Experimentierfreudig und geschäftlich erfolgreich
Josef Schneider machte den Baustoffhandel im Chiemgau groß
 
 
 
 
 
 Ein alteingesessenes Traunsteiner Unternehmen ist der Baustoffhandel Josef Schneider. Die Firma ist jetzt in Erlstätt ansässig und firmiert heute unter dem Namen Schneider Baucentrum. Zum Unternehmen gehören 13 Hagebaumärkte in Südbayern. Firmenchef Max Schneider gab uns Einblicke in die Firmen- und Familiengeschichte seit der Gründung im Jahr 1896. Insbesondere über seinen Vater Josef Schneider, der 1937 ins Unternehmen einstieg, konnte er Interessantes berichten. Der hatte nach dem Zweiten Weltkrieg den Weg in eine erfolgreiche geschäftliche Zukunft geebnet. Dessen gleichnamiger Vater (1865 bis 1937) begann in Traunstein bereits vor der Wende ins 20. Jahrhundert mit dem Handel von Baustoffen. Er wohnte in einem Haus an der Ludwigstraße und baute an der Güterhallenstraße auf dem Grundstück, auf dem heute das Annette-Kolb-Gymnasium steht, ein Baustofflager, später auch ein Geschäftshaus mit Wohnung.
Max Schneiders Vater wurde 1901 in Traunstein geboren. Er ging hier vier Jahre in die Volksschule und sechs Jahre in die Realschule, ehe er mit 16 die Lehre im väterlichen Baustoffhandel an der Güterhallenstraße begann. Ab 1919 absolvierte er die Handelsfachschule in München, arbeitete danach unter anderem bei einem Baustoffhändler in Berlin und wanderte 1927 in die USA aus. Erst neun Jahre später, im Oktober 1936, kehrte er zurück. Später erzählte er seinem Sohn Max, in den Zwanziger Jahren sei die wirtschaftliche Situation in Deutschland extrem schlecht gewesen. Er habe keine Hoffnung gehabt, dass es dem Land einmal besser gehen würde. Dazu kam, dass er sich mit seinem Vater offensichtlich nicht sehr gut verstand.
1927 Knall auf Fall nach Amerika ausgewandert
Jedenfalls entschloss sich der junge Josef Schneider 1927 kurzerhand, nach Bremen zu fahren und das nächste Schiff in die USA zu nehmen. Große Gedanken, was ihn dort erwartete, hatte er sich offenbar nicht gemacht. Einziges Rüstzeug: In der Schule hatte er Englisch als einzige Fremdsprache gelernt. Wie er seinem Sohn Max später erzählte, habe er kurz nach seiner Ankunft in den Staaten einen deutschen Installateur kennengelernt. Diesem gegenüber habe er einfach behauptet, er sei ebenfalls Installateur, woraufhin ihn der Mann sofort einstellte. Er musste in einem Haus eine Wasserleitung verlegen. Das tat Josef, wie bei uns üblich, mit großer Akribie und richtete die Leitungen mit der Wasserwaage aus. Nach Abschluss der Arbeiten begutachtete sein Chef das Werk und merkte an, die Arbeit sei ausgesprochen gut, aber viel zu aufwändig: In Amerika brauche ein Installateur keine Wasserwaage, weil sein Auge völlig ausreiche.
Max Schneider: »Mein Vater war ein an allem interessierter Mann, der immer bereit war, neue Wege zu gehen.« Im Laufe seiner neun Jahre in den USA nahm er die verschiedensten Arbeiten an. Zum Beispiel entwickelte er einen Aschenbecher, der es erlaubte, die Zigarette nicht an den Rand zu legen, sondern auf ein weit gespanntes Gitternetz aus Stahldraht. Auf diese Weise gab es keine Braunfärbung aufgrund der Oxidation des Nikotins. Die Herstellung dieses Ringes mit gespannten Stahldrähten meldete er in den Vereinigten Staaten zum Patent an. Fortan stellte er diese Aschenbecher selbst her und vertrieb sie auch.
