche schlitterte den Waldhang hinunter, wobei die beidenMotoren herausgerissen und bis zum Bach Sur geschleudert wurden.
2011 kam dann »der Tag X«, wobei der Zufall mir auf die Sprünge half, da mein Schwager mir sein Metallsuchgerät zum Reparieren brachte. Da ich zum Ausprobieren des Gerätes ein geeignetes Objekt brauchte, beschloss ich, der Geschichte meines Vaters nachzugehen. Vielleicht lag da draußen ja tatsächlich noch ein Fundobjekt vom Absturz. Ich habe die Geschichte dann meinem Nachbarn in Straß, dem Haberlander Sepp, erzählt, der zur Kriegszeit in der Nähe des Absturzortes gewohnt hatte und in Surberg zur Schule gegangen war. Er erzählte mir, dass er die Absturzstelle genau kennen würde, also begleitete er mich dorthin. Ich war erstaunt, wo die Maschine zum Erliegen kam – welch einmächtiger Steinwall oberhalb der verlängerten Weinleite sich vor mir auftat. Offenbar hatte der Flieger auf den letzten Metern, bis er endgültig zum Stillstand kam, diese Steinmasse, die auch heute noch sehr gut zu sehen ist, vor sich hergeschoben. Von dort aus versuchte ich, die Spur des Absturzes zu rekonstruieren. Eine gute Hilfe war mir dabei, die Bäume zu beobachten. Man sieht genau, wo einzelne Bäume zwei Kronen aufweisen bzw. in einer bestimmten Höhe deformiert und beschädigt sind. Kurz vor dem Waldrand befinden sich zwei riesige Löcher im Boden, wo das Vorderteil der Maschine eingeschlagen hat. An den Stellen, wo damals das Kerosin ausgelaufen ist, wachsen bis heute keine Bäume. Auch finden sich heute auf der gesamten Strecke, an der die Maschine augenscheinlich heruntergekommen war, noch verbrannte Holzreste.
Ich bat die beiden Grundstückseigentümer, die meinen Vater und auch mich noch persönlich kannten, um Erlaubnis, dort nachforschen zu dürfen. Jetzt begann eine lange Suche. Das erste Stück, das ich dort fand, war ein circa zehn Zentimeter langes, rotes Aluminiumteil mit einer eingestanzten Nummer, die mit »GK32« begann. Da die Amerikaner jedes Teil, mag es auch noch so klein gewesen sein, mit Nummern versehen hatten, konnte ich recherchieren, dass »GK32« für eine B-24 Liberator, einen schweren amerikanischen Bomber, steht. Nach etwa anderthalb Jahren Suche hatte ich mehrere Tausend Teile der Maschine finden können, unter anderen Kopfhörer, große Teile der Außenhaut, Teile vom Cockpit, ein Druckmessgerät und eine Bombenaufhängungsklammer. Jetzt war der Flugzeugtyp der Maschine klar. Unklar jedoch waren die Besatzung und das genaue Absturzdatum. Mein Vater glaubte sich zu erinnern, dass es der 9. oder 11. Juni 1944 gewesen sein müsste. Zwar hatten die Amerikaner jeden Flugvorgang akribisch dokumentiert und archiviert. Da von dieser Maschine aber über 18 000 Stück produziert worden waren, war es eine gewaltige Herausforderung, dies herauszufinden. Immerhin waren alle Flugzeuge, die 1945 abgestürzt waren, schon einmal aus dem Raster gefallen. Alle Flugzeugteile, die ich gefunden hatte, endeten mit dem Jahr »44«. Ein Bekannter, der sich auch für diesen Fall interessierte, machte sich dieMühe, im Internet zu recherchieren, und konnte herausfinden, dass eine Maschine laut amerikanischer Dokumentation am 13. Juni 1944 in »Sur Mountain (Chiemgau)« – was auf Deutsch Surberg heißen sollte – abgestürzt war. Auf Nachfrage wurden uns aus den USA die Kopien von Original-Flugberichten übersandt. Hierbei stellte sich heraus, dass die Maschine mit dem Namen »Hi Pockets« am 13. Juni 1944 in Manduria/Italien gestartet war. Die Mannschaft bestand aus zehn Besatzungsmitgliedern. Eigentlich wäre München das Ziel gewesen, genauer gesagt die dortigen BMW-Werke und die Innenstadt.
Schließlich konnte auch ein Kontakt zum damaligen Co-Piloten der Hi Pockets, Second Lieutenant Earl C. Anderson Jr., hergestellt werden. Er sah sich mit seinen damals 93 Jahren selbst nicht mehr in der Lage, persönlich hierher zu kommen. Jedoch kamen tatsächlich sein Enkel mit seiner Ehefrau extra aus Amerika zur Absturzstelle angereist und konnten Fotos und Flugzeugteile mit zurück in die Heimat nehmen und diese ihrem Großvater übergeben. Es stellte sich oft die Frage, ob die Maschine in Surberg mit Bomben an Bord niedergegangen war. Der damalige Co-Pilot aber erklärte, sie hätten über München bereits sämtliche Bomben abgeworfen. Er erwähnte auch, dass dem Piloten, First Lieutenant Leonard Scott B. Jr., klar war, dass nach den schweren Treffern in München und durch den Verlust der beiden Motoren der Flug über die Alpen nicht mehr möglich wäre, da die Maschine ständig an Höhe und Motorleistung verlor. Anderson erklärte, dass schon während des Anflugs von Italien nach München der Flugzeugverband von deutschen Jagdfliegern angegriffen worden war und die Hi Pockets sich mit ihren 50 mm Brownings MGs (Stückzahl zehn an Bord) hatte verteidigen müssen. Der Pilot, Anderson und ein Dritter stiegen bei Wüstenreit per Fallschirm aus. Über den vorderen Bombenschacht verließen sie die Maschine. Ein Ausstieg über die normale Einstiegsluke wäre zu gefährlich gewesen, da die zu tragende Ausrüstung mit Fallschirm viel Platz benötigte und die Luke dafür zu klein erschien. Anderson erzählte noch, dass er während des Flugs mit dem Fallschirm eine Pistole bei sich trug, die er aber aus der Luft noch abwarf, um im Falle eines Aufgriffs nicht gelyncht zu werden, was durchaus zu befürchten war. Dass damals allen zehn der Besatzungsmitgliedern ein erfolgreicher Ausstieg gelungen war, ist den persönlichen Anhörungsniederschriften der Besatzungsmitglieder zu entnehmen. Diese Niederschriften wurden allesamt in Oberursel angefertigt, wohin die aufgegriffenen Amerikaner gebracht worden waren.
Letzten Endes kann ich also sagen, dass durch meine intensive Suche und Recherchen ein Stück Geschichte aufgeklärt werden konnte. Als mein Vater selbst noch einige Teile der Maschine in Händen halten durfte, merkte ich, dass er in diesem Moment mit dieser Geschichte abschließen konnte. Zugleich ist es nicht einfach bei einer erzählten Geschichte geblieben. Im Jahrbuch 2013 des historischen Vereins für den Chiemgau zu Traunstein wurde die Chronik über den kompletten Werdegang vom Auftrag der Besatzung, bis über die Flugroute, anvisierte Angriffsziele, Rückflug, Beschuss und Absturz sowie letzten Endes Gefangennahme niedergeschrieben (Walter Staller: Surberg, 13. Juni 1944. Die Erforschung eines Flugzeugabsturzes, S. 96 bis 119).
Im »historischen Schaufenster« im Rathaus können Fundstücke besichtigt werden.
Wolfgang Fleidl
23/2024