Eine Oase des Friedens und des gegenseitigen Helfens
Im Schwesternheim St. Hildegard in Siegsdorf leben jetzt auch einige Priester und Franziskanerbrüder







Es ist ein Vorzeigehaus unter all den geistlichen Senioren-Einrichtungen Bayerns: das Schwesternheim St. Hildegard der Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul in unmittelbarer Nähe zu den Adelholzener Alpenquellen in Siegsdorf. Allerdings: Das mit dem Schwesternheim stimmt so nicht mehr ganz, denn seit einigen Jahren leben hier auch ein paar Priester und Franziskanerbrüder.
»St. Hildegard hat einen sogenannten Kleinen Versorgungsvertrag mit der Pflegeversicherung, so dass hier nur ein eingeschränkter Personenkreis wohnen kann. Durch den Rückgang der Schwesternzahl lässt sich das Haus allein mit Barmherzigen Schwestern nicht mehr füllen, so dass man die Einrichtung in erster Linie auch für andere Schwesterngemeinschaften geöffnet hat«, teilt Wolfgang Dausch, Sprecher der Kongregation, auf Anfrage mit. Neben St. Hildegard betreiben die Barmherzigen Schwestern im Chiemgau und Rupertigau noch die Seniorenwohnanlage St. Elisabeth in Teisendorf, das Betreute Wohnen Ruhpolding, sowie als Wirtschaftsbetriebe die Adelholzener Alpenquellen und den Primushof.
Dass St. Hildegard auch für männliche Bewohner geöffnet wurde, ist für Pfarrer Kress »eine glückliche Fügung«. Der 84-Jährige lebt seit zwei Jahren hier und könnte sich keinen besseren Platz vorstellen. 40 Jahre war er Pfarrer in Weildorf in der Gemeinde Teisendorf im Berchtesgadener Land, 35 Jahre lang Religionslehrer am Chiemgau-Gymnasium in Traunstein. Die Corona-Krise hätte er beinahe nicht überlebt. Erst war er positiv mit schwersten Symptomen, dann erlitt er einen Herzinfarkt. Der Bad Reichenhaller Sozialdienst und sein Bruder hatten ihn nach der Reha nach St. Hildegard vermittelt. Heute sagt er: »Ein Engel muss die Einrichtung empfohlen haben.«
Pfarrer Kress blüht hier richtig auf. Er ist aktuell einer von acht männlichen Bewohnern. Dass er nicht mehr ganz so gut zu Fuß ist, stört ihn wenig. Mit seinem Rollator kommt er im Haus und auch draußen optimal zurecht, braucht ansonsten auch keine Hilfe. Wie gut er drauf ist, erlebten jüngst erst die Bewohner eines anderen Seniorenheims der Barmherzigen Schwestern in München. Dort trat Kress beim Sommerfest mit seiner Theatergruppe zu einem Einakter auf. »Ich glaube, den Leuten hat es gefallen, der Beifall war jedenfalls laut und lang«, schmunzelt der Pfarrer und warb sogleich um Theater-Neulinge. »Wir suchen Nachwuchs«, sagt der Mann, der bei fast allen Aktionen im Haus dabei ist, sei es beim Kegeln, im Fitnessraum, beim Basteln und Kartenspielen, beim Gedächtnistraining oder beim Singen.
Der Tag startet für Kress immer um kurz nach 6 Uhr. Erste Station außerhalb seines Zimmers ist dann die Kapelle im Erdgeschoß. Hier steht kurz nach 7 Uhr erst die Laudes (= Morgengebet) und anschließend die Morgenmesse an. Hier spielt Schwester Aloisiana die Orgel. Seit 2006 ist die 87-Jährige im Haus und fungiert heute noch als stellvertretende Konvent-Leiterin. Nach der Messe geht es für alle zum gemeinsamen Frühstück.
»Ich kann das Haus nur empfehlen«, schwärmt Pfarrer Kress, dessen ganzer Stolz seine umfassende Briefmarkensammlung ist. Sie hütet der 84-Jährige wie einen Schatz. Langweilig sei es ihm nie, alles sei bestens geregelt im Haus, ob Spazierengehen, Mittag- und Abendessen oder Ausflüge. »So habe ich mir meinen Lebensabend vorgestellt, schön, dass ich ihn noch so erleben darf«, sagt Kress.
47 Bewohner zählt St. Hildegard aktuell, darunter 27 Barmherzige Schwestern, 12 Bewohnerinnen von anderen Orden und die acht männlichen Bewohner. Und dass es allen so gut geht wie Pfarrer Kress, dafür sorgen Heimleiterin Elfriede Dienhart und Konvent-Leiterin Agnes Karger zusammen mit insgesamt 50 Mitarbeitern/innen. Dienhart, gelernte Altenpflegerin, ist seit 2010 im Haus und seit 2018 Heim- und Hausleitung. Karger ist gelernte Köchin, kam 2021 nach St. Hildegard und ist in gewissem Sinn Schwester Oberin, eine Funktion, die es so aber nicht mehr gibt. Von Montag bis Freitag ist sie 30 Stunden im Haus und kümmert sich um die Belange der Schwestern.