US-Patent für einen Aschenbecher
Josef Schneider hat seinem Sohn Max von diesem Aschenbecher erzählt. Er hatte aber kein Foto und auch kein Exemplar aus Amerika mitgebracht. Als Max Schneider 1967 mit einem Freund zum ersten Mal nach Amerika zu dessen Verwandten nach Milwaukee flog, besuchten die beiden auch das damals größte Kaufhaus Macy's in Chicago. Max Schneider beschrieb in der Tabakabteilung den Aschenbecher und der Verkäufer brachte ihm das gewünschte Objekt, auf dem die Patent-Nummer eingestanzt war, die sein Vater als seine damalige Nummer erkannte. Für eine gewisse Zeit konnte Josef Schneider offensichtlich vom Verkauf der Ascher gut leben. Das Patent hat er aber ein paar Jahre später verkauft. Als ihm sein Sohn nach so langer Zeit einen von seiner Amerikareise mitbrachte, war der Vater erstaunt, dass dieser Aschenbecher fast 40 Jahre, nachdem er ihn patentieren ließ, immer noch hergestellt und verkauft wird.
Josef Schneider machte in den USA Reisen quer durch das Land und schoss ausgezeichnete Fotos, die bei dem Bombenangriff 1945 auf sein Elternhaus an der Güterhallenstraße vernichtet wurden. Seiner Familie erzählte er von einem Vorfallbeim Fotografieren im Yosemite Nationalpark in Kalifornien. Dort konnte man mit dem Auto quer durch den Park fahren, sollte es allerdings nicht verlassen wegen der frei lebenden Bären. Ihm sei es passiert, dass ein Bär seinen Kopf durch das geöffnete Beifahrerfenster schob, was Josef Schneider auf einem Foto festhielt.
Als Aktienhändler an der Wallstreet tätig
Er war nicht nur handwerklich begabt, sondern konnte auch ausgezeichnet mit Zahlen umgehen und Berechnungen vornehmen. So berichtete er seinem Sohn, einige Zeit im Aktienhandel tätig gewesen zu sein. Es gab damals an der Wall Street einen sogenannten Ticker-Raum, in den man sich nach Anmeldung setzen und die Aktien unmittelbar kaufen aber kurz darauf auch wieder verkaufen konnte. Den 29. Oktober 1929, der als »Schwarzer Freitag« in die Geschichte einging, erlebte der ausgewanderte Traunsteiner ebenfalls in New York. Später berichtete er, man habe an jenem Tag plötzlich Angst bekommen, ob der amerikanische Staat tatsächlich in der Lage sei, sein Versprechen einzulösen, alle Dollarbestände mit Gold gedeckt zu haben. Er schilderte, wie er zu seiner Bank ging, um all sein Geld in Golddollar abzuholen. Dabei habe er all seine Taschen vollstopfen müssen,um sich vor der erwarteten Inflation zu schützen. Wie wir heute wissen, kam es anschließend zu einer großen Rezession in den USA, in deren Verlauf der Staat zugeben musste, dass bei weitem nicht alle Dollarbestände in Gold hinterlegt waren.
Im Oktober 1936 kam Josef Schneider auf Bitten seiner Mutter zurück nach Traunstein. Er wollte vermutlich nur für kurze Zeit bleiben. Als sein Vater jedoch Anfang 1937 verstarb, entschied er sich, den elterlichen Baustoffgroßhandel an der Güterhallenstraße zu übernehmen. Gegenüber den Kindern klagte er nach dem Krieg immer wieder, wie dumm er gewesen sei, in Deutschland geblieben zu sein. Kurz nach seiner Entscheidung zu bleiben wurde er nämlich zur Wehrmacht eingezogen und war als Lastwagenfahrer in halb Europa unterwegs. Als er 1945 vom Krieg heimkam, musste er die Folgen eines Bombenangriffs der Amerikaner auf den Traunsteiner Bahnhof am 18. April 1945 sehen: Acht Bomben waren auf dem Grundstück der Familie explodiert, hatten den Betrieb und das Wohnhaus zerstört.
Nach dem Krieg Töpfe und Kannen gelötet
Schneider baute den Baustoffgroßhandel zunächst in einfachen Hütten wieder auf. Er musste Marktlücken finden, um finanziell überleben zu können. So begann er unmittelbar nach dem Krieg, aus Blechabfällen Töpfe, Gießkannen und ähnliches automatisiert zu löten. Das waren Utensilien, welche die Menschen damals brauchten. Als die Industrieproduktion wieder in Gang kam, war dieses Geschäft jedoch schlagartig beendet. An der Güterhallenstraße betrieb er auch eine Zeitlang eine Augustiner-Biervertretung. Zu diesem Zweck benötigte er viel Kühlwasser, das er aus einem selbst gebohrten 25 Meter tiefen Schacht aus der Traunsohle pumpte und auf diese Weise kostenloses Wasser hatte. Nach dem Krieg erhielt er einmal statt bestellter Kohle versehentlich eine Waggonladung Kohlenstaub. Kurzerhand baute er sich eine Brikett-Maschine, presste den Staub und verkaufte ihn als Briketts.
In den USA las er regelmäßig den amerikanischen Reader's Digest. Damals war Amerika in vielen Bereichen weiter entwickelt als Europa. Er hatte dank dieser Lektüre auch die Lösung seines Gicht-Problems gefunden: das Arzneimittel Allopurinol. Es war in Deutschland noch nicht zugelassen; deshalb hat er es in Amerika bestellt. Josef Schneider war Kettenraucher. Als er im amerikanischen Reader's Digest den Bericht eines Arztes las, rauchen könnte eventuell krebsfördernd sein, beschloss er, nie wieder zu rauchen und hielt sich daran.
Motorrad mit Sternmotor
In seinen Jugendjahren besaß Schneider mehrere Motorräder, die er gebraucht gekauft hatte und selbst reparierte. Dabei hatte er auch das deutsche, sehr unkonventionelle Megola-Motorrad, bei dem der Motor als Sternmotor im Vorderrad ohne Kupplung und Schaltung installiert war. Zwischen 1921 und1925 wurden von diesem Modell etwa 2000 Stück gebaut. Zu jener Zeit waren die Landstraßen noch staubig und in den Bergen sehr steil. Schneider erzählte seiner Familie von steilen Pässen, die man mit dem Auto nur im Rückwärtsgang erklimmen konnte.
Buchungsmaschinen und der erste Computer
Bis ins hohe Alter interessierte er sich für Technik. Bereits 1958 führte er die erste Buchungsmaschine von der Firma Taylorix ein, mit deren Technik man die Rechnungen wesentlich rationeller erstellen konnte. Anfang der 1960er Jahre legte sich Josef Schneider die erste automatisierte Buchungsmaschine zu, etliche Jahre später kaufte er die ersten Magnet-Kundenanlagen-Geräte. Der Commodore PET 2001 war 1977 einer der ersten Heimcomputer, mit dem er in der Programmiersprache Basic experimentierte und von den neuen Möglichkeiten begeistert war. Später folgte ein Computer mit Plattenspeicher, den er gemeinsam mit einem Mitarbeiter programmierte. In den Achtziger Jahren kaufte er eine gebrauchte IBM/34 mit drei Arbeitsplätzen, die sein Sohn Kurt mit seinem Studienfreund für die Firma programmierte. Josef Schneider war stets stolz darauf, zukunftsweisende Ideen nicht nur zu haben, sondern sie auch umzusetzen.
Der erste Gabelstapler und der erste Lkw
1955 war er der Erste im deutschen Baustoffhandel, der einen Gabelstapler einsetzte. Die hierfür benötigten Paletten stellte er selbst her und erwarb ein Patent für diese spezielle Form der Palette. Mit Einführung des Gabelstaplers entfiel auch die Notwendigkeit, Rampen, wie früher üblich, zu nutzen. Deshalb baute er 1955 die erste hohe Halle mit Regalen für den Baustoffhandel. 1958 schließlich kaufte er den ersten Lkw mit aufgebautem Kran, mit dem man die Waren schneller abladen konnte.