Und was unterscheidet St Hildegard von anderen Seniorenheimen? »Das geistliche Leben steht hier im Mittelpunkt. Wir sind eine Oase des Friedens und gegenseitigen Helfens, weil hier ausschließlich Mitglieder von Ordensgemeinschaften und Priester leben«, sagt Dienhart, für die der Arbeitstag um 8 Uhr beginnt. Zunächst stehen Büroarbeiten an, danach kommen die Schwestern mit Anliegen und dann nimmt sie sich Zeit für den täglichen Hausgang. Alle Abteilungen werden aufgesucht, Pflege, Hauswirtschaft, Therapie. »Der Vormittag ist schnell vorbei, nach dem Mittagessen geht’s ins Büro«, sagt die Heimleiterin, die dann viel Administratives und Organisatorisches abzuwickeln hat und Termine abklären muss. Ihre Bürotüre steht immer offen für alle und für jeden.
Volles Haus hatte Dienhart erst Ende Juli. Da wurde das alljährliche Profess-Jubiläum gefeiert, Schwestern wurden für 40, 60 und 65 Jahre im Kloster geehrt, zwei sogar für 70 Jahre. Solche Tage werden bei Ordensschwestern wie Hochzeitsjubiläen begangen, erinnert wird an jene Tage, an denen sie ihr Gelübde abgelegt haben. Es gibt Dank für Arbeit, Dienst, Zeugnis und Gebet. Über 100 Gäste bevölkerten St. Hildegard, denn viele Angehörige feierten mit, die Kapelle konnte kaum alle fassen. »Es war wieder ein wunderschöner Tag«, berichtet die Heimleiterin.
Herzstück des Hauses ist die Kapelle und hier der Akanthus-Altar, der zu den bekanntesten Ornamenten in der europäischen Kunst zählt. Karger informiert, dass der Altar früher im alten Schwesternheim in Adelholzen stand. Zum Altar gehören Werke der Barmherzigkeit mit der heiligen Hildegard und der heiligen Irmengard vom Chiemsee und der Muttergottes in der Mitte. Der Tabernakel sei dazu geschnitzt worden.
Die Zimmer im Haus - alles Einzelzimmer - sind hell und freundlich eingerichtet, verfügen über Bad mit Waschbecken, Dusche und WC, Bett, Kleiderschrank, Tisch, Sessel und Stühle. Alle haben TV- und Telefonanschluss. Eigene Möbel können natürlich mitgebracht werden. Und über die Notrufanlagen in jedem Zimmer ist der Pflegedienst des Hauses Tag und Nacht erreichbar.
In St. Hildegard wird der Gast schon auf dem Weg zum Empfang vor dem Gebäude von einer großen Säule gegrüßt. Sie zeigt Hildegard von Bingen (1098 - 1179), eine deutsche Benediktinerin, Äbtissin, Dichterin und Komponistin. »Sie war auch eine bedeutende natur- und heilkundige Universalgelehrte, ist Namenspatron unseres Hauses«, erklärt Karger. Sie sei erste Vertreterin der deutschen Mystik des Mittelalters gewesen und werde in der römisch-katholischen Kirche als Heilige verehrt.
Und wenn man das Haus betritt, blickt man gleich bei der Anmeldung auf ein großes Gemälde vom hl. Vinzenz von Paul (1581 - 1660), dem Ordensgründer der Barmherzigen Schwestern. Es handle sich hier um einen französischen Priester, der auf Grund seines Wirkens auf dem Gebiet der Armenfürsorge und Krankenpflege als der Begründer der neuzeitlichen Caritas gelte, informiert Karger. Sein Leitsatz sei immer gewesen: »Liebe sei Tat«.
St. Hildegard hat eine große Tradition. Auf dem Grundstück des heutigen Gebäudes hatte sich einst die Kur-Pension Immergrün befunden. Die ließ Badearzt Dr. Josef Liegl im Jahr 1895 errichten. Die Landesversicherungsanstalt (LVA) Oberbayern übernahm das Haus dann 1911 als Genesungsheim Alzing, so der Name des Siegsdorfer Ortsteils. Und mit der Übernahme begann am Standort auch das Wirken der Barmherzigen Schwestern, die im Genesungsheim in der Pflege tätig waren.
Das Haus überstand den Ersten und Zweiten Weltkrieg - Bewegung kam dann im Jahr 1967 wieder rein. In dem Jahr erwarb nämlich die Ordensgemeinschaft das Gebäude, benannte es um in Schwesternheim St. Ludovika. Es war fortan ein Erholungsheim für die eigenen Schwestern. Aber das Haus war baufällig geworden, außerdem zu klein. So entschloss sich die Gemeinschaft zu einem Abriss und Neubau an gleicher Stelle. Es entstand das heutige St. Hildegard. Friedrich Kardinal Wetter kam 1989 und weihte es ein.
Heimleiterin Elfriede Dienhart und Konvent-Leiterin Agnes Karger werden unterstützt von Pflegedienstleiterin Sandra Gazic und dem Technischen Leiter Hermann Zeiler. Das Quartett hat ein gemeinsames Ziel: Nach den Werten der Barmherzigen Schwestern zu arbeiten, das hohe Niveau zu halten und den Bewohnern einen schönen Lebensabend zu ermöglichen.
Karlheinz Kas
33/2024