Dass sein Vater neben diesem hohen beruflichen Engagement noch Zeit und Muße fand, sich mit Gleichgesinnten aus der Traunsteiner Bürgerschaft und Freunden aus umliegenden Orten auch sportlich zu betätigen, soll in diesem Beitrag nicht unerwähnt bleiben. Auf dem Chiemsee segelte er und auf der Alz zwischen Seebruck und Altenmarkt unternahm man Kanutouren, wovon einige alte Fotos Zeugnis ablegen. Max Schneider ist beeindruckt vom Innovationswillen und Pioniergeist seiner Vorfahren. Dieses zukunftsorientierte Denken war der solide Grundstock, auf dem er die Firma zu ihrer jetzigen Größe weiterentwickeln konnte.
Georg Schneider kam als Zinngießer nach Traunstein
Der erste Vorfahre von Max Schneider, der nach Traunstein kam, war ein Georg Schneider aus München. Er muss wohl kurz nach dem Stadtbrand 1851 mit etwa 20 Jahren zugezogen sein. Georg Schneider stammte aus einer renommierten Münchner Familie, die das Handwerk des Zinngießens ausübte. Im Jahr 1854 kaufte dieser Georg Schneider ein Haus am Stadtplatz, in dem er Gebrauchs- und Ziergegenstände aus Zinn herstellte. Er war ein engagierter Mitbürger, der in der Stadt Mitte des 19. Jahrhunderts einiges bewegte. 1859 war er Gründungsmitglied der Traunsteiner Feuerwehr und wurde im Jahr darauf zu deren erstem Kommandanten bestimmt. Im März 1861 hatte die Wehr bereits 149 Mitglieder. Dem Vorbild der Stadt Augsburg folgend griff die Feuerwehr Traunstein die Ideen des Turnvaters Jahn auf und gründete einen Turnerlöschzug zur körperlichen Ertüchtigung ihrer Feuerwehrmänner. Dieser wurde zur Keimzelle des Turnvereins Traunstein. Vorstand dieses Turnerlöschzugs wurde ebenfalls Georg Schneider, der die Feuerwehr als 1. Kommandant bis 1862 aufgebaut hatte und danach von Josef Wispauer abgelöst wurde. Als sehr guter Sänger war Schneider auch federführend an der Gründung der ersten Traunsteiner Liedertafel beteiligt.
Um das Jahr 1900 errichtete Georg Schneider den Lagerplatz für Baustoffe – damals weit außerhalb der Stadt an der heutigen Güterhallenstraße. Dazu bekam er einen Gleisanschluss, vermutlich den ersten für ein Betriebsgleis in Traunstein. 1901 erhielt die Firma die Telefonverbindung mit der Nummer20, Nebenstellen wurden »schwarz gebaut«. So berichtete Max Schneiders Vater von einer Telefonleitung von der Stadt-Wohnung zum neuen Lagerplatz. Die Leitung wurde an den Alleebäumen aufgehängt, ohne dass man das Fernmeldeamt hinzuzog.
Um 1905 wurde ein Kieswerk gegenüber dem Bahnhof eröffnet, in dem man 15 Jahre lang Kies- und Betonfertigteile herstellte. Gleichzeitig betrieb Georg Schneider ein Planungsbüro. 1920 wurde der Kiesabbau eingestellt, weil der Lehmanteil im Kies zu hoch war. 1922 kaufte man den ersten LKW mit Kettenantrieb auf die Hinterachse und Vollgummireifen. Damit wurden die Baustoffe zu den Kunden gebracht. Um das Jahr 1916 kaufte er sich den ersten Pkw. Für den bekam er allerdings keine Reifen mehr, weil der Erste Weltkrieg ausgebrochen war. Josef Schneider jun. hat aus diesem Grund das Autofahren auf den Felgen in der geräumigen Garage gelernt.
Klaus Oberkandler
49/2024
 
